Читать книгу Virus - Alfred Broi - Страница 25
XXI
ОглавлениеAls Mariella kurze Zeit später von ihrem Ausritt mit Moretti zurückkehrte, wurde sie bereits sehnsüchtig erwartet und man überbrachte den beiden die schlimmen Nachrichten.
Mariella war zutiefst bestürzt und eilte sofort zu ihrem Mann ans Krankenbett.
Dort hatte man die beiden Wunden bereits sorgsam untersucht, behandelt und verbunden. Der Anblick ihres bewusstlosen Mannes rührte Mariella zu Tränen, doch erklärte ihr der Leibarzt Vikario, dass der Fürst zwar durchaus schwer, aber nicht lebensgefährlich verletzt sei. Seine Bewusstlosigkeit sei eine Folge des Blutverlustes, doch war Schlaf für ihn jetzt ohnehin das Beste, damit sein Körper sich vollkommen auf die Heilung konzentrieren konnte.
Damit gab sich Mariella zunächst zufrieden.
In der Zwischenzeit hatte Moretti Zeugen des Vorfalls befragt, um sich ein Bild über die Geschehnisse machen zu können. Am Ende wusste er, wer der Besucher der Fürstenmutter gewesen war und alles über den kurzen Kampf zwischen Kuja und Lorini auf der Terrasse, doch nichts darüber, was im Inneren des Palastes vorgefallen war.
Anhand der Spuren, die er fand, konnte er den Ablauf der Ereignisse nur vermuten. Offensichtlich hatte Lorini Elena mit einem Stich ins Herz getötet, Kuja musste währenddessen oder kurz danach hinzugekommen sein. Es kam zum Kampf, bei dem der Fürst am Arm und in der rechten Schulter verletzt worden war. Die Blutspritzer überall im Raum belegten das. Trotz seiner Verletzungen konnte Kuja den Attentäter aber dennoch auf der Terrasse, trotz des Verlustes seines eigenen Schwertes, mit seinem Messer stellen und ihm eine tödliche Wunde zufügen.
Den genauen Ablauf kannte jedoch nur der Fürst, also blieb allen nichts Anderes übrig, als darauf zu warten, dass er wiedererwachte.
Am nächsten Morgen war es soweit.
Nachdem Vikario ihn gründlich untersucht hatte und sehr zufrieden mit seinem Zustand war, nahm Kuja erst einmal ein Frühstück zu sich. Dann erschien Mariella und beide verbrachten eine Stunde unter vier Augen.
Erst danach durfte Moretti zu seinem Fürsten und ihn nach den Vorfällen befragen.
Kuja erklärte ihm, dass er von seiner Mutter wusste, dass sein Vater kurz vor seinem Tod einen Besucher gehabt hatte und auch, wer es war. Kuja befahl dem Kommandanten den Bediensteten ausfindig zu machen, der Elena diese Information gegeben hatte.
Kuja erklärte weiter, dass er seiner Mutter ausdrücklich verboten hatte, Lorini allein zu empfangen. Leider hielt sie sich nicht an seine Anweisung und es war dann purer Zufall, dass er dazu gekommen war. Allerdings zu spät, denn Lorini stand bereits mit gezückter Waffe vor ihr und noch bevor Kuja eingreifen konnte, tötete er seine Mutter vor seinen Augen. Im anschließenden Kampf wurde Kuja dann zunächst zu sehr von Schmerz, Trauer und Wut geleitet, was dazu führte, dass er einem eigentlich bezwingbaren Gegner die Chance gab, ihn zweimal zu verletzten, bevor Kuja ihn auf der Terrasse letztlich doch noch überwältigen konnte. Dass er Lorini dabei eine tödliche Stichwunde zugefügt hatte, machte ihn sichtlich zornig, war es so doch unmöglich, ihn dieser Tat und auch dem Mord an seinem Vater - an dem Kuja nun keine Zweifel mehr hegte - zu überführen und schließlich dafür zur Rechenschaft zu ziehen.
Moretti hörte den Ausführungen des Fürsten aufmerksam zu und war nicht überrascht, dass sich diese in vielen Teilen mit seinen eigenen Nachforschungen deckten.
Bevor er seinen Herrn wieder alleinließ, um den Bediensteten zu finden, der Lorini mit dem Mord an Fürst Marco in Verbindung bringen konnte, fragte er ihn noch nach Djurko.
"Ich war bei ihm!" bestätigte Kuja mit säuerlicher Miene. "Aber er hatte noch kein Resultat vorzuweisen. Er wollte lediglich noch mehr Blut von mir!"
Moretti nickte. "Ich verstehe!"
"Ich werde jetzt sicher ein paar Tage außer Gefecht sein!" meinte der Fürst. "Bitte kümmere dich um ihn und behalte ihn im Auge. Wenn er nicht erfolgreich ist, bis ich wieder auf den Beinen bin, bringst du ihn zurück nach Tapa-Duma!"
