Читать книгу Virus - Alfred Broi - Страница 19
XV
ОглавлениеStrömender Regen hatte den Weg vor dem fürstlichen Grabmal aufgeweicht.
Gegen Mittag des gestrigen Tages hatten dunkle Wolken den Himmel nahezu abgeschottet und seither ununterbrochen ihre Fracht über das Land verteilt. Fast schien es so, als würde auch der Himmel über den Tod des ehemaligen Fürsten weinen und zu der allgemeinen, düsteren Stimmung beitragen.
Nicht nur seine Witwe, sein Sohn und seine Schweigertochter trauerten um Marco, auch das Volk litt unter seinem plötzlichen Tod. Hatte man gerade noch die Hochzeit und die Krönung von Fürst Kuja und Fürstin Mariella ausgelassen gefeiert, so sorgte dieser unerwartete Todesfall dafür, dass allen das Lachen quasi im Halse steckengeblieben war.
Kuja stand links von Elena, Mariella stützte sie auf der rechten Seite, während sie den tröstlichen Worten des Priesters lauschten.
Er konnte hören, aber auch spüren, dass seine Mutter hinter ihrem schwarz verschleierten Gesicht weinte, denn ihr Körper erzitterte immer wieder leicht. Der plötzliche Tod ihres Ehemanns hatte sie vollkommen aus der Bahn geworfen und binnen weniger Stunden einen anderen Menschen aus ihr gemacht. Die einst so stolze und wunderschöne Herrscherin dieses Landes war zu einer schleichenden, gekrümmt gehenden, eingefallen wirkenden, gedankenverlorenen, schmerzlich leidenden, alten Frau geworden. Ein wahres Häufchen Elend, das kaum noch redete oder aß oder überhaupt am Leben teilnahm.
Marcos Tod hatte sie in eine tiefe Finsternis gestürzt. Ihr Sohn zweifelte, dass sie je ihren Weg zurück ins Licht finden würde.
Kuja selbst war ebenfalls voller Trauer.
Schließlich hatte er seinen Vater ehrlich und sehr geliebt. Er war, gerade in den letzten Jahren, ein hervorragender Mentor für ihn gewesen, einer seiner engsten Vertrauten und auch ein guter Freund.
Sein Verlust war sehr schmerzlich, doch war er absolut unumgänglich gewesen. Denn neben Trauer empfand Kuja auch Zorn auf seinen Vater.
Warum nur hatte er seinen Worten misstrauen und eigene Nachforschungen anstellen müssen? Es wäre niemals zu dem Treffen mit seinem Informanten gekommen. Kuja wäre niemals auf die beiden aufmerksam geworden und stehengeblieben. Es wäre nicht zu der Konfrontation mit seinem Vater gekommen, die letztlich Kujas Krankheit offenbart hatte, wodurch sein Vater dann keinerlei Zweifel mehr daran hegte, dass sein Sohn selbst seine beiden besten Freunde getötet hatte.
Ja, all dies wäre niemals geschehen. Und Kuja somit auch nicht gezwungen gewesen, seinen Vater davon abzuhalten, alles zu zerstören, was sein Sohn sich aufgebaut hatte.
Sein Leben, seine Zukunft gegen das Leben seines Vaters.
Kuja hasste sich zwar dafür, doch hätte er niemals anders handeln können, als er es getan hatte.
Der Moment, als die Zeremonie endete und der Sarg in das Grabmal hinabgefahren wurde, war nochmals extrem emotional, denn Elena wollte ihren Mann offensichtlich nicht gehen lassen. Sie weinte bittere Tränen, schrie die Träger an, sie sollten ihren Mann loslassen, rannte am Ende sogar zu ihnen und versuchte, sie von ihrem letzten Dienst abzuhalten.
Kuja hatte echte Mühe, seine vollkommen aufgelöste Mutter wieder zu bändigen. Allerdings konnte er den anschließenden Nervenzusammenbruch nicht verhindern. Der Leibarzt gab ihr ein starkes Beruhigungsmittel, das dafür sorgen sollte, dass Elena bis zum nächsten Morgen schlafen würde.
Die Totenfeier am Nachmittag verlief still und andächtig, wurde Kuja aber nach einiger Zeit lästig.
Mariella erkannte das und sagte ihm, dass er sich ruhig zurückziehen könne. Sie würde sich um die Gäste kümmern, bis sie gegangen waren.
Dafür war Kuja ihr sehr dankbar. Er zog sich also in ihren Wohnbereich zurück, setzte sich in einen Sessel am Kamin und betrachtete mit leerem Blick die sanft tänzelnden Flammen. Dabei kam er tatsächlich zur Ruhe. Selbst die Tatsache, dass sich immer mal wieder sanft schlängelnde Würmer auf seiner Hand zeigten, schien ihn nicht zu sorgen. Beinahe betrachtete er sie ehrfürchtig.
Ja, er war krank, doch im Moment war dieser Virus, den er in sich hatte, nun einmal Teil seines Lebens. Auf der Suche nach einem verschwiegenen Arzt war er mittlerweile fündig geworden. Um zu ihm zu gelangen, musste Kuja jedoch eine zweitägige Reise zur Gefängnisinsel Tapa-Duma auf sich nehmen. Das wollte er gern tun, doch damit niemand, speziell Mariella, Verdacht schöpfte, musste er noch bis zum Ende der Woche warten, bevor er ohnehin zu einer Konferenz der Statthalter in die nördlichen Regionen des Landes reisen musste.
