Читать книгу Ben - Alfred Broi - Страница 2
1. Kapitel
ОглавлениеDa stand sie:
Brünette Haare, die in verspielten, kleinen Naturlocken sanft bis zwischen die Schulterblätter fielen.
Eine schlanke Figur mit einem kleinen, knackigen Po, der unter dem enganliegenden, knielangen, schwarzen Lederrock wundervoll zur Geltung kam. Darüber ein weißes Satin-Top mit Spaghettiträgern, das das zarte Schimmern kakaobrauner, sonnenverwöhnter Haut noch verstärkte.
Eine echte Traumfrau!
Zumindest bis hierhin. Denn aus seiner Position heraus – er stand etwa fünf Meter hinter ihr - konnte Ben sie zunächst nur von dieser Seite aus betrachten, wie sie sich interessiert und lebhaft mit einer anderen, deutlich älteren Frau unterhielt.
Doch Ben konnte es mehr als deutlich spüren: Wenn er sich ihr erst genähert und sie umrundet hatte, würde er in das mit Abstand wundervollste, schönste und atemberaubendste Gesicht blicken, das ihm je untergekommen war. Mit Augen wie funkelnde Juwelen, feinen, ebenmäßigen und höchstattraktiven Gesichtszügen und dem sinnlichsten Mund, den man sich nur vorzustellen vermochte, mit Lippen so weich wie Wattebäusche.
Und obwohl er das nie und nimmer von seiner Position aus einschätzen konnte, glaubte er fast schon zu wissen, dass diese Frau mit Ende Dreißig genau in dem richtigen Alter für ihn war.
Langsam und behutsam setzte Ben einen Fuß vor den anderen, näherte sich ihr zunächst weiter von hinten. Dabei spürte er eine gewisse Unruhe, die er damit begründete, dass er befürchtete, dass sie gehen würde, bevor er bei ihr war und sie ansprechen konnte.
Gleichzeitig huschten immer wieder Namen durch seinen Kopf: Susan! Ja, das wäre ein schöner Name für sie. Jasmin! Oh, noch besser. Jennifer! Auch schön. Sophia! Pri… Nein, nicht so wie seine Ex-Frau. Alles, nur das nicht. Selena! Oh wow, wundervoll. Selena. Sexy, geheimnisvoll, feurig. Ja, bestimmt hörte dieses wundervolle Geschöpf auf diesen wohlklingenden Namen.
Diese Traumfrau, die er jetzt mit einigen seitlichen Schritten umrundete.
Noch immer unterhielt sie sich, schien nicht gehen zu wollen.
Ben spürte Hoffnung, als sein Herz plötzlich erheblich schneller schlug, weil die Frau unvermittelt auflachte. Ein wohlklingendes, offenes, fröhliches und doch sanftes und liebevolles Lachen über einen Scherz, den ihre Gesprächspartnerin soeben gemacht hatte. Dabei wippten ihre Locken auf und ab und strichen verspielt über ihre samtweiche Haut.
Ben spürte Zuversicht. Ja, das war eine Frau, von der man wahrlich nur träumen konnte. Und er würde sie gleich umrundet haben, dann direkt vor sie treten, ihr tief in die Augen schauen und sie ansprechen.
Und während ihrer beider Herzen von einem Wirbelsturm aus Verlangen, Lust und Leidenschaft erfasst werden würden, würde pure Magie ihre Lippen aufeinander bringen und sie in einem Meer aus Liebe und Sinnlichkeit versinken.
Sein Puls hämmerte in einem trommelnden Rhythmus unter seine Schädeldecke, sein Herz setzte treibende Schläge gegen seinen Brustkorb, pures Adrenalin wurde ausgeschüttet, ließ seinen ganzen Körper vibrieren, ja beinahe schweben.
Und dann war es soweit: Er hatte die Frau umrundet, brauchte sich nur noch zu ihr herumdrehen und alles, was er sich so sehr erträumt, ersehnt, erwünscht und erhofft hatte, würde endlich wahr werden.
