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Am Anfang einer akademischen Karriere?

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Niemand hätte damals auch nur ahnen können, dass aus dem Verfahren einmal ein bedeutendes und irgendwann sogar erfolgreiches Buch hervorgehen würde, die Mitglieder der Fakultät so wenig wie der Autor. Die Arbeit an ihm zog sich beträchtlich in die Länge, und als Erdmann sich schließlich in Berlin habilitierte, hatte er gerade die ersten drei Kapitel sowie zwei Exkurse (also nicht einmal die Hälfte des keineswegs voluminösen Werks) fertigstellen können. Chrousts Befürchtungen, an der Friedrich-Wilhelms-Universität würden strengere Maßstäbe als anderswo angelegt, sollten sich als unbegründet erweisen. Erdmann hatte ein wenig antichambriert und sich der Unterstützung der »Berliner Herren« versichert.68 Offenbar war die Fakultät an dem jungen Gelehrten so interessiert, dass niemand ihm und seinem Betreuer Erich Caspar Steine in den Weg legen wollte.

Geradezu überschwänglich fielen die Gutachten der Fachvertreter aus. Man war sich einig: Die eingereichte Arbeit stelle »eine ausgezeichnete geistesgeschichtliche und symbolgeschichtliche Untersuchung« dar. Sie beruhe auf »breiteste[m], ganz umfassende[m] Quellenmaterial« und gelange dadurch zu einem überzeugenden »Gesamtbild«. Indem sie sich einem Gebiet zuwende, das sonst eher »unbeachtet« oder »schlecht bearbeitet« worden sei und auch nichtschriftliche Quellen in den Blick nehme, die früher »nur gelegentlich« und »unsystematisch« herangezogen worden seien, ergebe sich ein erheblicher Erkenntniszuwachs aus ihr. Dabei bleibe der Verfasser immer auf dem sicheren Boden der historischen Methode. Von »konstruktiver Phantastik« halte er sich vollkommen fern. Die ganze Arbeit zeuge von »großer Gelehrsamkeit, kritischem Verständnis und einem […] wohltuenden historischen Sinn«. Einwände fehlten nicht völlig – das war man sich schuldig. Gutachter haben Flagge zu zeigen und mit ihren Vorbehalten einen eigenen, letztlich überlegenen Standpunkt sichtbar zu machen. Aber hier wurden sie so formuliert, dass sie in Lob umschlugen: Erdmann hätte seine Quellen weniger skrupulös, sondern pointierter auslegen können, um seine bedeutenden Ergebnisse »noch plastischer« hervortreten zu lassen, und das Fehlen der zweiten Hälfte müsse man schon deshalb bedauern, weil das Thema so interessant sei. An der Qualifikation des durch weitere Publikationen ausgewiesenen Habilitanden gebe es überhaupt keinen Zweifel, und Hermann Oncken fügte seinem Votum einen eher ungewöhnlichen Akzent hinzu: »mit besonderer Empfehlung der gediegenen Persönlichkeit des Herrn Dr. Erdmann«.69

Damit war das Verfahren im Grunde gelaufen. Der Kandidat hatte den wesentlichsten Teil seiner Leistung erbracht, das dann noch zu absolvierende Kolloquium (ein Probevortrag über ein von ihm vorgeschlagenes, von der Fakultät ausgewähltes Thema mit anschließender Aussprache) sollte die Prüfung abrunden. Doch auch dieser zweite Teil des Verfahrens verlangte umsichtige Planung und gründliche Vorbereitung. Erdmann ließ es an beidem nicht fehlen. Er bot drei Themen zur Auswahl an, eines, das so nahe am Gegenstand der Habilitationsschrift lag, dass es nicht infrage kommen konnte (»Die Entstehung der Ritterorden«), ein zweites aus dem Gebiet der Herrschaftszeichen und -liturgien (»Die Kaiserkrönung in salischer Zeit«), aber an erster Stelle jenes, das er selbst präferierte: »Grundfragen der Forschung über die mittelalterlichen Briefsammlungen«. Dieses wurde denn auch gewählt. Ungeschriebene Regeln wurden befolgt.70 Für Briefsammlungen interessierte sich Erdmann spätestens seit seinem aufsehenerregenden Fund in der Pariser Nationalbibliothek. Die Beschäftigung mit ihnen zählte er nun zu seinen Hauptarbeitsgebieten. Ein Aufsatz über die von ihm entdeckten Bamberger Briefe befand sich im Druck.71

