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Ernst Kantorowicz, Stefan George und Friedrich II.

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Dort in Frankfurt lehrte seit 1931 Ernst Kantorowicz, zunächst als Honorarprofessor, dann – wie schon erwähnt – als ordentlicher Professor. Kurt Riezler, der Kurator der Universität, hatte die Berufung des »erfolgreichen Outsiders« gegen den Widerstand der Fakultät durchgesetzt.59 Er glaubte, dadurch das besondere Profil einer jungen, von Traditionen noch unbelasteten Stiftungsuniversität weiter stärken zu können. Neue Methoden sollten erprobt, neue Fragestellungen verfolgt, neue Gegenstände erforscht werden. »Nicht innerlich Totes zu wahren, sondern Lebendiges aufzubauen«, war der Kurator bestrebt. Frankfurt galt als ausgesprochen liberale, experimentierfreudige Universität. Sie wusste sich den Interessen der Öffentlichkeit verpflichtet und den Problemen der Gegenwart zugewandt, verstand sich also als praxisnahe Bildungs- und Ausbildungsstätte. Ihr Kern lag in den Sozialwissenschaften; aber auch die klassischen Fächer wurden durch eine gezielte Berufungspolitik auf die Frankfurter Besonderheiten hin orientiert. Allenthalben wurden Wege jenseits des Gewohnten beschritten.60

Kantorowicz, Jahrgang 1895, passte nicht nur altersmäßig, sondern auch durch seinen Werdegang in diesen Rahmen.61 Er gehörte zum innersten Kreis um den Dichter Stefan George und durfte den »Meister« beherbergen, wenn dieser sich in Heidelberg aufhielt. Am Kreisleben nahm er intensiv Anteil, die Freunde nannten ihn »EKa«. Zwar war er an der Universität mit einer (wirtschafts-)historischen Arbeit promoviert worden; aber als Sohn vermögender Eltern hatte er eine akademische Karriere nicht nötig. Ein Angebot, sich am Heidelberger Historischen Seminar als Assistent zu verdingen, lehnte er brüsk ab. Stattdessen stellte er seine Fähigkeiten mit einem Opus magnum unter Beweis, das in der Öffentlichkeit Aufsehen erregte und die Zunft der Historiker provozierte.

Die Anregung hatten einerseits die Zeitverhältnisse, andererseits die Ziele des George-Kreises gegeben. Denn am Vorbild großer Männer (Frauen spielten im und für den Kreis keine Rolle) sollten sich die Deutschen aufrichten und ein neues Selbstverständnis gewinnen. Das galt schon vor dem Ersten Weltkrieg, erst recht nach dessen desaströsem Ausgang. Die darniederliegende, von der Sekurität in die Verunsicherung abgestürzte Nation verlangte nach Orientierung durch Beispiele. Friedrich Gundolf, Georges Lieblingsjünger, »Kanzler« des Kreises und obendrein der schönste Mann Heidelbergs, hatte dafür nicht nur den Begriff der »Kulturheilande« gefunden, sondern mit Büchern über Shakespeare, Caesar, Goethe und schließlich George die Maßstäbe gesetzt. Große Namen, unter denen es der Autor nicht tun mochte. Aber Gundolf war Literaturwissenschaftler, Caesar sein Hobby. Der Historiker musste sich nach anderen Vorbildern umsehen, nach Tatmenschen, deren Tun auf die Kultur ihrer Zeit abfärbte. Die Kaiser des Mittelalters kamen dafür infrage. Denn mit ihnen habe »des Reiches pracht« gelebt. In einem Gedicht von 1902 (publiziert 1907) ließ George, der »Meister«, drei Salier und »Urvater« Rudolf von Habsburg aus ihren Gräbern in Speyer auferstehen, um schließlich den letzten großen Staufer, Friedrich II., aufzurufen. Denn der habe ein Reich am Schnittpunkt der Kulturen regiert, ein Reich, in dem sich deutsche, römische, griechische, jüdische und arabische Traditionen ineinander verschlangen: »Der Grösste Friedrich wahren volkes sehnen / Zum Karlen- und Ottonen-plan im blick / Des Morgenlandes ungeheuren traum / Weisheit der Kabbala und Römerwürde / Feste von Agrigent und Selinunt.«62 Kantorowicz durfte sich angesprochen fühlen. Denn mit dem ›Morgenland‹ kannte er sich aus, nachdem er ein halbes Jahr lang als Soldat im Osmanischen Reich gedient hatte, und als Student bekam er – nach einem fulminanten Referat in Alter Geschichte – das barsche Kompliment, er könne jeden Stoff behandeln, »bei dem sich Orient und Occident verbinden«.63