Nur noch eine Sekunde, einen Augenblick, einen Atemzug, einen Wimpernschlag und dann…
Mmmööööööppp!
Mmmööööööppp!
Ein widerliches Geräusch in einer so penetrant ätzenden Tonlage und einer so durchdringenden Lautstärke, dass er fast einen Herzinfarkt bekam.
Mmmööööööppp!
Bens Kopf zuckte sofort herum auf der Suche nach dem Ursprung dieses akustischen Gewaltakts, doch er konnte nichts erkennen. Als er jedoch wieder nach vorn sah, musste er feststellen, dass alle umstehenden Personen ihn anstarrten, als wäre er selbst die Ursache dieser Frechheit.
Mmmööööööppp!
Plötzlich schien es ihm auch selbst, als wäre dies tatsächlich der Fall. Das unverschämte Geräusch war irgendwo ganz in seiner Nähe.
Mmmööööööppp!
Ben fühlte sich ziemlich hilflos, mehr noch, als er sehen konnte, wie nun auch die unbekannte Schönheit ihr Gespräch mit der älteren Dame unterbrach und ihren Kopf in seine Richtung wandte.
Mmmööööööppp!
Und dann geschah es:
Das gesamte Bild vor seinen Augen begann urplötzlich zu verschwimmen, wie frische Farbe im Regen. Quasi mit jedem Millimeter, den sich der Kopf der Frau herumdrehte, beschleunigte sich dieser Vorgang immer mehr.
Bens Hilflosigkeit wich echter Panik. Er wusste nicht, was hier los war, er konnte sich aber auch aus einem undefinierbaren Grund nicht mehr bewegen, war nur noch zum Zuschauen verdammt. Er starrte auf den Kopf der Frau, hoffte aus tiefstem Herzen und wusste doch, dass das Bild längst komplett verschwommen sein würde, noch bevor er ihr wundervolles, einmaliges, atemberaubendes Gesicht sehen konnte.
Mmmööööööppp!
Verdammt nochmal, der Lärm soll endlich aufhören! brüllte er, doch kamen keine Worte aus seinem Mund. Stattdessen formte sich ein Schrei in ihm. Pure Verzweiflung und echter Zorn nährten ihn, weil ihm die Erfüllung seiner Wünsche verwehrt wurde.
Mmmööööööppp!
Im Gegensatz zu seinen Worten, fand der Schrei sehr wohl einen Weg nach außen. Und es war, als würde ihn ein kräftiger Sog hinfort reißen.
Deutlich konnte er für einen Augenblick einen Luftzug spüren.
Doch als er danach wieder seine Augen öffnete, war urplötzlich alles ganz anders:
Er flog nicht, er stand nicht einmal. Er saß. Auf seinem Bett. Im Licht der aufgehenden Sonne, dass durch die Fenster in sein sehr geräumiges Schlafzimmer fiel.
Doch eines war geblieben: Das widerliche Geräusch, dass ihn mittweilerweile total nervte.
Mmmööööööppp!
Sein Wecker!
Verdammtes Mistding!
Noch während er sich förmlich herumwarf, um ihn auszuschalten, wogte eine Welle der Enttäuschung und des Frustes durch seinen Körper, weil der Wecker nicht nur verhindert hatte, dass diese Traumfrau jetzt in seinen Armen lag, sondern ihm auch klarmachte, dass alles nur eine Fiktion war, die sich in purem Zorn manifestierte, als Ben seine rechte Hand zur Faust ballte und mit einem wilden Aufschrei auf das Gerät donnerte, dass das Gehäuse zerbarst und mit einem lauten Scheppern vom Nachttisch flog.
Mit einem tiefen Stöhnen fiel Bens Oberkörper halb auf die Bettkante, sodass er sehen konnte, wie die Nervensäge zu Boden schlug – direkt neben eine geöffnete Zeitschrift, die dort lag. Er erinnerte sich, dass er gestern Abend vor dem Einschlafen kurz darin geblättert hatte. Jetzt lag sie offen da und Ben konnte nur zu genau das Bild eines Modells erkennen, das für einen Optik-Konzern Werbung machte.
