Читать книгу Beratungen im Wirtschaftsausschuss - Burkard Göpfert, Heinz Jiranek - Страница 9
2. Bildung des Wirtschaftsausschusses a) Voraussetzungen der Bildung des Wirtschaftsausschusses
Оглавление4
In Unternehmen mit in der Regel mehr als 100 ständig beschäftigten Arbeitnehmern ist ein Wirtschaftsausschuss zu bilden (§ 106 Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Dies ist bei Vorliegen der Voraussetzungen für den (Gesamt-)Betriebsrat, mit Ausnahme der Möglichkeit eines Vorgehens nach § 107 Abs. 3 BetrVG, obligatorisch und die Nichtbefolgung bedeutet eine Pflichtverletzung i.S.d. §§ 23 Abs. 1, 48 BetrVG.12 Sinkt die Anzahl der in der Regel im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer später auf oder unter den Schwellenwert, entfallen die Rechte des Wirtschaftsausschusses unmittelbar mit Wirkung ex nunc.13 Wenn kein Wirtschaftsausschuss gebildet oder der Schwellenwert gar nicht erst überschritten wird, gehen die Rechte des Wirtschaftsausschusses, mit Ausnahme der besonderen Fallkonstellation des § 109a BetrVG, nicht auf den (Gesamt-)Betriebsrat über.14 Jedoch hat der (Gesamt-)Betriebsrat (nach der gesetzlichen Grundkonzeption) dann einen inhaltlich weniger umfassenden Unterrichtungsanspruch gem. § 80 Abs. 2 BetrVG, der von den §§ 106ff. BetrVG nicht verdrängt wird.15 Keine Anwendung finden die Regelungen bezüglich des Wirtschaftsausschusses auf Tendenzunternehmen (§ 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG) und Religionsgemeinschaften (§ 118 Abs. 2 BetrVG), ebenso wenig auf Verwaltungen und Betriebe des Bundes, der Länder, der Gemeinden und sonstiger Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts (§ 130 BetrVG). Bei Seeschifffahrts- und Luftfahrtsunternehmen greifen sie grundsätzlich ein, jedoch sind die Sonderbestimmungen der §§ 114ff. BetrVG zu beachten.16
5
Im Rahmen des § 106 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist weder auf die aktuelle noch auf die durchschnittliche, sondern auf die regelmäßige, d.h. normale, Beschäftigtenzahl des Unternehmens abzustellen.17 Der gesetzliche Schwellenwert von mehr als 100 Arbeitnehmern ist zwar unionsrechtswidrig, da die einschlägige Richtlinie 2002/14/EG einen Schwellenwert von lediglich (mindestens) 50 Beschäftigten im Unternehmen vorsieht, jedoch verbietet der eindeutige Gesetzeswortlaut eine richtlinienkonforme Auslegung, und eine unmittelbare innerstaatliche horizontale Drittwirkung kommt der genannten Richtlinie, so wie generell sämtlichen unionsrechtlichen Richtlinien, nicht zu.18 Um bei der Berechnung des Schwellenwerts mitgezählt zu werden, müssen Arbeitnehmer (§ 5 Abs. 1 BetrVG) ständig im Unternehmen beschäftigt sein, d.h. wegen der ihnen übertragenen Arbeitsaufgaben nicht nur vorübergehend dem Unternehmen angehören.19 Dies ist bei unbefristeten Arbeitsverhältnissen stets, bei befristeten unter Umständen ebenso der Fall.20 Eine Teilzeitbeschäftigung wird nicht wie bei § 23 Abs. 1 Satz 4 KSchG nur anteilig, sondern gleichsam einer Vollzeitbeschäftigung gezählt.21 Personen i.S.d. § 5 Abs. 2, 3 BetrVG werden nicht berücksichtigt.22 Ob Leiharbeitnehmer nicht nur beim Verleiher (§ 14 Abs. 1 AÜG), sondern auch beim Entleiher (§ 14 Abs. 2 AÜG) hinzuzuzählen sind, ist umstritten.23 Umstritten ist aufgrund