So kam es dann auch. In wenigen Jahren stellte Kantorowicz ein Buch von 630 Druckseiten fertig, das sowohl das Bild des Stauferkaisers in der allgemeinen Meinung als auch die Wege der Forschung auf Jahrzehnte hinaus bestimmen sollte.64 Schon ein Jahr nach seinem Erscheinen war die 2. Auflage fällig, die 3. und 4. folgten bald nach. Die Rezensionen in der Presse priesen den brillanten Stil des Buchs und empfahlen es enthusiastisch dem Leser.65 Göring soll es verschenkt, Himmler soll es gelesen haben, Hitler sogar zweimal. Dabei handelte es sich um bloße Gerüchte, spät bezeugt und wenig wahrscheinlich.66 Aber auch die Gerüchte illustrieren, wie wichtig das Publikum den Autor und sein Buch nahm.


Ernst Kantorowicz 1934.

Das Friedrich-Buch war nicht als wissenschaftliches Werk gedacht. Es hatte andere Zwecke. Stefan George nahm es in die von ihm herausgegebenen »Werke aus dem Umkreis der Blätter für die Kunst« auf, eine Auszeichnung, die nur wenigen, auserwählten Büchern zuteilwurde. Es erhielt die charakteristische Ausstattung (einschließlich der Swastika im Signet) und durfte bei Georg Bondi, dem Hausverlag des Kreises, erscheinen. Der »Meister« kümmerte sich persönlich um die Drucklegung, beteiligte sich am Lesen der Korrekturen, richtete seine Reisepläne entsprechend ein und übernahm einen Teil der Druckkosten. Auch die raunende Vorbemerkung, der zufolge das Leben des großen Staufers »gerade in unkaiserlicher Zeit« allgemeine Aufmerksamkeit verdiene, harmonierte mit den Zielen Georges, desgleichen der merkwürdige, ganz unhistorische Schluss, der den Spruch der Sibylle: »Er lebt und lebt nicht« (vivit et non vivit) vom Kaiser auf »des Kaisers Volk« übertrug. Damit war das deutsche in seiner gegenwärtigen Not gemeint. Der »Meister« hieß gut, was der Autor bezweckte: Er sei ein »ihm nahestehender Mensch«.67

Das Buch sollte als Publikation aus dem George-Kreis erscheinen, nicht als das Werk eines einzelnen Verfassers. Zeitweilig wurde sogar erwogen, es unter Pseudonym oder gar anonym zu publizieren.68 Dass es wissenschaftlichen Standards nicht entsprach, dass es keine Anmerkungen und Belege enthielt, nicht auf die einschlägige Forschungsliteratur hinwies und durchweg in hohem Ton geschrieben wurde, hat George ganz und gar nicht gestört. Mit den »Bonzen« und »Spezialbonzen«, die ihre gelehrten Steckenpferde ritten, hatte der »Meister« nichts im Sinn. Kantorowicz dagegen schon: In Heidelberg stand er in freundschaftlicher Verbindung mit Friedrich Baethgen und Percy Ernst Schramm, die eine wissenschaftliche Laufbahn anstrebten; bis zum Morgengrauen sollen sie manchmal diskutiert haben.69 Und Karl Hampe, von dem seit Langem eine Biographie Friedrichs II. erwartet wurde, war durch seine beiden »Schüler« über Kantorowicz’ Vorhaben informiert. Auch er beteiligte sich am Lesen der Korrekturfahnen und vielleicht gab er ihm den Rat, auf die Biographie schon bald einen Ergänzungsband mit den Quellen- und Literaturnachweisen folgen zu lassen. Kantorowicz reiste deshalb nach Rom, mietete eine zentral gelegene Wohnung und glaubte, hier über die besten Arbeitsbedingungen zu verfügen. Erste Ergebnisse wollte er nach Heidelberg schicken und Hampe sollte prüfen, ob sie seinen Anforderungen entsprächen.70 Kantorowicz wollte sich also den Weg in die Wissenschaft offenhalten, Hampe sollte ihn dabei unterstützen und informell betreuen. Der »Meister« hatte andere Pläne (der Ergänzungsband interessierte ihn nicht); aber Kantorowicz war keineswegs der einzige Georgeaner, der schließlich und endlich einen Lehrstuhl erklomm. Elitismus und Sendungsbewusstsein stehen in keinem Gegensatz zueinander.71

