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An Land kam Bount die brütende Hitze erst richtig zu Bewusstsein. Auf See herrschte immerhin noch eine winzige Brise, die ein wenig Bewegung in die Luft brachte. Aber hier gab es nicht den geringsten Lufthauch. Die Hitze stand wie in einem Treibhaus.

Er ging an der Markthalle vorbei, hinüber zum Viertel der Fischer. Einige waren zwar draußen, aber nicht alle. Die Boote lagen im Hafen. Er hatte vor, sich bei den Nachbarn zu erkundigen. Irgendeiner würde ihn schon verstehen.

Es war kaum ein Mensch zu sehen. Die Einheimischen würden sich über den Gringo wundern, der ausgerechnet jetzt im Ort herumspazieren musste. Aber dafür war er eben ein Gringo.

Nach dem zweiten Versuch befand er sich in der richtigen Gasse. Bei Nacht sah doch alles anders aus.

Er schlenderte langsam die Gasse hinunter. Im Vorbeigehen warf er einen flüchtigen Blick auf Alfredo Villalongas Haus. Es war versiegelt. Zwei Häuser weiter saß ein alter, verwitterter Mann im Vorgarten unter einem Segeltuch. Eine erkaltete Pfeife hing in seinem Mundwinkel. Er starrte den Fremden neugierig an.

„Kennen Sie Alfredo?“, fragte Bount und deutete mit dem Daumen auf das Haus.

Für einen Augenblick dachte Bount, der Alte hätte ihn nicht gehört, aber dann kam die krächzende Antwort: „Muerte.“

Bount nickte. Er murmelte ein paar Worte des Beileids, aber der Alte ließ nicht erkennen, ob er ihn verstand oder nicht.

„Wissen Sie, wo er zuletzt gefischt hat?“, fragte Bount schließlich.

Ein verkrümmter Finger zeigte nach Westen.

„Drüben, im Westen?“

„Si, si!“

„Bei den Riffen?“

„Si, si. Esta bueno.“ Der Alte kicherte.

„Gracias.“ Bount nickte dem Mann kurz zu und schlenderte den Weg zurück. Die Auskunft war nicht unbedingt das, was vor einem amerikanischen Gerichtshof als sicherer Beweis gewertet würde, aber als Hinweis für ihre Zwecke musste es genügen. Die Antwort auf alle Fragen lag unter Wasser, und es gab trotz der Kassette nicht den geringsten Beweis dafür, dass vor dieser Küste tatsächlich die „San Trinidad“ untergegangen war, beziehungsweise, dass sie jetzt noch dort lag. Die Kassette konnte auch von einem anderen Schiff stammen. Sie konnte vorher über Bord geworfen worden sein. Sie konnte das letzte sein, was ein Schiffbrüchiger mit sich genommen hatte. Es gab Dutzende von Möglichkeiten.

Bount blieb stehen, um sich eine Pall Mall aus der Tasche zu fingern. Die Packung war ziemlich zerdrückt. Es war nur noch eine Zigarette darin. Er zündete sie an und beschirmte das Streichholz mit der hohlen Hand. Die schattenhafte Gestalt verschwand rasch hinter einem Haus.

Bount ließ mit keiner Bewegung erkennen, dass er die Gestalt gesehen hatte. Aber sein jahrelang ausgeprägter Instinkt hatte ihn nicht getäuscht. Er hatte bereits in den letzten Minuten das Gefühl gehabt, dass ihm jemand folgte. Und in dem kleinen Augenblick, als er stehen blieb, hatte er die Figur ziemlich genau registriert.

Ein Mann, mindestens ein Meter achtzig groß, schlank, braungebrannt, bekleidet mit Jeans, einem bunten Hemd und einem Strohhut.

Bount steckte bedächtig die Streichhölzer in die Tasche zurück und nahm einen genüsslichen Zug aus der Zigarette. Der Fremde ließ sich nicht blicken. Bount sah sich die Stelle unauffällig an, wo er verschwunden war. Ein schmaler Durchgang zwischen zwei Häusern.

Die Gasse wirkte plötzlich bedrohlich leer - als seien die Häuser von ihren Bewohnern geräumt worden.

