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d) Pflichtverletzung gegenüber dem Unternehmen

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Zentrales Unrechtselement eines abstrakten Gefährdungsdelikts, wie es § 299 StGB in seinen sämtlichen Tatvarianten darstellt, ist das vom Gesetzgeber als strafwürdig und strafbedürftig eingestufte Tatverhalten. In der Pflichtwidrigkeitsvariante gem. Abs. 1 Nr. 2 liegt es in einer Pflichtverletzung gegenüber dem Unternehmen. Gesetz geworden ist damit eine Formulierung, die mit diesem sprachlich überaus weit ausgreifenden Tatbestandskern schon in einem ersten (diesbezüglich identischen) Gesetzesentwurf in der 16. Legislaturperiode[451] Gegenstand heftiger Kritik war.[452] Nach Gesetzeswortlaut („verletze“) und Tatbestandsstruktur muss die Pflicht nicht tatsächlich verletzt worden sein;[453] es reicht aus, wenn der Verstoß nur in Aussicht gestellt wird.[454] Einschlägig sind an Angestellte und Beauftragte adressierte und gegenüber dem Geschäftsherrn zu erfüllende unternehmensinterne Pflichten, denen im Verhältnis zum Prinzipal nicht notwendig drittschützender Charakter zukommen muss.[455] Sie können sich laut Gesetzesbegründung insbesondere aus Gesetz oder Vertrag ergeben,[456] nach vielfach vertretener Ansicht aber auch aus Einzelweisungen[457] (deren Zulässigkeit aus dem Direktionsrecht des Arbeitgebers folgt).[458] Strafrechtlich von Bedeutung sind die Pflichten aber erst dann, wenn sie einen Bezug zum Austausch von Waren oder Dienstleistungen aufweisen. Damit sollen nach dem historischen Willen des Gesetzgebers „rein innerbetriebliche Störungen“ aus dem Tatbestand ausgeklammert werden.[459] Dieser ersichtlich auf Sabotageakte gegen Produktionsmittel zielende Tatbestandsausschluss[460] wird im Ergebnis aber dann zweifelhaft, wenn die Auswirkungen des Verhaltens die innerbetriebliche Sphäre verlassen. Zu denken ist hier etwa (nach einem Beispiel von Wolf) an den von einem Konkurrenten geschmierten Catering-Mitarbeiter, der bei wichtigen Kunden vorsätzlich das Essen ungenießbar macht und so bei seinem Arbeitgeber für einen lange andauernden hohen Reputationsschaden sorgt.[461] Rogall fragt hier zu Recht, warum Sabotagehandlungen dieser oder ähnlicher Art, die bei bestehendem Wettbewerb als unlautere Bevorzugung von Konkurrenten i.S.v. § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB gewertet werden können, nicht außerhalb von Wettbewerbslagen wenigstens als Pflichtverletzung gem. § 299 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 StGB gelten sollen.[462]

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Der Zweck der Implementierung der Pflichtwidrigkeitsvarianten besteht darin, den bis zur Gesetzesänderung 2015 auf die Kriminalisierung von Bevorzugungen im Wettbewerb beschränkten § 299 StGB zu erweitern, indem jetzt auch Pflichtverletzungen außerhalb von Wettbewerbslagen erfasst werden.[463] Der ergänzende Schutz ist gerichtet auf das Interesse des Geschäftsherrn an der „loyalen und unbeeinflussten Erfüllung der Pflichten durch seine Angestellten und Beauftragten im Bereich des Austausches von Waren oder Dienstleistungen“.[464] Auf diesem Weg wollte der Gesetzgeber das deutsche Recht an völker- und unionsrechtliche Rechtsakte anpassen.[465] Die Crux dieser Tatbestandsvariante liegt in ihrer Weite und Unbestimmtheit, die ihr schon in früheren (nahezu textgleichen) Entwürfen massive rechtsdogmatische und -politische Kritik eingebracht hat. Daran hat sich nach Einführung der Geschäftsherrenvarianten 2015, deren Wortlaut nach Intervention des Rechtsausschusses nur geringfügig geändert wurde, bis heute nur wenig geändert. Denn die in der Endphase der Gesetzgebung hinzugefügten zwei Tatbestandspassagen: „Handlung oder Unterlassung“ beim Bezug von Waren oder Dienstleistungen sowie „ohne Einwilligung des Unternehmens“ enthalten – wie bereits ausgeführt (Rn. 79) oder noch darzustellen (Rn. 86) – kaum Restriktionspotenzial.[466]

