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Kreuzzugsgedanken in Portugal

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Es gab drei Schwierigkeiten, mit denen sich Erdmann auseinandersetzen musste. Alle drei waren mit Einblicken in grundlegende Defizite der örtlichen Verhältnisse verbunden. Doch aus dem Ungenügen heraus entstand seine erste, allerdings nie gedruckte Monographie.41

Erstens die Quellenlage: Selbst für eine für das portugiesische Selbstverständnis so wichtige Epoche wie das 12. Jahrhundert standen der Forschung keine modernen oder gar kritischen Editionen, sondern nur verstreute und veraltete Ausgaben zur Verfügung und auch in den Archiven stieß der Benutzer an Grenzen. Bezeichnend ist, was Erdmann ganz beiläufig von seiner Arbeit mit einer Edition von 1771 berichtet: Diese beruhe auf fehlerhaften Abschriften des 16. Jahrhunderts; die Originale selbst seien im Nationalarchiv »noch nicht« aufzutreiben gewesen. Dieses stehe der Forschung zwar »in gastfreier Weise« offen, befinde sich aber in so wenig geordnetem Zustand, dass manche Bestände »ein kaum entwirrbares Tohuwabohu« darstellten.42

Zweitens die Rolle der portugiesischen Geschichtsschreibung: Erdmann vermisste eine Geschichtsforschung, die sich »unparteiisch« mit der Historie des Landes befasste. Portugiesische Historiker verstünden sich vielmehr als Patrioten, die im Kreuzzugsgedanken, dem espirito da cruzada, den portugiesischen Nationalcharakter erkennen zu können glaubten. »Um jeden Preis« seien sie bestrebt, der Nation einen prominenten und möglichst frühen Anteil an der Kreuzzugsbewegung zuzuschreiben. »Fabeleien« würden gerne geglaubt und selbst die neueste Geschichtsschreibung sei nicht frei von Schönfärberei.43 Ein nach deutschem Vorbild initiiertes Unternehmen exakter Quellenforschung und -edition, die »Portugaliae Monumenta Historica«, war in den Anfängen stecken geblieben (hat aber später, nach Erdmanns Aufenthalt, eine Fortsetzung gefunden).

Drittens das portugiesische Geschichtsbild: In Portugal dachte und denkt man gerne vom 15. und 16. Jahrhundert her. Man nimmt also die Glanzzeit der nationalen Geschichte zum Maßstab, jene Epoche, in der das portugiesische Kolonialreich in Südamerika, Afrika und Asien entstand. Das hohe Mittelalter erschließt sich in der Retrospektive. Gerade die Kreuzzugsgeschichte schien so eng mit der Geschichte des Königtums verbunden, dass man glaubte, die Wirksamkeit des Kreuzzugsgedankens schon ins 12. Jahrhundert datieren zu können. Die Annahme stützte sich aber ausschließlich auf späte chronikalische Quellen und nahm die urkundliche Überlieferung nicht in den Blick. Erdmann spricht von »nachträglichen Übermalungen«, mit denen man »aufräumen« müsse.44

Man kann es auch so sagen: Wer sich wissenschaftlich mit der frühen portugiesischen Geschichte befasste, der musste zunächst einmal Quellenkritik betreiben, dann einige geläufige Vorstellungen beiseiteschieben und schließlich auf neuer Grundlage ein anderes, angemesseneres Gesamtbild entwerfen. Es war also Pionierarbeit zu leisten, originell und mühsam zugleich. Erdmann war für das eine wie das andere zu haben und nahm dankbar die Herausforderung an.

