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7. Sonderproblem: „Entschleierte Schmiergelder“

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Eine verbreitete Form der Verkaufsförderung besteht darin, dass Hersteller von Waren oder Anbieter von Dienstleistungen im Rahmen sog. „Incentive-Programme“ den Angestellten von unabhängigen[521] Händlern oder Vermittlern Prämien in Aussicht stellen, damit diese möglichst viele Produkte der Herstellers verkaufen bzw. Dienste des Dienstleisters vermitteln.[522] Im Regelfall findet die Vorteilszuwendung an die Angestellten mit Wissen und Billigung des Geschäftsinhabers statt,[523] weshalb man auch von „entschleierten“ Schmiergeldern spricht[524] (s. schon Rn. 51). Dazu ein berühmtes Beispiel:

Beispiel (nach RGSt 48, 291 ff. – „Korkengeldfall“)[525]

Ein Sekthersteller verspricht Kellnern eines Restaurants mit Billigung des Inhabers für jede an einen Gast verkaufte Flasche eines Sektes aus eigener Produktion ein „Korkengeld“ von 0,50 €.

Das Reichsgericht hat den Sekthersteller[526] in seinem „Korkengeld“-Urteil von 1914 nach § 12 Abs. 1 UWG a.F. verurteilt, der dem heutigen § 299 Abs. 2 Nr. 1 StGB bis auf hier nicht relevante Änderungen entspricht.[527] Dass der Restaurantinhaber dem Prämienprogramm zugestimmt hatte, hielt der Senat dabei für strafrechtlich irrelevant.[528]

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Angesichts der weiten Verbreitung von „Incentive-Programmen“, deren Ausgestaltung der „Korkengeld“-Konstellation ähnelt, ist es bemerkenswert, dass die strafbarkeitsbejahende Entscheidung des Reichsgerichts in der Literatur lange Zeit kaum angegriffen wurde.[529] In den letzten Jahren hat insofern allerdings ein Umdenken eingesetzt; die Akzeptanz des „Korkengeld“-Urteils schwindet – auch und gerade bei – sich vertiefender mit § 299 StGB auseinandersetzenden Autoren[530] – merklich.[531] Die nunmehr überwiegende Auffassung hält „entschleierte Schmiergelder“ jedenfalls im Bereich von Standardprodukten und -dienstleistungen[532] zu Recht für straflos.[533] Jüngere Entscheidungen der Obergerichte zu dieser Frage existieren – soweit ersichtlich – nicht, sodass es heute überaus fraglich ist, ob diese Ansicht des RG auch nach den zwischenzeitlich erfolgten wirtschaftlichen und insbesondere wirtschaftsrechtlichen Veränderungen (durch die UWG-Reform) noch Geltung beanspruchen kann.[534] Es bleibt aber eine erhebliche Rechtsunsicherheit nicht nur im Umgang mit „Verkäufer-Incentive-Programmen“ bestehen.[535]

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Gegen die „Korkengeld“-Entscheidung lässt sich Verschiedenes anführen. Systematisch ist zunächst zu monieren, dass die Bestrafung der beteiligten Vorteilsempfänger in Fällen dieser Struktur zu einem Wertungswiderspruch führt. Denn der Geschäftsherr darf – insoweit unbestritten – selbst Vorteile sowohl von Dritten annehmen („straflose Geschäftsherrenbestechung“[536]) als auch seinen eigenen Mitarbeitern gewähren („straflose Innenbestechung“[537]). Eine nur unwesentlich abweichende Gestaltung des Geschehens etwa dergestalt, dass sich der Geschäftsherr den Vorteil selbst geben lässt, um ihn dann (zumindest teilweise) an seine Angestellten (z.B. als Verkaufsprämie) weiterzuleiten, müsste demnach zur Straflosigkeit führen (der Ansatz des Reichsgerichts „privilegiert also Komödien“).[538] „Konstruktiv“ lässt sich dieses Ergebnis durch die Annahme vermeiden, der Geschäftsinhaber mache sich durch die (ausdrückliche oder konkludente) Billigung das Verhalten seines (zumeist weisungsgebundenen) Angestellten zu eigen und „verdränge“ dadurch dessen Handlung, so dass im Ergebnis von einer tatbestandslosen Geschäftsinhaberbestechung auszugehen ist.[539] Für eine solche teleologische Reduktion des Normanwendungsbereichs spricht auch, dass der Grund für die Straflosigkeit des Geschäftsinhabers in der besonderen Achtung des Gesetzgebers vor dessen Vertragsfreiheit liegt.[540] In einer arbeitsteiligen Wirtschaft wird sich der Geschäftsinhaber aber in vielen Fällen seiner Angestellten bedienen, um Verträge einzugehen, im Extremfall durch die bloße „Billigung“ des Vertragsschlusses,[541] so dass letztlich auch in der Annahme einer Strafbarkeit des Angestellten in solchen Fällen ein Eingriff in die Vertragsfreiheit des Geschäftsinhabers liegen kann. Dieses Ergebnis lässt sich weiter mit einer rechtsgutsbezogenen Argumentation untermauern.[542] Wenn die Gegenmeinung für ihre These (im Kern) anführt, der lautere Wettbewerb sei für den Geschäftsinhaber nicht disponibel, ist das bei vordergründiger Betrachtung zwar richtig. Sie übersieht aber in eklatanter Weise die vorstehend skizzierten Auswirkungen der Geschäftsinhaberzustimmung auf ein konsistentes Norm- und Rechtsgutsverständnis und kann so nicht aufrechterhalten werden.[543]