Bount wandte sich um und ging weiter. Wenn der Unbekannte ihm folgte, würde er weiter dranbleiben.

Es dauerte nicht lange, und Bount hörte hinter sich das leise Tappen von Schritten. Er drehte sich nicht um. Seine geschulten Sinne konnten genau abschätzen, wie weit der andere hinter ihm war. Für einen direkten Angriff noch viel zu weit. Und gegen eine Kugel aus dem Hinterhalt gab es ohnehin keinen Schutz. Aber dafür gab es hier keinen Grund. Bount war sicher, dass der Mann ihn nur beobachten wollte. Es gehörte nicht viel Vorstellungskraft dazu, sich den Grund für dieses Verhalten auszudenken.

Der kleine Hafen kam in Sicht. Die Schritte waren jetzt dichter.

Bount blieb stehen, warf den Zigarettenstummel zu Boden und trat die Glut aus. Dann fuhr er blitzartig herum, und diesmal hatte der Unbekannte keine Zeit zu verschwinden.

Er war Weißer, nur von der ständigen Sonne relativ dunkelhäutig. Bount hätte sogar schwören können, dass es sich um einen Amerikaner handelte. „Warum verfolgen Sie mich?“, fragte er.

Der andere machte ein erstauntes Gesicht. „Warum sollte ich Sie verfolgen. Ich kenne Sie überhaupt nicht.“

Bount hatte recht mit seinem Verdacht. Der Akzent war unverkennbar. Wenn es nicht mitten in der Karibik gewesen wäre, hätte er auf Brooklyn getippt. „Ich habe Sie schon mal irgendwo gesehen.“

Der andere wich einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. „Das ist völlig unmöglich. Ich lebe seit vielen Jahren auf dieser schönen Insel.“ Ein hässliches Grinsen zog über das Gesicht.

Bount versuchte, sich das Gesicht ohne den Hut vorzustellen und ohne den kleinen Bart, den er erst jetzt aus der Nähe bemerkte. Eine dunkle Erinnerung wurde langsam wach. Schließlich war er dafür bekannt, dass er ein ausgezeichnetes Personengedächtnis besaß. Das war in seinem Job auch lebenswichtig.

„Es war nett, mit Ihnen zu plaudern“, sagte der andere und wollte sich zurückziehen.

„Warten Sie einen Moment. Sie waren gestern Abend in der Hafenkneipe dort drüben. Sie standen an der Bar. Ich erinnere mich.“

Ein Flackern erschien in den Augen des Fremden. „Und wenn es so wäre? Jeder kann in diese Kneipe gehen. Ich wohne schließlich in diesem Ort. Was ist daran so merkwürdig?“

„Gestern Abend hat ein Fischer dort mit einer alten spanischen Goldmünze bezahlt, und wenig später ist er ermordet worden.“

Der andere nickte unsicher. „Ich habe davon gehört. Schließlich hat es hier seit ewigen Zeiten keinen Mord gegeben. Die Polizei ist sehr tüchtig. Man wird den Täter sicher bald fassen.“

Bount starrte den Mann an. „Sie haben kurz nach dem Fischer das Lokal verlassen. Ich erinnere mich genau.“

„Was wollen Sie damit sagen?“ Der Mann wechselte die Farbe, und auf dem gesunden Braun erschien Blässe.

„Ich will damit gar nichts sagen. Ich könnte mir nur denken, dass die Polizei sich für diese Tatsache interessieren wird. Der Mörder kann nur jemand sein, der mitbekommen hat, dass der Fischer im Besitz von wertvollen Münzen ist. Und dafür kommen nicht viele Personen in Frage. Von diesen wenigen hat aber kaum jemand das Lokal verlassen. Sie sind der Einzige!“

Der Mann stieß eine Art Knurren aus. „Sie sollten mit Ihren Äußerungen vorsichtiger sein, Mister. In diesen Dingen verstehe ich verdammt wenig Spaß.“

Bount nickte. „Das glaube ich. Mir ist inzwischen auch eingefallen, woher ich Sie kenne. Nämlich aus der Verbrecherkartei der New Yorker Polizei. Sie werden seit ein paar Jahren gesucht. Wenn ich mich recht erinnere, wegen mehrerer schwerer Raubüberfälle, bei denen mindestens drei Menschen ums Leben kamen. Aber seitdem sind Sie spurlos verschwunden.“

„Sie können nicht ganz bei Verstand sein“, sagte der andere.

