Читать книгу Strafrecht Besonderer Teil - Bernd Heinrich - Страница 60
2.Objektiver Tatbestand
Оглавление265Erforderlich ist ein Eingriff in die persönliche Fortbewegungsfreiheit einer anderen Person.
Klausurtipp
Im Zusammenhang mit unzutreffenden Anzeigen und Aussagedelikten, die zu einer Freiheitsstrafe des Angeklagten führen, ist stets an eine (versuchte) Freiheitsberaubung in mittelbarer Täterschaft zu denken. Die Strafverfolgungsorgane sind dann Tatmittler (Werkzeuge), die selbst rechtmäßig handeln, soweit sie sich im Rahmen der strafprozessualen Vorgaben halten.
266a) Fortbewegungsfreiheit. Umstritten ist, ob bereits die potenzielle (h. M.)542 oder nur die aktuelle Fortbewegungsfreiheit543 geschützt ist. Nach h. M. ist es unerheblich, ob das Opfer sich tatsächlich fortbewegen will und das Einsperren bemerkt; es genügt, dass die bloße Möglichkeit zur Fortbewegung beeinträchtigt ist. Für diese Ansicht wird angeführt, dass in die Freiheitssphäre des Einzelnen auch dann (objektiv) eingegriffen wird, wenn der Einzelne sich nicht fortbewegen möchte. Eine weite Auslegung entspreche auch der zentralen Bedeutung der Fortbewegungsfreiheit als verfassungsrechtlich geschütztes Rechtsgut544. Mitunter wird die Theorie der potenziellen Fortbewegungsfreiheit dahingehend modifiziert, dass der potenzielle Fortbewegungswille nur genüge, wenn er auch aktualisierbar sei545. Da § 239 StGB auf den persönlichen Willen des Betroffenen abstelle, könne dieser auch nicht durch Vertretungspersonen ersetzt werden. Daher seien insbesondere Kleinstkinder nicht einbezogen. Entsprechendes gelte für Betrunkene, Schlafende oder Bewusstlose, da in diesem Zustand der Wille nicht aktualisierbar sei. Hingegen sollen solche Personen in den Schutzbereich einbezogen sein, die sich zwar aktuell nicht fortbewegen möchten, aber jederzeit diesen Willen bilden können546. Richtigerweise wird man jedoch stets einen aktuellen Fortbewegungswillen verlangen müssen. Hierfür spricht die Nähe des Delikts zu § 240 StGB, bei dem es ebenfalls auf den aktuellen und nicht den potenziellen Willen ankommt547 sowie der Wortlaut, nach dem die Freiheit „beraubt“ sein muss. Andernfalls würde die Vollendungsstrafbarkeit viel zu weit nach vorne in den bloßen Gefährdungsbereich verlagert. Möchte sich das Opfer überhaupt nicht fortbewegen, so liegt lediglich das Unrecht eines Versuchs vor, das aber (seit dem 6. StrRG 1998) nach Absatz 2 sachgerecht erfasst werden kann.
Bsp.: T schließt den O in seinem Büro ein, um sich währenddessen mit der Frau des O zu vergnügen. O bemerkt das Einschließen nicht. – T macht sich richtigerweise nur nach §§ 239 Abs. 1 und Abs. 2, 22, 23 strafbar, da die aktuelle Fortbewegungsfreiheit nicht beeinträchtigt wurde. Eine Vollendung liegt nach dieser vorzugswürdigen Ansicht nur vor, wenn O das Zimmer tatsächlich verlassen möchte.
266aIn den Schutzbereich einbezogen ist jeder Mensch, der die Fähigkeit hat, willentlich seinen Aufenthaltsort zu verändern548. Wer – wie ein Kleinkind – überhaupt nicht die Möglichkeit zur Willensbildung und -betätigung besitzt, scheidet als Tatopfer nach allen eben genannten Ansichten aus549, da nicht einmal von einer potenziellen Fortbewegungsfreiheit gesprochen werden kann. Umstritten ist aber, ob auf Grundlage der h. M. der Tatbestand verwirklicht ist, wenn ein Bewusstloser oder Schlafender eingeschlossen wird, da solchen Personen der Fortbewegungswille nur vorübergehend fehlt.
Bsp.: T möchte bei O ein Gemälde entwenden. Er schließt diesen im Schlafzimmer ein. Als er die Türe nach einer Stunde wieder öffnet, schläft O immer noch.
267Nach h. M. soll der Tatbestand verwirklicht sein, soweit die Möglichkeit des Erwachens während des Einsperrens nicht sicher ausgeschlossen ist. In diesem Fall kann man jedoch nur sagen, dass die potenzielle Fortbewegungsfreiheit betroffen ist550. Stellt man hingegen auf die aktuelle Fortbewegungsfreiheit ab, so ist diese bei Schlafenden und Bewusstlosen ebenfalls nicht berührt. Es ist auch hier lediglich die Situation einer versuchten Freiheitsberaubung gegeben, da sich das Opfer gar nicht fortbewegen wollte. Einer Kompensation der bis zum 6. StrRG 1998 bestehenden Straflosigkeit des Versuchs durch eine extensive Auslegung bedarf es wegen der in Abs. 2 verankerten Versuchsstrafbarkeit nicht mehr.
