Читать книгу Glock 17 - Emely Bonhoeffer - Страница 16
Szene 11:
ОглавлениеUnd mit dem allerletzten Quäntchen Kraft tat sie es: Olivia stieß ihn von sich. Verwirrt starrte er sie an, doch sie durfte jetzt nicht schwach werden. Leider hatte sie keinen Plan, ihr fielen nicht die geeigneten Worte ein, um ihn fortzustoßen. „Verdammt!“, rief sie.
Bevor er etwas darauf erwidern konnte, schlug sie ihn notgedrungen bewusstlos. Sein Körper fiel zu Boden. Es war ihr in diesem Moment gleichgültig, ob er blaue Flecken davontragen würde. Sein Haar verdeckte seine Augen und es schien, als würde er nur kurz schlafen. Sie blieb an dem Anblick hängen. Er war irgendwie beruhigend. Olivia zwang sich dazu, sich davon loszureißen, denn andere Dinge stellten im Augenblick ihre Prioritäten dar.
Noch kurze Zeit wartete sie, dann zerriss sie ihr Kleid am Saum und zerzauste ihr Haar noch mehr, als es ohnehin schon war. Die Kunst, Leute etwas glauben zu lassen und eine vollendete Illusion zu erschaffen, hatte sie mit den Jahren perfektioniert. Olivia verließ den Raum und stahl sich unbemerkt von der Party.
Es war kühl, als sie die Tür nach draußen aufstieß. Sofort begann sie zu frösteln, doch das lag nicht an dem kalten Wind, der durch die Baumwipfel peitschte, sondern an der Anwesenheit ihrer Feinde, die sie deutlich spüren konnte. Zwanzig Schritte ging sie nach vorne, nur um daraufhin dort ganz ruhig stehen zu bleiben. Sie würden schon kommen. Wachsam behielt sie ihre Umgebung im Auge. Ihre Sinne wurden aktiv. Jeden Muskel spannte sie an. Und wartete still und leise.
Das Messer bemerkte sie bereits, als sie es noch nicht einmal sah. Blitzschnell wich sie ihm mit einem Schritt zur Seite aus und die Klinge bohrte sich in die raue Rinde des Baumes hinter ihr. Ihre schlanken Finger umschlangen das Leder des Griffes fest und sicher und zogen es aus dem Stamm. Nur Sekunden später und es hätte sie durchbohrt. Aber so einen warmen Empfang war sie ja gewohnt. Schnell ließ sie es in einer versteckten Tasche, eingenäht in ihr Kleid, verschwinden und konzentrierte sich auf die Richtung, aus der es geflogen kam. Alles in ihr verspannte sich, als sie erkannte, wie vier Gestalten aus dem Schatten der Bäume traten. Zwei ihr unbekannte Männer des Kartells und Henry und Tylor. Allesamt gekleidet in schwarze, teuer aussehende Trenchcoats. Überrascht war sie davon jedoch nicht. Das Extravagante war ein Punkt, in dem sie sich von anderen spanischen Kartellen unterschieden. Dass sich ihr Kleidungsstil verändert hatte, war dem wachsenden Reichtum des Kartells zu verdanken gewesen.
Die ihr fremden Männer waren jung, vielleicht Anfang zwanzig. Der Anblick von den vier Gestalten in einer Reihe, die das pure Böse verkörperten, ließ das Blut in ihren Adern gefrieren, nur um es daraufhin zu entzünden. Und es brannte – lichterloh.
„Ihr habt neue Rekruten, wie ich sehe.“ Belustigung war ihren Worten zu entnehmen. „Ihr habt doch nicht etwa geglaubt, ihr könntet mich ersetzen?“ Sie ließ ihnen keine Zeit zum Antworten. Olivia ging mit gespielter Gelassenheit weitere Schritte auf sie zu. Ihr Tonfall aber wurde ernster. „Ihr wisst genauso gut wie ich, dass das nicht möglich ist.“
Das mochte für einen Außenstehenden arrogant klingen, aber es war wahr. Mit Olivia hatte das Kartell eine unersetzbar talentierte Kämpferin verloren.
