Читать книгу Krimi Paket 9 starke Thriller im August 2021 - Alfred Bekker - Страница 54
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ОглавлениеSie hatten einen guten Ankerplatz gewählt. Als die ersten Sonnenstrahlen das Wasser in flüssiges Gold verwandelten, stand Bount Reiniger bereits an Deck.
Es war relativ kühl. Aber das würde sich in Kürze ändern, wenn die Sonne höher stand. Eine leichte Brise strich über das Schiff, auf dem kein Laut zu hören war. Die anderen schliefen bestimmt noch.
Bount sah zur Brücke hoch. Der Wachhabende - ein weißer Fleck hinter der Scheibe - winkte ihm zu. Dann löschte er die Positionslaternen, die sie für die Nacht gesetzt hatten.
Bount ging an die Reling und sah zur Insel hinüber, die noch im tiefen Schatten lag. Er nahm das Fernglas und suchte das Riff ab, das vor der gesamten Breite der Küste lag. Kilometerweit erstreckte es sich in beiden Richtungen. Die tückischen Riffe waren tief gestaffelt. Kein Schiff, das vom Sturm an diese Küste getragen wurde, hatte eine Chance. Es würde unweigerlich an der ersten oder zweiten Reihe zerschellen. Soweit er es beurteilen konnte, gab es keine Durchfahrt.
Die Küste dahinter wirkte abweisend. Es gab keine Sandbuchten, die zum Baden einluden. Der schmale Strand war mit Steinen übersät, und gleich dahinter ragte die Steilküste auf. Dreißig bis fünfzig Meter hoch mochten die Felsen sein. Oben erkannte man die zerzausten Wipfel von Palmen und niedrigen Büschen, die ihn an wilde Bananen erinnerten. Jedenfalls wirkte das alles nicht sonderlich einladend.
Der vergrößerte Ausschnitt glitt weiter an seinem Auge vorüber. Da war etwas Ungewöhnliches!
Bount ging zurück, drehte an der Schärfe.
Er setzte das Glas ab und fischte nach einer Pall Mall. Zwar rauchte er normalerweise nicht vor dem Frühstück, aber diese Beobachtung war doch zu überraschend.
In einer flachen, steinigen Rinne, die fast bis zum Strand hinunterführte, stand ein Jeep. Etwas schräg, die Frontseite zur See hin. Nichts deutete auf die Anwesenheit eines Menschen - aber schließlich war der Wagen nicht von allein dorthin gekommen.
Sie hatten also noch einen weiteren Beobachter. Bount glaubte nicht an einen Zufall. Aus seiner langen Praxis wusste er, dass es solche Zufälle nicht gab. Er drehte das Glas zur See hin, bis die ‚Diablo del Mar‘ in der Optik erschien.
Benson war ihnen bis hierher gefolgt. Als sie beidrehten, ankerte er ein ganzes Stück weiter draußen. Sie hatten gesehen, dass er auf seinem Angelsessel Platz nahm und in aller Ruhe eine Leine auswarf.
Sicher nahm Benson an, dass die anderen keine Ahnung hatten, wer er war. Er konnte nicht wissen, dass Bount Reiniger sein Boot bereits kannte. Selbst mit den stärksten Gläsern war sein Gesicht auf diese Entfernung nicht zu erkennen. Also tat er so, als sei er ein gewöhnlicher Hochseeangler. Er machte den Eindruck, als wolle er sich auf eine längere Wartezeit einrichten.
Bount hätte zu gern gewusst, wem der Jeep an Land gehörte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass noch eine weitere Partei auftauchte. Dieses Gold lockte Menschen an wie Honig die Fliegen.
Es war ein verdammt großes Seegebiet, was sie absuchen wollten. Das Wasser war klar, und Bount versuchte, bis auf den Grund zu blicken. Es war eine farbenprächtige Welt dort unten.
„Da haben wir ja einen richtigen Frühaufsteher“, klang hinter ihm eine spöttische Stimme.
Bount drehte sich um. Rita Wilson schüttelte ihre rote Mähne. Sie war weder geschminkt noch gekämmt, aber sie sah ebenso hübsch aus wie sonst. Um die Schultern trug sie einen weißen Bademantel.
„Es geht eben nichts über einen stillen Morgen, an dem alle anderen noch schlafen. Da kommen mir die besten Gedanken.“
Rita nickte. Sie warf ihm ein Handtuch zu. „Halten Sie mal.“
Dann glitt der Bademantel von ihren Schultern. Darunter trug sie nichts als die blanke Haut. Mit zwei Schritten war sie an der Reling, und mit einem weiten Sprung verschwand sie kopfüber im Wasser. Es gab nur einen leichten Spritzer, als sie wie ein Pfeil eintauchte. Bount starrte ihr verblüfft nach.