„Doch. Sie sind Frank Benson. Natürlich wird das nicht der Name sein, unter dem Sie hier leben.“

Benson blickte rasch die Straße hinauf. Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen geworden. Niemand war zu sehen. Zum Hafen hinüber gaben einige aufgedockte Fischerboote Sichtschutz.

Mit einem heiseren Schrei griff Benson unter sein Hemd und zog ein Schnappmesser heraus. Mit einem Klicken sprang die Klinge heraus und blitzte in der Sonne. „Du weißt mir ein bisschen zu viel, Bursche“, murmelte er und machte einen raschen Ausfall.

Bount hatte längst sein Gewicht verlagert und wich dem Angriff mit einer leichten Körperdrehung mühelos aus. Er war nicht bewaffnet. Wer schleppte auf dieser friedlichen Insel schon eine Kanone mit sich herum? Seine Automatic lag eingepackt in seiner Kabine auf dem Schiff.

Benson umkreiste ihn mit tänzelnden Schritten. „Ich mache Hackfleisch aus dir, du verdammter Schnüffler. Warum musst du dich auch in eine Sache einmischen, die dich nichts angeht!“

„Ich war von Anfang an drin - und du steckst bis zum Hals im Dreck, Frank Benson. Jetzt werden sie dich endlich kriegen!“

Benson lachte rau. „Dieser Tag ist noch lange nicht gekommen. Und du wirst mich ganz bestimmt nicht aufhalten. Die Polizei wird gut zu tun bekommen, wenn sie noch einen zweiten Toten findet. Dann kommt der fette Hernandez nicht in den Schlaf.“

Bount schüttelte den Kopf. „Dass ihr immer so große Sprüche machen müsst. Dein lächerliches Messer kann mir keine Angst einjagen.“

Die Zornesröte stieg in Bensons Gesicht. „Nein? Dann warte mal ab!“

Er warf sich nach vorn, und die Klinge glitt wie eine angreifende Schlange auf Bount zu.

Bount Reiniger ließ sich nach hinten fallen, wobei sein rechter Fuß gleichzeitig hochkickte. In den Turnschuhen lag nicht viel Wucht, aber trotzdem heulte Benson auf, als ihn die Fußspitze knapp hinter dem Gelenk traf. Das Messer ließ er nicht fallen.

Bount war gedankenschnell wieder auf den Beinen und nahm Abwehrhaltung ein. Er hatte bereits erkannt, dass er es nicht mit einem erfahrenen Kämpfer zu tun hatte.

Benson war offensichtlich aus der Übung. Nur Unerfahrene hätte er beeindrucken können.

„Du willst es ja nicht anders!“, zischte Benson und versuchte den nächsten Angriff. Diesmal fintierte er, aber er war viel zu langsam. Bount warf sich mit einer Drehung in den Angriff hinein, und seine Faust schlug hart auf den Unterarm des anderen.

Die Linke setzte sofort nach, und der Hieb trieb Benson die Luft aus den Lungen. Er taumelte und wäre fast gestürzt. Bount stand vor ihm, die Arme locker an den Seiten herabhängend.

„Das wirst du mir bezahlen“, sagte Benson leise. Er wechselte das Messer in die andere Hand.

Bount erkannte die Absicht. Benson wollte diesmal ganz geschickt fintieren. Erfahrene Messerkämpfer waren gut darin. Der Angriff kam mit der falschen Hand, bis der Angegriffene parierte. Dann erst flog das Messer im letzten Sekundenbruchteil in die andere Hand, und die Klinge traf die jetzt ungeschützte Stelle des Gegners. Zu dieser Übung gehörte aber viel Training.

Bount machte sich auf den Angriff gefasst. Benson verriet mit einem schnellen Blick, wohin er zielen wollte. Bount hatte nur auf die Augen geachtet. Dann stürzte Benson nach vom. Die Klinge zuckte.

Bount wich nur elegant zur Seite und tat so, als würde er die Arme zur Abwehr heben.

