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Würzburg oder Berlin?

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Gleichzeitig verfolgte Erdmann das Ziel, sich an einer deutschen Universität zu habilitieren und jenen akademischen »Hasard« zu riskieren, von dem Max Weber vor nicht allzu langer Zeit in einem berühmten Vortrag gesprochen hatte. Allerdings kam er offenbar nicht selbst auf diese Idee, sondern wurde von Chroust dazu gedrängt. Denn auch damals ehrte eine gelungene Habilitation nicht nur den Habilitanden, sondern auch den Betreuer. Förderung und Vereinnahmung greifen dabei ineinander. Im Herbst 1926 (Erdmann war noch für Kehr in Portugal unterwegs) ist davon erstmals die Rede und bis in den Sommer 1928 galt Würzburg als die »sichere« Variante. Erdmann hielt sich die Option offen, indem er dem zweiten Würzburger Ordinarius, Max Buchner, Sonderdrucke seiner Publikationen zuschickte.3 Dann aber geriet die Aussicht auf eine Berliner Habilitation in den Blick. Kehr, der über Chrousts und Erdmanns Überlegungen immer informiert war, trat dafür ein. Da die damalige Friedrich-Wilhelms-Universität unbestritten und mit Abstand den ersten Rang unter den deutschen Universitäten einnahm und Würzburg nur einen Platz im Mittelfeld belegte, sprach für diese Variante das größere Prestige. Denn auch Erdmanns persönlicher Ehrgeiz spielte eine Rolle. Chrousts Warnungen vor den höheren Ansprüchen in der Hauptstadt fruchteten nichts.4 Würzburg verlor rasch an Attraktivität, Berlin setzte sich durch.

Freilich waren beide Optionen, Würzburg so gut wie Berlin, mit Risiken verbunden. Erdmann und seine beiden »Patrone« mussten sich daher genau überlegen, wie man vorgehen sollte. Denn erstens waren die Konstellationen in den betreffenden Fakultäten zu bedenken. Chrousts Streitereien mit Buchner standen einer Förderung Erdmanns im Wege. Er sah sich sogar mit der ›Zumutung‹ konfrontiert, zuerst einen Kandidaten der Gegenseite, »einen ganz unbedeutenden Gymnasiallehrer«, passieren lassen zu müssen.5 Es wäre nicht ungewöhnlich gewesen, wenn die Rivalität der Ordinarien auf dem Rücken der Kandidaten ausgetragen worden wäre. Das gab es und gibt es bis heute. Glücklicherweise sollte es nicht dazu kommen.

In Berlin lagen die Dinge günstiger, zumal die Neubesetzung mehrerer Lehrstühle anstand. Kehr hatte großen, aber keinen unbegrenzten Einfluss. Er wollte daher abwarten, bis einer seiner Göttinger Schüler, Karl Brandi, den Ruf erhalten würde. Dieser aber zog es vor, in Göttingen zu bleiben.6 Schließlich bekam Erich Caspar aus Freiburg den Lehrstuhl und das erwies sich als Glücksfall für Erdmann. Denn Caspar hatte sich vor Jahren als Kehrs Mitarbeiter in Süditalien bewährt, sah sein Hauptarbeitsgebiet in der Geschichte der Päpste und pflegte einen ähnlichen Arbeitsstil wie Erdmann: quellenorientiert, exzessiv gründlich, systematisch vom Einzelfall zur Darstellung voranschreitend. Seine unvollendete, bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts reichende »Geschichte des Papsttums« (2 Bde., 1930/33) ist auf ihre Art bis heute unübertroffen.7 Caspar nahm sich also des Habilitanden Erdmann an, drängte ihn, endlich eine Habilitationsschrift einzureichen, und unterstützte ihn bis zum erfolgreichen Abschluss des Verfahrens. Dass der junge Mann einmal eine forsche Rezension über eines seiner Bücher geschrieben hatte, übersah er großzügig (oder er hatte es vergessen).8

Doch Erdmanns Absicht, sich zu habilitieren, rief nicht nur akademische, sondern auch ganz profane, praktische Probleme hervor: Wie sollte er eine Lehrverpflichtung in Würzburg oder Berlin mit seiner Tätigkeit in Rom verbinden? Chroust meinte, er könne sich jeweils für drei Monate in Rom beurlauben lassen, und wunderte sich, dass Kehr widersprach.9 Außerdem und vor allem: Wovon sollte Erdmann seinen Lebensunterhalt bestreiten und dazu noch seine Mutter unterstützen? In Rom hatte er ein Einkommen. Weder in Würzburg noch in Berlin konnte ihm jemand etwas Vergleichbares anbieten. Mit einer gewissen Penetranz wies er regelmäßig darauf hin, dass er einer »Fütterung«10 bedürfe, sei es in Form eines Stipendiums, sei es durch eine Anstellung an einem Forschungsinstitut oder durch zu erwartende Kolleggelder. Herkömmlich hatte der habilitierte Dozent sich selbst zu finanzieren und musste unter Umständen eine längere Durststrecke in Kauf nehmen. Das gehörte eben zum akademischen »Hasard«. Doch Erdmann verfügte weder über eigenes noch über elterliches Vermögen und konnte sich das sprichwörtliche Elend des Privatdozenten nicht leisten.11 Nur Kehr hatte er es zu verdanken, dass er zunächst mit kurzfristigen Mitteln, dann bescheiden, aber wenigstens kalkulierbar über die Runden kommen konnte. Erneut stand er tief in dessen Schuld.

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