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WAS IST SCHLAF? UND WARUM SCHLAFEN WIR?

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Sie stehen im Badezimmer, putzen sich vor dem Schlafengehen die Zähne und denken über den vergangenen Tag nach. Bei der Arbeit quälen Sie sich gerade mit einem schwierigen Projekt herum. Die Kinder, die jetzt friedlich in ihren Betten schlummern, mussten am Nachmittag noch zum Fußballtraining gefahren werden, hatten danach aber noch immer genug Energie für eine wilde Kissenschlacht. Sie stellen den Wecker, kuscheln sich in Ihr Bett, schließen die Augen, doch das Gedankenkarussell im Kopf dreht sich weiter: Morgen findet nach dem Lunch ein wichtiges Meeting statt, aber die Powerpoint-Präsentation dafür ist noch nicht fertig. Dann ist da noch das Mittagessen mit der alten Freundin – das wird schön! Wie es ihr und ihrem Sohn wohl geht? Wie war das noch … sollte er nicht eine Brille bekommen? … Langsam verschwimmen die Gedanken, und Sie versinken in einer Art Nebel. Sie sind wach, aber irgendwie auch nicht. Sie wissen, dass Sie im Bett liegen, doch der Kopf ist schon ganz woanders. Dann wird es still. Sie sind wie abgekoppelt vom Raum und dem Bett, in dem Sie liegen. Plötzlich sind Sie mit der ganzen Familie am Strand. Es ist Hochsommer und eine alte Lehrerin, die Sie schon seit der Kindheit nicht mehr gesehen haben, ist auch mit dabei. Sie tanzt mit Ihnen und lobt Sie für Ihre guten Matheleistungen. Gemeinsam tanzen Sie in Ihr Elternhaus hinein, doch mit einem Mal ist die Lehrerin verschwunden, und Sie tanzen stattdessen mit einem Arbeitskollegen, den Sie nicht sonderlich mögen. Sie schreien ihn wütend an, weil er Sie kürzlich vor allen bloßgestellt hat. »Mama, Mama, wach auf!«

Es dauert eine Weile, bis Sie von Ihrem Elternhaus und dem Kollegen wieder im Schlafzimmer angekommen sind, und Sie begreifen, dass es Ihre Tochter ist, die Sie ruft und zu Ihnen ins Bett kriechen möchte – und nicht der gehässige Kollege.

Etwas Vergleichbares hat sicher jeder und jede schon einmal erlebt. Man geht vom Wachzustand in eine völlig andere Welt über. Man reist durch Raum und Zeit und wird jäh wieder in die Realität zurückgeholt. Wenn man so darüber nachdenkt, ist Schlaf wirklich ein merkwürdiges Phänomen. Gerade ist man noch ganz im Hier und Jetzt, und im nächsten Augenblick befindet man sich in einem Zustand, in dem das Bewusstsein mehr oder weniger ausgeschaltet ist. Kein Wunder, dass manche Kleinkinder Angst vor dem Einschlafen haben – schließlich verlieren sie im Schlaf die Kontrolle über ihr Leben! Mit der Zeit wird diese fremde, unwirkliche Welt des Schlafs jedoch zur Normalität, und die Angst verschwindet.

Doch was ist Schlaf eigentlich – dieser Zustand, den jeder kennt, der ein wichtiger Teil unseres Lebens ist, den aber nur wenige beschreiben oder erklären können?

Um den Schlaf zu verstehen, hilft es, zuerst einmal seinen Gegenpol, das Wachsein, genauer unter die Lupe zu nehmen. Wenn man morgens aufwacht, öffnet man das Tor zur bewussten Welt: Man sieht, fühlt, riecht und hört alles, was um einen herum vor sich geht. Man isst, wenn man Hunger hat, und man sucht Gesellschaft, wenn man sich allein fühlt. Im Wachzustand werden Körper und Gehirn pausenlos mit neuen Eindrücken und Situationen konfrontiert. Da ist zum Beispiel das Bild mit den schrillen Farben an der Wand, das die Aufmerksamkeit unseres Gehirns auf sich zieht. Oder da sind die bedrückenden Nachrichten im Radio oder Fernsehen, die uns noch Stunden später beschäftigen. Aber auch unser Körper ist während des Wachseins vielen neuen Reizen ausgesetzt. Das können beispielsweise Viren oder Bakterien sein, die durch einen Händedruck oder durch die Zunge unseres Hundes, der uns über das Gesicht schleckt, auf den eigenen Körper übertragen werden und unser Immunsystem herausfordern. Wenn man wach ist, sammelt man unweigerlich Informationen, ob man will oder nicht. Und das Gehirn interpretiert all diese Eindrücke und interagiert mit der Umwelt. Bewegt man sich dann aus diesem bewussten Zustand langsam in die unbewusste Welt des Schlafs hinein, verringert sich die Fähigkeit, Informationen zu sammeln. Man durchläuft verschiedene Schlafphasen, die teilweise von kurzen wachen, bewussten Momenten unterbrochen sind.