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Es verwundert daher nicht, dass zur Eindämmung ausufernder Strafbarkeit schon eine Reihe von Korrekturvorschlägen unterbreitet wurden.[467] Vereinzelt geblieben sind hier zunächst Lösungsoptionen, die beim Kreis möglicher Vorteilsempfänger ansetzen und nur Angestellte oder Beauftrage mit eigenem Verantwortungsbereich und Entscheidungsspielraum als taugliche Täter akzeptieren,[468] das Merkmal des „Bezugs“ i.S. einer einseitigen Lieferrichtung restriktiv auslegen wollen[469] oder allein Verhaltensweisen für tatbestandsmäßig erklären, die eine rechtserhebliche Entscheidung vorbereiten, treffen oder als klare und evidente Pflichtverletzung (vergleichbar den Einschränkungsbemühungen bei der Untreue) zu identifizieren sind.[470] Diese Vorschläge haben sämtlichst schlechte Aussichten, sich in der Gerichtspraxis durchzusetzen, da sie in dem EU-Rahmenbeschluss 2003/568/JI, den der Gesetzgeber umsetzen wollte (und nach seiner Ansicht auch umsetzen musste), keine Stütze finden. Zahlreiche Anhänger hat dagegen eine „wettbewerbsorientierte“ Deutung des Geschäftsherrenmodells. Danach ist das unscharfe Merkmal der Pflichtverletzung eingrenzend wettbewerbsbezogen so auszulegen, dass die Handlung zumindest die Eignung aufweisen muss, den Wettbewerb zu beeinträchtigen. Abhilfe schaffen soll hier also eine restriktive Auslegung (bzw. teleologische Reduktion) dergestalt, dass nicht jede beliebige Pflichtverletzung des Agenten beim Bezug von Waren oder Dienstleistungen den Tatbestand erfüllt, sondern nur die Verletzung von (Compliance-)Pflichten, „die ausschließlich oder jedenfalls primär dem Ziel dienen, den Leistungswettbewerb zu schützen“. § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB stellt nach dieser Lesart gegenüber der Wettbewerbsvariante einen „Auffangtatbestand“ dar. Inhaltlich nahestehend ist der Lösungsvorschlag von Gaede, der unter Berücksichtigung eines – (vermeintlich) vom EU-Rahmenbeschluss vorgegebenen und vom nationalen Gesetzgeber umzusetzenden – überindividuellen Ansatzes in den Tatbestand nur Pflichten einbezieht, die dem Agenten bei der Wahrnehmung des geschäftlichen Verkehrs des Unternehmens obliegen und der wirtschaftlichen Existenz des Unternehmens dienen (also wirtschaftlich bedeutsam sind).[471] Argumentativ stützen sich diese Einschränkungsbemühungen vor allem auf drei Aspekte:[472] Erstens sei die Pflichtwidrigkeitsvariante bei wortlautgetreuem Verständnis ausufernd weit geraten und systematisch nicht stimmig. Darüber hinaus lasse sich – zweitens – der Gesetzesbegründung nicht sicher entnehmen, was der Gesetzgeber eigentlich schützen wollte (Auslegungs-„Patt“).[473] Drittens gebieten nach Ansicht der Kritiker unionsrechtliche Vorgaben eine wettbewerbsorientierte Auslegung.