268b) Beeinträchtigung der Fortbewegungsfreiheit. Da vom Tatbestand nur die Fortbewegungsfreiheit, nicht aber die allgemeine Handlungsfreiheit geschützt ist, ist das bloße Versperren eines von mehreren zumutbaren Wegen nicht tatbestandsmäßig. Auch das bloße Erschweren der Fortbewegung wird nicht erfasst; die Fortbewegungsfreiheit muss aufgehoben werden. Daher wird auch das Aussperren regelmäßig nicht erfasst.
Bsp.: Kein Fall des § 239 Abs. 1 Var. 2 liegt vor, wenn T das Zimmer des O abschließt, damit er dieses nicht mehr betreten kann. O kann sich weiter an andere Orte fortbewegen.
269Andererseits muss das Hindernis, das die Fortbewegungsfreiheit beschränkt, nicht vollständig unüberwindbar sein. Die Grenze wird dabei durch Zumutbarkeitskriterien gebildet. Tatbestandsmäßig handelt auch, wer dem Opfer nur die Wahl überlässt, das Hindernis unter Inkaufnahme von nicht unerheblichen Gefahren für Leib oder Leben zu überwinden.
Bsp.: Ein Fenster im dritten Stockwerk bei verschlossener Zimmertür als Ausweg zu nutzen, ist unzumutbar, da die Gefahr erheblicher Verletzungen besteht.
270c) Tathandlungen. Diese sind das Einsperren (Var. 1) und die Freiheitsberaubung auf andere Weise (Var. 2).
271aa) Das Einsperren nach Var. 1 ist nur ein herausgehobener Beispielsfall; es liegt vor, wenn das Opfer in einem umschlossenen Raum durch äußere Vorrichtungen so festgehalten wird, dass es objektiv daran gehindert ist, sich von der Stelle zu bewegen551.
272bb) Von Var. 2 werden alle übrigen Mittel erfasst, die geeignet sind, einem anderen die Fortbewegungsfreiheit zu nehmen552.
Bspe.: Festhalten; Festbinden auf einem Stuhl; Betäuben des Opfers. Auch das schnelle Fahren mit einem Fahrzeug, um die Insassen am Verlassen des Wagens zu hindern, ist tatbestandsmäßig553.
Hingegen genügt das bloße Fesseln der Hände nicht, wenn dabei die Fortbewegungsfreiheit nicht entscheidend tangiert wird554. Eine Freiheitsberaubung kann auch dann vorliegen, wenn dem bereits der Freiheit beraubten Opfer noch ein größerer Radius zur Bewegung verbleibt, dieser jedoch nicht verlassen werden kann. Wird dieser Radius weiter begrenzt – eine in ein Haus eingesperrte Person wird von einem Dritten in ein Zimmer eingeschlossen –, kann eine weitere Freiheitsberaubung angenommen werden555.
273cc) Die Tat kann auch durch Unterlassen begangen werden, etwa wenn der Täter einen versehentlich Eingesperrten nicht freilässt, nachdem er dies bemerkt556. Dabei ist im Einzelfall die Garantenstellung sorgfältig zu prüfen. Bedeutung erlangt das Unterlassen zunächst beim Beschützergaranten (z. B. Eltern gegenüber Kindern), wenn ein Dritter die zu beschützende Person der Freiheit beraubt oder diese sich versehentlich selbst einschließt. Auch Amtsträger wie Polizisten oder Vollzugspersonal können im Rahmen eines Freiheitsentzugs Beschützergaranten sein557.
274d) Tatbestandsausschließendes Einverständnis. Da sich die Tathandlung gegen den Willen des Opfers richtet, schließt ein Einverständnis bereits den Tatbestand aus558. Das Einverständnis kann sowohl inhaltlich (z. B. bestimmter Ort oder bestimmte Art und Weise der Freiheitsberaubung) als auch zeitlich beschränkt werden. Werden solche Beschränkungen missachtet, ist der Tatbestand verwirklicht. Im Übrigen kann das Einverständnis jederzeit widerrufen werden.
Bsp.:559 O fährt bei T im Wagen mit. Plötzlich ändert T seine Fahrweise und fährt viel zu schnell. O fordert den T dazu auf, ihn aussteigen zu lassen, was T ignoriert. Einen kurzen verkehrsbedingten Halt nutzt O nicht zum Aussteigen. – Das Festhalten in einem Fahrzeug kann eine Freiheitsberaubung auf sonstige Weise (Var. 2) darstellen560; bis zur Veränderung der Fahrweise war O allerdings damit einverstanden. Anschließend widerrief er jedoch eindeutig und unmissverständlich das Einverständnis, so dass ab diesem Zeitpunkt der Tatbestand verwirklicht war. Dass O auch während der Fahrt das Fahrzeug verlassen konnte, ist angesichts der damit verbundenen Gefährdung unzumutbar. Der Umstand, dass O bei dem kurzen verkehrsbedingten Halt nicht sofort ausgestiegen ist, stellt nach BGH noch kein (erneutes) konkludentes Einverständnis in die Freiheitsberaubung dar.