Sobald das erledigt war, würde er auf dem Rückweg Tapa-Duma einen Besuch abstatten.
Mit diesem Gedanken schlief er schließlich ein.
*
"Kuja?"
Mariella beugte sich zu ihm. Als er nicht reagierte, sagte sie nochmals sanft seinen Namen. Aber erneut regte er sich nicht. Also legte sie ihre rechte Hand auf seine Schulter und schüttelte ihn leicht, während sie ihn nochmals leise rief.
Daraufhin stöhnte Kuja einmal auf und bewegte seinen Kopf hin und her, während er verschlafen grummelte.
Auf Mariellas Lippen legte sich ein sanftes Lächeln und ihre Augen begannen zu leuchten. "Kuja?"
"Ja?" erwiderte er, ohne jedoch seine Augen zu öffnen.
"Würdest du bitte aufwachen!?"
In Mariellas Stimme lag eine Mischung aus Scham, ihn überhaupt wach machen zu müssen, und Drängen. Deshalb öffnete Kuja seine Augen. "Was ist? Ist etwas mit Mutter?" Er richtete sich ruckartig auf.
"Was?" Mariella sah ihn verwirrt an. "Nein! Nein, es ist alles okay. Sie schläft tief und fest!" Plötzlich blickte sie betroffen. "Es tut mir leid, wenn du dachtest, dass ich dich deshalb…!"
Doch Kuja hob abwehrend seine Hand und lächelte. "Schon gut, mein Engel!" Er sah, dass seiner Frau der Kosename gefiel. "Ist die Trauerfeier vorbei?"
"Ja!" Mariella nickte. "Endlich!" Sie atmete gestresst aus.
"Danke…!" Kuja nahm ihre rechte Hand und schloss sie sanft in seine Hände. "…dass du mir das abgenommen hast!"
"Gern!" Mariella lächelte. "Aber…!" Sie wurde plötzlich nervös und schien auch verlegen zu sein. "…ich…jetzt…ich…!"
"Hallo?" unterbrach sie Kuja sanft und wartete, bis sie ihn ansah. "Ich bin es, Kuja. Der Mann deiner Träume. Du brauchst dich vor mir…!"
"Ich muss dir etwas sagen!" platzte sie förmlich hervor. Dann erschrak sie, dass sie ihre Stimme erhoben und ihn gleichsam unterbrochen hatte, im nächsten Moment aber huschte ein kurzes Grinsen über ihre Lippen, das sie aussehen ließ, wie ein Schulmädchen. "Etwas…Wichtiges!" fügte sie noch hinzu.
"Okay!" meinte Kuja. "Schieß los!"
"Ich…!" begann sie, doch brach sie wieder ab. "Ich weiß, dass du noch immer um deinen Vater trauerst und es tut mir auch leid, aber ich kann das einfach nicht mehr für mich behalten! Ich muss dir das jetzt…!" Fast schien es, als würde sie heulen wollen.
"Mariella?" unterbrach sie Kuja.
"Ja?"
"Bitte!"
"Okay!" Mariella atmete einmal tief durch. Dabei wurde ihr Blick sehr ernst. "Ich...!" Sie musste sich räuspern. "Ich bin…schwanger!"
"Was?" Kujas Körper versteifte sich und fast wie automatisch zuckte er in die Höhe. Er sah Mariella mit großen Augen an, seine Gesichtszüge hingen schlaff herab. "Aber…!"
Seiner Frau sah man deutlich an, dass sie nicht wusste, wie sie die Reaktion ihres Mannes einschätzen sollte. Sie war sichtlich nervös und ihr Blick schwankte zwischen Freude und großer Unsicherheit.
"…das ist ja…!" Wie in Zeitlupe hoben sich seine Mundwinkel und seine Augen begannen zu leuchten. "…wundervoll!" Er lachte auf und schloss Mariella, die noch gar nicht richtig registriert hatte, dass jegliche Unsicherheit oder gar Sorge, die sie gehabt hatte, vollkommen unbegründet war, ganz fest in seine Arme. "Oh Engelchen!" Kuja drückte sie sanft von sich, blickte tief in ihre strahlenden Augen. "Ich liebe dich!" Er streichelte sanft ihre Wange. "Ich liebe dich so sehr!" Und dann küsste er sie sanft und voller Zärtlichkeit, doch schon nach wenigen Augenblicken stöhnte Mariella auf und ihr Kuss wurde leidenschaftlicher und heißer.
Zehn Minuten später lagen sie beide nackt auf ihrem Bett und vereinten sich in körperlicher Ekstase.
Dabei war Kuja sich mehr als je zuvor sicher, das Richtige getan zu haben.
Er hatte die wundervollste, schönste und heißeste Frau der Welt an seiner Seite und alsbald auch ein Kind mit ihr. Dann wären sie eine kleine Familie und mit dieser Aussicht, spürte er eine Kraft und Stärke und Sicherheit in sich, die er nie zuvor gekannt hatte.
Trotz aller Schuld, die seine Seele befleckte, trotz der Morde an seinen beiden besten Freunden und seinem Vater, wusste er, dass er ein guter Mensch war, von dem nicht nur seine Familie, sondern auch sein Volk profitieren konnte.