Читать книгу Glock 17 - Emely Bonhoeffer - Страница 21

Szene 17:

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Nach fünf Minuten sahen sie die hell erleuchtete, prächtige Jacht bereits im Hafen schwimmen. Auf ihrem Deck tummelte sich eine ordentliche Zahl an Menschen. Der Dreckskerl hat offenbar viele Freunde, kommentierte Olivia im Stillen. Sie merkte, wie Argus sich neben ihr anspannte, und gab ihm mit einem Blick zu verstehen, dass er sich zusammenreißen solle. Als er wieder spürbar lockerer wurde, schenkte sie ihm ein verheißungsvolles Lächeln.

Der Mond ging gerade auf und die Nacht streifte ihr dunkles Band am Himmel entlang.

Nachdem sie die Einladungen, die Argus für sie beide besorgt hatte, vorgezeigt hatten, wurden sie freundlich empfangen. Kaum setzte Olivia einen Fuß aufs Schiff, verstärkten sich ihre Sinne. Sie nahm alles viel besser wahr, viel intensiver. Ihre Aufmerksamkeit wuchs, sie spannte ihre Muskeln an und bereitete sich darauf vor, ihren Feinden entgegenzutreten. Sie hörte das Glucksen des Wassers unter sich, das schrille Klirren von Gläsern, das helle Lachen und die schallenden Stimmen der Menschen um sich herum. Sie fühlte jede Erschütterung und nahm jede Person in ihrer unmittelbaren Nähe deutlich wahr, jede ihrer Bewegungen und jeden Blick, der ihr zugeworfen wurde. Zurzeit bewegte sie sich auf feindlichem Territorium, und obwohl es niemand außer Argus wusste, musste sie Vorsicht walten lassen.

Geradewegs führte der sie zu einem wichtig aussehenden Mann und seiner wesentlich jüngeren Freundin, die händchenhaltend an einem Stehtisch lehnten. Der Mann roch förmlich nach Geld, Habsucht und Arroganz, aber auch nach Macht und Protz. Sein gelangweilter Ausdruck wandelte sich bei Olivias Anblick in ein dreckiges Grinsen, während er sie ganz unverhohlen anstarrte. Am liebsten hätte sie ihm den Kopf von den Schultern gerissen. Allein sein Blick verriet ihr, dass er keinerlei Achtung und keinen Respekt vor Frauen besaß. Oh, wie er ihr schon jetzt verhasst war! Wie alle Männer hier trug er einen Anzug, doch seine teuren, goldenen Ringe um die dicken Finger herum fielen ihr erst richtig ins Auge, als er die Hand um die Taille seiner hübschen, schätzungsweise sechzehnjährigen Freundin legte, anstatt sie und Argus mit einem Händedruck zu begrüßen, so, wie es im Kartell üblich war. Die Mörder, Folterer und Drogenschmuggler ihres Vaters reichten sich die Hände, als wären sie englische Gentlemen. Für Olivia immer schon paradox gewesen.

Ihrem scharfen Blick entging nicht, dass die junge Frau unter der Berührung ihres älteren Freundes leicht erzitterte, erschauderte vor Ekel und um ein paar Zentimeter zurückwich. Nur sie realisierte es – dabei hätte sie es sich von vorneherein denken können: Das Mädchen war auf keinen Fall aus freien Stücken hier. Sie fühlte einen alten, lange versteckten Hass in sich hervorbrechen. In Olivia formte sich das Verlangen, das Mädchen aus den Fängen dieses Verbrechers zu befreien, doch das damit verbundene Risiko war nicht zu ignorieren. Heute war sie zwar wegen etwas anderem hier, trotzdem wollte sie das Mädchen in dem schwarzen Cocktailkleid, welches es wahrscheinlich auch nicht von sich aus trug, unter keinen Umständen hier zurücklassen. Schmerzlich genau wusste sie, was das Kartell mit schönen, jungen Frauen wie ihr anstellte.