Sekunden später tauchte sie prustend auf und winkte ihm lachend zu. „Das sollten Sie auch mal versuchen! Es treibt Alkohol und Nikotin ganz schnell aus dem Körper.“
Bount ließ sich den Rat nicht zweimal geben. Blitzschnell schlüpfte er aus den Klamotten und tauchte in die morgendliche karibische See. Sie spritzten sich voll und tobten durchs Wasser wie zwei übermütige Kinder. Dann kletterten sie an Bord und rubbelten sich gegenseitig ab. Bount musste zugeben, dass der Tag gut anfing.
Wenig später zog der Geruch frischen Kaffees über Deck, und Bount verspürte Hunger auf ein ordentliches Frühstück.
Sie saßen um den Tisch in der Messe und schmiedeten die Pläne für den Tag. Heute wollten sie mit dem Tauchen beginnen. Larry Kent hatte die beiden Teams bereits eingeteilt.
Er selbst würde mit Jane Morris den Anfang im Planquadrat eins machen. Ron Wilson, der erfahrenste Taucher von allen, sollte mit Bount das nächste Quadrat absuchen. Seine Schwester blieb in Reserve und würde anschließend Bount ablösen, der sich an diesem Tag mit dem ungewohnten Element vertraut machen sollte.
Die Crew hatte ihre Aufgaben bekommen. Ein Mann war nur dazu da, ständig die Umgebung zu überwachen. Sie wollten in dieser Beziehung kein Risiko eingehen.
Sie würden mit der Barkasse näher an das Riff heranfahren. Wenn die Aqualungen nicht ausreichten, konnten sie mit dem Kompressor tauchen. Zwei Mann blieben in der Barkasse und sorgten für die Sicherheit der Taucher. Bount hatte darauf bestanden, dass die Männer mit Gewehren bewaffnet waren. Einerseits wegen der Haie, aber hauptsächlich wegen der menschlichen Raubtiere, mit denen sie rechnen mussten.
Rita sollte zunächst an Bord bleiben. Die restliche Besatzung würde für ausreichende Sicherheit sorgen.
Bount hatte den anderen noch nichts von dem unbekannten Jeep erzählt, der sich an der Küste befand. Er wollte sie nicht weiter verunsichern, ehe er nicht mehr wusste. Der Jeep konnte schließlich völlig harmlos sein. Insgeheim glaubte er allerdings selbst nicht an diese Theorie. Er musste nur verhindern, dass sein etwas impulsiver Freund Larry Kent gleich losbrauste, um den Jeep näher zu überprüfen. Das behielt Bount sich selber vor.
Die Ausrüstung wurde in die Barkasse geschafft, und Bount machte sich mit dem Tauchgerät vertraut. Es war zwar nicht das erste Mal, dass er unter Wasser ging, aber Tauchen gehörte in seinem Job natürlich nicht zu den notwendigen Vorbedingungen.
Larry hatte das Kommando übernommen, und Bount ordnete sich in dieser Beziehung unter. Für ihre Aufgabe war Disziplin erforderlich, und Bount war letztlich nur Gast.
Der schwarze Neoprenanzug lag am Körper an wie eine zweite Haut. Die Flossen an den Füßen waren ungewohnt, aber das würde sich unter Wasser geben. Die schwere Sauerstoffflasche auf dem Rücken zerrte an den Gurten. In einem Holster am rechten Unterschenkel steckte das Tauchermesser, das bei geschickter Handhabung auch für einen Hai ausreichte. Tiefenmesser und Uhr wurden um das Handgelenk geschnallt.
In einer Schlaufe baumelte die Unterwasserlampe, und am Gürtel war außer den Bleigewichten noch ein Metalldetektor befestigt. Larry ging anhand einer Checkliste durch, ob jeder seine Ausrüstung komplettiert hatte.
Die schwere Ausrüstung wie das Gebläse, ein überdimensionaler Staubsauger, der große Mengen Sand wegsaugen konnte, würde erst zum Einsatz kommen, wenn sie das Schiff gefunden hatten.
Auf Harpunen verzichteten sie, da damit ihre Bewegungsfreiheit zu sehr eingeschränkt worden wäre. Außerdem hatten sie praktisch keine Hand mehr frei. Jeder trug einen Farbbeutel bei sich, der das Wasser sofort färben würde, wenn es eine Gefahr gab. Dann mussten die Männer in der Barkasse helfen.
