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XXII

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Das Treffen war auf den frühen Abend festgesetzt worden.

Kuja war mittlerweile soweit wiederhergestellt, dass er seinen Amtsgeschäften nachzugehen vermochte. So konnte er Mariella beim Abendessen erklären, dass er im Anschluss noch zu einer Zusammenkunft der Baumeister gehen musste, um mit ihnen die Pläne für die mittelfristig geplanten Bauvorhaben der Stadt durchzusprechen, ohne dass sie Verdacht schöpfte.

Moretti empfing ihn auf den Stufen des Palastes und gemeinsam ritten sie durch die Straßen Alimantes in die südlich gelegenen Stadtteile.

Dort gab es tatsächlich den Versammlungsraum des Baurats, doch natürlich war dies nicht ihr Ziel.

Das lag noch weiter südlich und führte sie nach Kulibali, einen der ärmsten Stadtteile.

Kuja und Moretti aber hatten vorgesorgt und sich einfache Reitkleidung und alte, zerschlissene Mäntel angelegt. Außerdem verzichteten sie auf ihre eigenen Rösser und nahmen stattdessen Pferde aus dem Stall der Kurierreiter.

So wurden sie zwar vielfach misstrauisch beäugt, doch niemand schöpfte wirklich Verdacht.

Nach einer guten halben Stunde hatten sie ihr Ziel erreicht.

"Wir sind da!" erklärte Moretti.

Kuja nickte zufrieden, während er sich in der dunklen Gasse umsah. Auf der linken Seite gab es kleine, windschiefe, einfache, sanierungsbedürftige Häuser in denen vielfach Kerzenlicht brannte. Auf der anderen Seite zog sich ein einfacher Lattenzaun bis ans Ende der Straße, in dem einige Pforten zu erkennen waren.

Vor einer dieser Pforten stoppte der Kommandant sein Pferd schließlich ab. Moretti schaute mit finsterer Miene auf das kleine, schmutzige Schild an der rechten Seite mit der Aufschrift Arturo, Bauarbeiten aller Art. Dann brummte er mürrisch und stieg vom Pferd.

"Warum so mürrisch?" fragte Kuja, als auch er abstieg. Dabei musste er das Gesicht verziehen, weil die Stichwunde in der Schulter noch ein wenig schmerzte.

"Weil ich nicht weiß, warum wir hier sind!" erklärte der Kommandant mit dunkler Stimme. "Ich mir aber nicht vorstellen kann, dass es eine gute Idee ist!"

"Kennt ihr Arturo?"

Moretti schüttelte den Kopf. "Nein!"

"Dann kennt ihr nur die Geschichten über ihn!?" Kuja nickte.

"Das sind keine Geschichten!" entgegnete der Kommandant hart. "Das sind Tatsachen!"

"So?" Kujas zog die Augenbrauen in die Höhe und sah sein Gegenüber direkt an. "Dann ward ihr also dabei?" Kuja wusste, dass dem nicht so war.

"Nein, aber…!" Der Kommandant wich dem Blick des Fürsten aus.

"Gut! Dann sprecht nicht so, bis ihr alle Fakten kennt!" Kujas Worte waren hart und bestimmt.

Moretti nickte. "Natürlich Herr. Verzeiht!"

"Aber, was die Geschichten über Arturo angeht…!" Kuja machte einen halben Schritt nach vorn und plötzlich huschte ein dünnes Lächeln über seine Lippen. "Sie sind alle wahr…und doch auch vollkommen falsch!"

Moretti klopfte an der Pforte und ein paar Augenblicke später wurde sie von einem Jungen geöffnet. Er mochte vielleicht acht oder neun Jahre alt sein und von sehr hagerer Gestalt. Seine blonden Haare lagen wild auf seinem Kopf, sein Gesicht war schmutzig, ebenso wie seine abgewetzte, zerschlissene Kleidung.

Ein Bild des Jammers! dachte Kuja, doch dann blickte er in die Augen des Jungen - tiefblau, leuchtend und wach - und da wusste er, dass der äußere Anschein trog.

"Ist dein Vater da?" raunte Moretti wenig freundlich.

Der Junge nickte und öffnete die Pforte vollständig. "Er erwartet euch!" Seine Stimme war kräftig und klar. Er wartete, bis beide Männer mit ihren Pferden an ihm vorbei ins Innere des Hofs gegangen waren, dann schloss er die Pforte wieder, jedoch nicht, ohne zuvor einen sondierenden Blick in die Gasse zu werfen. Schließlich ging er voran über den Hof auf ein kleines, schäbiges Lagerhaus zu.

