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III.Der Grundsatz der Mündlichkeit

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60Der Zivilprozess ist nach dem gesetzlichen Idealbild ein mündliches Verfahren (§ 128 Abs. 1). Die mündliche Verhandlung ist das Kernstück des Zivilprozesses (Rn. 12). Ohne mündliche Verhandlung darf ein Urteil grundsätzlich nicht erlassen werden.17 In der mündlichen Verhandlung sieht das Gesetz die Verlesung der Anträge (§ 297 Abs. 1) und den freien Parteivortrag (§ 137 Abs. 2) vor. Das Urteil selbst ist mündlich zu verkünden, das heißt vorzulesen (§ 311 Abs. 2 S. 1, Abs. 3). Entscheidende Folge des Mündlichkeitsgrundsatzes ist vor allem, dass nicht der schriftliche Akteninhalt bedeutsam ist, sondern nur das in der mündlichen Verhandlung Vorgetragene und Erörterte Grundlage der Urteilsfindung wird. Dem Mündlichkeitsprinzip wird auch durch die Videoverhandlung (§ 128a) genügt, denn immerhin ist sie fernmündlich.18 Die Möglichkeit der Videoverhandlung wird – auch in Folge der COVID-19-Pandemie – inzwischen immer häufiger genutzt, wobei die Gerichte hier sehr unterschiedlich agieren.19

61Die mündliche Verhandlung ist als Einheit anzusehen, selbst wenn mehrere Termine anberaumt werden. Folge dieser Einheit der mündlichen Verhandlung ist, dass es keine Rolle spielt, wann eine Partei bestimmte Tatsachen zur Anspruchsbegründung oder zu Einreden vorträgt oder bestreitet. Alles, was bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung vorgetragen wurde, wird Prozessstoff. Dabei sind die Parteien allerdings im Rahmen ihrer Prozessförderungspflicht (Rn. 72 ff.) zum konzentrierten Vortrag verpflichtet (§§ 282, 296). Da Zulässigkeitsrügen vor der Verhandlung zur Hauptsache vorzubringen sind (§ 282 Abs. 3), Fristen für sonstiges Vorbringen vom Gericht gesetzt werden können (§ 296 Abs. 1) und im Übrigen Angriffs- und Verteidigungsmittel so früh wie möglich vorzubringen sind (§ 282 Abs. 1 und 2), reicht es nicht aus, „irgendwann“ im Lauf der mündlichen Verhandlung aktiv zu werden.

62Wer einmal eine mündliche Verhandlung vor einem Zivilgericht miterlebt, wird an Plädoyers der Anwälte und mündlichem Streitgespräch oft wenig erleben. Das Mündlichkeitsprinzip wird in der Praxis deutlich anders gelebt, als bei Einführung der ZPO einmal gedacht. In aller Regel wird nämlich eine mündliche Verhandlung durch den Richter und die Anwälte schriftlich vorbereitet, §§ 129, 273. Im schriftlichen Vorverfahren können im Falle von Säumnis oder Anerkenntnis sogar Urteile ergehen, die ohne mündliche Verhandlung und Verkündung Wirksamkeit entfalten (§§ 276 Abs. 2, 331 Abs. 3, 307 S. 2, 310 Abs. 3). Auch wenn kein schriftliches Vorverfahren, sondern ein früher erster Termin angeordnet ist, bereitet der Richter das Verfahren schriftlich vor, § 275 Abs. 1, 4. Die vorbereitenden Schriftsätze der Parteien kündigen zwar einen Sachvortrag und den Klageantrag nur an; aber die Möglichkeiten zur mündlichen Bezugnahme auf schriftlich Eingereichtes spielen eine besondere Rolle (§§ 137 Abs. 3, 297 Abs. 2), so dass ohne Kenntnis der schriftlichen Akten ein Verständnis des Inhalts einer mündlichen Verhandlung kaum möglich ist. Die Möglichkeiten zum schriftlichen Verfahren mit Zustimmung der Parteien, zur fakultativen Mündlichkeit bei Entscheidungen nur über Kosten, Ergänzungen oder vorläufige Vollstreckbarkeit sowie bei Beschlüssen und Verfügungen (§§ 128 Abs. 2–4, 321 Abs. 3 S. 3, 718 Abs. 2 S. 2) zeigen weitere Ausnahmen vom Mündlichkeitsprinzip.20 Auch an anderen Stellen der ZPO ist entweder zwingend oder fakultativ ein schriftliches Verfahren vorgesehen, etwa beim Verfahren vor dem Amtsgericht, § 495a. Im Zuge der durch die COVID-19-Pandemie noch verstärkten Digitalisierung des Zivilprozesses wird derzeit auch über die Einführung eines Online-Verfahrens, das gänzlich ohne mündliche Verhandlung abläuft, diskutiert.21

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