Morettis Suche führte sehr schnell zu einem Ergebnis.
Die Person, die bestätigen konnte, dass Fürst Marco kurz vor seinem Tod Besuch von Lorini hatte, war Kito, der ehemalige Kommandant seiner Leibwache.
Für den schon älteren Soldaten war, wie für Marco auch, der Tag der Krönung von Fürst Kuja, der letzte Arbeitstag gewesen. Hiernach sollte er seinen Posten räumen und einem jüngeren Kommandanten Platz machen, der fortan den ehemaligen Herrscher beschützen würde.
Anfangs war Kito verbittert darüber gewesen, doch am Abend der Krönung verspürte er den großen Wunsch, sich bei seinem Herrn für die Gnade, ihm all die Jahre dienen zu dürfen, zu bedanken. Also folgte er Marco in den Palast, doch dann sah er ihn mit Lorini in einem der Besprechungszimmer verschwinden und so gab er sein Vorhaben auf.
Wieder zurück auf der Feier wurde er sehr melancholisch und beschloss, sich hemmungslos zu besaufen. Als er am späten Abend des nächsten Tages erwachte, erfuhr er vom Tod des ehemaligen Fürsten. Da jeder von Herzinfarkt sprach und er keinen Grund hatte, Lorini zu irgendetwas zu verdächtigen, sah er zunächst keine Zusammenhänge.
Erst als Elena zu ihm kam und ihm erklärte, dass sie Zweifel daran hatte, dass ihr Mann eines natürlichen Todes gestorben war, sei er hellhörig geworden und erzählte ihr von Lorinis Besuch. Daraufhin bat sie ihn, den ehemaligen Kommandanten der Stadtwache ausfindig zu machen und ihn in den Palast zu beordern, was Kito auch getan hatte. Das Gespräch zwischen ihr und Lorini sollte dann aber unter vier Augen stattfinden.
Hätte er gewusst, dass Lorini kein Freund, sondern ein Feind von Kujas Eltern war, hätte er ihn niemals in die Nähe der beiden gelassen.
Moretti nickte, bedankte sich bei Kito und sprach ihn von allen Schuldgefühlen frei.
Als nächstes machte er sich auf den Weg zu der alten Mühle, in der sie Djurko und sein Labor untergebracht hatten. Er hatte ein Packpferd bei sich, um dem Sträfling Nahrung und frische Kleidung zu bringen.
Doch schon lange, bevor er das dichte Waldstück durchquert und das Ufer des Zujimi erreicht hatte, wurde er misstrauisch. Kurz nachdem die beiden Pferde unruhig wurden, konnte er den immer intensiveren Brandgeruch auch wahrnehmen.
Wenig später stand er vor der bis auf die Grundmauern abgebrannten Mühle.
Moretti stieg vom Pferd und ging durch die Asche. Sie war bereits erkaltet, sodass klar war, dass der Brand schon länger erloschen sein musste. Gemäß der Tatsache, dass der Fürst vor rund achtundvierzig Stunden hier gewesen war, musste das Feuer irgendwann an diesem Tage ausgebrochen sein.
Moretti suchte in der Asche nach Djurkos Überresten, doch fand er stattdessen seine aufgesprengte Fußfessel. Damit war ihm klar, dass er es hier mit Brandstiftung zu tun hatte und der Sträfling am Ende doch nur einen Weg zur Flucht gesucht hatte.
Das erste, was er tat, als er wieder in Alimante war, war also, einen Boten nach Tapa-Duma zu senden, damit von dort ein Suchtrupp entsandt wurde, um Djurko erneut hinter Schloss und Riegel bzw. jetzt auf das Schafott zu bringen.
Erst danach ging er zu seinem Fürsten und erzählte ihm davon, wobei er überrascht war, wie gut er diese Nachricht letztlich verkraftete.
Elenas Beisetzung war einen Tag später.
Obwohl Vikario es nicht gern sah, war ihm klar, dass er Kujas Wunsch, dabei sein zu wollen, nicht widersprechen konnte.
Mariella wich während der Zeremonie nicht von seiner Seite. Während Kuja erneut dankbar war, eine solch wundervolle Frau neben sich zu wissen, bewunderte Mariella ihn für seine Stärke, auch nach zwei solch harten Verlusten so kurz hintereinander nicht die Fassung zu verlieren.
Wie sollte sie auch nur erahnen, dass hier der Mörder seiner Eltern Krokodilstränen vergoss?
Kuja wiederum weinte in diesem Augenblick nur zu einem sehr geringen Teil um den Verlust seiner Mutter, vielmehr weinte er um sich selbst.
Die letzten, beiden Tage, speziell die Nächte allein und ohne Mariella, waren unglaublich hart für ihn gewesen. An Schlaf war nicht zu denken, viel zu intensiv und wuchtig donnerten seine Gedanken durch seinen Kopf.
