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a) Lebensmittelstrafrecht als Blankettstrafrecht

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Im Strafrecht wird zwischen echten Blankettgesetzen, bei denen die Ausfüllung einem anderen Normgeber überlassen wird, und unechten Blankettgesetzen, die auf Vorschriften desselben Normgebers verweisen, differenziert.[84] Soweit also in den §§ 58 ff. LFGB auf Verbote des LFGB verwiesen wird, handelt es sich um unechte, bei Bezugnahmen auf Rechtsverordnungen oder unmittelbar geltende Rechtsakte des Europarechts um echte Blankettvorschriften.[85]

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Die unechten Blankettvorschriften sind grundsätzlich verfassungsrechtlich unbedenklich, weil sie auf formelle Gesetze verweisen und sich der abstrakte Pflichtenverstoß sowie das geschützte Interesse aus diesem Gesetz ergeben, sofern sich der konkrete Pflichtenumfang zumindest durch Auslegung ermitteln lässt.[86] Das Hineinlesen der Bezugsnorm in den Straftatbestand stellt eine Norminterpretation dar, so dass sich dabei ergebende Unsicherheiten insbesondere bei Irrtümern zu berücksichtigen sind.[87] Ferner ist die sich ergebende Gesamtstrafvorschrift an Art. 103 Abs. 2 GG zu messen.[88]

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Soweit die Strafvorschriften der §§ 58 und 59 LFGB als echte Blanketttatbestände auf nationale Rechtsverordnungen verweisen, ist deren Zulässigkeit durch Art. 103 Abs. 2 und Art. 80 GG begrenzt.[89] Zwar können nach dem materiellen Gesetzesbegriff auch Rechtsverordnungen Gesetze im Sinne des Gesetzlichkeitsprinzips sein.[90] Dies ließe es zu, dass der Gesetzgeber dem Verordnungsgeber aufgibt, die strafbare Verhaltensweise zu umschreiben, so dass der Gesetzgeber allein den durch die Strafvorschrift geschützten Wert bestimmen muss. Einem solchen Verständnis des strafrechtlichen Gesetzesvorbehalts steht jedoch entgegen, dass der demokratisch legitimierte Gesetzgeber verpflichtet ist, eine Grundentscheidung über die Strafvorschrift zu treffen, und dem Verordnungsgeber lediglich die Spezifizierung des Sanktionstatbestandes überlassen darf.[91] Daher bedarf es nicht nur der Bestimmung des geschützten Werts (i.S. e. Rechtsguts oder Interesses), sondern auch der Festlegung der strafbaren Verhaltensweisen durch ein förmliches Gesetz, um dem Gesetzlichkeitsprinzip Rechnung zu tragen und nicht die objektiv-individuelle Vorhersehbarkeit der Strafbarkeit für den Bürger zur bloßen Fiktion werden zu lassen.[92] Eine Strafvorschrift, die dem Verordnungsgeber die Umschreibung der strafbaren Handlung gänzlich überlässt, ist verfassungswidrig.[93]

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Nach h.M.[94] sind Verweisungen auf unmittelbar geltende europäische Rechtsakte i.S.v. Art. 288 Abs. 2 AEUV[95] – auch dynamische Verweisungen (Rn. 48) auf die jeweils geltende Fassung[96] – zulässig, soweit durch die gesetzgeberische Grundentscheidung der Rahmen der Strafbarkeit bestimmt ist und nur dessen Ausfüllung dem Unionsrecht überlassen wird.[97] Solche Verweisungen sind insofern wie innerdeutsche Verweisungen zu behandeln.[98] Grundsätzlich sind auch statistische Verweisungen auf Richtlinien des Gemeinschaftsrechts möglich.[99]

Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Maßstäbe, an denen die Bezugsnorm gemessen werden muss, ist zu differenzieren:

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Eine Verknüpfung der tatbestandsmäßigen Handlung mit der in Bezug genommenen EU/EG-Verordnung lässt einen unions-/gemeinschaftsrechtsakzessorischen Tatbestand entstehen, der den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügen muss, so dass die Verweisung nur für den jeweils in Bezug genommenen Rechtsakt, nicht aber für nachfolgende Rechtsakte gilt, selbst wenn diese inhaltlich identisch sind.[100] Mit dem Bestimmtheitsgrundsatz und dem Demokratieprinzip ist es ferner nicht vereinbar, Änderungen im Gemeinschafts- oder Unionsrecht durch nationale Ermächtigungsklauseln an den Verordnungsgeber aufzufangen, die zur Vermeidung von leer laufenden Strafvorschriften deklaratorische Anpassungen von Gesetzen an das Europarecht im Wege der Rechtsverordnung ermöglichen, wie dies in § 58 Abs. 3 LFGB geschehen ist.[101] Verweist das nationale Strafrecht unmittelbar auf eine Vorschrift einer EU-Verordnung, so ist insofern aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts der Bestimmtheitsgrundsatz des Unionsrechts[102] (Art. 49 Abs. 1 S. 2 Grundrechtecharta der Europäischen Union [GR-Charta]) zu beachten, dessen Auslegung dem EuGH und grundsätzlich nicht dem BVerfG zukommt.[103]

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