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1. Die Bedeutung der Sachentscheidungsvoraussetzungen

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Voraussetzung für eine Entscheidung über das von Kläger bzw Antragsteller geltend gemachte prozessuale Begehren ist das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen. Diese werden auch als Zulässigkeitsvoraussetzungen, Sachurteilsvoraussetzungen oder Prozessvoraussetzungen bezeichnet. Die beiden letztgenannten Begriffe sind allerdings ungenau: Das prozessuale Begehren muss nicht immer auf den Erlass eines Urteils gerichtet sein (vgl aber Sachurteilsvoraussetzungen), und auch beim Fehlen einer Prozessvoraussetzung kommt es zu einem Prozess, der nur nicht durch eine Entscheidung in der Sache abgeschlossen wird. Erst wenn das Gericht bei der Zulässigkeitsprüfung sämtliche Zulässigkeitsvoraussetzungen bejaht hat, kann eine Entscheidung über die Begründetheit (Sachentscheidung) ergehen.

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Beispiel:

Klagt der Bürger auf Aufhebung eines ihn belastenden Verwaltungsakts, so kann das Verwaltungsgericht darüber nur entscheiden, wenn der Verwaltungsrechtsweg gem. § 40 eröffnet ist, das Verwaltungsgericht für die Entscheidung über den Rechtsstreit sachlich und örtlich zuständig ist und sämtliche anderen Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen. Erst dann vermag das Verwaltungsgericht einen den Kläger in seinen Rechten verletzenden Verwaltungsakt aufzuheben (s. § 113 Abs. 1 S. 1).

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Das Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen ist durch das Verwaltungsgericht von Amts wegen zu überprüfen. Bei seinen Feststellungen ist das Verwaltungsgericht weder an das tatsächliche Vorbringen der Beteiligten noch an ihre Rechtsauffassung gebunden. Die Zulässigkeit muss in dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt, nämlich der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht oder, wenn eine solche nicht stattfindet, beim Erlass der schriftlichen oder elektronischen Entscheidung gegeben sein. Bis dahin kann eine zunächst fehlende Zulässigkeitsvoraussetzung idR noch nachträglich herbeigeführt werden.

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Beispiel:

Hat der Kläger eine Anfechtungsklage erhoben, ohne vorher ein gem. §§ 68 ff erforderliches Widerspruchsverfahren durchzuführen, ist ein solches Verfahren aber bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht durchgeführt und abgeschlossen worden, so ist die Anfechtungsklage nunmehr zulässig, sodass in der Sache entschieden werden kann.

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Bestimmte Zulässigkeitsvoraussetzungen müssen bereits bei Erhebung der Klage bzw bei Stellung des Antrags vorliegen. Sie werden als Zugangsvoraussetzungen bezeichnet (s. zu Beispielen Rn 199, 950, 1074; s. auch Rn 725).

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Fehlt eine Zulässigkeitsvoraussetzung, wird die Klage (bzw der Antrag) grundsätzlich durch eine Prozessentscheidung (s. oben Rn 55) als unzulässig abgewiesen. Ausnahmsweise, nämlich wenn der Verwaltungsrechtsweg unzulässig (s. § 173 iVm §§ 17–17b GVG) oder das Verwaltungsgericht sachlich oder örtlich nicht zuständig ist (§ 83), spricht das Gericht lediglich das Fehlen der entsprechenden Zulässigkeitsvoraussetzung aus (näher Rn 171 u. Rn 468) und verweist den Rechtsstreit zugleich von Amts wegen an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs (§ 173 iVm § 17a Abs. 2 S. 1 GVG, s. unten Rn 171). Diese besondere Form der Tenorierung ändert aber nichts daran, dass – insoweit übereinstimmend mit anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen – eine Sachentscheidung des Verwaltungsgerichts nicht ergeht. Angesichts dieser Gemeinsamkeiten mit anderen Zulässigkeitsvoraussetzungen erscheint es nicht sinnvoll, den Verwaltungsrechtsweg aufbaumäßig von anderen Zulässigkeitsvorausetzungen zu trennen und einen „dreistufigen Aufbau“ zu befürworten[45]. Für den hier vertretenen „zweistufigen“ Aufbau spricht auch, dass das Verwaltungsgericht im Falle bestimmter nicht justiziabler Hoheitsakte sowie in den Fällen, in denen der Verwaltungsrechtsweg wegen Vorrangs des Verfassungsrechtswegs ausscheidet, ebenfalls nicht verweist, sondern die Klage (als unzulässig) abweist (dazu näher Rn 171). Zu beachten ist iÜ, dass die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs bzw die Zuständigkeit des angerufenen Verwaltungsgerichts auch dann nicht wieder entfällt, wenn sich die sie begründenden Umstände nach Eintritt der Rechtshängigkeit ändern (§ 173 iVm § 17 Abs. 1 S. 1 GVG sowie § 83 S. 1 iVm § 17 Abs. 1 S. 1 GVG).