Die Rechnung war – fast wörtlich – ohne den Wirt gemacht. Die Stadt Rom mit ihren Sehenswürdigkeiten und Attraktionen verlangte ihren Tribut. Das Leben in der Ewigen Stadt sei »ausserordentlich abwechslungsreich«, schrieb Kantorowicz zu seiner Entschuldigung; »wenn man arbeitend im Zimmer sitzt«, müsse man sich schelten, »dass man nicht lieber draussen ist und sich Rom anschaut«.72 Baethgen war mittlerweile Zweiter Sekretär des Preußischen Historischen Instituts und führte ihn in die römische Gesellschaft ein. Man kann sich ausmalen, welchen Eindruck der stets gut gekleidete, als Autor erfolgreiche und gleichwohl jugendlich wirkende Mann auf seine Umgebung machte. Sogar literarisch ließ sich seine extravagante Erscheinung verwerten. Er schwärmte für Frascati bianco und stand auch bei nächtlichem Zechen in unterirdischen »Bibliotheken« (also Weinkellern) seinen Mann. Kantorowicz scheint zeitlebens ausgesprochen trinkfest gewesen zu sein. Aufsehen erregte er zudem mit einem tannengrünen Fiat 509 (»cinquecento nove«), den er sich zugelegt hatte, um mit ihm die Umgebung zu erkunden. Der blieb zwar manchmal liegen, sodass ihn sein nächster Besitzer zu »cinquecento noie« (»500 Störungen«) umtaufte. Aber dass ein deutscher Wissenschaftler in Rom mit dem eigenen Auto herumfuhr, war damals ein höchst ungewöhnlicher Fall.73

Nur die Arbeit am Ergänzungsband kam nicht recht vom Fleck. Im Historischen Institut musste Kantorowicz feststellen, dass die für ihn wichtigsten Bücher sich nicht hier, sondern in Berlin befanden, und Forschungen im Vatikanischen Archiv führten ihn auf ein ganz anderes Feld. Insofern erwies sich das halbe Jahr, das er in Italien verbrachte, als ineffizient. Erst als er nach Berlin umgezogen war und in der Bibliothek der MGH arbeiten durfte, machte der Ergänzungsband Fortschritte. 1931 konnte er endlich erscheinen. Was blieb, waren die Erinnerungen an Rom (»EKa’s favorite city«)74 und die persönlichen Verbindungen, die er teils auffrischte, teils neu einging. Mit Baethgen war er häufig zusammen, Schramm stieß einmal dazu, Carl Erdmann lernte er kennen. Es wäre wohl zu viel gesagt, hier schon von Freundschaft zu sprechen. Erdmann hat sich wahrscheinlich selten an Kantorowicz’ Freizeitaktivitäten beteiligt, nicht an den Ausflügen mit dem Fiat und auch nicht an den Gelagen. Aber man mochte sich, man schätzte sich und wusste sich durch das gemeinsame Interesse an einer historischen Epoche verbunden. Daraus ergab sich eine persönliche Beziehung auf sachlicher Grundlage: freundlich im Ton, hilfreich bei der Arbeit, loyal, wenn es darauf ankam.75