Die Frau hatte brünette, naturgelockte Haare, eine schlanke Figur, die in einem enganliegenden, knielangen, schwarzen Lederrock und einem weißen Satin-Top mit Spaghettiträgern steckte, unter dem sich das zarte Schimmern kakaobrauner, sonnenverwöhnter Haut zeigte.
„Verdammt!“ brummte Ben. Das also war seine Traumfrau gewesen. Zugegeben war sie wirklich sehr attraktiv, aber doch eindeutig noch keine Dreißig, womöglich nicht einmal Zwanzig. Und ihr Gesicht war zwar sehr hübsch, aber längst nicht wundervoll oder gar atemberaubend, wie ihm das sein Traum vorgespielt hatte.
Mit einem weiteren Stöhnen drehte er sich zurück auf das Bett und ließ seinen rechten Arm achtlos auf die Matratze fallen.
Im nächsten Moment ertönte ein lautes Quieken. Ben erschrak sichtlich und riss seinen Arm wieder in die Höhe. „Leroy!“ Himmel, er hatte gar nicht bemerkt, dass sein Kater neben ihm geschlafen hatte. Mit einem Satz war das Tier auf den Beinen und starrte ihn aus großen Augen an. Offensichtlich hatte es so tief geschlafen, dass es noch ziemlich geschockt war. „Tut mir leid, ich…!“ Ben wollte dem Kater über den Kopf streicheln, doch er erntete nur ein wüstes Fauchen mit durchgedrückten Beinen und aufgestelltem Nackenfell. Ja, Leroy war eindeutig noch nicht wirklich wach. Mit einem weiteren Fauchen wandte er sich ab und sprang vom Bett. Während Ben seinen eigenen Schreck erst noch verdauen musste, trottete der Kater müde und ein wenig torkelnd aus dem Zimmer. „Alter, es tut mir wirklich leid!“ rief Ben ihm hinterher. „Ehrlich, es war doch nur…!“ Weiter kam er nicht, denn als er jetzt seinen rechten Arm wieder auf das Lacken senkte, bemerkte er eine feuchte Stelle dort. Als er dorthin sah, konnte er tatsächlich einen nahezu kreisrunden, etwa Handteller großen Fleck erkennen. „Hast du etwa?“ Sofort verdächtigte Ben seinen Kater, dass er vielleicht ins Bett gemacht hatte und warf seinem gerade um die Ecke biegenden Schwanz einen verärgerten Blick hinterher. Dann hob er das Laken an, um zu sehen, wie weit die Sauerei sich bereits ausgebreitet hatte, als er erneut innehielt und einen vollkommen entsetzten Gesichtsausdruck bekam. „Oh Scheiße!“ Er sah noch einen zweiten Fleck gleicher Art – auf seiner Schlafhose! „Das darf doch wohl nicht wahr sein!“ Vollkommen entgeistert realisierte er, dass nicht Leroy der Verursacher war, sondern er selbst. Sein ach so wundervoller Traum, hatte ihn ganz offensichtlich weitaus mehr erregt, als er das gespürt hatte. Und das, obwohl er noch nicht einmal Hand an seine Traumfrau gelegt hatte, geschweige denn mit ihr in wilder Ekstase um die Welt geritten war. Knallhart erkannte er, dass es wirklich höchste, nein allerhöchste Zeit wurde, mal wieder eine echte Frau zu spüren, wenn ihn schon ein so verhältnismäßig harmloser Traum zum Höhepunkt treiben konnte. „So ein Mist!“ stöhnte Ben echt frustriert, stieg aus den Bett, zog sofort seine Schlafhose aus und das Laken vom Bett und brachte alles zusammen mit der Schlafdecke ins Badezimmer, wo er es missmutig in den Wäschekorb stopfte.
Dann ging er unter die Dusche, um seinen Kopf, aber auch seinen Körper wieder klar zu bekommen.