Das Messer flog wie erwartet in die andere Hand und schoss erneut vor. Bounts Hände kamen in einer blitzschnellen Bewegung herunter. Ein Kreuzhieb traf Bensons Gelenk.

Der Gangster brüllte auf, und das Messer fiel zu Boden. Bount kickte es mit dem Fuß zur Seite, ehe Benson sich wieder danach bücken konnte.

„So, mein Freund“, sagte er. „Jetzt stehen die Chancen zumindest gleich. Zeig mir doch mal, wie gut du mit bloßen Fäusten bist.“

Benson wich ein, zwei Schritte zurück und hielt sich das getroffene Gelenk. Seine Augen funkelten hasserfüllt. „Das wirst du mir bezahlen, das schwöre ich dir!“

„Ich stehe zur Verfügung. Du brauchst nur anzufangen.“

Benson wich noch einen Schritt zurück. Bount hob die Fäuste.

Benson hatte seinen rechten Fuß in den Sand gegraben. Doch als Bount die Absicht bemerkte, war es schon zu spät. Der Fuß flog hoch, und ein Haufen lockerer Sand flog hoch in die Luft.

Bount schnappte nach Luft, konnte aber nicht verhindern, dass er etwas in die Augen bekam. Sofort ging er zurück und blinzelte, um den Blick freizubekommen.

Doch Benson hatte die Lust für einen weiteren Angriff verloren. Er wollte sich absetzen und jagte wie ein Hase die Gasse hinauf. Bount wischte sich die brennenden Augen sauber und grinste. Es gab halt immer noch einen Trick, auf den er hereinfiel.

Er bückte sich und hob das Messer auf. Klickend verschwand die Klinge wieder im Griff. Er würde es als Andenken an diese unangenehme Begegnung behalten.

Es hatte keinen Sinn, Benson jetzt zu verfolgen. Er kannte sich hier bestens aus und würde ihn vermutlich problemlos abschütteln. Bount war sicher, dass sie sich nicht zum letzten Mal begegnet waren. Die Insel war für sie beide zu klein. Die New Yorker Polizei würde froh sein, zu hören, wo der Gesuchte geblieben war.

Immerhin, Bount wusste jetzt, wer der Gegner war. Er besaß zwar keinen Beweis dafür, aber er war überzeugt davon, dass Frank Benson für den Mord an Alfredo Villalonga verantwortlich zeichnete. Er führte sich die abendliche Szene noch einmal vor Augen.

Hinter der Bar stand der Keeper. Allein. Larry, Ron und er selbst saßen am Tisch unmittelbar vor der Theke. Alle anderen Tische standen weiter entfernt, denn da war noch diese kleine Tanzfläche, auf der sich aber gestern Abend niemand befunden hatte. Die Musik spielte trotzdem ziemlich laut.

Alle anderen Gäste waren mit sich selbst beschäftigt. Niemand hatte den Vorgängen an der Bar Aufmerksamkeit geschenkt.

Alfredo befand sich zwischen den drei Amerikanern und der Bar. Und dann waren da noch zwei weitere Männer, die ebenfalls an der Bar lehnten. Einer stand unmittelbar neben dem Fischer - und das war Frank Benson gewesen. Da er mit dem Rücken zu ihnen stand, hatte Bount ihn nicht sofort erkannt.

Er musste auf jeden Fall die Geschichte mit der Goldmünze mitbekommen haben. Und er hatte kurz nach Alfredo die Kneipe verlassen. Da gab es keinen Zweifel.

Der zweite Mann war nicht gegangen. Bount war sich aber nicht sicher, wann er verschwunden war. Ob noch vor ihnen oder später. Dieser Mann schied als Verdächtiger zwar noch nicht aus, aber Frank Benson blieb nach wie vor der Verdächtige Nummer eins. Mit seinem Angriff auf Bount Reiniger hatte er sich nicht gerade unschuldiger gemacht.

Die Frage war nur, wie viel Benson wusste. Was hatte er aus Alfredo vor dessen Tod herausbekommen? Bount schüttelte unwillig den Kopf. Jetzt ließ er sich auch schon vom Goldfieber anstecken. Ihm kam es darauf an, einen Mörder zu überführen.

