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Geheimrat Chroust
ОглавлениеBegutachtet wurde die Dissertation durch »Geheimrat Prof. Dr. A. Chroust«, Vertreter einer Spezies, deren Tage gezählt waren. Denn nur in Bayern wurde nach 1918 noch der Titel eines Geheimrats vergeben, um schließlich nach zähem Widerstand selbst dort zu verschwinden. Was Erdmann dazu bewogen hat, sich ausgerechnet in Würzburg einzuschreiben, ist noch weniger leicht zu beantworten als die Frage, weshalb sich seine Familie ausgerechnet in Blankenburg niedergelassen hatte. Doch mit Anton Chroust scheint er sich auf Anhieb verstanden zu haben. Das war nicht selbstverständlich. Mit der – privaten wie öffentlichen, also ernst gemeinten – Aussage, von diesem »nichts als Gutes« erfahren zu haben, stand er ziemlich allein.48 Denn Chroust war ein eigenwilliger und streitbarer Mann, ein »alter Unruhestifter«, der es seiner Umgebung nie leicht gemacht hat.49 Heftige Auseinandersetzungen mit den Kollegen durchziehen seine akademische Laufbahn, die ihn über Graz und München nach Würzburg führte. Eine davon schlug so hohe Wellen, dass ein Minister darüber zu Fall kam, eine andere trug ihm ein Dienststrafverfahren ein und hätte beinahe zu seiner vorzeitigen, zwangsweisen Emeritierung geführt. Am Vorsitz der von ihm gegründeten »Gesellschaft für fränkische Geschichte« hielt er unbeirrt fest, obwohl ihm öffentlich bescheinigt worden war, dazu nicht »die menschlichen Voraussetzungen« zu besitzen und »andere Menschen als Werkzeuge [zu] betrachten, die man auf die Seite stellt, sobald man sie nicht mehr braucht«. Abweichende Meinungen wurden als » Majestätsverbrechen« betrachtet. Lange Jahre hielt »im Fränkischen« der »Kriegszustand« an.50 Mit dem Inhaber der zweiten Würzburger Geschichtsprofessur, Max Buchner, kam Chroust nie zu einem auskömmlichen Verhältnis. Als dieser sich höflich für sieben Jahre gemeinsamen Wirkens bedankte und dabei scherzhaft auf den Siebenjährigen Krieg anspielte, antwortete Chroust, indem er auf sein eigentliches Spezialgebiet hinwies: den Dreißigjährigen Krieg.51 Selbst im Ruhestand nahm das »Stänkern« kein Ende52 und in hohem Alter legte Chroust sich sogar mit der Bayerischen Archivverwaltung an. Im Kollegenkreis wurde sein aus dem Tschechischen stammender Name deshalb als »Mistkäfer« übersetzt.53 Man mag es nicht aussprechen: Aber erst mit seinem Ableben bald nach Kriegsende war das »Problem Chroust« gelöst.54
Offenbar verstand Chroust es nicht, seine eigenen Interessen denen der Korporation unterzuordnen, und diese ließ den Sohn eines steirischen Handwerkers spüren, dass er nicht zu ihr passte. Beides zusammen, die Vorbehalte der Kollegen und sein eigenes leicht entflammbares Temperament, sorgte dafür, dass er in Würzburg weitgehend isoliert blieb, und auch in der Zunft der Historiker gehörte er nicht zu den zentralen Figuren. Erneut – wie schon Joachimsen in München – war es ein Außenseiter, der Erdmann anzog.
Tatsächlich hat er von Chroust in vielfacher Hinsicht profitiert, sowohl wissenschaftlich als auch persönlich. Schließlich gab es in Deutschland nicht viele professionelle Historiker, die sich für die Geschichte der Kreuzzüge interessierten. Chroust gehörte zu ihnen und war gerade dabei, eine Sammlung von Texten zum Kreuzzug Friedrich Barbarossas für die Monumenta Germaniae Historica (MGH) zu edieren.55 Von der Stauferseligkeit des 19. Jahrhunderts führte ein Weg zu einem Gegenstand, der der deutschen Nationalgeschichtsschreibung eher fernlag. Erdmanns in Portugal entwickelte und durch ihn nach Deutschland importierte Fragestellung konnte daran anknüpfen. Auf diese Weise hatten Doktorvater und Doktorand ein Thema, das sie miteinander verband, und Erdmann kam erstmals mit den MGH in Berührung. Einig wussten sie sich auch darin, dass der Historiker, zumal wenn er sich mit dem Mittelalter befasste, über solide hilfswissenschaftliche Kenntnisse verfügen musste und insbesondere einer paläographischen Ausbildung bedurfte. Chroust hatte dafür ein opulentes Tafelwerk publiziert, das seinen Namen berühmt machte,56 und Erdmann sollte sich wenig später als begnadeter Paläograph erweisen. Die Grundlagen dafür hatte er allerdings in Lissabon als Autodidakt, nicht erst in Würzburg gelegt.
Erdmann hat sich einmal als Chrousts akademischen »Schüler« bezeichnet. Das muss man nicht wörtlich verstehen. Anlass war der 75. Geburtstag des »Lehrers« und Erdmann gratulierte ihm mit der biographischen Einleitung zu einer Sammlung seiner Aufsätze.57 Indem er dessen charakterliche Eigenschaften hervorhob, gab er nicht nur wieder, wie er den Geehrten, sondern auch wie er sich selbst sah: »Achtung vor der Kleinarbeit am Quellenstoff«, Wertschätzung selbstständiger Interessen, Vorrang »eigene[r] Leistung« vor »fremde[r] Protektion«, des Sachlichen vor dem Persönlichen. Mit anderen Worten: Beide lernten einander schätzen und kamen sich bei der wissenschaftlichen Arbeit näher. Vor allem die Ausgabe der Kreuzzugsberichte profitierte davon.58
Anton Chroust (1864–1945).
Chroust zögerte nicht, Erdmann nach nur wenigen Monaten zu seinem Assistenten zu machen, und hätte ihn gerne in Würzburg gehalten. Denn dieser habe sich – die Formulierung ist bezeichnend – »schon sehr« in seine »Gedankengänge […] eingelebt«.59 Das glaubte er von seinem »Schüler« erwarten zu dürfen und war seinerseits bereit, dessen weitere berufliche Entwicklung zu unterstützen. Für eine Weile konnte er ihn mit einem Forschungsprojekt zur fränkischen Landesgeschichte versorgen. Erdmann wäre freilich nicht Erdmann gewesen, wenn er sich nicht – hinter Chrousts Rücken – bei einem früheren Bearbeiter nach dem Nutzen eines solchen Vorhabens erkundigt hätte. Die Antwort fiel nicht sehr verheißungsvoll aus.60 Es blieb daher bei zwei Aufsätzen, die zeitlich und sachlich völlig aus Erdmanns sich entwickelndem Forschungsprofil herausfallen – Fingerübungen, wenn man so will, und außerdem vergütet.61 Alle Versuche, ihn an Würzburg zu binden, schlugen fehl. Ein weiteres Mal ergaben sich bessere Aussichten im Ausland. Dem Doktorvater blieb nur die schmerzliche Einsicht, dass »ein Mann wie Erdmann nicht so leicht wieder zu finden sein« wird.62