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5. Wirtschaftsausschuss und Strukturtarifvertrag

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Strukturtarifverträge, d.h. Tarifverträge unter Einhaltung der Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 BetrVG, sind eine vom Gesetz ausdrücklich eröffnete Möglichkeit der Modifikation der Betriebsverfassungsorganisation durch die Tarifvertragsparteien.124 Es handelt sich um Tarifverträge, welche die (tarifzuständige) Gewerkschaft mit dem Arbeitgeber bzw. Arbeitgeberverband abschließt und die als Betriebsverfassungsnormen im Betrieb bereits dann normativ gelten, wenn lediglich der Arbeitgeber tarifgebunden ist (§ 3 Abs. 2 TVG).125 Jedoch wird gefordert, dass die Gewerkschaft im jeweiligen Betrieb durch mindestens einen Arbeitnehmer, der Mitglied der Gewerkschaft ist, vertreten sein muss.126 In den Fällen des § 3 Abs. 1 Nr. 1–3 BetrVG wird der Betrieb durch eine andere betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheit ersetzt (§ 3 Abs. 5 BetrVG), während bei § 3 Abs. 1 Nr. 4, 5 BetrVG lediglich die Mitbestimmungsordnung ergänzende Gremien geschaffen werden.127 § 3 Abs. 2 BetrVG ermöglicht für § 3 Abs. 1 Nr. 1, 2, 4, 5 BetrVG, nicht jedoch für § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG den Abschluss einer Betriebsvereinbarung statt eines Tarifvertrags für den Fall, dass (überhaupt) kein Tarifvertrag im Betrieb normativ oder kraft Allgemeinverbindlicherklärung gilt.128 § 3 Abs. 4 BetrVG regelt den Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung der kollektivarbeitsrechtlichen Regelungen, § 3 Abs. 3 BetrVG enthält eine Sonderbestimmung für betriebsratslose Unternehmen.

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Zunächst ist die Frage zu beantworten, wie sich der Abschluss eines Strukturtarifvertrags gem. § 3 BetrVG, der selbst keine Regelungen bezüglich des Wirtschaftsausschusses enthält, auf die Errichtung des Wirtschaftsausschusses auswirkt. Ein unternehmenseinheitlicher Betriebsrat nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 lit. a BetrVG bestimmt den Wirtschaftsausschuss selbst, während es für den Fall des § 3 Abs. 1 Nr. 1 lit. b BetrVG (in Unternehmen mit mehreren Betriebsräten) bei der Konstituierung durch den Gesamtbetriebsrat verbleibt.129 Bei Spartenbetriebsräten i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG und gem. § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG geschaffenen Organisationseinheiten ist die Rechtslage umstritten. Während eine Ansicht die Errichtung eines einheitlichen Wirtschaftsausschusses durch bzw. für die neue Vertretungsstruktur (ggf. im Wege einer entsprechenden Anwendung der Grundsätze über den gemeinsamen Betrieb) postuliert,130 befürwortet die Gegenmeinung weiterhin (jedenfalls in bestimmten Fallkonstellationen) eine Zuordnung zum gesetzlichen (Gesamt-)Betriebsrat.131 Strukturtarifverträge nach § 3 Abs. 1 Nr. 4, 5 BetrVG haben mit der Schaffung rein unterstützender Gremien keine Auswirkung auf die Errichtung des Wirtschaftsausschusses.

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Hiervon zu unterscheiden ist die Möglichkeit, durch spezifische Normen im Strukturtarifvertrag gem. § 3 BetrVG gerade die Errichtung des Wirtschaftsausschusses zu modifizieren. Für § 3 Abs. 1 Nr. 1, 2 BetrVG, der unter bestimmten Voraussetzungen die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats, die Zusammenfassung von Betrieben und die Bildung von Spartenbetriebsräten ermöglicht, schließt bereits der eindeutige Wortlaut eine spezifische Regelung betreffend die Konstituierung des Wirtschaftsausschusses aus. Diese bestimmt sich vielmehr nach den bereits geschilderten (teilweise umstrittenen) Grundsätzen bei Eingriffen in die Betriebsverfassungsorganisation durch Strukturtarifvertrag ohne spezifische Regelung zur Errichtung des Wirtschaftsausschusses. § 3 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG erlaubt zwar die Schaffung eines Gremiums, welches den unternehmensübergreifenden Austausch über wirtschaftliche Angelegenheiten zwischen den verschiedenen Arbeitnehmervertretungen fördert,132 betrifft jedoch nicht die Unterrichtung durch den und die Beratung mit dem Unternehmer als Kernaufgaben des Wirtschaftsausschusses. Auch § 3 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG hilft nicht weiter, sodass lediglich ein Strukturtarifvertrag nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG in Frage kommt. Bei § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG handelt es sich um eine Generalklausel, welche die Errichtung anderer Arbeitnehmervertretungsstrukturen ermöglicht, soweit dies insbesondere aufgrund der Betriebs-, Unternehmens- oder Konzernorganisation oder aufgrund anderer Formen der Zusammenarbeit von Unternehmen einer wirksamen und zweckmäßigen Interessenvertretung der Arbeitnehmer dient.133