Und immer und immer wieder blieb nur diese eine grauenvolle Erkenntnis: Er war nicht mehr Herr der Lage, nicht mehr Herr seiner selbst!
Diese fremde Macht, die er seit jener Nacht in der Höhle in sich spürte, nahm immer mehr Besitz von ihm, ließ ihn Dinge tun, die so unsagbar grauenhaft waren, dass er sich vor sich selbst fürchtete, wenn er daran dachte. Er war ein Mörder, mehrfach und gnadenlos. Lorini, Djurko, seine beiden besten Freunde, seine Eltern! Ein wahrhaftiges Monster in Menschengestalt für das nur noch der Tod stehen durfte.
Ja, dessen war sich Kuja mehr als bewusst. Er hatte sich und das Monster in seinem Inneren nicht mehr im Griff und die einzige Chance, diesen Wahnsinn noch zu beenden, war sein Tod.
Anfangs brachte ihn diese Erkenntnis nahe an den Rand des Wahnsinns, denn ihm wurde klar, was das bedeutete: Er würde Mariella niemals wiedersehen, sich niemals mehr mit ihr vereinen, niemals mit ihr zusammen alt werden. Und er würde sein Kind niemals sehen, es niemals in den Arm halten können, es niemals aufwachsen sehen. All diese Gedanken jagten ihm schier unerträgliche Schmerzen durch sein Herz wie glühende Nadeln.
Doch egal wie intensiv er auch darüber nachdachte und dabei jede nur erdenkliche Alternative in Betracht zog, er kam immer wieder nur zu diesem einen Schluss: Er musste sterben!
Die Vergangenheit hatte klar gezeigt, dass er die Krankheit nicht kontrollieren konnte. Er konnte sie aber auch nicht töten oder aus seinem Körper herausbekommen. Doch leben mit ihr konnte er schon gar nicht, denn eines war ihm nur zu klar: Wenn er es nicht ändern würde, würde er weiter morden und eines Tages würden auch Mariella oder gar sein Kind unter den Opfern sein. Nur zu genau konnte er sich noch an den Vorfall vor ein paar Nächten erinnern, als er seiner schwangeren Frau beinahe ein Messer in den Bauch gerammt hätte. Und diese Vorstellung ließ ihn erzittern, erbrechen und hemmungslos weinen und erfüllte ihn mit einer solch unglaublichen Verzweiflung, dass er hätte schreien können.
Nein, all das durfte er niemals zulassen. Um das zu verhindern, war sein eigener Tod doch nur ein geringer Preis.
Mit dieser bitteren Erkenntnis endete seine erste Nacht allein.
Gestern Nacht schien seine Verzweiflung dann bereits erneut Besitz von ihm ergreifen zu wollen, als er sich bewusstwurde, dass er der Herrscher dieses Landes war. Schon früh auf diese Aufgabe vorbereitet, hatte er niemals Angst vor dieser Verantwortung gehabt, sich intensiv darauf eingestellt und sich am Ende sogar darauf gefreut, sie von seinem Vater übernehmen zu dürfen. Dabei war er sich stets immer im Klaren darüber gewesen, dass diese Aufgabe, wie in einer Ehe auch, gute und schlechte Zeiten beinhaltete. Und als Fürst warf er stets auch immer sein eigenes Leben in die Waagschale.
Die Vorstellung, es nunmehr zu verlieren, schmerzte ihn dabei überraschenderweise weitaus weniger, als die Tatsache, Mariella und sein Kind auf immer zu verlieren.
Und es gab auch noch anderes zu bedenken:
Zum einen durfte niemand wissen, dass und wie krank er gewesen war, schon gar nicht aber, was er Schreckliches getan hatte, damit seine Familie ihren Herrschaftsanspruch behalten konnte. Nach seinem Tod würde Mariella das Land als Fürstin führen und nach ihr sein Kind, das er niemals sehen würde. Sein Tod würde das Unrecht beenden und dafür Sorge tragen, dass seine Familie dennoch die Herrschaft über dieses Land behielt.
Zum anderen musste mit seinem Tod nicht nur die Bestie in seinem Inneren sterben, er musste ebenfalls dafür sorgen, dass dieses Monster niemals wieder in die Lage versetzt wurde, sich eines anderen Menschen zu bemächtigen. Dafür war es notwendig, sicherzustellen, dass niemals je wieder jemand einen Fuß in diese Höhle setzen konnte.
Und um das zu erreichen, hatte Kuja Moretti schon vor Tagen einen Zettel mit einem Namen gegeben.
Als die Trauerfeier schließlich beendet war, zog der Fürst seinen Kommandanten zu sich. "Hast du ihn ausfindig machen können?" fragte er.
Moretti war nur für einen kurzen Moment irritiert, dann wusste er, wovon sein Herr redete. "Ja!" Er nickte. "Hab ich!"
"Gut!" Kujas Blick wurde hart. "Dann bereite ein Treffen mit ihm vor!"