Das heute jedoch offensichtlich absolut nicht sein Tag werden würde, musste er nur wenige Minuten später schmerzhaft erkennen: Ihm fiel das Duschgel aus der Hand. Als er sich danach bückte, geriet sein Kopf in den Wasserstrahl, was ihm Shampoo in die Augen trieb, sodass seine Sicht für einen Augenblick getrübt war und er beim Aufrichten mit dem Kopf gegen den Wasserhahn knallte. Der Schlag war nicht gerade fest und tat eigentlich auch nicht wirklich weh, aber er erschrak so sehr, dass er seinen Kopf ruckartig zur Seite riss, dabei das Gleichgewicht auf dem rutschigen Boden verlor und der Länge nach hinschlug – was dann doch wehtat und Ben schmerzhaft aufschrie. „Verdammter Mist!“ stöhnte er, während er sich mühsam wieder aufrappelte.
In genau diesem Moment hörte er die Türklingel!
Er verharrte kurz in seiner Bewegung, als wäre er nicht sicher, ob er sie wirklich vernommen hätte, doch plötzlich bekam er große Augen. „Die Tickets!“ In einer flüssigen Bewegung drehte er den Wasserhahn ab, öffnete die Duschkabine und fischte ein Handtuch vom Halter. Während er aus der Kabine stieg, faltete er das Handtuch auf und legte es sich um die Hüften. Dann stürmte er los.
Seit klein auf schon war er ein großer Fan von Bryan Adams. Und nächste Woche gab der eines seiner seltenen Konzerte in dieser Stadt. Ben hatte sich früh um eine Eintrittskarte bemüht, aber er war schon zu spät gewesen. Einige Zeit schob er echten Frust darüber, letztlich aber hatte er sich doch damit abgefunden. Bis er durch puren Zufall im Internet jemanden getroffen hatte, der noch zwei Karten dafür besaß und bereit war, sie zu verkaufen, weil er selbst unglücklicherweise verhindert sein würde. Der Preis war dennoch nahezu unverschämt gewesen und er musste auch beide Karten abnehmen, doch Ben wusste, dass Bryan Adams jeden Preis wert war. Deshalb schlug er zu. Die Karten sollten in den nächsten Tagen per Post kommen. Das war vorgestern gewesen. Da er sonst nichts bestellt hatte, was ein Bote persönlich abliefern musste, konnte es sich jetzt normalerweise nur um die Tickets handeln. Und da er nicht riskieren wollte, dass der Bote unverrichteter Dinge wieder abzog und er die Karten nicht mehr rechtzeitig bekam, musste er jetzt so triefendnass, wie er war, eben zur Tür rennen.
Zumindest wollte er das, denn kaum hatte er mehr als drei Schritte in den Flur hineingemacht, da spürte er plötzlich etwa Weiches unter seinem rechten Fuß. Zeitgleich ertönte das halb überraschte, halb zornige Quieken einer Katze. „Leroy!“ rief Ben ebenfalls in einer Mischung aus Schreck und Verärgerung aus, während er seine Arme ausbreitete, um nicht umzufallen, was ihm jedoch nicht gänzlich gelang und er eine kleine Holzschale von der Flurkommode fegte, in der einige Schlüssel abgelegt waren. „Zum Teufel, verschwinde hier!“ Als Antwort bekam er ein bösartiges Fauchen, doch konnte er sehen, wie sich sein Kater umdrehte und in Richtung Wohnzimmer rannte. „Warte gefälligst, bis du dran bist!“ Natürlich tat es ihm leid, dass er den Kater schon zum zweiten Mal geärgert hatte, doch die Tickets waren jetzt einfach wichtiger. Entschlossen setzte er seinen Weg zur Wohnungstür fort. Dabei achtete er erneut nicht auf seine Schritte und als er mit dem linken Fuß auf einen der herabgefallenen Schlüssel trat, zuckte er zusammen, stöhnte mehrmals auf und humpelte dann mit schmerzverzerrtem Gesicht weiter.