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Wird eine Klage wegen Fehlens einer Zulässigkeitsvoraussetzung als unzulässig abgewiesen, so ist die erneute Klage nach Behebung des Mangels zulässig.

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Bei den Sachentscheidungsvoraussetzungen wird häufig zwischen allgemeinen und besonderen unterschieden. Erstere sollen von ihrer Art her für jedes verwaltungsgerichtliche Verfahren notwendig sein (zB Zuständigkeit, Beteiligungsfähigkeit, Rechtsschutzbedürfnis), Letztere hingegen nur für besondere Verfahrensarten (zB die Durchführung des Vorverfahrens und die Klagebefugnis). Anknüpfend an diese Differenzierung wird gefordert[46], bei der Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen prinzipiell erst die allgemeinen und anschließend nach Bestimmung der einschlägigen Verfahrensart deren besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen zu erörtern. Dieses Aufbauschema lässt sich aber nicht konsequent durchhalten, da zT sog. allgemeine Zulässigkeitsvoraussetzungen in ihrer konkreten Ausgestaltung von der Verfahrensart abhängen und in diesem Sinne nicht allgemein sind[47]. Umgekehrt sind sog. besondere Sachentscheidungsvoraussetzungen teilweise kraft gesetzlicher Anordnung (so § 54 Abs. 2 BeamtStG und § 126 Abs. 2 BBG) oder auf Grund analoger Anwendung (so etwa die Klagebefugnis des § 42 Abs. 2, s. Rn 516) auch bei anderen als den in diesem Zusammenhang genannten Verfahrensarten zu prüfen.

In erheblichem Umfang ist die Reihenfolge, in welcher Sachentscheidungsvoraussetzungen erörtert werden, ohnehin eine Frage der Zweckmäßigkeit. Logisch vorgegeben ist allerdings – was einzelne Aufbauschemata nicht ausreichend beachten –, dass neben den besonderen zT auch allgemeine Sachentscheidungsvoraussetzungen wie die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte (s. zB § 47), die Beteiligungsfähigkeit (s. zB § 47 Abs. 2 S. 1 Alt. 2), die (passive) Prozessführungsbefugnis (s. Rn 589) und auch das Rechtsschutzbedürfnis (s. Rn 607; s. auch Rn 616) erst nach Klärung der einschlägigen Verfahrensart geprüft werden können. Die Statthaftigkeit einer bestimmten Verfahrensart stellt zwar auf der Basis der verwaltungsgerichtlichen Generalklausel (anders als nach dem früher geltenden Enumerationsprinzip, s. Rn 9) und im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG prinzipiell keine Zulässigkeitsvoraussetzung mehr dar. Sie muss aber zwingend in die Zulässigkeitsprüfung einbezogen werden, da durch sie einzelne (allgemeine und besondere) Sachentscheidungsvoraussetzungen bestimmt werden.

Auch wenn der Aufbau der Zulässigkeitsprüfung vielfach durch Zweckmäßigkeitserwägungen geleitet wird, rechtfertigt dies grundsätzlich nicht, auf die Prüfung zweifelhafter Zulässigkeitsvoraussetzungen zu verzichten und das prozessuale Begehren sofort als unbegründet abzuweisen[48]. In einer solchen Vorgehensweise läge ein Verstoß gegen das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Rechtsprechung (Art. 20 Abs. 3 GG), da das Gesetz eine Sachentscheidung idR erst dann erlaubt, wenn alle Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen. Aus demselben Grund verbietet es sich entgegen der Auffassung des BVerwG (Buchholz 310 § 113 Nr 237) auch, die Abweisung einer Klage kumulativ sowohl auf ihre Unzulässigkeit wie auch auf ihre Unbegründetheit zu stützen (Laubinger, in: Festschrift für Hufen, 2015, S. 609, 622). Anerkannt ist jedoch, dass in den Fällen, in denen vom Vorliegen bestimmter Umstände sowohl die Zulässigkeit wie auch die Begründetheit abhängt (zB bei einer Klage eines Vereins gegen seine Auflösung, s. Rn 481), die Klage als zulässig zu behandeln und erst im Rahmen der Begründetheit zu prüfen ist, ob diese Umstände vorliegen (sog. doppelrelevante Tatsachen). Wie sich aus dem Telos des eng zu verstehenden Rechtsschutzbedürfnisses ergibt (unnötigen prozessualen Aufwand zu verhindern, s. Rn 603 ff), erscheint es zudem nicht angebracht, in dessen nähere Prüfung einzutreten, wenn die Unbegründetheit der Klage offensichtlich ist (str; wie hier auch Laubinger, in: Festschrift für Hufen, S. 609, 621 mwN).

§ 1 Einführung › VI. Der Aufbau eines verwaltungsprozessualen Gutachtens › 2. Prüfungsschema bezüglich der Zulässigkeitsvoraussetzungen

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