Bount war nicht ganz wohl in seiner Haut, wenn er an die Begegnung mit einem Hai dachte. Aber Larry hatte ihm erklärt, dass die Gefahren oft übertrieben würden. Nun ja, er musste es wissen.
Larry prüfte anhand der Karte und seinem Kompass ihre Position. Der Barkassenmotor dröhnte durch die morgendliche Stille. Bount sah zu der entfernt ankernden „Diablo del Mar“ hinüber. An Bord rührte sich nichts. Benson schlief wahrscheinlich noch. Oder er beobachtete sie aus einer Deckung heraus.
Bount gab ein Zeichen, und der Matrose, der die Barkasse steuerte, nahm das Gas zurück. Der hoch aus dem Wasser ragende Bug senkte sich, und die Fahrt verlangsamte sich bis zum Stillstand.
Larry nickte. „Das ist die richtige Stelle. Wir setzen hier die erste Boje aus.“
Er wandte sich an Ron Wilson. „Ihr setzt die zweite Boje in dieser Richtung fünfhundert Meter weiter. Das vorragende Riff ist eure Landmarke. Von dort aus beginnt ihr eure Suche in der besprochenen Art und Weise. Wir bleiben beim ersten Tauchversuch nicht länger als eine halbe Stunde unten. Dann machen wir eine Pause und wechseln anschließend das Team. Bis heute Mittag werden wir wissen, wie lange wir für ein Planquadrat brauchen. Ich möchte noch daran erinnern, dass sich keiner zu irgendwelchen Eigenmächtigkeiten hinreißen lässt.“
Die anderen nickten zustimmend. Im Interesse aller Beteiligten mussten sie sich diszipliniert verhalten. Tauchen war gerade in diesen Breiten nicht ungefährlich. Die geheimnisvolle Welt unter Wasser hielt jede Menge Tücken bereit, von gefährlichen Strömungen bis zu tödlichen Fischen.
Ron stieß Bount in die Seite. „Du schaffst das schon!“
Larry und Jane ließen sich hinterrücks über die Bordwand der Barkasse fallen. Platschend verschwanden sie und glitten in die Tiefe. Im klaren Wasser waren sie noch lange zu erkennen.
Die Barkasse nahm wieder Fahrt auf und brachte das zweite Team an seinen Bestimmungsort. Die Boje flog über Bord, und ohne weitere Formalitäten ließen Ron und Bount sich ins Wasser fallen.
Für einen Augenblick verspürte Bount Reiniger Atemnot, aber dann war das ungewohnte Gefühl vorüber, und er atmete Luft aus der Flasche. Es würde etwas dauern, bis er sich an das ungewohnte Mundstück gewöhnte. Perlend stiegen Blasen über ihm auf. Er sank langsam nach unten. Ron war nur zwei Meter von ihm entfernt.
Die Farben veränderten sich unter Wasser. Bount blickte nach oben und erkannte den Umriss der Barkasse. Ein kleiner Anker wurde ausgeworfen, denn das Boot würde an dieser Stelle liegen bleiben.
Er verspürte ein Frösteln, aber es ging schnell vorbei. Das Blickfeld der Tauchermaske war beschränkt, und er drehte den Kopf, um die Umgebung zu erfassen. Ein Schwarm kleiner Fische schwamm vorüber, und er hatte den Eindruck, als würden sie den ungewohnten Eindringling neugierig beäugen.
Bount machte ein paar Bewegungen mit den Schwimmflossen, und er glitt tiefer, bis er den Grund berührte. Er sah auf seinen Tiefenmesser. Larry hatte ihm die Umrechnungsmethode erklärt. Er befand sich jetzt in einer Tiefe von zwölf Metern.
Hier unten herrschte Dämmerung, aber es war genügend Licht, sodass Bount die Lampe nicht einzuschalten brauchte. Ron gab ihm Zeichen, und er schwamm langsam vorwärts. Sie trennten sich, blieben aber in Sichtweite. Darauf hatte Larry bestanden, und Bount musste zugeben, dass ihm diese Entscheidung recht war.
Der Untergrund bestand aus feinem Sand, in wellenförmigen Dünen angehäuft. Eine Vielzahl von Pflanzen wuchs daraus hervor. Dazwischen befanden sich Geröllbrocken. Weiter voraus erkannte Bount den Beginn des Riffs. Eine dunkle Wand, die irgendwie bedrohlich aussah. Die bunte Unterwasserwelt überraschte ihn. Fische und anderes Getier gab es in allen Farben und Größen.
Er blickte auf den Kompass am Handgelenk und legte seine Richtung fest. Ron war schon etwas weiter. Er schwamm parallel zu ihm mit kräftigen Stößen und stieg dabei ein paar Meter höher. Den Grund konnte er immer noch gut erkennen. Es war nichts Ungewöhnliches zu sehen.