„Schon gar nicht durch sie.“ Abfällig glitt ihr Blick an den ihr Unbekannten hinunter.
Beide hatten dunkles Haar und waren nicht sonderlich ansehnlich. Sehnige Typen, die Olivia mit ein paar Schlägen leicht ausschalten könnte. Keine großen Hindernisse im Kampf. Und es würde einen Kampf geben, denn aus dieser ganz und gar nicht unbeabsichtigten Begegnung würden sie nur blutig auseinandergehen. Wahrscheinlich würden die Männer des Kartells am Anfang noch die netten Leute aus dem weißen Van spielen, die einem ein süßes Kätzchen versprechen, wenn man nur ganz kurz mit ihnen kommt. Aber sobald man das Angebot ablehnt und gehen will, würden sie ihre freundliche Maskerade fallen lassen, einen packen und rücksichtslos ins Auto zerren.
Mal sehen, ob sie mit ihrer Vermutung richtig lag. An Henry und Tylor gewandt fuhr sie fort: „Was wollt ihr hier? Habt ihr euch bei eurem Abendspaziergang etwa verlaufen?“ Olivia verschränkte die Arme vor der Brust.
Doch anstatt einer Antwort stellte Henry ihr eine Gegenfrage: „Und? Hast du dich mit dem attraktiven Jungen schön amüsiert?“ Zayn. Natürlich wollten sie über ihn sprechen. Offenbar hatten sie sich zum Ziel gesetzt, zu Beginn des Gesprächs bereits eine ihrer Schwachstellen aufzudecken. Doch Olivia entschied sich einfach zu lachen.
„Oh ja, er ist zwar nicht so gut gewesen wie der, den ich gestern hatte, aber trotzdem nicht zu verachten.“ Damit hatte sie ihn untergeordnet und sie glaubten ihr. Das erspähte sie in ihren Augen. Olivia Alvarez war eine meisterhafte Lügnerin. Zayn war nun nicht länger von Bedeutung für die Kartellmitglieder.
„Was wollt ihr hier?“, wiederholte sie ihre Frage. Für wenige Augenblicke war nur das Rascheln der Tannenspitzen zu hören und Henry und Tylor, die kurz einen überlegenden Blick austauschten, zu sehen. Doch dann entschieden sie sich dazu, es ihr mitzuteilen.
„Wir sollen einige Morde untersuchen. Scheinbar sind unsere Männer bei den Auftragskillern beliebter denn je“, antwortete ihr diesmal Tylor. „Und da haben wir dich entdeckt. Wir mussten zwar zweimal hinschauen, aber wir haben dich erkannt. Du bist garantiert nicht zufällig hier, Olivia.“ Mit einem hinterlistigen Lächeln verriet sie ihnen auch ohne Worte, dass sie damit richtiglagen. Die Rekruten standen still und brav neben ihren Ranghöheren und ihre Blicke hatten sich ausdruckslos an Olivia festgehakt. Aus mehreren Gründen, wie sie natürlich wusste.
„Die Auftragsmörder dieser Stadt wollen zwar noch nicht reden, aber sie werden bald singen wie die Vögel im Frühling.“ Fast hätte sie gelacht über diesen paradoxen Vergleich, jedoch nahm das Gespräch eine Wendung, die ihre gesamte Aufmerksamkeit forderte, als Tylor wieder das Wort ergriff. „Deinem Vater würde es sicherlich nicht gefallen, dass du rumläufst und seine Leute umbringen lässt. Offensichtlich warst du dir zu schade dafür, es selbst zu tun. Obwohl du Profis beauftragt hast, wäre dein Vater von dieser Aktion und deiner Faulheit trotzdem nicht sonderlich angetan.“ Absichtlich hatte Tylor ihren Vater in die Unterredung eingebunden, weil er wusste, dass er einen ihrer Schwachpunkte verkörperte. Wie von ihnen erwartet blieb Olivia fürs Erste stoisch ruhig, ließ die Worte an sich abprallen wie an einer Mauer gefertigt aus glattem Eis.