Doch warum ist das so? Warum leben wir während der 24 Stunden des Tages in zwei derart verschiedenen Welten? Die Antwort ist einfach: In den Stunden des Schlafs kann sich das Gehirn von den vielen wachen Stunden erholen. Denn es braucht Zeit, um all die Informationen zu sortieren, die während des Tages unentwegt auf es einprasseln. Wie auf der Festplatte eines Computers werden im Gehirn alle Informationen gespeichert, die es als wichtig erachtet – wie etwa der Inhalt der Powerpoint-Präsentation, die Sie am nächsten Tag halten wollen, oder das Rezept für den köstlichen Schokoladenkuchen, den Sie gestern bei einer Freundin gegessen haben. Unwichtige Informationen hingegen, zum Beispiel was Sie heute Morgen in den Mülleimer geworfen oder wo Sie beim Nachhausekommen Ihre Jacke abgelegt haben, werden aussortiert und von der Festplatte gelöscht. Weg mit überflüssigem Wissensmüll! Das Gehirn braucht Platz für die neuen Eindrücke des kommenden Tages, sonst besteht die Gefahr, dass die Festplatte vor lauter Überlastung abstürzt. Was uns das Wachsein kostet, bezahlen wir also mit Schlaf. Oder anders ausgedrückt: Wer wach sein will, muss schlafen. Aufgrund der vielen Informationen, die man im Laufe des Tages aufnimmt, ist die Energie des Gehirns am Ende des Tages aufgebraucht. Übrig bleiben Rückstände, Abfallstoffe, die entsorgt werden müssen.

Während man schläft, findet im Gehirn ein Reinigungsprozess statt. Abfallstoffe werden in großer Menge abtransportiert. Wenn man nicht ausreichend schläft und der Müll deshalb nicht entfernt werden kann, altert das Gehirn schneller und ist anfälliger für Schädigungen. Auf lange Sicht kann die Verbindung zwischen wichtigen Nervenzellen beschädigt werden, was zu Gedächtnisstörungen und im schlimmsten Fall zu einer Demenzerkrankung führen kann.

Wer wach sein will, muss schlafen.

Doch nicht nur das Gehirn kann sich im Schlaf erholen. Auch für den restlichen Körper ist die Regeneration im Schlaf essenziell, zum Beispiel damit der Verdauungstrakt oder das Herz-Kreislauf-System tagsüber reibungslos funktionieren können. Während des Tages verbrennt der Körper viel Energie, denn die Energiefabriken der Zellen arbeiten auf Hochtouren. Im Schlaf aber kann das Gewebe eine Pause einlegen, die Zellen können regenerieren und bei Bedarf repariert werden.

Während der Nachtruhe schüttet der Körper zudem viel Melatonin aus, ein Hormon, das, wie Studien zeigten, falsch programmierte Zellen aufspüren kann. Vielleicht könnte dies erklären, warum Schlafen das Risiko für bestimmte Krebsarten minimieren kann. Im Schlaf ist der Körper zudem in weit geringerem Maße schädlichen Bakterien oder Viren ausgesetzt als im Wachzustand. In dieser Zeit kann das Immunsystem seine Arbeit ganz ungestört verrichten und dafür sorgen, dass wir gesund bleiben. Mehr darüber, wie der Schlaf unser Gehirn und unseren Körper beeinflusst, erfahren Sie in den Kapiteln 2 und 3.

Schlaf ist die beste Medizin

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