Kuja blickte sich um. Es gab drei alte und beschädigte Pferdekarren, jede Menge Holz in allen nur erdenklichen Längen und Farben, allerdings nicht sauber aufgeschichtet, sondern überall auf dem Hof verstreut. Eine fahrbare Bandsäge war verrostet, das Sägeblatt unbrauchbar geworden. In der hinteren linken Ecke konnte der Fürst einen kleinen Stall erkennen. Er sah ein Pferd und einen Esel, dazu eine Kuh und zwei Schweine, sowie einige Hühner. Dazwischen liefen etwa ein Dutzend Katzen umher. Als sie die Lagerhalle erreicht hatten, hörte er ein deutliches Knurren und konnte einen großen Wolfshund neben der Eingangstür sitzen sehen, sowie einen kleinen Mischlingswelpen, der neben ihm lag. Der Wolfshund starrte auf die beiden Fremden, seine Haltung war kerzengerade und angespannt, jederzeit bereit, seinen Herrn und seinen Besitz zu verteidigen.

"Ruhig, Torro!" sagte der Junge, streckte seinen linke Hand aus und ließ den Hund daran schnüffeln. Einen Augenblick später bellte er einmal auf und ließ sich dann bereitwillig von ihm streicheln.

"Was ist los, Jacob?" war eine kräftige, dunkle Männerstimme von drinnen zu hören. "Wer ist da?" Von dem Lärm vor der Tür aufmerksam geworden, trat ein großer, hagerer Mann mit Glatze vor die Tür. Kuja schätze ihn auf Mitte Vierzig. Seine Haltung war gerade, sein Körper drahtig. Die Haut war wettergegerbt und tiefbraun, ein eindeutiges Zeichen seiner Herkunft aus Muritania, ein im äußersten Süden des Kontinents gelegenes Reich mit heißen Sandwüsten und traumhaften Stränden an den Ufern des wegen seiner sanft-schimmernden grünen Färbung Jade-See genannten Ozeans. Die dunkelbraunen Augen lagen tief in ihren Höhlen und blickten wach, aber auch distanziert.

"Keine Sorge, Vater!" erklärte Jacob mit einem Lächeln.

Ganz offensichtlich hat er die Gene seiner Mutter geerbt, dachte Kuja bei sich. Das würde seine normal helle Haut und seinen blonden Haarschopf erklären.

"Wir haben Besuch!"

"Besuch?" Arturo schien irritiert und wenig begeistert. "Wer kommt denn schon freiwillig hierher?" Er betrachtete die beiden Fremden. "Ich will niemanden sehen!" erklärte er dann mit harter Stimme. "Haut wieder ab!" Er wandte sich ab und wollte schon in die Halle zurückgehen.

"Warte!" rief sein Sohn. "Du kannst sie nicht wegschicken. Du hast dieses Treffen mit ihnen vereinbart!"

"Vereinbart?" Arturo machte auf dem Absatz kehrt, kaum zwei Schritte näher und musterte die beiden Männer. Anfangs schien ihm das keine Erkenntnis zu bringen, dann aber weiteten sich seine Augen. "Stimmt!" Er nickte. "Moretti, richtig?" Der Kommandant nickte mit einem Brummen. "Der angebliche Kommandant der Leibgarde des Fürsten!" Arturo musste auflachen, denn diese Vorstellung schien ihn zu amüsieren. "Klar doch!"

"Nicht angeblich!" Kuja spürte, dass er ungeduldig wurde und ihn das zu ärgern begann. Er hatte keine Zeit für Spielchen.

"Ach?" Arturo blickte ihn unbeeindruckt an, wobei man sah, dass er versuchte, unter der großen Kapuze etwas zu erkennen. "Und woher wisst ihr das?" Er verzog die Mundwinkel zu einem säuerlichen Grinsen.

"Weil ich…!" Mit einer schnellen Bewegung trat Kuja einen Schritt vor, bis er dicht vor Arturo stand und schob zeitgleich seine Kapuze in den Nacken. "…sein Herr bin!"

"Fürst Kuja!" Arturos Gesichtszüge entglitten augenblicklich. Er senkte den Kopf und kniete vor ihm nieder. "Ich hatte ja keine Ahnung!"