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Obgleich in diesen Monita zu Recht viel tatsächlich Kritikwürdiges angesprochen wird, können das von den Diskutanten erzielte Ergebnis und die daraus gezogenen Folgerungen letztlich nicht überzeugen. Ohne Zweifel hat der Gesetzgeber mit den Geschäftsherrenvarianten gem. § 299 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 StGB Tatbestände geschaffen, die bei wortlautgetreuer Auslegung auch in der nachgebesserten Version immer noch Konstellationen erfassen, die – wie der von uns gebildete Fall des Kleiderordnungsverstoßes anlässlich eines Caterings[474] – eher arbeits- als strafrechtliche Sanktionen nach sich ziehen sollten, in der Sache also viel zu weit ausgefallen sind. Schon dem zweiten Kritikpunkt – fehlendes orientierungsstiftendes Schutzinteresse – ist aber entgegenzutreten. In der (finalen) Gesetzesbegründung gibt es zum Rechtsgut der neuen Tatvarianten zunächst eine einigermaßen klare Positionierung: Geschützt werden sollen die „Interessen des Geschäftsherrn an der loyalen und unbeeinflussten Erfüllung der Pflichten“ durch seine Agenten.[475] Diese Aussage wird auch nicht dadurch wieder aufgelöst, dass in der Gesetzesbegründung wenig später (tatsächlich widersprüchlich!) formuliert wird, die Untreue und die Bestechlichkeit/Bestechung im geschäftlichen Verkehr i.S.v. § 299 StGB n.F. hätten eine „unterschiedliche Schutzrichtung“.[476] Denn der gesetzgeberische Wille hat sich noch an anderen Stellen manifestiert, die deutlich für einen im Kern allein die Interessen des Prinzipals schützenden Tatbestand sprechen. Hingewiesen sei hier nur auf die Passage zur Strafantragsberechtigung des Mitbewerbers beim Eingreifen der Geschäftsherrenvariante (in § 301 Abs. 2 StGB), die fehlen soll, wenn „ausschließlich Belange des Unternehmens verletzt“ sind,[477] und die Angabe in der Begründung, wonach „die in dem Rahmenbeschluss vorgesehene befristete Möglichkeit, die Strafbarkeit auf Fälle mit Wettbewerbsbezug zu beschränken, mittlerweile nicht mehr besteht“.[478] Dass ein untreueähnlich ausgestalteter Straftatbestand[479] systematisch besser nicht im 26. Abschnitt des StGB („Straftaten gegen den Wettbewerb“), sondern im Regelungskontext der Vermögensdelikte loziert worden wäre, sei zugestanden; zu beanstandende (Fehl-)Platzierungen dieser Art finden sich aber bei Hybridtatbeständen auch sonst im StGB.[480] Schließlich lässt sich die These nicht bestätigen, dass wegen unionsrechtlicher Vorgaben allein eine wettbewerbsbezogene Auslegung richtig sei, die zu einer Korrektur des gesetzgeberischen Willens zwinge. Der hier geläufige Verweis auf notwendig zu berücksichtigende überindividuelle Schutzaspekte, die der Erwägungsgrund Nr. 9 des EU-Rb 2003/568/JI damit beschreibt und begründet, dass die Korruption die „Rechtstreue der Gesellschaft gefährdet, den Wettbewerb im Zusammenhang mit der Beschaffung von Waren oder gewerblichen Leistungen verzerrt und eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung hemmt“,[481] kann das gewünschte Auslegungsergebnis nicht tragen. Denn er gibt anderen aussagekräftigeren unionsrechtlichen Interpretationsanknüpfungspunkten nicht das ihnen gebührende Gewicht – wenn sie denn überhaupt in die Betrachtung einbezogen werden.[482] So definiert Art. 1 des EU-Rahmenbeschluss die Pflichtverletzung (in Form einer Minimalbedingung) allein unter Rückgriff auf ein treuwidriges Verhalten gegenüber dem Prinzipal, ohne ein (zusätzliches) Wettbewerbsverzerrungserfordernis zu erwähnen. Dass der Rahmenbeschluss den „Normalfall“ gerade in einer Pflichtwidrigkeit des Agenten ohne das Potenzial einer Wettbewerbsverzerrung sieht, ergibt sich aus Art. 3 Abs. 3 EU-Rahmenbeschluss[483]. Nach alledem spricht viel dafür, als Rechtsgut der Geschäftsherrenvarianten im Ausgangspunkt allein den Schutz des Unternehmensführers vor der Illoyalität seiner Agenten zu definieren mit der Konsequenz, dass auch die Verletzung nicht-wettbewerbsbezogener Pflichten dem Tatbestand unterfallen können.[484]

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Es bleibt das Bedürfnis und die Notwendigkeit, den Tatbestand ganz im Fahrwasser einer mittleren Linie zwischen einem untreuespezifischen und einem wettbewerbsspezifischen Geschäftsherrenmodell (dazu Rn. 16) verfassungskonform restriktiv auszulegen, um dem Grundsatz verhältnismäßigen Strafens Genüge zu tun. Hier sind unionsrechtlich angelegte und alle in § 299 StGB verankerten Restriktionskriterien fruchtbar zu machen. Eine besondere Rolle kommt dabei dem Merkmal „im Rahmen von Geschäftsvorgängen“ (s. Art. 2 Abs. 1 EU-Rb) bzw. „im geschäftlichen Verkehr“ (s. § 299 Abs. 1 Nr. 2 StGB) sowie dem erforderlichen Handeln beim „Bezug von Waren oder Dienstleistungen“ zu, die bereits einen gewissen Wettbewerbsbezug aufweisen. Zusätzlich muss es – wie oben herausgearbeitet (Rn. 16) – um den Schutz der wirtschaftlichen Interessen des Geschäftsherrn gehen. Schließlich sollten aus Gründen der notwendigen Konturierung die Anforderungen an die Pflichtwidrigkeitsvarianten dergestalt verschärft werden, dass der Angestellte oder Beauftragte auf das zu tätigende Geschäft maßgeblichen Einfluss hat und die Pflicht selbst geschäftlichen Bezug aufweist (mit dem Effekt der Ausklammerung bloß ideeller, sozialer oder kultureller Zwecke außerhalb des Unternehmenszwecks). [485] In der Gesamtschau müssten diese Kriterien jedenfalls im von uns gebildeten Catering-Fall in aller Regel den Tatbestandsausstieg ermöglichen. Es bleiben grundsätzlich strafbar aber Fälle wie die Kreditgewährung ohne Bonitätsprüfung außerhalb von Wettbewerbslagen oder auch die Bestechung in Präqualifikationsverfahren.[486] Das Grundübel des neuen Tatbestandes lässt sich natürlich mit dieser tastenden Suche nach Einschränkungskriterien nicht überwinden.

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