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2. Bedeutung der Kompetenzen des (mitbestimmten) Aufsichtsrats für die Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses durch den Unternehmer
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Der Wirtschaftsausschuss zählt, genauso wie der Gesamtbetriebsrat, trotz seiner Unternehmensbezogenheit nicht zur Unternehmensmitbestimmung, sondern wird der Betriebsverfassung zugerechnet.95 Er ist nicht gleichsam dem Aufsichtsrat ein Kontroll- und Überwachungsorgan bezüglich der Geschäftsführung des Unternehmens, sondern auf seine Hilfsfunktion gegenüber dem (Gesamt-)Betriebsrat zur Ermöglichung der Ausübung dessen Mitbestimmungsrechten beschränkt.96 Die Unterrichtungs- und Beratungsrechte des Wirtschaftsausschusses gem. §§ 106ff. BetrVG haben vor diesem Hintergrund eine gegenüber der Unterrichtung des Aufsichtsrats und der Überwachung des Vorstands durch den Aufsichtsrat i.S.d. §§ 90, 111 AktG abweichende Zielrichtung und sind von diesen zu trennen. Dennoch gibt es insoweit Überschneidungen, als mit dem Vorstand als Unternehmer beide Gremien denselben Ansprechpartner haben97 und es häufig zu Doppelungen in den Unterrichtungspflichten des Unternehmers bzw. Vorstands gegenüber dem Wirtschaftsausschuss und dem auf Arbeitnehmerseite zudem oftmals zumindest teilweise personenidentischen Aufsichtsrat kommt, da sich beide Beteiligungstatbestände im Wesentlichen auf die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Unternehmens beziehen.98 Diese Vervielfachung des Arbeitnehmerschutzes in Unternehmen mit mitbestimmtem Aufsichtsrat mag zwar als Überbürokratisierung in ihrer Sinnhaftigkeit angezweifelt werden.99 Eine solche ist jedoch dem deutschen Arbeitsrecht nicht fremd, sondern findet sich bspw. auch im Kündigungsschutzrecht. Sie ist als gesetzgeberische Entscheidung vom Rechtsanwender hinzunehmen. Dieser hat stets zu prüfen, ob eine Information an den Wirtschaftsausschuss, den Aufsichtsrat oder beide weiterzugeben ist.
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Die Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat legt dem Aufsichtsratsvorsitzenden in der Praxis oftmals umfangreiche Fragelisten vor, welche der Aufsichtsrat im Anschluss dem Vorstand zur Beantwortung vorlegen soll. In den Fallkonstellationen einer reinen Überwachungskompetenz des Aufsichtsrats gehen diese Fragelisten nicht selten ihrem Umfang und ihrer Detailtiefe nach über die eigentliche Zuständigkeit des Aufsichtsrats hinaus und sind vielmehr der betrieblichen Mitbestimmung, insbesondere der Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses gem. § 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, zuzuordnen. Der Aufsichtsratsvorsitzende sollte solchen Begehren der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat daher nicht umfassend Folge leisten, sondern die Tätigkeit des Aufsichtsrats auf das zur Überwachung der Geschäftsführung des Vorstands Erforderliche beschränken. Anders stellt sich die Situation dar, wenn dem Aufsichtsrat selbst Geschäftsführungsaufgaben zukommen, also insbesondere im Fall des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG. Hier benötigt er umfangreichere Informationen, um den Zustimmungsbeschluss auf Basis einer hinreichend detaillierten Faktenlage treffen zu können. Vor allem bei komplexen Restrukturierungsprojekten bietet sich dabei eine klar strukturierte Vorgehensweise an. Die Frageliste der Arbeitnehmerbank sollte in der Aufsichtsratssitzung aufgenommen und eine weitere Aufsichtsratssitzung auf etwa einen Monat später terminiert werden. In der Zwischenzeit können der Vorstand und die betrieblichen Mitbestimmungsorgane, d.h. Wirtschaftsausschuss und (Gesamt-)Betriebsrat, über die streitigen Themen verhandeln, um dem Aufsichtsrat anschließend in der nächsten Sitzung Eckpunkte für eine mögliche Lösung als sozialen Rahmen zu präsentieren. So werden – unter Eingehen auf die arbeitnehmerseitigen Bedürfnisse – Handlungsoptionen erforscht, auf deren Grundlage der Aufsichtsrat dann seinen Zustimmungsbeschluss nach § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG treffen kann. Es wird zudem wegen der – abgesehen von der Montanmitbestimmung (§ 4 Abs. 1 Montan-MitbestG) – drohenden Mehrheitsentscheidung der Arbeitgeberbank des Aufsichtsrats (§ 4 Abs. 1 DrittelbG, §§ 7 Abs. 1, 27 Abs. 1, 2, 29 MitbestG) ein Verhandlungsdruck auf die Arbeitnehmervertretungsorgane erzeugt. Zugleich verhindert die Verlagerung der Verhandlung auf den Vorstand und die betrieblichen Mitbestimmungsorgane, dass der Aufsichtsrat die ihm nicht zukommende Rolle eines Ersatzunternehmers einnimmt.
