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4.Berechnungsverfahren für die Sitzverteilung

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Bei der Verhältniswahl ist zur Übertragung des Stimmenverhältnisses auf das Sitzverhältnis ein bestimmtes Berechnungsverfahren erforderlich. Eine der möglichen Berechnungsmethoden ist das von dem belgischen Mathematiker Victor d'Hondt 1882 entwickelte Höchstzahlverfahren, das bei den niedersächsischen Kommunalwahlen bis 1977, von 1984 bis 1991 und von 1996 bis 2006 galt. Beim Höchstzahlverfahren nach d'Hondt werden die auf die einzelnen Wahlvorschläge der Parteien, Wählergruppen und Einzelvertreter entfallenen Stimmen so oft durch 1, 2, 3 usw. geteilt, bis aus den gewonnenen Teilungszahlen so viele Höchstzahlen ausgesondert werden können, wie Sitze zu vergeben sind. In der Reihenfolge der so ermittelten Höchstzahlen werden dann den Wahlvorschlagsträgern die Sitze zugewiesen.

Bei dem nach dem englischen Verfassungsjuristen des 19. Jahrhunderts Thomas Hare und dem in Marburg lehrenden deutschen Mathematikprofessor Horst Niemeyer benannten Berechnungsverfahren wird die Gesamtzahl der zu vergebenden Sitze mit der Stimmenzahl der jeweiligen Partei multipliziert und durch die Gesamtzahl aller Stimmen dividiert. Diese Berechnung ergibt „Proportionalzahlen“. Jede Partei erhält zunächst so viele Sitze, wie sich nach ihrer „Proportionalzahl“ für sie ganze Zahler ergeben. Die danach noch zu vergebenden Sitze erhalten die Parteien mit den höchsten Zahlenbruchteilen. Beide Verfahren kommen überwiegend zu demselben Ergebnis. In Grenzfällen kann die errechnete Sitzverteilung jedoch um einige Mandate differieren, wobei sich beim d'Hondtschen Verfahren eher ein für größere Parteien, beim Hare-Niemeyer-Verfahren eher ein für kleinere Parteien günstiges Ergebnis ergibt.

Nachdem das Verfahren nach Hare-Niemeyer erstmals 1970 bei der Besetzung der Bundestagsausschüsse praktiziert worden war,27 wurde es 1977 in Niedersachsen für die Sitzverteilung bei den Kommunalwahlen eingeführt (G 18).28 In der Begründung des von den Koalitionsfraktionen CDU und FDP eingebrachten Gesetzentwurfs hieß es, das Hare-Niemeyer-Verfahren lasse Stimmenreste effektiver und gerechter in die Sitzverteilung einfließen als die Berechnung nach d'Hondt.29 Bei der intensiven Beratung des Gesetzes in den Landtagsausschüssen – teilweise unter Beteiligung von Prof. Niemeyer – stellte sich heraus, dass in bestimmten Fällen eine absolute Stimmenmehrheit für eine Partei nicht auch eine absolute Sitzmehrheit zur Folge hat. Für diesen Fall wurde die Vergabe eines „Vorabsitzes“ an die Partei mit der absoluten Stimmenmehrheit bestimmt (modifiziertes Proportionalverfahren).

Die SPD, die das Gesetz im Landtag abgelehnt hatte,30 strengte ein Normenkontrollverfahren beim Niedersächsischen Staatsgerichtshof an. Nachdem ihr Antrag, die anstehenden Kommunalwahlen durch einstweilige Anordnung bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu verschieben, vom Staatsgerichtshof abgelehnt worden war,31 stellte dieser zwei Monate später in seinem Urteil fest, dass die angefochtenen Wahlrechtsbestimmungen mit der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung vereinbar seien.32

1984 wurde das Berechnungsverfahren nach d’Hondt – mit den Stimmen der CDU und der SPD, gegen die Stimmen der FDP und der GRÜNEN – wieder eingeführt (G 22).33 In den Beratungen wurde auf die praktischen Erfahrungen bei der vorangehenden Wahl hingewiesen, die die Nachteile des Hare-Niemeyer-Verfahrens offen­bart hätten. Da eine Sperrklausel nicht bestehe und auch nicht eingeführt werden solle, könne das d'Hondtsche Verfahren dazu beitragen, einer Parteienzersplitterung entgegenzuwirken und die Mehrheitsbildung zu erleichtern.34 Mit den Stimmen von CDU, FDP und GRÜNEN und gegen die Stimmen der SPD wurde 1987 (G 24) erneut das Hare-Niemeyer-Verfahren eingeführt (Anwendung erstmals bei den allgemeinen Neuwahlen 1991). Entsprechend der mit der Vermeidung der dem Proportionalverfahren innewohnenden Tendenz zur Begünstigung kleinerer Gruppierung begründeten Empfehlung der Enquete-Kommission zur Überprüfung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsrechts 35 ist der Landtag 1995 (G 27) wieder zum Verfahren nach d’Hondt zurückgekehrt (erstmals für die Wahlen 1996). Nach dem Regierungswechsel 2003 ist dann aufgrund der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU und FDP mit Beginn der Wahlperiode 2006 wieder das Proportionalverfahren eingeführt worden (G 32).

Niedersächsisches Kommunalwahlrecht

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