Читать книгу Glock 17 - Emely Bonhoeffer - Страница 17
Szene 12:
ОглавлениеDer Heimweg hatte an ihren letzten Kräften gezehrt und so gaben ihre Beine einfach unter ihr nach, als sie um kurz nach Mitternacht die Metalltür, die zur Tarnung mit Holz ummantelt war, zustieß. Olivia lehnte sich gegen die Holzvertäfelung und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Ihr Haar fiel ihr zerzaust über die Schulter. Schwach beleuchteten die eingelassenen Deckenlichter den Raum, der ihr heute so viel kleiner erschien als sonst.
„Olivia, wo warst du? Zayn und Tiffany haben hier angerufen. Kann es sein, dass du Tiffany deine Nummer gegeben hast? Jedenfalls waren die beiden besorgt und …“ Ryan eilte aus seinem Zimmer. Er trug Jeans und T-Shirt. Schnell erkannte er das Ausmaß ihrer Erschöpfung. Ihr Atem ging unruhig, zugleich taten all ihre Glieder weh. Nur langsam normalisierte sich ihr Herzschlag wieder, jedoch würde das Restadrenalin in ihren Adern sie nicht ewig wachhalten können. Zwar war Olivia eine standhafte Kämpferin, aber auch sie besaß Grenzen. Ihre Füße schmerzten und ihre Beine brannten, ihre Muskeln waren zermürbt und ihr Geist wollte nur noch seine Ruhe.
„Was ist passiert?“ Ryans Stimme spiegelte Sorge wider, während er auf sie zueilte und sich neben sie kniete.
„Das Kartell hat mich gefunden. Henry, Tylor und zwei weitere wollten mich wieder zurückbringen.“ Verachtung schwang in ihren Worten mit. Er konnte in ihren Augen den Hass kurz aufblitzen sehen, bevor ihr Blick wieder Erschöpfung signalisierte. Ryan hob sie vom Parkettboden hoch und sie lehnte sich an ihn. Behutsam legte er sie auf dem bequemen, schwarzen Sofa im Wohnzimmer ab, schaltete die Lampe daneben ein und fing an, ihr ihre Schuhe auszuziehen und ihre Wunden zu betrachten. „Wo sind die Typen jetzt?“, wollte er wissen.
„Bei Lamero, Ricardo und den anderen“, antwortete sie matt.
„Hm. Bist du den ganzen Weg nach Hause etwa gelaufen?“
„Nicht alles. Nur so weit, bis ich wieder in die Zivilisation kam und mir ein Taxi nehmen konnte. Reg dich nicht auf, das waren nur wenige Kilometer.“ Sie schloss ihre Augen vor Müdigkeit und ließ sich auf den weichen Stoff unter sich sinken. Ryans entsetzte Stimme hielt sie wach. „Du bist was?! Olivia, das war nicht gerade clever. Vor allem nicht in den Schuhen!“ Für eine Weile fehlten ihm die Worte. „Deswegen sehen deine Füße auch so schlimm aus …“ Seine Stimme war nun weicher, fast zu weich für das ehemalige Mitglied eines Drogenkartells. Nun bemerkte er auch ihre anderen zerschrammten Körperteile. „Aber woher stammen die Kratzer an deinen Armen und Beinen … und in deinem Gesicht?“ Ryan drehte ihr durch kleine Schrammen beschädigtes Gesicht ins Licht der Stehlampe und sie seufzte leise, bevor sie zu Erklärungen ansetzte. „Erstens ist es gar nicht so schlimm, wie es aussieht. Es sind nur Kratzer, wie du schon sagtest. Bis morgen dürften sie verheilt sein. Und zweitens bin ich durch den Wald gelaufen, für den Fall, dass noch mehr Leute meines Vaters vor Ort waren, um diese Uhrzeit logischerweise auf der Zufahrtsstraße des Anwesens und nicht im umliegenden Waldgebiet. Dabei waren die Äste der Bäume nicht gerade meine allerbesten Freunde. Es war zu gefährlich, nachdem ich Henry, Tylor und ihre Rekruten auf der Lichtung getötet hatte, wieder zurückzugehen, also hielt ich mich nahe der Straße und folgte ihr in Richtung der nächstgelegenen Stadt.“ „Mann, Olivia, du bringst dich echt immer in Gefahr. Wie haben sie dich überhaupt finden können?