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V.Der Grundsatz der Öffentlichkeit
Оглавление66Im Zivilprozess herrscht der Öffentlichkeitsgrundsatz. Das bedeutet, jeder Mensch kann an einem solchen Verfahren als Zuhörer und Zuschauer teilnehmen bis der Gerichtssaal keinen Raum mehr bietet – ein größerer Saal muss nicht beschafft werden23 –, der gesamte Haupttermin ist öffentlich. Das gilt für die mündliche Verhandlung und die Beweisaufnahme ebenso wie für die Urteilsverkündung. Auch wenn die Möglichkeit teilzunehmen seltener wahrgenommen wird, als man vielleicht vermuten würde, hat der Öffentlichkeitsgrundsatz einen bedeutsamen staatspolitischen Hintergrund. Durch die Öffentlichkeit soll Geheimjustiz verhindert werden; die Gerichte sollen nicht hinter verschlossenen Türen tagen, sondern durch das Volk, vertreten jeweils durch die konkret teilnehmende Öffentlichkeit, kontrolliert werden. Letztlich soll dies auch das Vertrauen der Bürger in die Rechtspflege stärken, denn Misstrauen kann vielfach durch Intransparenz entstehen, Vertrauen durch Beobachtung verantwortungsvoll tätiger Staatsorgane gefördert werden. Die staatspolitische Bedeutung zeigt sich im Übrigen darin, dass der Öffentlichkeitsgrundsatz kein dem Zivilprozess spezifisches Prinzip ist, sondern gerichtsverfassungsrechtlich verankert ist (§ 169 GVG).24 Verletzungen des Öffentlichkeitsgrundsatzes sind im Zivilprozess ein absoluter Revisionsgrund: Bei einem Urteil, das unter unberechtigtem Ausschluss der Öffentlichkeit gefällt wurde, wird vermutet, dass die Urteilsfindung auf dem mit der Revision gerügten Rechtsfehler beruht, § 547 Nr. 5. Darüber hinaus ist der Öffentlichkeitsgrundsatz auch in Art. 6 Abs. 1 S. 2 EMRK festgeschrieben.
67Eine Videoverhandlung nach § 128a ZPO genügt dem Öffentlichkeitsgrundsatz, da sie am Gericht stattfindet, und die Parteien bzw. deren Vertreter nur aus der Ferne zugeschaltet werden. Eine voll virtuelle Verhandlung, die derzeit noch nicht möglich ist, aber de lege ferenda diskutiert wird, könnte etwa in einen Saal im Gericht oder sogar als Livestream übertragen werden.25 Ton- oder Filmaufnahmen zum Zweck der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung sind nach geltendem Recht unzulässig (§ 169 Abs. 1 S. 2 GVG). Davon sind Abweichungen nur im Falle herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung des Verfahrens (§ 169 Abs. 2 GVG) und bei der Verkündung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs möglich (§ 169 Abs. 3 GVG).26
68Privat- und Geschäftsgeheimnisse sollen in einigen Fällen nicht der Öffentlichkeit zugänglich sein. Dabei sieht das Gerichtsverfassungsrecht selbst einige Ausnahmen vom Öffentlichkeitsgrundsatz zum Schutz der Privatsphäre oder im Interesse eines geordneten Ablaufs des Verfahrens vor (s. §§ 170–175 GVG). Durch das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG)27 werden Geschäftsgeheimnisse auch im Zivilprozess geschützt. Die Öffentlichkeit endet, wenn Abstimmung und Beratung des Gerichts stattfinden.
69Von der Öffentlichkeit für jedermann zu unterscheiden ist die sog. Parteiöffentlichkeit, die letztlich die Möglichkeiten der Parteien beschreibt, über den Ablauf des Verfahrens, die Handlungen des Gerichts und der Gegenseite jederzeit informiert zu sein. Sie drückt sich aus im Recht auf Akteneinsicht (§ 299) und insbesondere in der Möglichkeit, der Beweisaufnahme beizuwohnen (§ 357 Abs. 1). Das gilt auch für Beweisaufnahmen außerhalb des Haupttermins. Dieses Recht steht der sonstigen Öffentlichkeit nicht (vollumfänglich) zu.