Rechts von ihm lagen ein paar Trümmerstücke. Er schwamm hin, aber sie gehörten garantiert nicht zu einer spanischen Galeone. Entweder hatte hier jemand seinen Abfall über Bord gekippt, oder ein kleines Boot war gesunken. So genau war es nicht mehr zu identifizieren.
Bount schlug wieder die alte Richtung ein. Es gab so viel zu sehen, dass er immer wieder überrascht war. Er konnte die Faszination des Tauchens jetzt nachempfinden. Außer dem Rauschen in seinen Ohren war kein Geräusch zu hören.
Er sah zu Ron Wilson hinüber, der wie ein schmaler Schatten durchs Wasser glitt. Jetzt leuchtete eine Lichtbahn auf und richtete sich auf den Meeresboden. Offensichtlich hatte Ron etwas bemerkt, was er näher untersuchen wollte. Bount verspürte das Bedürfnis, ebenfalls hinzuschwimmen, aber sie mussten ihren Plan einhalten. Ron würde selbst seine Entscheidungen treffen können.
Die Lampe erlosch wieder. Bount streifte fast eine rasiermesserscharfe Koralle. Er schwamm einen Bogen. Und dann sah er die Muräne.
Sie stand regungslos genau vor ihm. Das Biest mit den gefährlichen Zähnen steckte zur Hälfte mitten zwischen den Korallen. Das Maul war halb geöffnet, und Bount konnte die Zahnreihen erkennen.
Er machte einen raschen Schlag mit den Flossen und stoppte damit seine Vorwärtsbewegung. Pendelnd kam er ins Gleichgewicht. Die Muräne folgte seinen Bewegungen. Er hatte einiges über diese Raubfische gehört, war aber nie in so direkte Tuchfühlung gekommen. Er hatte das Gefühl, als starre der Fisch ihn an.
Bount wich zur Seite aus, als die Muräne angriff. Ihr schlangengleicher Körper zuckte blitzschnell nach vorn, aber der Abstand war bereits zu groß. Sie verließ ihr Versteck nicht und zog sich gleich wieder zurück. Bount spürte, dass sich sein Herzschlag beschleunigte. Er umschwamm das Hindernis in weitem Bogen.
Im Rest der vorgegebenen Zeit entdeckte er nichts Bemerkenswertes. Schließlich gab Ron ein Lichtsignal, und sie tauchten auf. Prustend genoss Bount die frische Luft, nachdem er das Mundstück ausgespuckt hatte. Langsam schwamm er zur Barkasse. Die beiden Matrosen halfen ihm über Bord, und jetzt spürte er erst, wie anstrengend das Tauchen war. Seine Lungen sogen die Luft tief ein.
„Na, wie war der erste Versuch?“, fragte Ron.
„Beeindruckend“, sagte Bount. „Es macht Spaß.“
„Glücklicherweise ist der Sand gut zu überblicken. Gefährlich wird es erst, wenn wir näher an das Riff kommen. Aber wenn wir etwas finden, wird es dort sein. In dem lockeren Sand hätte sich ein versunkenes Schiff nie so lange gehalten. Wir können uns das Absuchen des großen Gebietes wahrscheinlich schenken, sobald wir uns einen groben Überblick verschafft haben.“
„Das käme mir sehr entgegen. Ich weiß nicht, wie viele Wochen wir sonst hierbleiben müssen. Dafür reicht mein Urlaub nicht. Reden wir anschließend mit Larry. Vielleicht ist er zu den gleichen Schlüssen gekommen.“
Sie fuhren mit der Barkasse zu der ersten Boje hinüber. Eine Minute später tauchte der Kopf von Jane auf, gefolgt von Larry, der betrübt den Kopf schüttelte. Auch bei ihnen war also dieser Versuch noch nicht von Erfolg begleitet.
Sie kamen an Bord und schnappten nach der frischen Luft.
„Wir müssen näher an das Riff heran“, keuchte Larry. „Im Sandboden hier kann unmöglich noch etwas zu finden sein.“
„Möglicherweise ist das Schiff aber schon lange in seine Einzelteile zerlegt worden, die über das ganze Gebiet verstreut sind. Auf diese Weise hat der Fischer vielleicht die Kassette gefunden.“ Jane schüttelte Wassertropfen aus ihrer Frisur.
„Wir machen jetzt Pause“, entschied Larry. „Nachher gehen wir näher heran.“ Er wandte sich an seine Leute. „Zurück zur Jacht!“