“ „Mein Vater lässt die Morde an seinen hochrangigen Mitgliedern natürlich nicht unbeachtet. Wenn jemand seine Leute umbringt, darf er das doch aus Gründen der Ehre nicht ignorieren. Er will den Mörder finden und dann dasselbe wie ich: Rache. Deswegen waren sie in der Stadt. Und dass sie mich dann entdeckt haben, war wohl einfach ein blöder Zufall.“ In diesem Moment wusste sie genau, was er dachte. „Kein Grund zur Sorge, Ryan. Wenn sie ihn vorher informiert hätten, dass ich mich in London aufhalte, hätte er ihnen befohlen, mich im Auge zu behalten und nicht direkt zu konfrontieren. Du weißt doch, wie er ist: Um Familienangelegenheiten kümmert er sich immer persönlich.“ Ihr Blick glitt zur Eichenholzkommode neben dem Fenster, bevor sie ergänzte: „Außerdem habe ich es an ihren Worten gemerkt, dass sie meinen Vater noch nicht eingeweiht hatten.“ Eine Weile schwieg Ryan, dann stand er auf. Anscheinend hatte er zunächst keine Fragen mehr. Weil ihm während des Gesprächs ihre raue Stimme aufgefallen war, holte er ihr aus der Küche ein Glas Wasser. Sie leerte es begierig in mehreren Schlucken. Nun war ihr Durst gestillt und Ryan nahm neben ihr auf der Couch Platz. Man sah Olivia an, wie ausgelaugt sie war, doch neben der Müdigkeit machte ihr unbemerkt auch noch etwas anderes zu schaffen. „Sie haben mich zusammen mit Zayn gesehen. Ich wollte ihn nicht in die Schusslinie bringen, deshalb tat ich so, als wäre er nur einer meiner vielen Eroberungen … Ich habe ihn geküsst, bin mit ihm in ein Hinterzimmer gegangen und habe ihn dort bewusstlos geschlagen. Dann habe ich mich so hergerichtet, als ob ich mit ihm Spaß gehabt hatte, und sie von ihm und den anderen weggelockt.“ Sein Blick streifte nun ihr zerfetztes Kleid und er verstand schnell. „Du hast gesagt, du hättest so getan, als wäre er unbedeutend, aber ist er es denn auch? So, wie du dich offensichtlich um ihn gesorgt hast?“ Er wusste, er war nicht berechtigt dazu, diese Fragen zu stellen. Was Olivia sofort bestätigte: „Wer bist du? Mein Kummerkasten?“ „Ich bin dein Freund und will nicht, dass du dich seinetwegen in Gefahr begibst oder er dir das Herz bricht“, stellte er klar. „Du machst dir Sorgen um mein Herz? Dabei vergisst du etwa Wichtiges: Zuerst bin ich diejenige, die Herzen bricht und zweitens“, jegliche Wärme sickerte aus ihrer Stimme heraus, „kann man nichts brechen, das bereits kaputt ist.“ Sie spürte eine Träne, doch wie so oft in letzter Zeit hielt Olivia sie zurück. Sie hasste es, zu weinen. Weinen vor anderen offenbarte ihre Verletzbarkeit und Schwäche. Niemand sollte von ihnen erfahren – mit Ausnahme von Ryan, der Person, für die sie eh nichts Neues mehr waren. Trotzdem konnten solche Dinge eines Tages Olivias Untergang bedeuten. Dabei war es nie ihr Ziel gewesen, unterzugehen. „Okay, du bist müde und fertig“, sagte Ryan, „du solltest jetzt schlafen gehen und dich ausruhen. Wir reden morgen über das weitere Vorgehen wegen des Kartells. Meine Informationen können warten.“ „Das werde ich tun, danke.“ Sie lächelte ihm zu. Schwerfällig erhob sie sich, und als sie schon fast aus dem Raum hinaus war, hielt sie inne, eine Hand auf dem Türrahmen liegend, und drehte sich noch mal zu ihm um. „Was haben Zayn und Tiffany eigentlich gesagt?“ „Tiffany wollte nur wissen, ob du gut nach Hause gekommen bist, weil du so schnell weg warst, und Zayn, na ja, er war ziemlich wütend und auch etwas verwirrt. Du wirst ihm am Montag einiges erklären dürfen. Denk dir lieber eine gute Geschichte aus!“ „Mach ich.“ Dann drehte sie sich um und verließ das Zimmer. Sie brauchte Zeit und vor allem Ruhe zum Nachdenken.