In den Augenwinkeln konnte er sehen, dass auch Jacob ihn zunächst überrascht ansah, bevor er, aber nur langsam und ohne jede Nervosität, ebenfalls den Kopf senkte und vor ihm das Knie beugte. "Schon gut!" Kuja lächelte milde und als Arturo zu ihm aufsah, deutete er ihm an, sich zu erheben. "Es ist meine Schuld!" erklärte er. "Ich habe den Kommandanten angewiesen, den Kontakt zu euch zu knüpfen, damit ich vorerst nicht in Erscheinung treten musste!"

Arturo hatte sich wieder gefangen und sah den Fürsten mit ausdrucksloser Miene an. "Das mag ja sein!" meinte er und schüttelte den Kopf. "Aber ich kann den Sinn darin nicht erkennen!"

Natürlich nicht! dachte er. Er warf einen kurzen Blick auf Jacob, der sich ebenfalls wieder erhoben hatte und ihn jetzt neugierig und mit wachen Augen ansah. "Ich bedarf eurer Dienste!" sagte er und sah Arturo direkt in die Augen.

"Meiner…?" Der Baumeister war sichtlich verwirrt. Sein Blick verdunkelte sich und er schüttelte erneut den Kopf. "Das kann ich mir kaum vorstellen. Ich bin nur ein einfacher Baumeister mit bescheidenen Künsten. Ich habe…absolut…nichts zu bieten, was für euch von Interesse wäre oder was andere euch nicht wesentlich besser bieten könnten!" Er atmete einmal tief durch. "Es tut mir leid, dass ihr den langen Weg hierher umsonst gemacht habt, aber ihr hättet ihn euch sparen können, wenn…!"

"Arturo?" unterbrach ihn der Fürst.

"Ja?"

"Haltet den Mund!"

"Was?" Der Blick des Baumeisters wurde noch finsterer.

"Ja, seid still!"

"Aber...?"

"Ich will euer Gezeter nicht hören!" Er machte noch einen halben Schritt auf Arturo zu. "Es ist nämlich vollkommen belanglos, weil ich von euch nicht eure Dienste als Baumeister erbitte!"

Deutlich war zu sehen, wie sich Arturos Körper verspannte. Sein Blick auf Kuja war ernst und lauernd, während er langsam einatmete. "Sondern…?" fragte er.

Der Fürst aber ließ sich nicht einschüchtern. "Die anderen, natürlich!" erklärte er leichthin. "Aber bitte…!" Er zog die Augenbrauen in die Höhe. "Nicht hier im Freien! Magst du uns nicht hineinbitten? Ich könnte einen kleinen Schluck vertragen!"

"Was…?" Arturo war verwirrt über diese Kaltschnäuzigkeit. "Ich…!" Er räusperte sich, denn ihm wurde klar, dass er den Fürsten nicht so einfach loswurde, weil er offensichtlich Dinge wusste, die er nicht wissen sollte und er ihn nicht anlügen konnte. "Natürlich!" Er nickte Kuja zu und deutete ihm und dem Kommandanten an, ihm zu folgen. "Ich habe gerade eine Flasche Muskari geöffnet!" erklärte er.

"Ah!" Kuja stöhnte auf. "Das hört sich doch gut an!"

*

Nachdem er die Pferde ihrer Besucher versorgt hatte, ging Jacob in die Lagerhalle, wo es im hinteren Teil einen kleinen Bereich gab, den er und sein Vater als Ess- und Schlafplatz nutzten. Ein richtiges Haus hatten sie schon lange nicht mehr, denn die Geschäfte gingen schlecht und sie lebten schon seit geraumer Zeit von der Hand in den Mund.

Als der Kommandant des Fürsten dann bei Arturo ein Treffen vereinbaren und ihm nur für die Zustimmung dazu zwei Silbertaler in die Hand drücken wollte, wusste Jacob, dass sich hier eine Chance für sie eröffnete. Sein Vater aber schien das nicht so zu sehen, er war im Gegenteil sogar wenig angetan von der Tatsache, sich mit Jemandem zu treffen, dessen Identität er nicht kannte, doch Jacob konnte ihn letztlich vom Gegenteil überzeugen. Die beiden Silbertaler nahm er auch sofort an sich, denn sein Vater konnte mit Geld nicht umgehen, und würde davon eine Kuh und ein weiteres Schwein kaufen und die Reparatur der Bandsäge und eines Pferdekarrens in Auftrag geben.