„Wer weiß? Vielleicht gibt es ja sogar eine Belohnung, wenn wir dich zurück zum Boss bringen. Was meinst du, Henry?“ Er drehte sich zu diesem um und die beiden grinsten sich an, während Henry Tylor zustimmte. Tylor wandte sich wieder Olivia zu und blickte ihr in die Augen, doch sie hielt ihm, stark wie sie war, stand. Unvorhergesehen jedoch durchschlugen seine folgenden Worte die Eismauer und ließen Olivia alles andere als kalt. „Dann kann ich endlich da weitermachen, wo ich letztes Mal mit dir aufgehört habe.“ Damit war Tylor zu weit gegangen!
Die Erinnerungen trafen sie unerwartet schmerzhaft. Sie entflammten den Hass in ihr so kraftvoll, dass er es gespürt haben musste. Das dreckige Grinsen schwand aus seinem Gesicht und instinktiv stolperte er mehrere Schritte nach hinten, als sie ihn mit tödlicher Miene fokussierte. Die Erinnerung war machtvoll wieder in ihr und versetzte sie in die Gefühle nach seiner Tat zurück. Die Hilflosigkeit, die Wut und besonders der Schmerz, der ihr Leben schon immer geprägt hatte, ließen das Feuer in ihren Adern sich unkontrolliert ausbreiten. Es fraß jeden Zweifel und jede Unsicherheit. Olivia öffnete und schloss ihre Hände zu Fäusten.
Plötzlich war sie jedoch wieder völlig entspannt, denn ihr Verstand hatte gerade eine geniale Idee hervorgebracht. „Also, ich bin wirklich enttäuscht, dass ihr mir so etwas zutraut.“ Demonstrativ legte sie eine Hand auf ihre Brust. Henry und Tylor tauschten einen verwirrten Blick aus. Nun hielt sie die Zügel dieser Unterhaltung wieder in ihrer Hand. „Ich brauche doch keinen Auftragskiller!“ Ihr Gesichtsausdruck war gefährlich erfreut. „Nein, wozu wurde ich denn ausgebildet? Ich habe ihnen natürlich persönlich die Kehlen aufgeschlitzt!“
Die Rekruten zuckten zusammen bei der Grausamkeit ihrer Worte und der Leichtigkeit, mit der sie ihr über die Lippen kamen. Henry und Tylor waren für wenige Augenblicke wie eingefroren.
Es war nur eine Kleinigkeit, doch sie bemerkte sie.
Eine Winzigkeit, die sich in ihrem Blick änderte.
Es war der erste Funke Wut und diese wollte sie bis aufs Äußerste ausreizen.
„Was ist los mit euch?“ Provozierend hob sie ihre Arme. „Wisst ihr, ich habe eine Liste angelegt. Auf der stehen die Namen aller Leute aus dem Kartell, die mir je etwas angetan haben. Doch das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit, die diese grauenhaften Menschen haben.“
Henry trat sichtlich wütend darüber, dass sie die Frechheit besaß, vor ihnen mit der Ermordung von hochrangigen Kartellmitgliedern zu prahlen, einen Schritt nach vorne. „Welche noch?“ Zorn lag in der Luft, genauso wie Neugierde. Olivia nahm beide mit Genugtuung wahr.