Szene 13:
Nachdem sie sich ihrer Kleidung entledigt hatte und das erste warme Wasser ihre verspannten Muskeln lockerte, seufzte sie erleichtert. Für wenige Momente schloss sie ihre schweren Lider und vernahm nur das Geräusch des Wassers, welches hart auf den Boden prasselte. Der heiße Wasserdampf hüllte sie in einen weißen Nebel.
Als sie das Blut ihrer Feinde abwusch, was auf der Haut an ihren Händen getrocknet war, färbte sich das Duschwasser zu ihren Füßen für einige Augenblicke kristallrot, nur um dann im Abfluss zu verschwinden. Wie oft hatte sie das schon gemacht, das Blut der Toten von ihrer Haut gewaschen? Es stand immer für einen Kampf – ihren Kampf ums Überleben.
Vielleicht war sie gerade körperlich extrem erschöpft, aber auch innerlich erging es ihr nicht anders. Olivia war es leid, für ihr Leben und ihre Freiheit kämpfen zu müssen. Für einen flüchtigen Augenblick rann die Wut erneut durch ihre Adern und sie schlug ihre Faust frustriert gegen die Scheibe der großräumigen Duschkabine.
Eine kleine Weile lang dachte sie an rein gar nichts.
Doch sobald sie die Augen wieder schloss, kamen wie erwartet die Erinnerungen an Henry und Tylor hoch, um sie ein letztes Mal zu quälen: Erst erblickte sie Tylors Gesicht. Sein dunkles, verstrubbeltes Haar. Aber von seiner Attraktivität hatte sie sich nie täuschen lassen, denn im Kartell galt meistens: Je schöner von außen, desto hässlicher von innen. Paradebeispiel hierzu war er gewesen. In ihrer Erinnerung befanden sie sich im Trainingsraum. Tylor hielt mit beiden Händen unter geringem Kraftaufwand Pfeil und Bogen auf Olivia gerichtet, sie war seine menschliche Zielscheibe. Bedrohlich glänzte die Pfeilspitze im Licht. An diesem Tag hatte er sie besonders in die Mangel genommen. Die Angst und das Adrenalin hatten sich in ihrem Blut zu einer Kraft vermischt, die sie trotz der großen Erschöpfung in ihrem gesamten Körper auf den Beinen hielt. Sie war wütend, doch nicht so wie normal. Diesmal formte sich ihr Wille stärker denn je heraus. Olivia stand kurz vorm Explodieren. Bereits seit einer Stunde rannte sie ununterbrochen. Tylor hatte sie mit Pfeilen einen Parcours hochgejagt, immer und immer wieder. Ihr reichte es nun! Alles in ihr spannte sich an. Sie wollte nicht mehr davonrennen. Nicht vor ihm. Sie fokussierte ihn und presste ihre Augen zu Schlitzen, um alles um ihr Ziel herum auszublenden.
Dann rannte sie mit Schwung und kochender Wut in ihren Adern los. Direkt auf ihn zu. Seinem ersten Pfeil wich sie noch geschickt aus, doch er hatte schneller wieder nachgespannt und abgeschossen, als dass sie reagieren konnte, und so traf sie sein zweiter Pfeil in die Schulter. Der Schmerz entlockte ihr einen spitzen Schrei. Die metallene Spitze hatte sich in ihr Fleisch gebohrt und einen Teil ihres Knochens zerschmettert. Der Schmerz brannte wie Feuer in ihrem Schulterblatt, während ihr Herz energisch pochte und hämmerte. Das Leid befeuerte sie und so biss sie die Zähne zusammen und zog den Pfeil in einem Ruck aus der Wunde. Obwohl sie wusste, dass das nicht gerade die klügste Idee gewesen war, war ihr auch bewusst, dass der Pfeil sie nur behindert hätte bei ihrem Vorhaben, Tylor auf schrecklichste Weise die Kehle aufzuschlitzen.