Das zeigte sich schon wenige Monate später, als heftige und grundsätzliche Kritik an dem Friedrich-Buch laut wurde. Eine Art Historikerstreit hob an. Als Wortführer trat Albert Brackmann hervor, Ordinarius in Berlin, seit 1929 als Nachfolger P. F. Kehrs Generaldirektor der preußischen Staatsarchive, also ein Schwergewicht in der historischen Zunft. An prominentem Ort, in der »Historischen Zeitschrift«, warf er Kantorowicz vor, Grundregeln des wissenschaftlichen Arbeitens und der Quellenkritik missachtet und nicht nach objektiven Wahrheiten gesucht, sondern sich seinem Gegenstand »in mythischer Schau« genähert zu haben. Da der Verfasser dem Kreis um Stefan George angehöre, habe die »imagination créatrice« den »realen Wirklichkeitssinn« verdrängt, habe der Dichter in ihm die »wissenschaftliche Persönlichkeit« überwältigt. Insbesondere auf die Deutung von Friedrichs Kreuzzug und dessen (angebliche) Selbstkrönung in Jerusalem, also auf jene Passagen zur westöstlichen Geschichte, für die dem Autor besondere Kompetenz nachgesagt wurde, richtete sich Brackmanns Kritik. Kantorowicz nannte ihn privatim nur mehr »Brackwasser«.76 Dessen Einwände waren in ihren Grundzügen durchaus stichhaltig, sie standen aber auch für die Vorstellungen und Maßstäbe einer Generation von Historikern, die noch im Kaiserreich wissenschaftlich sozialisiert worden waren. Ein gestandener Ordinarius wies einen selbstbewussten Aufsteiger zurecht.

Die Attacke galt aber nicht einem einzelnen Kontrahenten, sondern verfolgte zugleich ein allgemeineres Ziel. Seit dem Ende des Weltkriegs hatten sich die Erwartungen an die Tätigkeit des Historikers verschoben. Es genügte nicht mehr, in mühsamer Kleinarbeit (George: »kleintierhafte tüftelei«77) ein detailliertes Bild der Vergangenheit zu pinseln, sondern klare Linien wurden erwartet, die sich mit den Erfahrungen der Nachkriegszeit verbinden ließen. Um es mit den Worten eines kompetenten Zeitgenossen zu sagen: »Das Zeitalter des Historismus ist vorüber. […] Spezialisierung ermüdet und interessiert nicht mehr. […] Dafür besteht eine brennende Sehnsucht nach Erkenntnis von Idee und Funktion, von Sinn und Wert im geschichtlichen Werden«, ein »Verlangen nach innerer geschichtlicher Wahrheit«. Nicht mehr »Arbeitsleistungen wie die Monumenta [Germaniae Historica], die Papsturkunden [Kehrs Lebenswerk] und ähnliche Denkmale einer abtretenden Generation« seien gefragt, sondern Darstellungen von literarischer Qualität und subjektivem Zuschnitt. Denn die Aufgabe des Historikers sei »keine Sinnfeststellung, sondern Sinngebung«. Die Geschichte habe – ob als magistra oder als ancilla – dem Leben zu dienen.78

Die Universitätshistoriker taten sich schwer, solche Erwartungen zu erfüllen. Dadurch aber liefen sie Gefahr, ihre Deutungshoheit im Feld der Geschichte zu verlieren. Von zwei Seiten mussten sie sich bedroht fühlen: Erstens durch eine wachsende Zahl historischer Darstellungen, die sich an das breite Publikum wandten und großen Erfolg hatten, weil ihre Autoren sich um Lesbarkeit bemühten. Am wirkungsvollsten verstand es der gelernte Journalist Emil Ludwig, das historische Interesse der Allgemeinheit zu bedienen. Als »Dichterhistoriker« wurde er einmal bezeichnet und genau daran schieden sich die Geister. Ludwigs Name stand und steht für jenes Phänomen, das als »historische Belletristik« in das enzyklopädische Wissen der Zeit (in den Großen Brockhaus) einging und den entschiedenen Widerspruch der Universitätshistoriker auf sich zog.79 Die »Historische Zeitschrift« brachte eine Broschüre heraus, die überaus kritisch (Carl von Ossietzky: »ernstlich böse«) und – wie man glaubte – von höherer Warte aus mit der populären Geschichtsschreibung ins Gericht ging. Oberflächlichkeit, Konzessionen an den Zeitgeist und den »leichten Plauderton« warf man ihr vor.80 Dass der verantwortliche Herausgeber dabei einen unverblümt politischen Ton anschlug und die eigene nationalkonservative gegen die »linke« Gesinnung etwa eines Emil Ludwig in Stellung brachte, hat nicht jeden gefreut. Aber das Grundanliegen des Hefts – die »Literatenwelt« in ihre Schranken zu weisen – wurde von den meisten Fachhistorikern geteilt.81