Als er seine Ergebnisse in Form eines Aufsatzes zusammenfassen sollte, wählte er ein Diktum Leopold von Rankes über die Wirksamkeit des Kreuzzugsgedankens auf der Iberischen Halbinsel zum Ausgangspunkt.45 Das war nicht als Reverenz an den Übervater der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung in Deutschland gemeint, sondern als Anspruch. Denn anders als Ranke sah er kein Kontinuum von der sogenannten Reconquista bis hin zu den Entdeckungen der Portugiesen, sondern kam zu einem sachlich, räumlich und zeitlich differenzierten Ergebnis. Er konnte zeigen, dass die Kreuzzugsidee in Portugal nur allmählich Fuß fassen konnte und mit den Maurenkriegen zunächst nichts zu tun hatte. Erst im 13. Jahrhundert, seit den Kämpfen um Alcázer do Sal (1217), als das Wort cruzada erstmals auftauchte, könne überhaupt die Rede davon sein. Verantwortlich seien dafür auch keine eigenständigen Impulse gewesen, sondern Einflüsse aus den spanischen Reichen Kastilien und León, aus Frankreich und von der Kurie in Rom her. In Portugal habe man vorerst nur Nutzen aus der Kreuzzugsbewegung gezogen, sie aber nicht durch eigene Initiativen befördert. Auch die Rolle der Ritterorden sei in diesem Zusammenhang immer maßlos überschätzt worden.

Erdmann ging dabei noch von einem eng gefassten Kreuzzugsbegriff aus. Nur jene Unternehmungen, die nach Palästina führten oder führen sollten, um das Heilige Land und die Heilige Stadt Jerusalem zu befreien, ließ er als »eigentliche« Kreuzzüge gelten. Sie seien durch »Kreuzpredigt, Kreuzgelübde, Kreuznahme und […] Kreuzablaß« gekennzeichnet gewesen und somit immer von einer religiösen Gesinnung, keinesfalls von weltlichen Absichten inspiriert worden. Erdmann geht so weit, den wirklichen Kreuzzügen ein »Moment der nationalen Uninteressiertheit« zu unterstellen. Da aber Portugal so spät in die Kreuzzugsgeschichte eingetreten sei und den Kreuzzugsgedanken dann dazu benutzt habe, sein Kolonialreich auf- und auszubauen, müsse man diese Unternehmungen zu den zahlreichen »Ablenkungen und Abirrungen« rechnen, die die Geschichte der Kreuzzüge seit dem 13. Jahrhundert gekennzeichnet hätten.46 Das muss man nicht so sehen und die neuere, vor allem die englische und amerikanische Forschung bevorzugt einen erweiterten Kreuzzugsbegriff, der ohne die Unterscheidung von eigentlichen und abgelenkten, verirrten oder gar pervertierten Kreuzzügen auskommt. Dabei beruft sie sich auf Erdmanns jüngere Arbeiten. In seiner Dissertation hielt er noch an dem klassischen Begriff fest, bekannte sich aber bereits zu einer konsequent geistes- bzw. frömmigkeitsgeschichtlichen Interpretation der mittelalterlichen Geschichte. Seine späteren Arbeiten sollten darauf aufbauen. Außerdem gab sie ihm die Gelegenheit, zu erproben, was ihn weiterhin auszeichnen sollte: die Erhellung eines bedeutsamen Gegenstands durch die quellenkritisch informierte Detailanalyse, die sich nicht in Quisquilien erschöpft, sondern die Grundlagen für weitreichende Folgerungen legt.

Eine solche Untersuchung hätte ohne genaue Ortskenntnisse nicht geschrieben werden können. Sie lebt geradezu von den persönlichen Erfahrungen des Verfassers und reicht dessen Einsichten als lebendige Anschauung weiter. Doch sie musste von einer deutschen Universität approbiert werden. Erdmann schrieb sich also für zwei Semester an der Universität Würzburg ein und legte dann die erforderlichen Prüfungen ab. Für das Rigorosum wählte er die nicht ungewöhnliche und doch bemerkenswerte Fächerkombination: Geschichte – Alte Geschichte – romanische Sprachen. Geschichte hatte er ganze vier Semester studiert, Portugiesisch und Spanisch nicht an einer Universität, sondern im Alltag vor Ort erlernt. Eine solche Prüfung wäre heute nicht mehr möglich.47 Doch auch, wenn man die damaligen Bedingungen in Rechnung stellt, zeigt das Würzburger Verfahren, dass Erdmann unter allen Umständen seinen eigenen Weg ging.

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