Читать книгу Glock 17 - Emely Bonhoeffer - Страница 25
Szene 21:
ОглавлениеDie Vorhänge wurden auseinandergezogen und das einfallende Licht erhellte die Dunkelheit hinter ihren Lidern schlagartig. Überrascht schlug sie die Augen auf und sah nur noch weiß.
Nachdem sich ihre Sicht geklärt hatte, griff sie sich ein Kissen und warf es empört nach Ryan, der die Frechheit besaß, sie so abrupt aus dem Schlaf zu reißen. Dieser wich jedoch lachend aus und auch sie musste lächeln, als sie ihn zur Rede stellte. „Welche gute Rechtfertigung hast du, mich wie ein rücksichtsloser Quälgeist aus meinem wundervollen Traum zu wecken?“
Er antwortete gelassen: „Wir haben gleich Mittag, Leyre redet nicht mit mir, sondern nur mit dir, und du musst in zwei Stunden zu einer Poolparty, schon vergessen?“
Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Das sind keine guten Rechtfertigungen. Dass wir gleich Mittag haben, ist mir egal, Leyre ist eben mehr der stille Typ und ich habe noch zwei Stunden bis zur Party. Ich bin in weniger als einer halben Stunde fertig, immerhin bin ich keines dieser Mädchen, die stundenlang im Badezimmer brauchen.“ Doch anstatt einzusehen, dass er sie grundlos geweckt hatte, schmunzelte er nur und verließ den Raum. Olivia widerstand mühelos der Verlockung, die Vorhänge einfach wieder zuzuziehen und weiterzuschlafen. Sie brauchte keinen Schlaf mehr, sie fühlte sich wach, energiegeladen und gut – verdammt gut sogar. Sergio war erledigt und heute würde sie für einen Tag ein ganz normales Mädchen sein. Also stand sie auf und machte sich fertig. Als sie in die Küche kam, hockte Leyre bereits beim Mittagessen. Trotzdem bereitete sich Olivia erstmal Frühstück zu, ließ ihren Übernachtungsgast währenddessen aber nicht aus den Augen. Ryan hatte ihr eine Hose und ein Top von Olivia zum Anziehen gegeben, welche ihr durch die im Kartell erlittene Unterernährung jedoch etwas zu groß waren. Aktuell starrte sie mit großen Augen auf ihren Teller, der mit Reis und Hähnchen gut gefüllt war. „Dasselbe hat sie heute Morgen auch mit ihrem Frühstück gemacht.“ Ryan, der gerade die Küche betreten hatte, informierte Olivia in leisem Tonfall. „Sie hat es nur angestarrt, als würde es sie beißen wollen, und als ich sie gefragt habe, ob etwas damit nicht stimmt, hat sie mich nur ängstlich angestarrt und geschwiegen.“ „Ich kümmere mich drum“, versicherte ihm Olivia, „sie braucht bestimmt nur Zeit. Du weißt doch noch, wie ich damals war.“ Sie tauschten einen kurzen Blick. Olivia nahm sich ihre Müslischale und setzte sich zu Leyre an den Tisch. Diese schaute kurz von ihrem Essen auf, das sie immer noch nicht angerührt hatte, und lächelte zaghaft. Wenigstens etwas, dachte sich Olivia. „Hey“, sagte sie, „gut geschlafen?“ „Ja“, bekam sie leise als Antwort. „Wieso isst du nichts? Magst du es nicht oder ist etwas damit nicht in Ordnung?“ Kurzes Schweigen. „Nein, damit ist alles in Ordnung. Ich …“ Für wenige Sekunden wanderte ihr Blick zu Ryan und Olivia wusste die Lösung des Rätsels. „Ryan, wärst du so nett und würdest in mein Zimmer gehen und mir meine Sonnenbrille bringen? Ich glaube, ich habe sie auf meinem Schreibtisch liegen lassen“, bat sie ihn mit der Brille auf dem Kopf. Er verstand und ließ sie beide allein. „Danke“, ertönte es prompt. „Wenn du mir danken willst, dann iss etwas! Du musst keinen Hunger mehr leiden. Der Kühlschrank ist randvoll. Bediene dich einfach, egal, was du willst, und wenn du irgendwas Spezielles essen möchtest, sag es einfach Ryan, er kauft es dir.“ Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel bei den nächsten Worten. „Als ich ging, habe ich eine ordentliche Summe Geld vom Konto meines Vaters auf meins wechseln lassen. Lebensmittelknappheit gibt es bei uns also nie.“ Damit brachte sie Leyre zum Lachen und endlich fing sie an, zu essen. Zwar in kleinen Stücken, aber sie aß, und Olivia machte sich auch daran, dass sie etwas in den Bauch bekam. Nachdem sie fertig waren, strahlte Leyre sie dankbar an. „So, ich bin zwar großzügig und ich will dir gerne glauben, dass du Opfer und nicht Täter bist, wenn es ums Kartell geht, aber ich brauche Beweise. Ich weiß nichts über dich und genau das kann dich gefährlich für mich machen. Ich helfe dir gerne, aber du musst mir beweisen, dass du nicht fürs Kartell arbeitest.“ Trotz ihres netten Tonfalls, erschrak das Mädchen ihr gegenüber. Olivia sprach unbeirrt weiter, während sie sich auf ihrem Stuhl zurücklehnte. „Du musst wissen, ich habe schon viele Menschen getroffen, starke und schwache. Doch eines hatten die meisten gemeinsam: Sie standen in den Diensten des Kartells. In den meisten Fällen habe ich es gleich zu Beginn gemerkt, wenn mein Vater sie mal wieder darauf angesetzt hatte, sich mein Vertrauen zu erschleichen, mich zu beeinflussen und mir dann so sehr weh zu tun, dass ich unbedacht eine schreckliche Tat begehe. Aber nur ein einziges Mal hatten sie es wirklich geschafft, mich so tief zu verletzen. Das allererste Mal.“ Aufmerksam lauschte Leyre ihren Ausführungen. „Ihr Name war Sara ...“ Olivia versank in der Erinnerung. „Sie war damals meine einzige Freundin gewesen. Das Kartell hatte sie ihren Eltern entrissen und mir als Trainingspartnerin zur Seite gestellt – das war zumindest das, was mir erzählt wurde. Sie war ein Sonnenschein. Und stark, so stark … Ich habe sie bewundert. Sie war witzig, selbstbewusst und ließ sich von nichts unterkriegen. Ich habe sie geliebt, ihr blind vertraut. Im Kartell war sie die Einzige, der ich mich geöffnet habe und die mich aufgebaut, gestärkt und getröstet hat, wann immer ich mal wieder am Boden lag, weil die Verbrecher es zu weit getrieben hatten. Eines Abends war es erneut so weit: Ich war erschöpft, traurig und kaputt. Körperlich und seelisch. Ich wollte mich, naiv wie ich war, bei ihr ausweinen, doch anstatt mir zu helfen, machte sie mich runter: ‚Olivia, du bist erbärmlich, schwach und fängst bei der geringsten Kleinigkeit an zu heulen. Ich will meine Zeit nicht weiterhin mit einer so hoffnungslos kaputten Sache wie dir verbringen. Ich hasse es, ständig dein Tröster für alles sein zu müssen! Ich hasse es, wie du nichts, aber auch gar nichts, wegstecken kannst und noch mehr hasse ich dich! Ohne dich und deine ständigen Tränen bin ich viel besser dran. Wenn du diese Sache hier nicht aushältst und dir alles zu viel ist, dann bring dich doch einfach um! Das wäre eine Erleichterung für uns alle!‘ Ich hatte keine Ahnung, wieso sie so kaltherzig reagiert hatte. Sie machte sich auf den Weg zur Tür und ließ mich wie ein wertloses, altes Spielzeug zurück. Mit ihren Worten hatte sie mich so tief verletzt, wie es noch keiner vor ihr geschafft hatte. Diese Schmerzen … die Kerben, die sie in mich geschlagen hatte, sie taten höllisch weh. Ich verspürte unendliche Trauer, doch da war noch etwas anderes. Ich fühlte, wie sich etwas in mir festigte und mich von dem großen schwarzen Loch wegzerrte, in dem ich zu versinken drohte. Hass, Wut und der Schmerz, den ihre Worte hinterlassen hatten, formten in mir eine gewaltige Stärke. Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht, stand vom Boden auf und starrte ihren Rücken an.“ Der folgende Satz kam eiskalt über ihre Lippen. „Noch bevor sie die Tür erreicht hatte, hatte ich ihr bereits das Genick gebrochen.“ Leyre stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben wie mit einem dicken Filzstift, doch Olivia fuhr ungeachtet dessen fort. „Ein einziges Mal hatte ich jemandem vertraut, ohne ihn genau zu kennen, und das Universum hatte mich für meine Dummheit mitten ins Gesicht geschlagen – doch ich habe zurückgeschlagen. Sara war die Erste, die ich jemals getötet habe. Kaum hatte sich meine Wut gelegt, fühlte ich mich schrecklich, doch das war ihnen egal gewesen. Durch diese vom Kartell eingefädelte Intrige hatten sie bekommen, worauf sie abgezielt hatten: Ich hatte jemanden umgebracht und damit eine Tür geöffnet, die sich nicht einfach wieder schließen ließ. Sie wollten aus mir eine Kriegerin machen. Eiskalt sollte ich sein, eiskalt und die Beste. Ich sollte für sie stehlen, spionieren und vor allem morden. Wie gesagt, sie wollten mich für ihre Zwecke einsetzen, und um dieses Ziel zu erreichen, war ihnen kein Weg zu schade. Das Kartell machte mich zu ihrer ganz persönlichen Mörderin, Spionin und so vielem mehr. Wie es mir dabei ergangen war, einem Menschen mit so jungen Jahren das Leben zu nehmen, hat sie nie interessiert und es wird sie auch nie interessieren.“ Das war die Wahrheit, so traurig sie auch klingen mochte. „Ich verschloss mich allen Menschen, ließ keinen mehr an mich ran und vertraute niemandem, weil ich auf schmerzhafte Weise lernen musste, dass, wenn man den falschen Menschen sein Herz schenkt, sie es zerquetschen. Eine Weile lang arbeitete ich ergeben fürs Kartell, doch irgendwann weigerte ich mich. Ich wollte keinem mehr wehtun, keine Menschen töten, die nichts getan hatten, um es auch nur ansatzweise zu rechtfertigen. Doch daraufhin brach eine noch schmerzerfülltere Zeit an: Sie wollten meinen Willen brechen, indem sie mich folterten, mir grausame Torturen antaten, damit ich ‚wieder zu Sinnen kam‘ und weiter für sie mordete. Während dieser Zeit lernte ich ein ganz anderes Gefühl kennen: den Rachedurst. Ich wollte mich rächen. Für alles. Dafür, dass sie mein Leben zu einer einzigen, langen Qual gemacht und es mit Schmerz getränkt hatten. Mit viel Hilfe und guten Verbündeten gelang es mir, zu fliehen und meinen Plan in die Tat umzusetzen. Mit Unterstützung von Ryan und Feinden des Kartells kann ich sie Stück für Stück ausschalten. Ihre Vorzeigeschülerin wird sie vernichten! Sie haben mich ausgebildet und ich habe mich gegen sie gewandt. Ich bin auf einem guten Weg, meine Ziele zu erreichen. Verstehst du nun, wieso ich wissen muss, ob ich dir vertrauen kann? Wieso ich es mir nicht leisten kann, einen Fehler zu machen und die falsche Person unter meinem Dach leben zu lassen? Ich muss wissen, wer du bist und ob deine Absichten aufrichtig sind. Wenn du Hilfe brauchst, helfe ich dir, aber wenn das nur ein Spiel ist, das sie wieder mit mir spielen, ist genau jetzt der Zeitpunkt, es mir zu gestehen, ansonsten kann das böse Folgen nach sich ziehen. Für dich und mich.“ Tapfer hielt Leyre ihrem durchdringenden Blick Stand, während Olivia in tiefgrüne Augen schaute. Augen, die ihr hoffentlich keine Lügen auftischen würden, auch wenn sie sich bald sehnlichst wünschen würde, dass die Wahrheit, die sie sogleich zu hören bekam, nur eine Lüge wäre. Denn die Wahrheit, wenn sie denn stimmte, war fast noch hässlicher als ein Haufen dicker, fetter Lügen.