des betriebsverfassungsrechtlichen Territorialitätsprinzips weiterhin, ob auch Arbeitnehmer, deren Betriebe im Ausland liegen, miteinzubeziehen sind,24 und, wenn der Sitz der Unternehmensleitung im Ausland liegt, ob der Wirtschaftsausschuss nur für diejenigen inländischen Betriebe gebildet werden kann, die organisatorisch unter einheitlicher inländischer Leitung stehen.25 Die Berücksichtigung von Arbeitnehmern hängt jedenfalls nicht davon ab, ob in ihrem Betrieb ein Betriebsrat gebildet werden kann und gebildet ist, solange nur mindestens ein Betriebsrat im Unternehmen existiert.26 Zu beachten ist, dass die Arbeitnehmeranzahl sich, anders als bspw. in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG oder § 9 Satz 1 BetrVG, nicht auf den Betrieb, sondern das Unternehmen bezieht und somit ein einziger Wirtschaftsausschuss für das gesamte Unternehmen mit dessen etwaig mehreren (auch ggf. teilweise betriebsratslosen) Betrieben gebildet wird.27
6
Auf Konzernebene ist kein (weiterer) Wirtschaftsausschuss zu bilden, wenn die Konzernspitze nicht selbst als eigenständiges Unternehmen den Schwellenwert übersteigt.28 Dem Konzernbetriebsrat verbleibt (nach der gesetzlichen Grundkonzeption) der inhaltlich weniger umfassende Unterrichtungsanspruch gem. § 80 Abs. 2 BetrVG.29 Nicht überzeugend ist die Auffassung, der Konzernbetriebsrat könne einen Ausschuss i.S.d. §§ 27, 28 BetrVG bilden und ihm die Aufgaben eines Wirtschaftsausschusses übertragen.30 Dem ist zwar zuzugeben, dass der Konzernwirtschaftsausschuss selbstverständlich das Recht zur Ausschussbildung hat. Jedoch kann er diesem anschließend nur Kompetenzen zuweisen, welche ihm selbst überhaupt zustehen, sodass es sich hierbei lediglich um den Anspruch aus § 80 Abs. 2 BetrVG handeln kann, nicht jedoch um die Befugnisse der §§ 106ff. BetrVG.31
7
Bei Vorliegen eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen (§ 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BetrVG), die für sich jeweils den Schwellenwert nicht überschreiten, ist in analoger Anwendung des § 106 Abs. 1 Satz 1 BetrVG bei der Unternehmensträgergruppe ein Wirtschaftsausschuss zu bilden, wenn in dem gemeinsamen Betrieb in der Regel mehr als 100 ständig beschäftigte Arbeitnehmer arbeiten.32 Folgerichtig sind auch die Arbeitnehmer mehrerer gemeinsamer Betriebe der jeweils für sich nicht den Schwellenwert überschreitenden Unternehmen zusammenzurechnen, und es ist bei Überschreiten des Schwellenwerts für die gemeinsamen Betriebe ein einheitlicher Wirtschaftsausschuss bei der Unternehmensträgergruppe zu errichten.33 Wenn die jeweiligen Unternehmen bereits für sich den Schwellenwert überschreiten,34 wenn ein am gemeinsamen Betrieb beteiligtes, gegenüber dem anderen beteiligten Unternehmen im Konzern herrschendes Unternehmen bereits einen Wirtschaftsausschuss hat35 oder wenn im gemeinsamen Betrieb quantitativ überwiegend tendenzgeschützte Zwecke verfolgt werden,36 scheidet die Errichtung eines Wirtschaftsausschusses bei der Unternehmensträgergruppe aus. Mit den genannten Grundsätzen logisch zudem nicht zu vereinbaren ist die Hinzurechnung aller Arbeitnehmer des gemeinsamen Betriebs bereits bei der Frage eines individuellen Überschreitens des Schwellenwerts durch die beteiligten Unternehmen.37