Dann fieberte er dem vereinbarten Treffen entgegen, denn ihm war klar, dass sich Jemand die Dienste seines Vaters sichern wollte und dafür womöglich bereit war, noch wesentlich mehr Silber- vielleicht ja sogar Goldtaler zu bezahlen. Obwohl sich Jacob nicht vorstellen konnte, dass die zugegeben nur dürftigen Baukünste seines Vaters dies wert waren. Früher einmal war das wohl anders gewesen. Früher war sein Vater einer anderen Arbeit nachgegangen, bei der er sehr erfolgreich gewesen war und die Familie ein sorgenfreies Leben hatte. Dann aber war ein schrecklicher Unfall passiert, bei dem seine Mutter und seine ältere Schwester getötet wurden. Daraufhin hatte sein Vater diese Arbeit aufgegeben und sich fortan als Baumeister verdingt. Das alles war vor acht Jahren gewesen und Jacob damit noch viel zu jung, um sich daran erinnern zu können. Alles, was er wusste, wusste er von seinem Vater, wenn dieser im Suff, dem er sich etwa zweimal im Monat hingab, sein Schweigen über diese Zeit kurzzeitig brach, bevor ihn der Schnaps in den Schlaf trieb.

Und als Jacob jetzt in die Lagerhalle trat, spürte er ein deutliches Maß an Nervosität in sich, denn nicht nur, dass der geheimnisvolle Unbekannte kein anderer als der Fürst höchstpersönlich war, ganz offensichtlich ging es hier auch nicht um die Dienste seines Vaters als Baumeister, sondern um seine anderen Fähigkeiten, denen er vor so vielen Jahren abgeschworen hatte.

Also ging er leise zu den drei Männern und setzte sich dann in eine Ecke, um still zu beobachten. Zum einen hoffte er, endlich mehr über die Zeit vor dem Tod seiner Mutter und Schwester zu erfahren, zum anderen wollte er dabei sein, wenn es darum ging, einen Preis für die Dienste seines Vaters auszuhandeln, der sie mit Jacobs Hilfe ja vielleicht endlich und endgültig raus aus diesem tristen Leben holen konnte.

*

Kuja trank einen Schluck der tiefroten Flüssigkeit. Sie war vollmundig und fruchtig, mit einem Hauch Vanille, und kräftig. So, wie ein Muskari sein sollte! Während er den Becher absetzte, fiel sein Blick auf den Jungen, der sich still und leise auf eine Matratze in einer Ecke setzte und zu ihnen herüberschaute. "Ein guter Tropfen!" sagte er dann mit einem Nicken. "Wahrlich!"

Arturo lächelte nervös. "Lassen wir die Floskeln!" sagte er. "Bitte!"

Kuja atmete einmal tief durch und schaute sein Gegenüber direkt in die Augen. "Euer Sohn?" fragte er dann aber nur.

"Jacob ist ein guter Junge…!" erklärte Arturo und warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. "…der leider schon viel zu viel mitmachen musste! Er ist zwar erst neun, arbeitet und handelt aber schon wie ein Erwachsener! Ich habe keine Geheimnisse vor ihm. Ihr könnt darauf vertrauen, dass er nichts von dem, was wir besprechen werden, an andere weitergeben wird!" Jetzt sah er seinerseits den Fürsten entschlossen und erwartungsvoll zugleich an.

Kuja schaute den Jungen erneut an, doch der blickte nach wie vor ausdruckslos, aber mit wachen Augen zurück. Dann sah er zu Moretti. In den Augen des Kommandanten konnte er erkennen, dass er weiterhin Zweifel an der Richtigkeit ihres Vorhabens hatte. Das konnte er verstehen und auch nachvollziehen, schließlich kannte er noch immer nicht das ganze Ausmaß der Tragödie. Mehr noch aber kannte er Arturo nicht und demgemäß auch nicht seine Geschichte. Also war Kuja sicher, dass es das Beste wäre, wenn Arturo ebendiese zunächst erzählte. "Nun gut!" hob er schließlich an. "Mein Kommandant hält meinen Besuch hier für einen Fehler! Ich weiß aber, dass er das nur denkt, weil er weder euch kennt, noch eure Geschichte!" Er atmete einmal tief durch, dann sah er dem Baumeister direkt in die Augen. "Würdest du das bitte ändern?!"

Arturos Blick war zunächst ablehnend, dann deutlich hin und her gerissen. Schließlich nickte er und begann…

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