Als er die Tür erreicht hatte, klingelte es zum wiederholten Male. Ohne zu zögern öffnete Ben und verharrte dann sichtlich überrascht, während er den weiblichen FedEx-Boten mit großen Augen anstarrte, weil die Frau etwa in seinem Alter mit Proportionen aufwarten konnte, die ihn in seiner momentanen Situation beinahe schon erschreckten. Bei einer Körpergröße von kaum hundertsechzig Zentimetern sprengte ihr Busen in Doppel-DD geradezu das enganliegende Polo-Shirt, wurde aber von einem leichten Rundum-Rettungsring noch daran gehindert, der Schwerkraft Tribut zu zollen. Ihr Kopf mit dem kurzgeschnittenen, hellblonden Haar wirkte seltsam klein auf den Schultern, ihr Gesicht mit den Pausbäckchen und den kleinen rehbraunen Augen auf den ersten Blick noch einigermaßen niedlich, auf den zweiten jedoch viel zu grell geschminkt. Als Ben sie ansah, bemerkte er, dass sie außer Atem schien und sich Schweiß auf ihrer Stirn zeigte.
Die Frau sah zunächst Ben mit gestresstem, wenig freundlichem Blick ins Gesicht, doch als sie erkannte, dass er nur mit einem Handtuch bekleidet war, huschte ein Lächeln auf ihre Lippen. Sie wurde für einen Augenblick nervös, bevor sie leise kicherte, komische Stöhn- und Brummgeräusche machte, die in ihrem voluminösen Körper wie in einer Kirchenglocke nachhallten und ihn dann mit einem schmachtenden Blick förmlich auszog – wenn er das denn nicht schon gewesen wäre. „Guten Morgen…!“ hauchte sie mit funkelnden Augen. „…Süßer!“
„Sie sind früh!“ erwiderte Ben mit einem verzogenen Grinsen, weil ihm bewusstwurde, dass es tatsächlich noch sehr früh für eine solche Lieferung war.
„Der frühe Vogel fängt den Wurm! Wenn ich gewusst hätte, was mich hier erwartet, wäre ich noch früher gekommen!“
„Was?“ Ben war etwas irritiert. Versuchte diese Frau etwa, ihn derart dreist anzubaggern?
„Ist die Dusche noch heiß?“
„Was? Nein!“ Ben schüttelte den Kopf. Um Himmels willen! „Ich bin fertig!“
„Schade!“ Die Frau schob die Unterlippe nach vorn, doch dann lächelte sie wieder. „Aber ein kleiner Quickie im Flur tut es auch, was?“ Sie glühte ihn wieder unverhohlen an.
„Nein, bitte!“ Er grinste verzerrt. „Nicht heute! Ich meine: Was haben sie für mich?“ Ben wurde etwas nervös.
Daraufhin verlor die Frau ihr Lächeln und musterte ihn für eine Sekunde durchdringend, bevor sie doch wieder lächelte. „Schon gut!“ Ihr Blick wurde ein wenig traurig. „War nur Spaß! Der Tag wird lang und hart genug werden. Nichts für ungut!“ Sie sah Ben an und der nickte. „Ich habe hier einen eingeschriebenen Brief für Mister Ben Riley!“ Sie zog das Postgut aus ihrer großen Umhängetasche.
„Das bin ich!“ Jetzt begannen Bens Augen zu leuchten. Ja, das konnten nur die Tickets sein!
„Ich brauche ihren Ausweis, bitte!“
„Meinen…?“ Ben stöhnte auf. „Moment!“ Damit drehte er sich um, huschte zur Kommode im Flur, fischte seinen Ausweis aus der Brieftasche und rannte zurück, während die Frau in der Tür ihm mit einem breiten Lächeln hinterherstarrte, das erst wieder einer teilnahmslosen Miene wich, als Ben erneut vor ihr stand. „Hier!“ Er reichte ihr seinen Ausweis.