Zweitens forderten die heroischen Biographien aus dem George-Kreis die zünftige Geschichtsschreibung heraus. Sie wandten sich – schon vom Selbstverständnis der Autoren her – an die intellektuelle Elite und verkauften sich nicht so gut wie »historische Belletristik«, waren aber im allgemeinen Bewusstsein kaum weniger präsent als Emil Ludwig. Brackmann kritisierte Kantorowicz als Jünger Stefan Georges und warf ihm vor, nicht geforscht, sondern »geschaut, gefühlt, erlebt« zu haben.82 Die Debatte um das Friedrich-Buch hatte aber auch immer die »historische Belletristik« im Auge. Denn Universitätshistorie, George-Kreis und populäre Geschichtsschreibung konkurrierten miteinander. Letztlich ging es um die Frage, wo historische Orientierung gefunden werden sollte: in der wissenschaftlichen Monographie, im heroisierenden Kreis-Buch oder im journalistisch formulierten Sachbuch. Die Zunft verständigte sich auf die Formel, dass es eine »legitime« und eine »illegitime« Geschichtsschreibung gebe. Nur die wissenschaftlich ausgewiesene hielt sie für »legitim«.83

Carl Erdmann befand sich in keiner einfachen Situation, als ihm Albert Brackmann einen Sonderdruck seines kritischen Aufsatzes zukommen ließ. Leicht hätte er sich mit einem unbedachten Kommentar seinen mühsam erworbenen Status als Nachwuchstalent verscherzen können. Aber er wollte auch nicht mit seiner Meinung hinter dem Berg halten. Das war ihm – zumal in jungen Jahren – nicht gegeben. Sein zunächst auskömmliches Verhältnis zu Kehr hatte er damit immer wieder strapaziert und letztendlich verdorben. Er entschloss sich, doch ein gutes Wort für den Angegriffenen einzulegen. In einem länglichen Schreiben nahm er Stellung, ebenso höflich wie bestimmt:84 Er gebe zwar zu, dass ein neuer Methodenstreit (der letzte hatte die Historiker am Ende des 19. Jahrhunderts beschäftigt) seinen Sinn habe und sich um die Frage drehen müsse: »Wie soll man Geschichte schreiben und wie nicht?« Denn dafür gebe es keine anerkannten Maßstäbe, ganz abgesehen von den verschieden ausgeprägten Fähigkeiten, sich schriftlich zu artikulieren. In jedem Fall könne die Diskussion darüber fruchten.

Fürs Erste aber gab Erdmann Kantorowicz recht. Selbst dort, wo eine Formulierung überzogen, eine Beschreibung weniger realistisch als »magisch« klingt, überwiege der erzählerische Gewinn die sachliche Unschärfe. Denn man lese das Buch nicht mühsam, sondern mit Genuss. Die künstlerische Form bedinge seine sprachliche Gestalt, die aber den dargestellten Sachverhalten nicht abträglich sei. Denn der gebildete Leser (ein merkwürdiges Argument) wisse ohnehin Bescheid. Selbst die eigentümliche Darstellung des Kreuzzugs von 1227 und die von Brackmann bestrittene Behauptung: »Den Weltmonarchen […] verlieh nur der Orient die Unbedingtheit und den Nimbus des Gottes«85 müsse man nicht wörtlich verstehen, sondern nur als quasi atmosphärische oder rahmende Überleitung zu den dann behandelten Themen. Überhaupt tue man dem Autor unrecht, wenn man ihn auf einzelne Sachverhalte und deren konkrete Umstände festlege. Ihm sei es darum gegangen, jeweils die »übergeschichtlich-symbolische Bedeutung hinter den Ereignissen« zur Anschauung zu bringen. Darüber könne man streiten, je nach »Weltanschauung« und »Geschmack«. Aber es mache einen Unterschied, »nach den jeweiligen Bedingtheiten und momentanen politischen Absichten zu fragen« oder »nach Sinn und Wesen der Erscheinungen zu suchen«. Von einem Methodenfehler dürfe man jedenfalls nicht sprechen.