Er wollte sich eine Zigarette anzünden, aber dann fiel ihm ein, dass er die letzte vor ein paar Minuten geraucht hatte. Bount beschloss, in der Kneipe eine Schachtel zu holen. Dort wurde seine Marke geführt.

Er schlenderte durch den Hafen, über dem ein penetranter Fischgestank lag. Immer noch gab es nicht den kleinsten Lufthauch.

Der Keeper nickte ihm zu, als er die Bar betrat. Er ließ sich aber nicht davon abhalten, weiter hingebungsvoll seine Gläser zu polieren. Bount bestellte ein Bier und schwang sich auf einen Hocker. „Und eine Schachtel Pall Mall.“

Wortlos gab ihm der Keeper das Verlangte.

„Ziemlich heiß heute“, sagte eine Stimme hinter ihm.

Bount drehte sich um und setzte das halbleere Glas nieder. In einer Nische saß Capitan Hernandez, vor sich einen Drink von knallgelber Farbe. „Ah, der Polizeichef persönlich!“

„Setzen Sie sich doch zu mir!“ Hernandez machte eine einladende Handbewegung.

Bount nahm Platz und stellte sein Glas auf den Tisch. Er bot Hernandez eine Pall Mall an, aber der Polizist lehnte ab.

„Sind Sie gefallen?“, erkundigte sich Hernandez.

„Wie kommen Sie darauf?“

„Sie haben Sand im Gesicht.“

„Ach das!“ Bount winkte ab. „Das ist mir vorhin ins Gesicht geweht. Ich hatte noch keinen Spiegel.“

„Geweht?“, fragte Hernandez süffisant. „Draußen ist nicht der leiseste Windhauch. Wie kann Ihnen da Sand ins Gesicht wehen?“

„Hören Sie, Capitan, wollen Sie ein Verhör oder wollen Sie nur mit mir plaudern? Es ist Zeit für die Siesta.“

Hernandez wischte sich mit einem nicht mehr ganz sauberen Taschentuch über die schwitzende Stirn. „Es liegt mir fern, Sie zu verhören, Mister - wie war noch gleich der Name?“

„Reiniger. Bount Reiniger aus New York.“ Bount betrachtete die ehemals weiße Jacke seines Gegenübers. Entweder war Hernandez nicht verheiratet oder er und seine Frau legten wenig Wert auf ein gepflegtes Äußeres.

Der Capitan nickte. „Ja, richtig. Mister Reiniger aus New York.“

Er zog unter Ächzen und Stöhnen ein zerknittertes Stück Papier aus der Tasche, das er auf dem Tisch glättete. Bount sah, dass es sich um ein Fernschreiben handelte.

„Ihre amerikanische Polizei ist manchmal sehr schnell“, sagte Hernandez. „Ich hatte mich erkundigt, welche Gäste wir auf dieser Insel eigentlich beherbergen. Da Ihr Schiff aus Miami kommt, war es keine Schwierigkeit zu erfahren, um wen es sich beim Eigentümer handelt. Natürlich ist Mister Kent über jeden Verdacht erhaben. Ich habe mir dann erlaubt, bei unserer Zollkontrolle die Namen der übrigen Passagiere zu erfragen.“

„Was soll das? Was bezwecken Sie?“

„Nicht so ungeduldig. Ich komme gleich zur Sache. Die meisten von ihnen stammen ja aus New York. Trotzdem - auch die Polizei dieser Riesenstadt hat mir bereits nach vier Stunden geantwortet. Vielleicht liegt es daran, dass Ihre Regierung den Vorgängen in der Karibik besondere Aufmerksamkeit schenkt?“

Bount zuckte die Schultern. „Machen Sie sich selbst Ihre Gedanken darüber.“

Hernandez nickte eifrig. „Mache ich mir, Mister Reiniger. Stellen Sie sich meine Überraschung vor, als ich las, dass ein berühmter Privatdetektiv an Bord ist.“

Er steckte das Fernschreiben wieder ein. „Ich habe mich natürlich gefragt, ob es dafür einen besonderen Grund gibt.“

Er lehnte sich zurück, und die Jacke spannte sich bedenklich.