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Darüber hinaus gewinnt in der Literatur zunehmend die These an Boden, die das Tatbestandsmerkmal „in unlauterer Weise“ wettbewerbsakzessorisch auslegt. Demnach soll eine Strafbarkeit gem. § 299 StGB nur in Betracht kommen, wenn als Mindestvoraussetzung ein Verstoß gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften – insb. die des UWG[544] – vorliegt.[545] Im Hintergrund steht dabei die zutreffende Überlegung, dass ein Vorgang nicht nach § 299 StGB strafbar sein darf, wenn er wettbewerbsrechtlich erlaubt ist – das erfordert angesichts der gleichen Schutzrichtung von UWG und § 299 StGB[546] schon die Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung.[547]

Zu beachten ist allerdings, dass die zivilrechtliche Rechtsprechung trotz einer erheblichen Liberalisierung des Lauterkeitsrechts[548] immer noch einen vergleichsweise strengen Maßstab bei der Bewertung von Verkäufer-„Incentive-Programmen“ anlegt, die sich im Bereich der Standardprodukte und -dienstleistungen vor allem an § 4a Abs. 1 S. 2 Nr. 3 UWG (Vorläufer bis 2015: § 4 Nr. 1 Var. 3 UWG a.F.) messen lassen müssen. Nach dem Wortlaut dieser Norm wäre ein „Incentive-Programm“ unter anderem dann als unlauter (da aggressive geschäftliche Handlung) zu qualifizieren, wenn es unter Berücksichtigung aller Umstände geeignet ist, die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher durch unzulässige Beeinflussung erheblich zu beeinträchtigen.

Werden Incentives direkt an den Geschäftsinhaber gewährt, soll eine Unlauterkeit vor diesem Hintergrund grundsätzlich ausscheiden, weil der verständige Verbraucher als Kunde des Geschäftsinhabers damit rechnen müsse, dass ein Unternehmer eigene wirtschaftliche Interessen verfolgt und bestimmte Produkte möglicherweise insb. deshalb mit Nachdruck vertreibt, weil er dafür besondere Vorteile (etwa Rabatte) vom Hersteller erhält.[549] Liegt jedoch ein besonderes Vertrauensverhältnisses zwischen Incentive-Nehmer und Kunden vor, wird vor allem unter dem Schlagwort der „Dritt- bzw. Fremdverantwortlichkeit“ des Incentive-Nehmers die Annahme von Unlauterkeit diskutiert.[550] Die Incentive-Gewährung an drittverantwortliche Geschäftsinhaber wird tendenziell als unlauter bewertet.[551] Als Quelle von Drittverantwortlichkeit werden insofern nicht nur gesetzliche Vorschriften (etwa aus dem Berufsrecht)[552] oder besondere vertragliche Pflichten, sondern auch das bloß faktische Vertrauen der Verbraucher in bestimmte Berufsgruppen herangezogen.[553] „Incentive-Programme“, die sich an die Angestellten eines geschäftlichen Betriebes (heute: „Unternehmen“) richten, werden von der Rechtsprechung noch strenger behandelt – auch wenn der Geschäftsherr die Zahlungen billigt.[554]