Man weiß nicht, wie Professor Brackmann auf das Schreiben reagierte. Gefreut hat es ihn wohl nicht. Erdmann schwächte seine Worte etwas ab, indem er sie als eine Meinungsäußerung »aus dem Kreise der jüngeren Generation« herunterzuspielen versuchte. Sie wirken stellenweise gewunden, insgesamt aber klar und entschieden. Man sollte das Schreiben nicht als einen Freundschaftsdienst verstehen, sondern als einen Akt der Loyalität, die der Schreiber jemandem schuldete, den er persönlich kannte und als Mensch wie als Autor hoch schätzte. Gleichzeitig bat er Friedrich Baethgen, das Friedrich-Buch wohlwollend zu rezensieren (was dieser dann auch tat).86

Das heißt nicht, dass Erdmann alles gut fand, was Kantorowicz sagte und schrieb. Als dieser eine Antwort auf Brackmanns Attacke am selben herausragenden Druckort, der »Historischen Zeitschrift«, erzwang, da fand Erdmann die »feuilletonistische Tonart sehr bedenklich«.87 (Feuilleton: Damit war man schon ganz nahe bei Emil Ludwig!) Und als Kantorowicz im Jahr darauf einen spektakulären Auftritt beim Historikertag in Halle hinlegte und die (mit Ausnahme Brackmanns versammelte) Zunft nicht allein mit seiner eleganten Kleidung, sondern auch mit der These provozierte, nur eine künstlerische Geschichtsschreibung aus der Schule Georges könne der Nation dienen, alles andere sei entweder Geschichtsforschung oder eben »historische Belletristik« und mit beidem verbinde ihn nichts,88 da hatte Erdmann erneut Bedenken. Er hätte sicher nicht in den höhnischen »Song des Positivisten« eingestimmt, den man dem abgereisten Provokateur hinterher sang;89 aber die Sache selbst war ihm peinlich und er glaubte, ihn entschuldigen zu müssen: Kantorowicz sei »eben Historiker und nicht Geschichtsphilosoph«. Andere urteilten viel schärfer über den »hochmütigen«, »frechen« und dazu »rabulistischen« Ton des Vortrags. Selbst jene, die ihm wohlwollten und schon einmal mit ihm gezecht hatten, hegten Zweifel an der wissenschaftlichen Solidität des »Außenseiters ohne Amt und Würden«.90

Erst als endlich der Ergänzungsband vorlag, trat Erdmann – nun selbst Rezensent – entschieden für das Gesamtwerk ein und stellte ihm ein glänzendes Zeugnis aus: Das Verdienst des Verfassers liege »in der Vereinigung eines individuell und weltanschaulich bedingten Geschichtsbildes mit der fachlichquellenmäßigen Fundierung«. Das Friedrich-Buch sei »von einer jenseits aller Quellenforschung liegenden Grundauffassung durchdrungen« und trotzdem nicht gegen die Quellen geschrieben. Es könne sogar anregen, sich über die Grenzen der herkömmlichen Forschungsmethoden Gedanken zu machen und das Verhältnis von »Exaktheit« und »Einfühlung« neu zu bestimmen.91 Auch wenn Erdmann diese Überlegungen später nicht mehr fortspann, waren es doch weitreichende Einsichten, die er aus der Debatte um Friedrich II., Stefan George und die »historische Belletristik« davontrug.

Fackel in der Finsternis

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