275e) Einzelne Tatmittel. Tatmittel können Gewalt, Drohung, Zwang oder List sein, wobei in diesem Zusammenhang die Grenze der Zumutbarkeit und das tatbestandsausschließende Einverständnis Bedeutung erlangen können.
276aa) Der Täter kann neben klassischer Gewalt (z. B. Abschließen der Tür, Fesseln des Opfers) auch Drohungen als Tatmittel anwenden, um das Opfer an der Fortbewegung zu hindern. Bei einer Drohung genügt aber richtigerweise nur eine solche mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben561. Nicht ausreichend sind hingegen andere Drohungen (nur) mit einem empfindlichen Übel i. S. d. § 240562 – wie z. B. Kündigung der Wohnung oder des Arbeitsplatzes –, da die Fortbewegung für das Opfer in solchen Fällen noch eine zumutbare Alternative darstellt.
Bsp.: T droht seiner Ehefrau O, bei Verlassen des Hauses das Abonnement für die Oper zu kündigen. – § 239 Abs. 1 Var. 2 scheidet aus, weil es für O zumutbar bleibt, sich fortzubewegen.
277bb) Entsprechendes gilt für Fälle faktischen oder psychischen Zwangs. Als Leitlinie ist auch hier zu verlangen, dass es für das Opfer unzumutbar gefährlich wird, sich fortzubewegen. Bei den viel diskutierten Fällen des Wegnehmens der Kleidung eines nackt Badenden dürfte dies zu verneinen sein563.
278cc) Letztlich kommt auch List als Tathandlung in Betracht, wenn mithilfe dieser vorgespiegelt wird, dass eine Fortbewegung auf zumutbare Weise nicht möglich ist564. Denn dann wird in das Rechtsgut der aktuellen Fortbewegungsfreiheit eingegriffen, weil eine bestehende Fortbewegungsfreiheit verschleiert wird.
Bsp.: T täuscht den eingesperrten O darüber, dass es keine weiteren Ausgänge im Haus gibt. Tatsächlich hätte O das Haus über einen Kellerausgang verlassen können.
279Anders liegt der Fall jedoch, wenn die List nicht rechtsgutbezogen ist und das Opfer sich der Freiheitsberaubung bewusst ist, so dass es – trotz der Täuschung – ein wirksames tatbestandsausschließendes Einverständnis erteilt.
Bsp.: T täuscht O darüber, dass er Experimente über Angstzustände durchführt. Daraufhin lässt sich O in eine dunkle Kammer schließen. Anstatt Experimente durchzuführen, geht T mit der Freundin des O aus. – § 239 Abs. 1 Var. 1 scheidet hier aus, da O mit der Freiheitsbeschränkung einverstanden war. Dass T den O über den Zweck getäuscht hat und O bei Kenntnis der Sachlage nicht einverstanden gewesen wäre, ist unerheblich, weil die Täuschung sich nicht auf das Rechtsgut der Fortbewegungsfreiheit bezieht.
280Die Grenze ist aber – nicht anders als bei den bekannten Beschlagnahmefällen beim Diebstahl565 – dort zu ziehen, wo neben der Täuschung derart faktischer Zwang ausgeübt wird, dass es für das Opfer unzumutbar wird, sich fortzubewegen. Von einem freiwillig erteilten Einverständnis kann dann nicht mehr gesprochen werden.
Bsp.: T verkleidet sich als Polizist und spiegelt dem O vor, dass er ihn festnehmen müsse. O fügt sich daraufhin seinem Schicksal. – T macht sich hier nach § 239 Abs. 1 Var. 2 strafbar, da auf Grund der Zwangswirkung kein tatbestandsausschließendes Einverständnis vorlag.
281f) Dauer der Freiheitsentziehung. Eine bestimmte Dauer ist grundsätzlich nicht erforderlich. Bei einer Freiheitsberaubung, die länger als eine Woche andauert, ist jedoch die Qualifikation des § 239 Abs. 3 Nr. 1 verwirklicht566. Um Bagatellfälle auszuscheiden, bedarf es jedoch einer Erheblichkeit der Tathandlung; hierfür kann nicht nur die Dauer der Freiheitsberaubung entscheidend sein567, sondern daneben auch das Gewicht der Einwirkung auf das geschützte Rechtsgut568.
Bsp.:569 T umfasst die Oberschenkel der O und hebt sie in ein Badezimmer, weil er hofft, dort mit ihr in kurzer Zeit Zärtlichkeiten auszutauschen. Dazu kommt es jedoch nicht, weil sofort der Freund der O einschreitet. – Die Beschränkung der Fortbewegungsfreiheit ist hier noch nicht erheblich, so dass der Tatbestand zu verneinen ist. In Betracht kommt jedoch eine Versuchsstrafbarkeit.