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Er zog die Handbremse an und warf hinter sich die Autotür zu. Benjamin Felder schritt langsam über den Parkplatz auf das hell erleuchtete Gebäude des Steyrtalerhofes zu. Er hatte Bauchschmerzen, sein Gaumen war trocken und die Hände schwitzten. Er rieb seine Handflächen an seiner Hose. Durch die breite Fensterfront konnte er in den Speisesaal blicken. In seiner Kindheit war er gelegentlich hier zum Essen gewesen, da war der Steyrtalerhof ein Gasthaus der gehobenen Klasse gewesen, noch kein schicker Gourmettempel. Benjamin hatte extra für den Anlass sein Hemd gebügelt und ein Sakko angezogen. Er biss die Zähne zusammen. Keine Chance, die Angelegenheit zu verschieben oder gar zu vergessen, er musste hier durch.

Benjamin trat ein und wurde vom Empfangschef begrüßt. Er wurde befragt, ob er einen Tisch reserviert habe und ob er allein zu speisen gedenke. Mit dem Hinweis, der Sohn von Herrn Felder zu sein und nur etwas Persönliches mit seinem Vater besprechen zu wollen, wurde er mit einer Verbeugung eingelassen, nicht ohne einen Begrüßungstrunk offeriert zu bekommen. Gut gekühlter Schilcherol mit einer Zitronenscheibe. Benjamin nippte nur am Glas.

Die Abendgesellschaft saß gerade bei der Suppe. Benjamin stellte sich an die hintere Bar des weitläufigen Saals und ließ den Blick kreisen. Sehr stilvoll, das musste er zugeben, die Renovierung des Gasthofes war wirklich von kundiger Hand durchgeführt worden, hier war ein einfallsreicher Innenarchitekt am Werke gewesen. Was die Arbeiten allerdings gekostet haben mochten, wagte sich Benjamin nicht vorzustellen.

Er sah seinen Vater an einem der Tische sitzen, die Suppe löffeln, plaudern, lachen. Zwei Frauen und acht Männer saßen an diesem Tisch. Zweifellos die wichtigsten Geschäftspartner seines Vaters. Natürlich war die Sitzordnung hierarchisch abgestimmt. Am Tisch des Wirtschaftskapitäns saßen ebenfalls nur Wirtschaftskapitäne. Benjamin war mit einem kühlen Kalkül hierhergekommen. Hier, inmitten seiner Gäste, würde sein Vater, anders als in seinem Büro oder in der Villa, das Anliegen seines Sohnes nicht lautstark abschmettern können. Nun, er würde natürlich ablehnen können, aber immerhin nicht laut. Benjamin wartete, bis das Personal die Suppenteller abserviert hatte. Sollte er hinübergehen? Sich in die Abendgesellschaft mischen? Sollte er einen Kellner bitten, eine Botschaft zu überbringen?

Herbert Felder entdeckte seinen Sohn. Für einen Moment fror sein Lächeln ein, dann wandte er sich wieder seinem Geschäftspartner zu und lauschte dessen Ausführungen. Er lachte zu der Pointe, der ganze Tisch lachte. Die Kellnerin ging herum und füllte die Weingläser. Auch Herbert Felder ließ sich einschenken. Er entschuldigte sich bei seinen Gästen für einen Moment, erhob sich und marschierte geradewegs auf die Toilette.

Benjamin Felder nahm nun doch einen tiefen Schluck aus seinem Glas. Er wartete. Nervös. Verspannt. Hätte er vielleicht doch im Büro vorstellig werden sollen? Sollte er die Sache abblasen und einen zweiten Anlauf nehmen? Im vorderen Teil des Restaurants saßen die normalen Abendgäste an den Tischen, plauderten, dinierten, tranken, der hintere Teil war der Abendgesellschaft vorbehalten. Was hatte er in diesem Lokal eigentlich zu suchen? Nichts. Die Welt der Reichen und Schönen war nicht seine Welt, war sie nie gewesen, und er war froh, nicht ein Teil dieser Welt geworden zu sein.

„Schau an, schau an, mein Sohn lässt sich also wieder einmal blicken!“

Die tiefe, immer irgendwie grantig klingende Stimme seines Vaters riss Benjamin aus seiner Grübelei.

„Willst du einen Teller Suppe herausschinden? Oder mir die Laune verderben?“

Die Augen der beiden Männer trafen sich. Da war sie wieder, diese alte Distanz, dieses Fremdsein zwischen Vater und Sohn, so, als ob die letzten fünfzehn Jahre nicht existiert hätten.

„Guten Abend, Papa.“

„Bist du wegen mir hier? Oder bist du mit deiner neuen Flamme zum Abendessen gekommen und stehst nur zufälligerweise wie bestellt und nicht abgeholt hier an der Bar herum, weil dein Mädchen sich einen anderen aufgegabelt hat. Vielleicht einen echten Kerl zur Abwechslung, keinen Jammerlappen.“

Benjamin Felder schluckte, versuchte den süffisanten Tonfall seines Vaters zu ignorieren. Er durfte die Feindseligkeit nicht an sich heranlassen, er musste in der Rüstung, die er angelegt hatte, den Hieben trotzen, er musste vorankommen.