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Diesbezüglich wird teilweise vertreten, der Gesetzgeber habe den besondere Sachkompetenz und Sachnähe innehabenden Tarifvertragsparteien mit dem offenen Wortlaut des § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG einen auf Rechtsfolgenseite nahezu unbegrenzten Gestaltungsspielraum zugestehen wollen, sodass abweichende Regelungen erst recht auch betreffend die Errichtung des Wirtschaftsausschusses möglich seien, insbesondere die Bildung eines Konzernwirtschaftsausschusses.134 Auch bei einer umfassenden Neuregelung der Organisationsstruktur durch § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG sollen Begleitbestimmungen bezüglich der Errichtung des Wirtschaftsausschusses möglich sein und werden sogar empfohlen.135 Die Rechtmäßigkeit derartiger Strukturtarifverträge unterstellt, müssten ergänzende Regelungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG für den Wirtschaftsausschuss zudem getroffen werden können bei über § 3 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG spartenmäßig organisierten Betrieben, Unternehmen und Konzernen. So könnten bspw. (zusätzlich) ein Konzernwirtschaftsausschuss und/oder (Sparten-)Wirtschaftsausschüsse für die jeweiligen, ggf. auch unternehmensübergreifenden Sparten errichtet werden. Weiterhin würde § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG die Errichtung eines Wirtschaftsausschusses in Kleinunternehmen, die den Schwellenwert des § 106 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nicht überschreiten, ermöglichen. Nahezu beliebig viele weitere Gestaltungsmöglichkeiten wären (abhängig von der jeweiligen Betriebs-, Unternehmens- und Konzernstruktur) denkbar und zulässig. Stets müssten dabei jedoch, bei Anerkennung eines gewissen Beurteilungsspielraums der Tarifvertragsparteien,136 die besonderen Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG beachtet werden, d.h. die neu geschaffene Betriebsordnung sich bei einem Vergleich mit der gesetzlichen als wirksamer und zweckmäßiger erweisen und dabei ein Zusammenhang gerade zwischen den besonderen organisatorischen Rahmenbedingungen auf Unternehmerseite und der durch den Strukturtarifvertrag verbesserten Arbeitnehmerinteressenvertretung bestehen.137 Nach dem betriebsverfassungsrechtlichen Grundgedanken dürfte es zudem zu keinen Doppelzuständigkeiten der etwaig mehreren Wirtschaftsausschüsse kommen.138

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Gegen diese Auffassung lässt sich (neben der mit ihr einhergehenden, vom Gesetzgeber wohl kaum beabsichtigten Konturenlosigkeit) bei einer systematischen Auslegung jedoch wesentlich § 3 Abs. 5 Satz 1 BetrVG anführen, der normiert, dass die nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG gebildete Organisationseinheit als Betrieb i.S.d. BetrVG gilt und daher nahelegt, dass lediglich Regelungen über die den Betrieb als betriebsverfassungsrechtliche Repräsentationsgrundlage ersetzende Basisorganisationseinheit zulässig sind.139 Auch bei § 3 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG würde sich demnach die Bildung des Wirtschaftsausschusses nach den bereits geschilderten (teilweise umstrittenen) Grundsätzen bei Eingriffen in die Betriebsverfassungsorganisation durch Strukturtarifvertrag ohne spezifische Regelung zur Errichtung des Wirtschaftsausschusses bestimmen. In der Praxis sind Strukturtarifverträge betreffend die Konstituierung des Wirtschaftsausschusses daher mit einer gewissen Rechtsunsicherheit verbunden.

