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Berufungsverfahren unter nationalsozialistischer Herrschaft

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Zunächst gab es keinen Grund, pessimistisch in die Zukunft zu blicken. Der Privatdozent Carl Erdmann achtete auf frei werdende Stellen, betrachtete gleichaltrige Kollegen als Konkurrenten und verständigte sich mit wenigen Vertrauten über deren und die eigenen Aussichten. Vor allem Gerd Tellenbach kam dafür infrage. Ihre in Rom gewachsene und sich zusehends festigende Freundschaft hielt auch die Belastung durch die Konkurrenz um eine akademische Position aus. Freilich konnte sich damals niemand bewerben. Vielmehr wurden die Universitäten von sich aus aktiv. Sie waren – wie ein Betroffener sich einmal ausdrückte – »keine Liebhaber, denen sich unsereiner wie ein liebendes Mädchen an den Hals werfen kann, sondern […] jeder von uns muss warten, bis sich ein Freier einstellt«.31 So war es lange Zeit Brauch.

Bis 1918 war der Zeitpunkt, zu dem eine Stelle frei wurde, kaum zu berechnen. Ein Professor schied aus dem Amt, wenn er starb. Sein letztes Semester konnte für alle Beteiligten zur Qual werden. Zwar zeichnete sich seit Langem ein Wandel in Status und Selbstverständnis des Hochschullehrers ab, ein Wandel, den man als Übergang »vom Gelehrten zum Beamten« beschreiben kann.32 Doch erst mit der Revolution von 1918 kamen die Reform der Universitäten und die Einführung einer Altersgrenze für Professoren auf die politische Agenda. Indem sie auf 68 bzw. (auf Wunsch) 65 Jahre festgesetzt wurde, fiel sie immer noch gemäßigt aus. Seitdem war die Laufbahn des Hochschullehrers nicht einfacher, aber bürokratischer, ihr Ende kalkulierbar geworden. Der akademische Nachwuchs konnte sich ausrechnen, wann eine Stelle frei wurde, weil ihr Inhaber in den Ruhestand ging. Carl Erdmann nahm den frühen Tod eines Professors (Fedor Schneider in Frankfurt) und den bevorstehenden Abschied eines anderen (Johannes Hallers in Tübingen) zum Anlass, seiner Mutter eine bessere Zukunft auszumalen: »Das verbessert die Berufungsaussichten für die nächsten Jahre (noch nicht für jetzt).«33

Das war 1932. Ein Jahr später, gleich nach der »Machtergreifung«, wurden weitere Lehrstühle frei. Dafür sorgte eben jenes »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums«, das die Entfernung rassisch verfemter und politisch missliebiger Hochschullehrer bezweckte. Gleichzeitig wurden Neuberufungen an den Nachweis nicht nur »arischer« Abstammung, sondern auch nationaler und überhaupt politischer Verlässlichkeit geknüpft. Auch früher hatten außerwissenschaftliche Gesichtspunkte eine Rolle gespielt. Katholische Wissenschaftler galten als autoritätsgläubig und dem kirchlichen Dogma verpflichtet, jüdische bekamen die Folgen eines unreflektierten, aber gerade an den Universitäten endemisch verbreiteten Honoratiorenantisemitismus zu spüren und diskret, aber regelmäßig wurden Auskünfte über die weltanschauliche Zuverlässigkeit eines Kandidaten eingeholt.34 Das Kooptationsrecht der Fakultäten, ihr Privileg, sich selbst zu rekrutieren, führte oft zu Entscheidungen, die auch durch konfessionelle, politische, landsmannschaftliche und persönliche Präferenzen beeinflusst wurden, aber eben nicht ausschließlich mit der wissenschaftlichen Dignität der infrage kommenden Kandidaten zu tun hatten. Der herkömmliche und grundsätzlich stets aufrechterhaltene Anspruch, dabei nur objektiv und »voraussetzungslos« zu agieren, erweist sich bei näherem Hinsehen als Schimäre.