„Ich freue mich auch, dich wiederzusehen, Papa.“

„Gut schaust du aus, Benjamin. Du heulst heute gar nicht. Gefällt mir! Und, hast du einen Job?“

„Ja. Mein zweites Schuljahr hat begonnen.“

„Bravo! Hast du also diese Dingsbumsakademie geschafft! Respekt. Du arbeitest doch mit Türken- und Zigeunerkindern? Habe ich das richtig in Erinnerung?“

„Es ist eine Integrationsklasse. Ich arbeite mit lernschwachen Kindern mit Migrationshintergrund der Sekundarstufe, um genau zu sein.“

„Was der Blödsinn auch immer heißen mag. Wahrscheinlich bist du total glücklich mit diesem Job, nicht wahr?“

„Allerdings. Es ist eine anspruchsvolle und verantwortungsvolle Aufgabe. Und mit etwas Mühe kann ich die Lebenschancen zumindest einiger Kinder erheblich verbessern.“

Herbert Felder lachte dröhnend.

„Mein Sohn, der Weltverbesserer! Wenn du nicht meiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten wärst, hätte ich gesagt, dass du nicht von mir sein kannst, dass dich deine Frau Mama vom Briefträger, Gärtner oder Gemüsehändler eingefangen hat. Lehrer für Zigeunerkinder! Nicht zu fassen!“

Herbert Felders Lachen verstummte so schnell, wie es gekommen war. Er schaute kurz hinüber in den hinteren Teil des Speisesaals zu seinen Gästen, stemmte seine schweren Fäuste in die Hüften und hob seine breiten Schultern.

„Also, wie viel willst du?“

Der Vater fasste seinen Sohn mit harter Miene in den Blick.

„Denn wegen des Geldes bist du ja gekommen.“

Benjamin Felder schluckte.

„Einhundertachtzigtausend Euro.“

Herbert Felder verzog anerkennend seinen Mund.

„Na, zum Glück raubst du meine Zeit nicht wegen ein paar Groschen. Einhundertachtzigtausend, das ist dann schon ordentlich. Willst du einen Ferrari kaufen? Eine Motoryacht? Willst du im Obdachlosenasyl der Spender des Jahrzehnts werden?“

Benjamin Felder griff in die Innentasche seines Sakkos und zog die vorbereiteten Papiere heraus. Zuerst reichte er seinem Vater eine farbige Infobroschüre.

„Du kennst vielleicht das Pflegeheim in Bad Hall. Es bietet die besten Bedingungen für eine umfassende Pflege und ausgezeichnete ärztliche Kontrolle. Die sind spezialisiert auf Parkinsonkranke, auf Alzheimerpatienten, auf Menschen mit Multipler Sklerose. Die haben dort auch eine geriatrische Abteilung. Allerdings ist das ein privat geführtes Haus. Man kriegt öffentliche Zuschüsse, aber ein Selbstbehalt ist von den Patienten oder deren Angehörigen zu leisten.“

Herbert Felder blätterte die Infobroschüre durch.

„Ist es also schlimmer geworden?“

Benjamin sah die Eindrücke des heutigen Nachmittags wieder vor sich. Hörte die Worte des Arztes. Sah die Augen seiner Mutter. „Die Multiple Sklerose ist jetzt in einem fortgeschrittenen Stadium. Der Oberarzt im Krankenhaus hat, nachdem ich nachgebohrt habe, gemeint, dass die Wahrscheinlichkeit, dass meine Mutter, deine Exfrau, in zehn Jahren noch leben wird, gleich Null ist. Deswegen das Pflegeheim. Deswegen das Geld. Der Selbstbehalt beträgt pro Jahr achtzehntausend Euro. Mal zehn sind das die einhundertachtzigtausend.“

Benjamin Felder nahm nun ein Papier aus einem Kuvert und präsentierte es seinem Vater.

„Wenn du diesen Vertrag unterzeichnest, wird das Geld auf ein Treuhandkonto gelegt, das von Notar Vinzenz Baumann in Steyr verwaltet wird. Der Notar erledigt die Zahlungen an das Pflegeheim. Sollte Mama früher sterben, wird der Restbetrag an dich zurückgegeben. Sollte sie länger als zehn Jahre leben, werden weitere Kosten an dich verrechnet. Die Gebühren für den Notar bitte ich dich auch zu übernehmen.“

Herbert Felder nahm das Papier und warf einen Blick darauf.

„Du hast dir das ja gut überlegt.“

„Papa, ich bin vielleicht nicht zum Großunternehmer geeignet, bei mir reicht es halt nur zum Weltverbesserer, das heißt aber nicht, dass ich ungeschickt oder gar blöd bin.“

Herbert Felder las den Vertrag schnell durch. Benjamin wartete.

„Du kannst die Angelegenheit in zwei Hinsichten sehen. Erstens. Du kannst für die Frau, die du in jungen Jahren geliebt hast, mit der du ein Heim gegründet hast, mit der du ein Kind in die Welt gesetzt hast und die unheilbar krank ist, einen würdevollen und medizinisch optimal betreuten letzten Lebensabschnitt schaffen.“

Vater und Sohn blickten einander an.

„Oder zweitens. Du kannst um einhundertachtzigtausend Euro, ich habe noch deine Worte im Ohr, den stinkenden Kadaver dieses blöden Trampels ein für alle Mal aus deinem Leben schaffen.“

Benjamin Felder griff in die Brusttasche seines Sakkos.

„Ich habe sogar an eine Füllfeder gedacht.“

Neumondnacht

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