Die Frau prüfte seine Adresse und das Foto, dann nickte sie. „Alles klar!“ Sie holte einen kleinen Kasten aus der Umhängetasche und hielt ihn Ben mit einem Kunststoffstäbchen vor die Nase. „Einmal unterschreiben, bitte!“
Ben tat, wie geheißen.
„Danke!“ Die Frau war zufrieden, verstaute das Gerät wieder in ihrer Tasche und reichte ihm den Ausweis zurück.
Ben war aber leider schon so sehr auf den anderen Umschlag fixiert, dass er seinen Ausweis nur achtlos entgegennahm – und ihn sogleich fallen ließ. „Oh!“ Ben erschrak und sein Oberkörper zuckte förmlich nach unten.
„Oh!“ Auch die Frau bemerkte sein Missgeschick. Sie wollte ihm helfen und auch ihr Oberkörper zuckte nach unten.
Ein hohles Klack-Geräusch war zu hören, als ihre beiden Köpfe zusammenknallten. Während der Frau jedoch kein Ton entwich, stieß Ben einen überraschten Schrei aus. Er verlor das Gleichgewicht und kippte hinten über. Da er den Ausweis zuvor noch hatte ergreifen können, konzentrierte er sich fest darauf, ihn nicht wieder loszulassen – und vergaß dabei sein Handtuch. Während er der Länge nach zu Boden schlug, löste es sich von seinen Lenden und rutschte neben seinen Körper, sodass Ben jetzt vollkommen nackt war.
„Ein Jammer!“ stieß die Frau hervor, als sie sich wiederaufgerichtet hatte und grinste breit.
Ben war noch sichtlich durcheinander. Er sah, wie sie ihn anstarrte, wusste aber noch nicht warum. Erst, als die Frau einen Schritt auf ihn zu machte und sich zu ihm herabbeugte, wurde er sich seiner Blöße bewusst. Augenblicklich versteifte sich sein ganzer Körper, allerdings ausschließlich seines besten Stücks – Gott sei Dank! Die Frau aber schien die Situation wirklich ausnutzen zu wollen, denn ihr rechter Arm trieb nach vorn und kam ihm immer näher. Bens Gesicht zeigte echte Panik und als sich ihre Hand direkt über seinem Penis befand, stieß er ein fast schon irres Stöhnen aus. Das brachte ein breites Grinsen auf die Lippen der Frau. Einen Augenblick später ließ sie den Umschlag herabfallen, sodass er Bens Gemächt wunderbar verdeckte. Wieder entfuhr Ben ein irres, halb erleichtertes Quieken.
„Sorry, aber ich bin in Eile!“ meinte die Frau noch, als sie sich wieder erhob. „Vielleicht beim nächsten Mal! Bye!“ Sie drehte sich um und winkte über ihre rechte Schulter hinweg, trat in den Flur zurück und zog die Tür hinter sich zu.
Ben war noch immer derart geschockt über den Vorfall, dass er sich nicht bewegen konnte. Er starrte auf den Umschlag auf seinen nackten Lenden, sah vor seinem inneren Auge die Hand der Frau, wie sie sich darüberlegte und schluckte dann einmal demonstrativ und laut. Im selben Moment sah er, wie Leroy neben ihn trottete, sich hinsetzte, ihn ansah und einmal laut um Futter miaute. Da entspannte sich Bens Körper schlagartig und sein Kopf sackte mit einem lauten Stöhnen und einem frustrierten „Oh Mann!“ zurück auf den Boden. Dort atmete er hörbar aus und blies die Luft in die Wangen. Für einige Sekunden verharrte er dann vollkommen reglos und starrte zur Decke. Bis schließlich Leroy erneut miaute. Da drehte Ben seinen Kopf in seine Richtung. „Hast Recht, Alter!“ Er ergriff den Umschlag auf seinen Lenden und erhob sich. Dann fischte er das Handtuch vom Boden. „Na komm!“ meinte er und ging ins Wohnzimmer. Leroy folgte ihm. Den Umschlag legte Ben auf eine weitere Kommode, dann ging er in die Küche, wo er dem Kater zunächst etwas Trockenfutter in eine Schale am Boden und etwas Nassfutter in eine andere daneben schüttete. Dass er dabei etwas über den Rand kleckerte, ignorierte er. Der Küchenfußboden dort zeigte auch schon ältere Flecken dieser Art.