„Sie haben noch etwas gemeinsam.“ Ihre Augen schimmerten beinahe schwarz im kümmerlichen Licht der Mondsichel. „Sie werden alle noch vor Ende dieses Jahres … mausetot sein.“
Nun schäumten die vier Männer über. „Damit bist du zu weit gegangen, Olivia!“ Henry fackelte nicht lange und zog eine pechschwarze Pistole aus seiner Manteltasche. „Es ist mir egal, was der Boss sagen wird, du wirst den nächsten Morgen nicht mehr erleben!“
Tylor holte ebenfalls seine Waffe hervor. Zwei glänzende Schusswaffen lagen still und folgsam in den Griffen zweier Mitglieder eines der erfolgreichsten Kartelle Spaniens und warteten darauf, dass ihre Besitzer die unwiderrufliche Entscheidung trafen, sie zu benutzen. Alles Teil von Olivias Plan.
Das Adrenalin flutete sie, während sie ihnen entgegenschrie: „Ihr wollt mich?“ Die Antwort war ohne Zweifel in ihren Gesichtern zu erkennen. „Dann kommt und holt mich!“
Sie machte auf dem Absatz kehrt und rannte los, so schnell sie nur konnte. Zu schnell, als dass die Männer ihr freies Schussfeld auf sie rechtzeitig nutzen konnten. Die Hohlköpfe fühlten sich mit ihren Waffen in den Händen so sicher, dass sie ihr folgten, das war ihr bewusst. Olivia jagte vorbei an Tannen und über Wurzeln durch den nur vom Mondlicht erleuchteten Wald. Ihre Haare flatterten im heulenden Wind. Um in ihren hohen Schuhen nicht zu stolpern, musste sie sich unglaublich konzentrieren.
Als sie auf einer Lichtung weit weg vom Haus ankam, stoppte sie abrupt.
„Das war dumm von dir, Olivia, wirklich nicht sehr klug“, ertönte Tylors Stimme nur wenige Sekunden später hinter ihr, zusammen mit dem Klicken seiner Pistole. Sie war nun entsichert. Und das weitere Klickgeräusch verriet ihr, dass es Henrys auch war. Ab jetzt war Vorsicht angesagt. Olivia kehrte ihnen immer noch den Rücken zu und widersprach ihm etwas außer Atem.
„Oh nein, es war nicht sehr klug von euch.“ Ehe sie sich versahen, hatte Olivia zwei Messer aus der Tasche an ihrem Kleid gezogen, das eine war ihr Begrüßungsgeschenk vom Kartell gewesen und das andere hatte sie selbst mitgebracht. Das erste schleuderte sie, während sie sich umdrehte und den Kugeln der Pistolen auswich, die im selben Moment losgingen, auch schon in Henry. Sekunden später schon sank er zu Boden. Ein Schütze weniger. Ab diesem Moment war sie nicht mehr aufzuhalten. Mit dem anderen Messer traf sie einen Rekruten zielgenau in den Hals. Nun war Tylor richtig in Fahrt. Geschickt wich Olivia seinen Kugeln aus, während sie sich ihre Messer aus den beiden Toten zurückholte, nur um sie dann mit voller Wucht in die Brust vom zweiten Unbekannten und Tylor zu schmettern. Japsend gingen sie zu Boden. Schlussendlich stand Olivia mitten im Feld der Leichen. Sie fühlte sich wieder unbesiegbar, und genau das war sie in diesem Moment auch: unerschütterlich, unbezwingbar und unbesiegbar. Das Feuer, ihre Antriebskraft, begann, sich zurückzuziehen, da es nun nicht länger benötigt wurde, und schaffte Platz für die aufwallende Freude. Erneut war sie aus einem Kampf siegreich hervorgegangen. Ihr Blick schweifte über die Toten und in ihr formte sich zum wiederholten Mal eine ungreifbar große Stärke. Olivia schloss die Augen und genoss das Gefühl, das es ihr für eine kurze Zeit schenkte. Ihre blutgetränkten Messer zog sie aus den toten Körpern, und nachdem sie sie im Tau auf dem Gras der Lichtung gesäubert hatte, steckte sie sie wieder weg. Glücklich brach sie nach Hause auf.