112 S. Oetker, in: GK-BetrVG, § 106 Rn. 45f.; Stamer, in: Kiel/Lunk/Oetker, Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, § 307 Rn. 6f. 113 S. Hjort/Erhardt/Rothkegel/Schneider, Leitfaden für den Wirtschaftsausschuss, S. 65f. 114 S. Hjort/Erhardt/Rothkegel/Schneider, Leitfaden für den Wirtschaftsausschuss, S. 72ff. 115 S. Lerch/Weinbrenner, NZA 2013, 355, 356; Oetker, in: GK-BetrVG, § 106 Rn. 26ff. 116 S. Däubler, in: DKW, BetrVG, § 106 Rn. 4; Oetker, in: GK-BetrVG, vor § 106 Rn. 13ff. 117 Vgl. Däubler, in: DKW, BetrVG, Einleitung Rn. 81; Löwisch/Kaiser, in: Löwisch/Kaiser, BetrVG, § 3 Rn. 1. 118 Vgl. BAG, 10.2.1988 – 1 ABR 70/86, NZA 1988, 699, 699f. unter B.II.2.b); Franzen, NZA 2008, 250, 250. 119 S. Oetker, in: GK-BetrVG, § 106 Rn. 48. 120 S. Annuß, in: Richardi, BetrVG, § 106 Rn. 15; Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz, in: Fitting, BetrVG, § 106 Rn. 21. 121 Vgl. Hjort/Erhardt/Rothkegel/Schneider, Leitfaden für den Wirtschaftsausschuss, S. 21. 122 S. Däubler, in: DKW, BetrVG, § 106 Rn. 19; Steffan, in: Düwell, Hk-BetrVG, § 106 Rn. 11. 123 S. Oetker, in: GK-BetrVG, § 106 Rn. 30. 124 S. Franzen, in: GK-BetrVG, § 3 Rn. 1ff.; Richardi, in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 13. 125 S. Richardi, in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 56ff.; Trümner, in: DKW, BetrVG, § 3 Rn. 14ff. 126 S. BAG, 29.7.2009 – 7 ABR 27/08, NZA 2009, 1424, 1427f. Rn. 26ff.; Richardi, in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 60. 127 S. Kloppenburg, in: Düwell, Hk-BetrVG, § 3 Rn. 8; Richardi, in: Richardi, BetrVG, § 3 Rn. 3f. 128 S. BAG, 24.4.2013 – 7 ABR 71/11, AP BetrVG 1972 § 3 Nr. 11 Rn. 40; Franzen, in: GK-BetrVG, § 3 Rn. 39f. 129 S. Däubler, in: DKW, BetrVG, § 106 Rn. 23; Willemsen/Lembke, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, § 106 BetrVG Rn. 29. 130 Vgl. Däubler, in: DKW, BetrVG, § 106 Rn. 23f.; Willemsen/Lembke, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht, § 106 BetrVG Rn. 30. 131 Vgl. Edenfeld, DB 2015, 679, 681ff.; Hohenstatt, in: WHSS, Umstrukturierung, Kap. D. Rn. 166. 132 S. Oetker, in: GK-BetrVG, § 106 Rn. 30. 133 S. Franzen, in: GK-BetrVG, § 3 Rn. 20; Trümner, in: DKW, BetrVG, § 3 Rn. 91. 134 S. Löwisch/Kaiser, in: Löwisch/Kaiser, BetrVG, § 3 Rn. 30; Wackerbarth, in: Lutter/Bayer, Holding-Handbuch, Teil IV § 12 Rn. 12.183. 135 S. Hoefs, in: Liebers, Formularbuch Arbeitsrecht, Teil 3 Kap. P. Rn. 53, 68; Grimm, in: Lunk, AnwaltFormulare Arbeitsrecht, § 2 Rn. 78ff. 136 S. BAG, 13.3.2013 – 7 ABR 70/11, NZA 2013, 738, 742 Rn. 38; Franzen, in: GK-BetrVG, § 3 Rn. 23. 137 S. BAG, 13.3.2013 – 7 ABR 70/11, NZA 2013, 738, 742f. Rn. 38ff.; Kloppenburg, in: Düwell, Hk-BetrVG, § 3 Rn. 59. 138 Vgl. Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz, in: Fitting, BetrVG, § 3 Rn. 52; Thüsing, ZIP 2003, 693, 702. 139 Vgl. Franzen, in: GK-BetrVG, § 3 Rn. 20; Thüsing, ZIP 2003, 693, 703f.

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