Er bewegte sich also mit seinem Probevortrag auf sicherem Grund. An der Aussprache beteiligten sich sechs Mitglieder der Fakultät, allerdings nur Historiker, niemand aus einem benachbarten Fach. Vielleicht war die Materie denn doch zu speziell. Wenn zum Beispiel Erich Caspar auf den »Liber diurnus Romanorum pontificum« zu sprechen kam und sich mit dem Kandidaten darauf verständigte, dass es sich dabei um eine Formelsammlung zu bloßen Schulzwecken, also für die Ausbildung der päpstlichen Notare, handelte,72 dann konnten wahrscheinlich schon die Neuzeithistoriker nicht mehr mitreden, von den anderen Mitgliedern der Fakultät ganz zu schweigen. Erdmann hielt außerdem eine öffentliche Antrittsvorlesung (über »Gregor VII. und Urban II.«), bekam die Lehrbefugnis und gehörte nun, ab dem Wintersemester 1932/33, der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität als Privatdozent an. Er durfte von nun an derselben Institution lehren, an der so prominente Historiker wie Fritz Hartung (seit 1923), Hermann Oncken (seit 1928), Erich Caspar oder Robert Holtzmann (beide seit 1930) aktiv und so berühmte Emeriti wie Otto Hintze (bis 1921), Erich Marcks (bis 1928) und Friedrich Meinecke (bis 1932) noch präsent waren. Gemeinsam gaben sie so etwas wie das »Gravitationszentrum der deutschen Geschichtswissenschaft« ab.73 Das gereichte dem jungen Mann nicht nur zur Ehre, sondern eröffnete auch Aussichten auf eine eigene Karriere.

Zwar gab es damals kein förmliches Ranking der Universitäten in Deutschland, auch weil es keinen Bedarf dafür gab. Doch jeder Dozent und vielleicht sogar jeder Student wusste, wo seine Alma Mater stand: dass Rostock und Greifswald kleine Hochschulen waren und wie Tübingen als Anfangsstationen einer akademischen Karriere galten, dass Heidelberg weiter oben rangierte und zum Beispiel auch Freiburg hinter sich gelassen hatte, dass die Technischen Hochschulen noch weit entfernt davon waren, als gleichrangig, wenn nicht gar gleichwertig anerkannt zu werden, dass Neugründungen wie Hamburg, Frankfurt oder Köln sich schwer taten, ihren Platz zu finden, vor allem aber, dass die Berliner Universität über allen anderen thronte und unbestritten den Spitzenplatz einnahm. Den Studierenden wurde eine »weit gefächerte akademische Speisekarte« präsentiert, den Lehrenden ein stabiles elitäres Selbstbewusstsein vermittelt. Man verstand sich als Nationaluniversität, die man ohne Not nicht mehr verließ. Zweifel oder gar Selbstzweifel prallten an einem »schimmernden Eispanzer gletscherhafter Erhabenheit« ab. Sogar dem, der dazugehörte, lag der Spott über das »berühmte Berliner Format« auf der Zunge.74

In Berlin zu lehren, war also das logische Ziel fast eines jeden Hochschullehrers in Deutschland. Und umgekehrt konnte sich jeder Privatdozent ausrechnen, dass man von hier aus leichter wegberufen werden konnte als von anderen Hochschulen. Es schien nur eine Frage der Zeit. Auch Erdmann gab sich solchen Hoffnungen hin. Er konnte sich ausrechnen, eines Tages zu jenen 2000 Auserwählten zu gehören, die damals einen Lehrstuhl innehatten, und nicht zu den anderen 3000, die im akademischen Glückspiel verloren hatten und deshalb kostenlos lehrten.75 Dass schon wenige Monate später auch an den Universitäten ein grundstürzender Wandel eintreten sollte, konnte er im Herbst 1932 nicht ahnen. Mit seiner Habilitation kurz vor dem faktischen Ende der Weimarer Republik vertauschte er sein erfülltes römisches Dasein mit dem »ewige[n] Grau einer Berliner Privatdozentur«76 und geriet am Ende in politische Turbulenzen, die er bei der Übersiedlung in die Reichshauptstadt nicht bedacht hatte. So fiel auch er – wie schon seine beiden Brüder – »in den Rachen der Welt«.

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