Nun aber, 1933, wurde die stillschweigende Praxis zur Maxime des Handelns erklärt und sogar gesetzlich normiert. War es bisher schon schwierig, als ein selbstständiger Charakter nicht nur Achtung, sondern auch eine Stelle zu finden, so jetzt erst recht. Offen politische Besetzungen wurden zur Regel. Die wissenschaftliche Leistung musste demgegenüber in den Hintergrund treten. Wer wie Carl Erdmann auf sie allein gesetzt hatte, zu jeder politischen Betätigung auf Distanz gegangen war und auch keinerlei Bereitschaft zeigte, sich den neuen Verhältnissen anzubequemen, dem schwammen die Felle davon. Ebenso irritiert wie besorgt (manchmal auch amüsiert) registrierte er, dass Parteigenossen (»Pg.s«) mittlerweile bessere Aussichten besaßen, eine Professur zu ergattern, dass die neue Regierung »die militärische Leistungsfähigkeit höher einschätzt als die kulturelle«, dass die Ableistung eines Arbeitsdienstes zur Voraussetzung einer Berufung erklärt wurde, dass von künftigen Professoren wenigstens Sympathien für den Nationalsozialismus erwartet wurden. Was durfte man dann noch erwarten, wenn man sich selbst als »ausgesprochen abseitsstehend« verstand?35

Geradezu als Menetekel oder auch als Sündenfall betrachtete er es, wenn an der Universität Rostock die Professur für mittelalterliche Geschichte nicht mit einem ausgewiesenen Fachmann, sondern mit einem der wissenschaftlichen Welt bis dahin völlig unbekannten Regionalhistoriker besetzt wurde.36 Die Philosophische Fakultät hatte in ihrem Berufungsvorschlag zunächst nur drei Namen genannt: Paul Kirn aus Leipzig, der vor allem über sächsische Kirchenpolitik publiziert hatte, Walther Kienast/Berlin, ausgewiesen durch seine Forschungen zur deutsch-französischen Geschichte, und Martin Lintzel/Halle, der mit seinen Forschungen zur Geschichte des Sachsenstamms sogar öffentliches Aufsehen erregt hatte. Das mecklenburgische Ministerium für Unterricht dagegen wollte den Hamburger Privatdozenten Heinz Maybaum zum Professor berufen. Denn dem Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte komme für die Erziehung der Jugend im nationalsozialistischen Sinn besondere Bedeutung zu. Maybaum hatte zwar über seine Dissertation zur nordwestmecklenburgischen Siedlungsgeschichte hinaus kaum etwas publiziert; denn über eine »schnelle Feder« verfügte er nicht. Aber für ihn sprachen zum einen das Votum des Vorgängers im Lehramt, seines Doktorvaters Hans Spangenberg, zum anderen und vor allem seine Mitgliedschaft in der NSDAP seit November 1932. Er genoss also, wie man Erdmann erzählte, das Prestige des »alten Kämpfers«, der der Partei beigetreten war, bevor sie die Macht an sich riss und von der Welle der bloßen Opportunisten überschwemmt wurde.

Das Verfahren zog sich über zwei Jahre hin und war mit mancherlei Schmähungen und Anfeindungen verbunden (etwa gegen Kienasts Frankreichschwerpunkt oder gegen Maybaums regionale Begrenzung). Die Fakultät wollte auch mit einer zweiten Vorschlagsliste den Wünschen des Ministeriums nicht folgen und warnte vor einer Provinzialisierung der mittelalterlichen Geschichte an der Universität Rostock. Maybaum mobilisierte seine Parteiverbindungen, gewann die Unterstützung der nationalsozialistischen Dozenten- und Studentenorganisationen für ihren »Kameraden und Führer« und wurde schließlich zum zunächst außerordentlichen, dann ordentlichen Professor für die allgemeine Geschichte des Mittelalters in Rostock berufen. Erdmann verfolgte das skandalöse Geschehen bis zum Ende, wusste aber schon bei den ersten Gerüchten, dass unter diesen Umständen eine Gelehrtenexistenz an einer deutschen Universität nicht mehr möglich sein würde. Eine ganze Reihe von Erfahrungen in den Jahren 1933 und 1934 habe ihn zu dieser Einsicht gebracht. »Es wäre also eine reine Illusion, wenn man durch Kolleglesen seine Zukunft sichern wollte.«37 Erdmanns Abkehr von der Universität und der Universitätslaufbahn lässt sich nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt datieren. Aber die Causa Maybaum ließ Befürchtungen zu Gewissheiten werden und hat den Prozess der Desillusionierung offenkundig beschleunigt.