Jedoch hatte sie nicht mit dem völlig neuen Level an Qual und Schmerz gerechnet, mit dem sie in diesem Moment Bekanntschaft gemacht hatte. Zwar hatte der Pfeil keine große Arterie getroffen, aber trotzdem rann Blut aus der Wunde an ihr herunter und tränkte ihren Trainingsanzug rot. Der Schweiß und das Blut glitzerten im grellen Licht um die Wette und sowohl ihre Kehle als auch ihre Lungen brachten sie beinahe um, so sehr schmerzten sie in ihr. Der Schmerz vernebelte ihren Verstand, und als Tylor sich über sie beugte und die Blutlache um sie herum genüsslich betrachtete, stieß sie unter Aufbringung ihrer letzten Kraft hervor: „Du bist schon so gut wie tot! Dafür werde ich sorgen. Du hast mein Wort!“
Dann wurde es schwarz vor ihren Augen. Die Erinnerung verschwand in der hintersten Ecke ihres Kopfes und nahm einen Teil des Schmerzes mit sich.
Erst einmal, dann zweimal atmete sie tief durch, als sich auch schon die zweite Erinnerung ihrer bemächtigte: Es war derselbe Raum wie bei Lamero gewesen, aber diesmal war sie älter, stärker. Nur leider änderte das nichts am großen Ganzen: Olivia war immer noch zu schwach gewesen. Henry schloss die Tür ab und drehte sich mit kalter Miene zu ihr um. Schutzlos war sie ihm ausgeliefert gewesen. Keinen hatte damals ihr Wohlergehen interessiert. Angst ließ sie erstarren, doch sie würde nicht betteln, weil sie wusste, dass es nichts ändern würde. Niemals. Er näherte sich ihr, dann fasste er sie bestimmend am Kinn und hob ihren schlaff herunterhängenden Kopf an.
Er sah die Traurigkeit in ihren Augen.
Er sah, dass sie aufgegeben hatte.
Zumindest in diesem kleinen Kampf.
Henry wusste, dass sie ihn inbrünstig hasste und noch mehr sich selbst, weil sie nur dasaß, auf dem Steinboden, und nicht handelte, doch es war ihm egal. Zu dieser Zeit war sie zu müde gewesen, zu erschöpft, um weiterzukämpfen. Ein Stückchen mehr brach sie in dem Moment, in dem er anfing, sie zu Sachen zu zwingen, die sie nicht wollte. Die Hoffnungslosigkeit erfüllte ihren Körper mit einer bleiernen Schwere. Einer der wenigen Augenblicke in ihrem Leben, in denen sie sich nicht gewehrt hatte. Später hatte sie es bitter bereut. Die Erinnerung wurde zwar wieder in die hinterste Ecke ihres Kopfes verbannt, aber die Trauer krallte sich trotzdem an ihr fest. Eine Träne rollte ihr über die Wange und vermischte sich mit dem Duschwasser, das immer noch in Schlieren an ihr herunterlief. Olivia schluchzte auf und dann brach der Damm in ihr. Bitterlich weinte sie jene Tränen, die es vor ihren Feinden nicht aus ihr herausgeschafft hatten. Ihre Beine fühlten sich schwer an, obwohl ihre Last in letzter Zeit leichter geworden war. Olivia konnte sich nicht länger auf ihnen halten und setzte sich, die Ellenbogen auf die Knie abgestützt, auf die hellgrauen Steinfliesen unter ihr, vergrub die Hände in ihren Haaren und weinte ungesehen von der Welt ihre Tränen. Es brauchte eine Weile, aber irgendwann versiegte der Strom und sie verließ die Dusche auf wackeligen Beinen.
Als sie dann endlich in ihrem Bett lag, war ihr selbst das Denken zu viel. Innerlich war sie leer. Die Turmglocken hörte sie noch schlagen, bevor sie auch schon hinabsank in die Welt der Träume, doch nicht einmal dort machte ihre Vergangenheit halt, sie zu quälen.