„Ich bin schlichter Tourist“, sagte Bount. „Sie können mich nicht dafür verantwortlich machen, wenn es einen Mord in Ihrem Ort gibt. Normalerweise ziehe ich die Verbrecher nicht an, sondern schrecke sie eher ab. Sie sind auf dem falschen Dampfer.“

Hernandez verzog nachdenklich sein Gesicht. „Ich mache Sie nicht für den Mord verantwortlich. Dafür fehlt mir bislang jeder Beweis.“

Bount war nicht entgangen, dass der Polizist von bislang gesprochen hatte. Also waren sie immer noch unter Verdacht. Hernandez war ein hartnäckiger Mann, und außerdem durfte man ihn nicht unterschätzen. Sein Äußeres täuschte. Vielleicht verhielt er sich absichtlich so.

„Sagen Sie, kennen Sie einen gewissen Frank Benson? Er müsste in diesem Ort oder ganz in der Nähe leben.“ Hernandez legte die Stirn in Falten. „Nein, ich glaube nicht. Den Namen habe ich noch nie gehört. Und ich kenne eigentlich jeden in dieser Stadt. So groß ist sie schließlich nicht.“

„Er ist Amerikaner und lebt erst seit ein paar Jahren hier. Vermutlich benutzt er einen anderen Namen. Etwa ein Meter achtzig groß, ziemlich schlank und kräftig, trägt einen Strohhut.“

Hernandez nickte. „Ich glaube, ich weiß, wen Sie meinen. Aber das ist nicht Frank Benson, sondern Fred Bolt. Er hat hier so eine Art Reiseagentur. Sein Büro ist drüben am Hafen. Über der Tür ist ein Schild: 'Tours Agency'. Für die Touristen organisiert er Ausflüge ins Innere der Insel. Außerdem hat er ein schnelles Boot, das zum Hochseefischen ausgerüstet ist. Er vermietet es an gut zahlende Gäste.“

Bount nickte. „Also nicht Benson. Aber wenigstens stimmen die Initialen. Es war auch nur eine Frage.“

„Wer ist dieser Benson?“

„Ein flüchtiger Bekannter aus New York. Ich hatte angenommen, dass er sich hier niedergelassen hat. Aber ich habe mich wohl geirrt. Es ist ja auch schon ein paar Jahre her, dass ich ihn zum letzten Mal gesehen habe. Ich hätte ihn nur gern besucht, falls er hier lebt. Sicher würde er sich gefreut haben. Aber dann wird es wohl eine andere Insel sein, auf die er damals gegangen ist.“ Hernandez zauberte ein schiefes Lächeln auf sein Gesicht. „Ich glaube Ihnen kein Wort, Mister Reiniger.“

Bount stand auf. „Es gehört zu Ihrem Beruf, misstrauisch zu sein, Capitan. Aber ich habe keinen Grund, Ihnen Märchen zu erzählen.“

Hernandez machte eine unbestimmte Handbewegung.

„Darüber werden wir uns sicher noch einmal unterhalten.“

„Da wir uns gerade sprechen — ich möchte Ihnen noch mitteilen, dass wir heute Nachmittag auslaufen. Wir fahren zum Fischen an der Westküste. Dort soll es am besten sein. Aber keine Sorge, wir kommen wieder. Heute Abend werden wir wieder im Hafen liegen. Wenn Sie uns nicht trauen, können Sie uns sogar vom Land aus beobachten. Wir werden in Sichtweite der Küste bleiben.“

„Oh, ich traue Ihnen. Sie können selbstverständlich zum Fischen fahren. Inzwischen weiß ich ja, wer Sie sind.“

„Also dann, einen schönen Tag noch.“ Bount wandte sich zum Gehen.

„Wie war der Name Ihres Freundes noch?“, rief Hernandez hinterher.

„Das spielt doch keine Rolle.“

„Benson, nicht wahr? Ich kann mal herumhören, ob einer meiner Kollegen den Namen kennt.“

„Es ist wirklich nicht so wichtig.“ Bis zur Tür spürte Bount die Blicke des dicken Polizisten in seinem Rücken. Dann trat er in die Hitze hinaus.

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