Ben drehte sich zur Anrichte. In der Spüle und daneben stapelte sich einiges an schmutzigem Geschirr. Teller, Besteck, Gläser, Tassen, Schalen. Als er das sah, verzog er für einen Augenblick die Mundwinkel, bevor er fast wie automatisch den Geschirrspüler öffnete. In dem Gerät befand sich noch Geschirr, allerdings nicht viel. Aber es war bereits sauber. Ben nickte zufrieden, nahm eine Tasse und einen Löffel heraus und schloss die Maschine wieder. Das schmutzige Geschirr beachtete er nicht weiter.
Dann ging er zu dem Kaffeeautomaten auf der Anrichte und schaltete ihn ein. Während sich die Maschine aufwärmte, bis sie Betriebstemperatur erreichte, verließ Ben die Küche und ging zurück ins Badezimmer, wo er sich rasierte und die Zähne putzte.
Nachdem er sich im Schlafzimmer eine dunkelblaue Jeanshose, ein rotes, leicht zerknittertes Baumwollhemd und eine schwarze Krawatte, die er locker umband, angezogen hatte, kehrte er zurück in die Küche. Er stellte die Tasse unter den Automaten und drückte dann die Taste für einen großen Pott Kaffee. Die Maschine röhrte zunächst heiser, als sie frische Bohnen malte, dann drückte sie das heiße Getränk mit mehreren Bar Druck in die Tasse. Dieser Vorgang dauerte etwa eine Minute. Als er abgeschlossen war, nahm Ben die Kaffeetasse an sich, füllte etwas Zucker hinein, rührte um, nippte kurz einen ersten, kleinen Schluck und trottete dann ins Wohnzimmer.
Dabei fischte er den Umschlag von der Kommode. Nachdem er sich auf die ausladende, herrlich bequeme Ledercouch gesetzt und die Kaffeetasse abgestellt hatte, öffnete er den Umschlag. Als er tatsächlich die beiden Eintrittskarten für das Bryan-Adams-Konzert in den Händen hielt, leuchteten seine Augen. Endlich!
Während er darüber nachdachte, was ihn dort erwarten würde, trank er den Kaffee. Im nächsten Augenblick sprang Leroy auf die Couch und schmiegte sich sofort schnurrend an ihn. Ben genoss diese Liebkosungen und streichelte seinen Kater ausgiebig. „Na, alter Junge!“ meinte er dann. „Wie sieht es aus: Lust auf Bryan Adams?“ Leroys Reaktion bestand darin, seinem Herrchen seinen Bauch entgegen zu recken. Ben musste grinsen. „Hast Recht!“ Er kraulte ihn weiter. „Aber wen soll ich mitnehmen?“ Er sah Leroy direkt an. „Allison?“ Er spielte damit auf seine Chefin an. Sie war in seinem Alter, wie er geschieden und sah einfach umwerfend aus. Allerdings funkten beide garantiert nicht auf einer Wellenlänge, was Ben eigentlich sehr schade fand. Er hätte schon sehr gern mit Allison… „Ich werde sie fragen!“ Plötzlich maute Leroy. „Wenn sie ablehnt?“ Ben zog die Augenbrauen in die Höhe. „Wer könnte meinem Charme schon wiederstehen, hör mal?“ Er grinste säuerlich, während Leroy brummte. „Foreman?“ Bens Gesicht verdunkelte sich, als er an seinen Arbeitskollegen und besten Freund dachte. Eigentlich seinen einzigen Freund. „Ich wollte eigentlich erst Spaß mit Bryan und dann Spaß mit meiner Begleitung haben!“ Leroy schnurrte. „Was sagst du?“ Ben lauschte und Leroy wälzte sich schnurrend um seine Längsachse. „Bist du sicher? Sophia??