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Schwierig zu bestimmen sind die Auswirkungen einer Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats gem. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG zu Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstands, die zugleich wirtschaftliche Angelegenheiten des Unternehmens nach § 106 Abs. 2, 3 BetrVG darstellen, auf den korrekten Zeitpunkt der Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses gem. § 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG. Rechtzeitig i.S.d. § 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG bedeutet, dass noch keine Entscheidung gefallen ist und sich der Sinn der Wirtschaftsausschussbeteiligung, die Informationsweitergabe an den (Gesamt-)Betriebsrat, noch realisieren kann.100 Im Rahmen der Unterrichtung des (Gesamt-)Betriebsrats nach § 111 Satz 1 BetrVG wird teilweise vertreten, dass die Aufsichtsratszustimmung gem. § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG auch vor der Unterrichtung des (Gesamt-)Betriebsrats erfolgen könne,101 während die Gegenauffassung eine solche Unterrichtung als nicht mehr rechtzeitig ansieht.102 Weiterhin ist umstritten, ob die (Gesamt-)Betriebsratsunterrichtung i.S.d. § 111 Satz 1 BetrVG derjenigen des Wirtschaftsausschusses gem. § 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zeitlich nachzufolgen hat103 oder ob ihr Zweck auch bei einer parallelen Durchführung gewahrt werden kann (vgl. dazu Kap. 3 Rn. 47ff.).104 Das Verhältnis explizit von § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG zu § 106 Abs. 2 Satz 1 BetrVG wird kaum diskutiert, sodass bezüglich der Frage der Rechtzeitigkeit der Wirtschaftsausschussunterrichtung bei einer Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats eine gewisse Rechtsunsicherheit besteht. Ausgangspunkt der Überlegungen muss hier jedoch sein, dass die Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses stets eine hinreichende Konkretisierung der Willensbildung der im konkreten Fall maßgeblichen gesellschaftsrechtlichen Geschäftsführungsorgane voraussetzt, da es sonst keine validen Informationen gibt, die dem Wirtschaftsausschuss mitgeteilt werden könnten.105 Im Falle des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG bedeutet dies für den frühestmöglichen Zeitpunkt einer Unterrichtung des Wirtschaftsausschusses, dass der Aufsichtsrat nach Vortrag des Vorstands die Maßnahme jedenfalls durch eine umfassende Beratung ausreichend bestimmt haben muss. Auch eine Unterrichtung nach Beschlussfassung ist noch rechtzeitig, solange sich Vorstandsvorschlag und Aufsichtsratsbeschluss zunächst nur auf das allgemeine Konzept unter ernsthaftem Vorbehalt der Beteiligung der arbeitnehmerseitigen Mitbestimmungsorgane und nicht schon auf die definitive Umsetzung beziehen.106 Damit wird dem Einwand einer bereits feststehenden Entscheidung und damit eines Leerlaufens der betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungsrechte effektiv begegnet.107 Denn die Aufsichtsratszustimmung führt lediglich zur Wandlung der unverbindlichen Vorstellung des allein nicht geschäftsführungsbefugten Vorstands zu einem kompetenzmäßig abgesicherten, debattierfähigen Vorhaben. Der Wirtschaftsausschuss wird im Zeitpunkt klar bestimmter, jedoch noch nicht abgeschlossener Planungen beteiligt und kann dem (Gesamt-)Betriebsrat die notwendigen Informationen vermitteln.