Es hätte ganz anders kommen können. Als im Sommer 1931 am ehrwürdigen Österreichischen Institut für Geschichtsforschung (IFÖG) in Wien, der nach der Pariser École des Chartes zweitältesten Institution zur Ausbildung von Historikern und Archivaren, der Lehrstuhl (in Österreich: die Lehrkanzel) für Geschichte des Mittelalters und Historische Hilfswissenschaften neu besetzt werden sollte und die Kommission tagte, wurde vom Institutsvorstand Hans Hirsch auch der Name Carl Erdmanns kurz erwähnt.38 Das war insofern überraschend, als Erdmann zu diesem Zeitpunkt noch nicht habilitiert war, den Institutskurs nicht absolviert hatte und zur selben Zeit an Untersuchungen arbeitete, die mit einem Unternehmen des Wiener Instituts konkurrierten.39 Möglicherweise hatte Paul Kehr, der mit Hirsch in enger Verbindung stand, auf die Fähigkeiten seines römischen Mitarbeiters hingewiesen. Doch wie auch immer – in Wien entschloss man sich (wie so oft) zu einer internen Lösung und der nur wenige Monate ältere Otto Brunner wurde zum außerordentlichen Professor am Institut berufen. Seine ebenso glanzvolle wie problematische Karriere nahm hier ihren Anfang. Hätte man Erdmann berufen, wäre er einer der ganz wenigen Lehrkräfte in der Geschichte des Wiener Instituts gewesen, die nicht aus dem eigenen Haus hervorgegangen waren. Er war kein MIFÖG, wie man die Mitglieder des Instituts immer schon nannte, trug keine Nummer nach dem Zeitpunkt der Aufnahme und hatte nichts vom Korpsgeist des traditionsbewussten »Institutlers« aufgesogen. Auch hier wäre er also Außenseiter und Solitär geblieben. Umso bemerkenswerter und ehrenvoller war schon die bloße Erwähnung seines Namens in einem solchen Kontext.

Als wenig später ein Nachfolger für den verstorbenen Fedor Schneider gesucht wurde, war Erdmann nach wie vor nicht habilitiert – »leider«, wie der zweite Frankfurter Mediävist, Ernst Kantorowicz, bemerkte. Gerne hätte er ihn an den Main geholt.40 Da sich aber sogar befreundete Prominenzen wie Percy Ernst Schramm oder Friedrich Baethgen nicht gewinnen ließen, wurde er schließlich selbst zum Ordinarius ernannt und musste an ungeliebten Fakultätssitzungen teilnehmen. Eine »geistige ›circumcisio‹«, eine mentale Beschneidung, nannte er die »Aufnahmezeremonie«: Das »beste Stückchen Hirn« sei ihm »abgezwickt« worden.41 Attitüde und Selbstverständnis des deutschen Professors gingen ihm vollständig ab. Der große Marc Bloch, der die deutsche Universität aus eigenem Erleben gut kannte, hat ihn so beschrieben: »intelligent, lebhaft, keineswegs Herr Professor«.42

Erdmann hatte unterdessen die formale Qualifikation erworben, kam als Kandidat in Betracht und konnte bei den folgenden Lehrstuhlbesetzungen ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Karl Hampe in Heidelberg dachte im Winter 1933/34 an seinen Abschied. Zwar hätte er noch drei Jahre anhängen können. Aber seine Versuche, sich in die in den letzten Jahren erschienene und nun maßgebliche völkische Literatur einzulesen, blieben erfolglos. Insbesondere das Feld der Rassenkunde und Rassengeschichte blieb ihm völlig verschlossen. Für »einfach unbegabt« hielt er sich auf diesem Gebiet.43 Da es üblich war und oft genug immer noch ist, dass Professoren sich um ihre Nachfolge kümmern und möglichst den Nachfolger selbst aussuchen, holte auch Hampe Erkundigungen ein. Über Erdmann ließ er sich durch einen Freund aus Berliner Studienzeiten, den jüdischen Privatgelehrten Ferdinand Güterbock, unterrichten. Dessen Urteil fiel allerdings zwiespältig aus. Einerseits bescheinigte er dem jungen Mann eine scharfe Intelligenz und sagte ihm eine große Zukunft voraus; gleichzeitig aber nannte er ihn »persönlich kühl berechnend«, ein »echter Balte ohne Wärme«. Auch habe er »noch zu wenig Erfahrung«.44 Abgesehen vom Baltenstereotyp, das hier Erdmann ereilte, spricht auch ein persönlicher Vorbehalt aus Güterbocks Worten. Offenbar waren er und Erdmann einander nicht grün. Als Erdmann wenige Jahre später gefragt wurde, wen man zum nächsten Historikertag einladen solle, nannte er verschiedene Namen, schloss aber Güterbock ausdrücklich aus.45 Dessen halbherziges Urteil blieb allerdings völlig folgenlos für Erdmann. Angesichts der politischen Radikalisierung auch in Heidelberg zog sich Hampe enttäuscht und verbittert aus der Universität zurück, der er mehr als 30 Jahre lang angehört hatte. Es gab weder eine Abschiedsvorlesung noch kümmerte er sich um die Auswahl eines Nachfolgers. Schließlich musste er es hinnehmen, dass mit Günther Franz ein bekennender Nationalsozialist berufen wurde, der sich in seinen nur drei Heidelberger Semestern denn auch entsprechend verhielt. »Verkehr mit ihm untunlich« trug Hampe in sein Tagebuch ein.46