„Wow, Argus, deine neue Freundin ist echt atemberaubend!“ Seine Stimme klang genauso schmierig, wie sein Blick es war, doch sie ließ sich davon nicht abhalten, den Mann ihr gegenüber anzulächeln.

Dann erwiderte sie: „Ich bin nicht seine Freundin. Und selbst wenn ich es wäre, würde das nur bedeuten, dass er sich mächtig ins Zeug gelegt hat, denn ich bin äußerst wählerisch.“ Ihre souveräne Haltung untermalte sie, indem sie sich sein Champagnerglas schnappte und einen Schluck daraus tat. Augenblicklich raste der Ekel ihre Kehle hinunter.

Faszination funkelte in seinen Augen. Ihre dreiste Art schien ihm offenbar zu gefallen. Das Geräusch, das nun aus seinem Hals drang, klang wie das Lachen eines frauenverachtenden Psychopaten – und genau das war er. Der Wille, das Mädchen aus seinen Fängen zu befreien, wurde dadurch nur noch verstärkt, doch Sergio ging im Moment vor. Offenbar hatte sich der Bastard doch dazu entschieden, den englischen Gentleman zu spielen, denn der Mann reichte ihr nun seine Hand.

Er stellte sich vor: „Ich bin Arian, meine Schöne. Es ist mir eine unbeschreiblich große Freude, Sie kennenzulernen.“

Olivia nahm seine Hand, und während sie merkte, wie er bei der Berührung erschauderte, erwiderte sie: „Die Freude ist ganz meinerseits. Ich bin Olivia, Olivia White.“

Der Name Olivia schien bei ihm keinerlei Erinnerungen zu wecken, was darauf schließen ließ, dass er seit maximal drei Jahren zum Kartell gehörte und ihr Vater die Sache mit der geflohenen Tochter offensichtlich nur Mitgliedern der höheren Ränge anvertraut oder sie ganz unter den Teppich gekehrt hatte. Eine Vierzehnjährige, die mit der Hilfe ihrer Verbündeter seine Männer überwältigt hatte und bei ihrer Flucht hatte zwei Millionen mitgehen lassen, wäre ein gefundenes Fressen für seine Feinde, deswegen mussten solche Informationen vertraulich behandelt werden. Dieser geldgeile Mann war da wahrscheinlich die letzte Person, die davon erfahren würde.

„Nun denn, Miss White, woher kennen Sie Argus?“

Ihr Blick wanderte nostalgisch zu ihrem heutigen Gefährten. „Wir sind uns vor zwei Monaten in einer Bar begegnet. Er hockte da so einsam, dass ich ihn angesprochen und aufgemuntert habe. Sie müssen wissen, seine Freundin hatte ihn gerade verlassen und ich half ihm gewissermaßen, seine Trauer zu überwinden und mit der Vergangenheit abzuschließen. Seit jenem Abend sind wir Freunde, und als er mich vor einer Woche anrief und fragte, ob ich ihn nicht auf die Party eines alten Bekannten begleiten wolle, sagte ich natürlich nicht Nein.“

Das war sogar nur halb gelogen. Argus forderte Rache, um die Vergangenheit hinter sich zu lassen, und sie unterstützte ihn dabei.

„Haben Sie denn den Gastgeber schon gesehen?“ Olivia richtete ihre Frage nun an Arian. Er ließ sie nicht aus den Augen. „Wer so viel Stil bei der Location und der Auswahl der Gäste hat, mit dem würde ich mich wirklich gerne einmal unterhalten.“

Diese Frage wirkte bei ihr so harmlos, dass nicht einmal der klügste Mann auf dieser Jacht sie als gefährlich eingestuft hätte. Und dieser ihren Reizen verfallene Verbrecher, der langsam die Hand von der Taille seiner für ihn unsichtbar gewordenen Begleitung nahm, erst recht nicht. Das Mädchen neben ihm entspannte sich sichtlich, sobald Arian sie nicht länger betatschte, was Olivia mit einem kleinen, an sie gewandten Lächeln quittierte.