Damit lässt sich im Ergebnis festhalten: In einer Position der Verteidigung gegenüber einem Vorwurf gem. § 299 StGB sollte der Hinweis auf ein wettbewerbsrechtsakzessorisches Verständnis des Tatbestandsmerkmals „in unlauterer Weise“ – sei es in positiver oder negativer Lesart – nicht fehlen; ob er Gehör finden wird, ist nicht ausgemacht, weil die zivilrechtliche Rechtsprechung in Bezug auf „Verkäufer-Incentive-Programme“ bis zuletzt hinter den weitreichenden Liberalisierungsforderungen der Literatur zurückgeblieben ist.

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In der jüngeren Diskussion um den „Korkengeld“-Fall wurde auch die Ansicht geäußert, dass sowohl die Position des Reichsgerichts als auch die Lösung der nunmehr überwiegenden Auffassung abzulehnen sei, nach der „entschleierte Schmiergelder“ stets aus dem Tatbestand von § 299 StGB auszunehmen sind. Vorgeschlagen wird stattdessen eine differenzierende Betrachtung, die den wettbewerbsrechtlichen Begriff der „Drittverantwortlichkeit“[555] aufgreift. Demnach soll es bei einer Strafbarkeit von Incentive-Zahlungen an Angestellte bleiben, wenn deren Prinzipal gegenüber seinen eigenen Kunden gesetzlich oder vertraglich vorgegebene Informations-, Beratungs- oder Neutralitätspflichten treffen.[556] Den bereits aufgezeigten Wertungswiderspruch zwischen der Straflosigkeit des Geschäftsinhabers und der Strafbarkeit des Angestellten bei faktisch gleicher Sachverhaltskonstellation[557] vermag diese Ansicht jedoch nicht aufzulösen und ist deshalb jedenfalls de lege lata abzulehnen.[558] Die Friktion lässt sich auch nicht beseitigen, in dem man den Geschäftsherrn wegen Anstiftung oder Beihilfe durch die Billigung der Tat bestraft.[559] Zwar ist der Geschäftsinhaber nicht Träger des von § 299 StGB geschützten Rechtsgutes, so dass mit dem Strafgrund der Teilnahme nicht argumentiert werden kann.[560] Der Gesetzgeber hat sich in § 299 StGB aber klar gegen den Schutz des lauteren Wettbewerbs gegenüber dem Geschäftsinhaber entschieden, und diese Entscheidung muss für eine Teilnahmestrafbarkeit gleichermaßen wie für täterschaftliches Verhalten (auch durch Unterlassen der Verhinderung der Tat des Angestellten) gelten.[561] In vielen Fällen der Drittverantwortlichkeit wird der Geschäftsinhaber aber ohnehin selbst als Beauftragter seiner Kunden anzusehen sein,[562] so dass er sich durch die Teilnahme an „Incentive-Programmen“ nach § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar machen kann. In diesen Fällen ist es nicht wertungswidersprüchlich, die Gewährung von „entschleierten Schmiergeldern“ an seine Mitarbeiter ebenfalls zu bestrafen.

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Sollen den Angestellten eines Händlers oder Vermittlers ohne Wissen des Geschäftsherrn Verkäuferprämien gewährt werden, so ist darin jedenfalls ein Verstoß gegen § 299 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Incentive-Nehmer) bzw. § 299 Abs. 2 Nr. 1 StGB (Incentive-Geber) zu sehen, wenn dem Agenten aus dem Geschäft ein (zumindest mittelbarer) Vorteil erwachsen ist.[563] In der Praxis sind in diesem Zusammenhang vor allem sog. Online-„Incentive-Programme“ betroffen, die sich über Internetportale an Verkäuferpersonal richten und so ausgelegt sind, dass sie auch ohne Wissen des Geschäftsinhabers durchgeführt werden können.[564] Hier dürfte es zur Tatbestandsverwirklichung nach § 299 StGB bereits genügen, wenn der Anbieter solcher Online-„Incentive-Programme“ es billigend in Kauf nimmt, dass eine Genehmigung des Geschäftsinhabers durch die Nutzer nicht eingeholt wird.

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