Als Hampe noch schwankte, wurde in Tübingen über die Nachfolge seines lebenslangen akademischen Rivalen und habituellen Antipoden Johannes Haller entschieden. Erdmann spielte auch hier nur eine Rolle am Rande; aber es ist höchst anschaulich und bezeichnend, nach welchen Kriterien er wie auch die anderen Kandidaten beurteilt wurden.47 Die erste Vorschlagsliste war noch im Sommer 1932 entstanden und hatte sich ganz an fachlichen, allenfalls auch an persönlichen Gesichtspunkten orientiert. Doch als das Verfahren sich hinzog, geriet es in den Strudel der politischen Ereignisse. Der neue, seit März 1933 amtierende nationalsozialistische Kultminister in Württemberg, Christian Mergenthaler, intervenierte und verlangte, den Tübinger Extraordinarius Heinrich Dannenbauer zu berücksichtigen. Denn dieser war seit 1932 Mitglied der NSDAP und galt als »unbedingt zuverlässiger Nationalsozialist«.48 Unterstützung erhielt er außerdem durch seinen Lehrer Johannes Haller, der die wissenschaftlichen Qualitäten seines Schülers anpries. Fakultät und Senat wehrten sich mit allen Mitteln gegen den Wunsch des Ministers, bezeichneten Hallers Urteil als »Fehlurteil« und erstellten eine neue Liste, die Dannenbauer ausdrücklich überging. Genüsslich wurde aufgezählt, was gegen ihn sprach: seine dürftigen, unoriginellen, wenig inspirierten Publikationen und deren zum Teil äußerst kritische Aufnahme durch die Fachwelt, sein geringer Erfolg in der Lehre sowie die Umstände bei seiner Ernennung zum außerordentlichen Professor, die der Kleine Senat wegen unzureichender Leistungen zunächst abgelehnt hatte – auch in Tübingen »ein seltener Fall«. Gerade für eine bedeutende Professur »vom Range der Hallerschen« sei er nicht geeignet. Das war nicht nur ein vernichtendes Urteil für den Kandidaten, sondern auch eine Spitze gegen den Vorgänger, der für seinen Schüler eine Hausberufung durchsetzen wollte, obwohl er sich während seiner aktiven Zeit mit fast allen Kollegen verkracht hatte.49

Schließlich kam eine Dreierliste zustande: An erster Stelle stand der Königsberger Ordinarius Friedrich Baethgen, für den man jetzt auch dessen nationalpolitische Zuverlässigkeit ins Feld führen zu sollen glaubte. Immerhin hatte er im Weltkrieg als Sanitäter an Ost- und Westfront gedient und war in Heidelberg gegen den Pazifisten Emil Julius Gumbel aufgetreten.50 Nur »marxistische Machenschaften« hätten seine Karriere bislang behindert. Offenbar wollte man ihn unbedingt nach Tübingen holen. Auf Baethgen folgten – »mit Abstand« – zwei noch nicht etablierte Wissenschaftler auf der Liste: Carl Erdmann aus Berlin und Paul Kirn aus Leipzig. Zwar war Kirn schon etwas älter und auch schon außerplanmäßiger Professor. Aber Erdmann wurde »die grössere wissenschaftliche Leistung« attestiert, er selbst für »die stärkere Persönlichkeit« gehalten, für »etwas eckig«, aber »gefestigt«. Von seiner Arbeitskraft, Originalität und geistigen Selbstständigkeit sei noch viel zu erwarten. Seine Lehrtätigkeit werde von den Berliner Studenten »mit grosser Wärme« gepriesen, seine »zahlreichen und vielseitigen« Publikationen gälten als »ganz ausgezeichnet« und Geheimrat Kehr habe ihn »stark gelobt«.51 Ob Erdmann davon wusste?

