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Nach dem Abitur ließ Erdmann die kleine, umgrenzte Welt Blankenburgs hinter sich und schrieb sich zuerst an der Berliner, zwischenzeitlich an der Universität Jena ein. Als Berufswunsch hatte er – wenig überraschend – »Theologie« angegeben.1 Seine mangelnde Tauglichkeit für den Krieg kompensierte er durch einen einjährigen Hilfsdienst bei der Eisenbahndirektion in Berlin. Er studierte zügig und wäre ein sehr jugendlicher Geistlicher geworden. Ernst Troeltsch und der junge Paul Tillich machten ihm Eindruck.2 Doch mitten im Examen überkamen ihn Selbstzweifel. Konsequent und eigensinnig, wie es schon damals seine Art war, brach er die Prüfung ab und verdingte sich als Hauslehrer in Pommern. Damit trat er in eine Tradition ein, die in der Kultur der Deutschbalten fest verwurzelt war und auch auf Erdmanns Familie sich auswirkte. Bei den Neanders, der Familie seiner Mutter, finden sich gleich mehrere Beispiele.3 Damit war keine Geringschätzung verbunden. Während der Hauslehrer oder Hofmeister im Alten Reich als »lehrender Domestik«, in Russland sogar als »vollkommener Niemand« betrachtet wurde, galt er in den baltischen Ländern oft als »der belebende Mittelpunkt und das Orakel des Hauses«. Denn man rechnete ihn zum Stand der Gelehrten und der genoss erhebliches Ansehen. Glanzvolle Karrieren konnten sich an eine solche Tätigkeit anschließen.4

Meistens freilich verstand man sie als Sprungbrett für eine andere Anstellung, ging man also von einer nur vorübergehenden Beschäftigung aus. So auch Carl Erdmann. Sein Engagement in Pommern dauerte drei Vierteljahre; dann zog es ihn an die Universität zurück, nicht nach Berlin oder Jena, sondern nach München, wo er zwei Semester verbrachte, um sich ein neues Studienfach zu suchen. Er nahm sich ein Zimmer im aufstrebenden, aber immer noch »stillen, grünen«, ja idyllischen Stadtteil Bogenhausen nahe beim »Herzogpark«, einem ehemaligen Jagdrevier, das eine Aktiengesellschaft zum Nobelviertel umgestalten wollte. Intellektuelle, Künstler und andere Kulturschaffende ließen sich bevorzugt hier nieder, Bruno Walter zum Beispiel, der Operndirektor, die Historiker Erich Marcks und Karl Alexander von Müller, der Komponist Walter Courvoisier, die Schriftstellerin Helene Raff und – am prominentesten – Thomas Mann, der »zermürbt von Konversation« mit seinem Hund Bauschan die Isarauen durchstreifte, um sein »Bedürfnis nach Einsamkeit« zu befriedigen. Doch in und nach dem Krieg kam die Entwicklung ins Stocken, die Rechnung ging nicht auf. Bogenhausen und der Herzogpark blieben Ausflugsziele, zu denen die Münchener an schönen Sonntagen in Scharen strömten – für einen fleißigen Studenten wie Carl Erdmann vielleicht doch nicht die richtige Adresse. Zusammen mit Mutter und Schwester, die jetzt ebenfalls in München lebten, zog er in eine Etagenwohnung im Stadtteil Schwabing, also ganz nahe bei der Universität.5 Yella unterhielt offenbar eine nähere Beziehung zu einem Kommilitonen, Franz Friedländer-Röhn, Sohn des Musikwissenschaftlers Max Friedländer, später im amerikanischen Exil ein mäßig erfolgreicher Schauspieler. Auch Erdmann scheint sich mit ihm angefreundet zu haben. Sonst wissen wir gar nichts von seinem persönlichen Leben in München. Fast alles bleibt hier im Dunkeln.


Carl Erdmann als Student an der Universität München 1920/21.

Fackel in der Finsternis

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