Höflich fragte sie ihn: „Könnten Sie mich ihm nicht vorstellen? Ich bin mir sicher, so reizend, wie sie sind, gehören Sie zu seinen engsten Freunden.“ Flirtend zwinkerte sie ihm zu, doch er war ihr bereits erlegen. So war es für Olivia auch keine Überraschung mehr, als er, ohne zu zögern, einwilligte. „Natürlich! Ich bin mir sicher, er wird sich freuen, Sie kennenzulernen.“

„Vielen Dank.“

Dumm, wie er ist, habe ich ihn um den kleinen Finger gewickelt, dachte sie bei sich, so wird es ein Kinderspiel, zu Sergio zu gelangen.

Doch da war ja noch etwas anderes, worum sie sich heute Abend kümmern wollte.

„Aber bevor Sie das tun, muss ich noch mal wohin.“ Olivia wandte sich schon zum Gehen, tat dann aber so, als ob ihr einfiele, dass sie ja gar keine Ahnung hatte, wie sie zu den Toiletten gelangte. Sie bat daraufhin das Mädchen um Hilfe: „Könnten Sie mir vielleicht den Weg zu den Toiletten zeigen?“

Für einen kurzen Moment wirkte die junge Frau erleichtert, blickte dann aber fragend zu Arian. Erst als dieser nickend sein Einverständnis gab, setzte sie sich langsam in Bewegung. Kurzerhand beugte Olivia sich zu ihm vor: „Ich bin gleich wieder da, mein Lieber. Lauf bloß nicht weg!“ Als er gefesselt von ihrem Aussehen nickte, schmunzelte sie.

Dann folgte sie dem Mädchen bis zu den Toiletten. Kein einziges Wort kam währenddessen über deren Lippen. Sie bewahrte Stillschweigen wie ein Totengräber. Wahrscheinlich war es ihr vom Kartell so eingetrichtert worden. Mädchen, die von Kartellmitgliedern ausgebeutet wurden, durften nur dann reden, wenn es ihnen ihr „Herr“ erlaubte. Von dieser Erinnerung wurde Olivia schlecht.

Als das stumme Mädchen gerade die Toilettentür öffnen wollte, wurde diese aufgestoßen und drei lachende Mädels stolperten heraus. Randvoll. Das Mädchen erschrak sichtlich und fiel nach hinten, doch Olivias gute Reflexe griffen sofort und sie fing sie mit Leichtigkeit auf. „Vorsicht. Nicht, dass du dich verletzt.“

Die betrunkenen Mädels schienen sie nicht einmal bemerkt zu haben und gingen glucksend weiter. Nachdem sie ihr aufgeholfen hatte, schob Olivia die junge Frau durch die Tür und schloss sicherheitshalber hinter ihnen ab. Kaum bemerkte das Mädchen, dass Olivia den Ausgang verriegelt hatte, begannen sich ihre Augen vor Angst zu weiten und sie wirkte noch zerbrechlicher als ohnehin schon. Ihre Furcht schlug jedoch innerhalb von Sekunden in Panik um und sie drängte sich in die hinterste Ecke des winzigen Raumes.

Ängstlich schluchzte sie: „Bitte, tu mir nichts, bitte … Was Arian mit mir gemacht hat, war schlimm genug … Ich will nicht, dass auch du mir wehtust, bitte, ich schaffe das nicht mehr ...“

Ihre Stimme klang genauso fragil, wie ihr mentaler Zustand es wohl sein musste, und der bereits erlebte Schmerz spiegelte sich in ihren wässrigen, grünen Augen wider. Sie erinnerte Olivia an sich selbst, an eine Zeit, in der sie alles dafür getan hätte, dass es aufhörte, dass der brennende Schmerz von ihr abließ. Ihr Entschluss war nun Teil ihres eisernen Willens geworden: Sie würde dieses Mädchen hier rausholen.