Doch die Universität wurde von der Politik ausmanövriert. Selbst die geradezu hektischen Aktivitäten der Philosophischen Fakultät, des Großen Senats und des Rektoramts konnten nichts mehr bewirken.52 Alles Sträuben half nichts. Noch bevor die drei Kandidaten den ihnen vorgelegten Fragebogen zu Lebenslauf und Abstammung zurückschicken konnten und obwohl sich alle akademischen Gremien und Gutachter gegen Dannenbauer ausgesprochen hatten, wurde dieser durch das Ministerium zum Ordinarius ernannt. Baethgen litt sehr darunter und machte Haller für sein Scheitern verantwortlich – dieser habe »seinen Charakter wieder einmal von der übelsten Seite gezeigt«.53 Ausschlaggebend waren aber nicht Hallers Einwände, sondern Dannenbauers parteipolitische Verbindungen gewesen.

Das Tübinger Verfahren hatte Züge, die an Traditionen der deutschen Universität anknüpften, und es hatte Züge, die einer anders gearteten Gegenwart entsprangen. Noch nahm die Philosophische Fakultät das ihr zustehende Recht in Anspruch, ein künftiges Mitglied auszuwählen und dafür eine Reihung der Kandidaten vorzunehmen. Deren wissenschaftliche Fähigkeiten standen am Anfang und lange Zeit im Mittelpunkt des Auswahlverfahrens. Sogar als sich der Vorgänger im Lehramt einmischte, widersprach dies nicht völlig dem Usus und geschah nach Maßgabe (oder unter dem Vorwand) der wissenschaftlichen Qualifikation. Doch die Fakultät ließ sich auch auf andere, eher ungewöhnliche Maßstäbe ein. Vor der »Erfindung der Volksgemeinschaft« im Ersten Weltkrieg wäre es nicht denkbar gewesen, die Berufung eines Hochschullehrers von seinem Einsatz im Krieg, also für Volk und Vaterland, abhängig zu machen. Vom nationalpolitischen Argument war es dann nur noch einen Schritt weit bis zur parteipolitischen Bewertung, zumal wenn eine Partei sich als die einzig nationale ausgab. Wenn es also bei der Besetzung eines Lehrstuhls nicht nur um wissenschaftliche Belange, sondern um viel mehr, nämlich scheinbar um das große Ganze ging, war es durchaus folgerichtig, dass Partei und Staat den Universitäten und Fakultäten die personalpolitischen Entscheidungen, mithin ihr überliefertes Kooptationsrecht, abnahmen. Allerdings wurden dadurch Verhältnisse geschaffen, die nicht nur den Traditionen, sondern auch der Idee der europäischen Universität widersprachen. Das ganze Verfahren muss als »politische Berufung par excellence« betrachtet werden.54

Immerhin kam Erdmann glimpflich aus dem Tübinger Verfahren, da er nicht in dessen Mittelpunkt und seine politische Haltung nicht zur Debatte stand. Nur seine Fähigkeit zur größeren Darstellung wurde von Johannes Haller in einem Schreiben an den Tübinger Rektor in Zweifel gezogen.55 Doch davon erfuhr Erdmann nichts. Entsprechend lapidar fiel seine Reaktion aus: »Dannenbauer war ausdrücklich abgelehnt. Darauf erfolgte prompt seine Ernennung.«56 Erst bei der nächsten frei werdenden Stelle hatte er Anlass, sich zu offenbaren. Allerdings ging es dabei nicht um eine Professur, sondern nur um die Vertretung einer solchen. Ohnehin schien ihm inzwischen zweifelhaft, jemals auf einen Lehrstuhl berufen zu werden; »denn dabei würden ja dann – im Unterschied zur Vertretung – die politischen Instanzen gefragt werden«. An geeigneten Vertretern aber gab es zunehmend Bedarf. Nach zahlreichen Entlassungen und Rückzügen war auch auf dem Gebiet der mittelalterlichen Geschichte »allmählich Not am Mann« und Erdmann durfte wenigstens hoffen, »an der einen oder anderen Universität eine Vertretung übertragen« zu bekommen. »Von verschiedenen Seiten« werde er darauf hingewiesen, dass er – neben Kirn – »im wissenschaftlichen Lager als derjenige gelte, der ›am dransten‹ ist«.57 In Heidelberg wurde er unter den Jüngeren an vorderster Stelle genannt, in Tübingen sogar als »wissenschaftliches Phänomen« gehandelt.58 Doch wie Erdmanns Erfahrungen in Frankfurt zeigen, ließ sich für ihn nicht einmal eine Vertretung mehr realisieren.

Fackel in der Finsternis

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