“ Bens Blick wurde erst ernst, als er an seine Exfrau dachte, dann säuerlich. Zwar lag ihre Scheidung schon zwei Jahre zurück, doch die Tatsache, dass Sophia ihn und nicht er sie verlassen hatte, lastete noch immer schwer auf seiner Seele. Mittlerweile verstanden sie sich eigentlich wieder ganz gut, wenngleich sie sich nur selten sahen. Damals aber hatten sie sich oft gezankt. Obwohl das nicht ganz stimmte: Sophia hatte versucht mit ihm zu reden und ihre offensichtlichen Probleme zu lösen, er hatte dazu aber keine Lust gehabt und sich stets davongemacht. Weiber! Warum mussten sie nur immer alles bereden? Doch Ben wusste, dass er jetzt ein Problem hatte: Er wusste, dass Sophia Bryan Adams mindestens genauso sehr mochte, wie er selbst. Daher wäre es nur fair gewesen, sie einzuladen. „Weißt du was, Leroy?“ rief Ben mit einem breiten Lächeln. „Ich werden den Escort-Service anrufen. Die sollen mir eine Nutte schicken, mit der man vorher auch ausgehen kann. Vielleicht die Rothaarige, die im letzten Jahr schon mal hier war!?“ Er schien einen Augenblick zu überlegen, dann aber schüttelte er den Kopf. "Nein, das ist vielleicht doch keine so gute Idee!" Er erinnere sich noch lebhaft daran, dass er überraschend Erektionsprobleme gehabt hatte, obwohl sie sehr bemüht um ihn gewesen war. Am Ende hatte Ben seinen Frust über sein eigenes Versagen an ihr ausgelassen und ihr vorgeworfen, es wäre ihre Schuld gewesen. Sie hatte daraufhin stinksauer die Wohnung verlassen und bei der Agentur sogar auf ihr Honorar für diesen Abend verzichtet. Die Erinnerung ließ ihn noch immer leicht rot werden. „Na, dann eben eine andere!" meinte er schließlich jedoch mit einem Achselzucken und grinste kurz. "Ich werde mich in der Mittagspause gleich darum kümmern!“
Und mit diesen Worten erhob er sich, legte die Tickets in eine Vitrine und brachte die Kaffeetasse in die Küche.
Fairness! Ben grinste innerlich. Von wegen! Sophia hatte ihn verlassen. Was hatte sie da schon noch von ihm zu erwarten?
Er stellte die Kaffeetasse zu dem anderen schmutzigen Geschirr, ging in den Flur, schnappte sich seine Schlüssel von der Kommode und eine Jacke vom Haken. Dann blickte er nochmals zu Leroy, der noch immer ausgestreckt auf der Couch lag. „Viel Spaß, Dicker!“ Er wollte schon gehen, als ihm noch etwas einfiel. „Maria kommt heute und macht hier Ordnung!“ Er warf Leroy einen ernsten Blick zu. „Versuch dieses Mal, ihr nicht ins Bein zu kratzen!“ Er wartete auf eine Reaktion des Katers, doch der gähnte nur. „Verräter!“ Ben grinste und drehte sich um. „Obwohl…!“ dachte er laut und an seine relativ neue, zweiunddreißigjährige, mexikanische Haushälterin. „Maria wäre auch eine gute Idee für das Konzert!“ Zwar sahen sie sich nicht oft und wenn, dann trug Maria immer ihre Arbeitskleidung. Doch Ben glaubte zu wissen, dass unter den unförmigen Klamotten eine durchaus attraktive Frau steckte. Vielleicht sollte er einen Versuch wagen!? Wenn es klappte, hatte er ja vielleicht einen schönen Abend mit nächtlichem Ausritt. Wenn nicht…na ja, Haushaltangestellte gab es mehr als genug, um sie danach auszutauschen.
Ben schloss die Haustür hinter sich und nahm sich vor, auf dem Weg zur Arbeit darüber nachzudenken.