Zunächst beruhigte sie sie aber: „Ich werde dir nichts tun. Glaub mir, man kann es zwar unterschiedlich betrachten, aber in dieser Sache gehöre ich zu den Guten. Ich verspreche dir, ich werde dafür sorgen, dass niemand je wieder seine dreckigen Finger auf dich legt und dir Schmerzen zufügt, die kein Mädchen je erleben sollte. Ich schaffe dich hier raus, weg von dem Kartell und diesen Verbrechern. Du hast mein Wort. Heute wird dein Leid aufhören.“ Olivia wusste jedoch, ohne das Vertrauen des Mädchens war dieses Unterfangen unmöglich, deshalb musste sie ihr beweisen, dass ihre Absichten ernst gemeint waren. Schließlich tat sie etwas, was sie sich seit einer Ewigkeit nicht getraut hatte: Bewusst holte sie eine Erinnerung an ihre Vergangenheit hervor.

So weit zurück dieser Moment auch liegen mochte, der Schmerz, den er brachte, war nah und echt.

„Ich weiß genau, wie es sich anfühlt.“

Erstaunt sah das Mädchen sie an.

„Ich weiß genau, wie es sich anfühlt, wenn er deine Beine auseinanderdrückt und mit seinen Händen über Stellen fährt, die er nicht einmal hätte sehen dürfen. Wie er dich mit seinem dreckigen Grinsen im Gesicht betrachtet, als wärst du ein neues Auto, das er sich gekauft hat, irgendein lebloses Objekt.“

Abscheu färbte ihre Worte.

„Der Schmerz, den du dabei empfindest, während der perfide Arsch seinen Spaß hat, ist ihm nicht nur egal, sondern bereitet ihm eine befriedigende Freude und egal, wie sehr du dich wehrst, egal, wie sehr du schreist und um dich schlägst, er ist stärker.“

Die nächsten Worte konnte sie nur hauchen, so sehr war sie in der Erinnerung gefangen: „Du bist ihm machtlos ausgeliefert.“

Sie konnte es nicht verhindern, dass Tränen in ihr aufstiegen und ihr Sichtfeld trübten.

„Ich habe mich noch nie im Leben so hilflos gefühlt.

Ihm war es egal, dass ich geschrien habe, er solle aufhören, dass ich ihn angefleht habe, er solle endlich aufhören – er hat weitergemacht.

Dinge mit mir gemacht, die nicht nur qualvoll, sondern auch verabscheuenswert waren.

Er hat mich behandelt wie ein Objekt …, doch ich bin ein lebendes, atmendes Wesen, das alles gefühlt hat!

Die Pein, den Schmerz, die Trauer …, die Hoffnungslosigkeit, die Hilflosigkeit – ich habe jedes einzelne gespürt!“

Nachdem Olivia die Tränen weggeblinzelt hatte, bemerkte sie, dass das Mädchen nicht länger verängstigt in der Ecke kauerte, sondern vor ihr stand. Dadurch, dass Olivia ihr diesen privaten, sie verletzbar machenden Teil ihrer Selbst, und das war nur ein kleiner von so vielen weiteren, offenbart hatte, hatte sie sich ein Stück ihres Vertrauens erarbeitet. Langsam gewann sie ihre alte Stärke zurück. „Mir wurden Dinge angetan, die dein Vorstellungsvermögen bei Weitem überschreiten.“ Stille hüllte den Raum ein, dabei war sie nur die trügerische Ruhe vor dem Sturm.

„Ich bin Olivia Alvarez, die Tochter des Kartellbosses. Und vielleicht habe ich diesen Eindruck erweckt, aber ich bin nicht zum Reden hier …“ Verwirrt blinzelte das Mädchen. „… sondern zum Töten.“

Glock 17

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