Читать книгу Neumondnacht - Günter Neuwirth - Страница 11
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ОглавлениеChristina stieg aus der Duschkabine und wickelte das Badetuch um ihren Körper. Die Fahrt vom Schießplatz der Polizei bis nach Hause hatte sich gezogen, knapp zehn Kilometer war sie im Schneckentempo über die Bundesstraße gekrochen. Die Bausaison neigte sich Ende September langsam dem Ende zu, da wurden noch einmal alle Kräfte mobilisiert, um das Straßennetz auszubessern, und Freitagnachmittag spielte der Berufsverkehr vor dem nahenden Wochenende alle Stücke. Wilhelm war schon zuhause gewesen, als sie angekommen war, und hatte ein kleines Abendessen in Arbeit gehabt. Penne mit Gorgonzola, dazu grüner Salat, ein Gericht, das er immer wieder gerne auftischte, einerseits weil es seine knappen Zeitressourcen nicht zu sehr in Anspruch nahm, andererseits weil er es wirklich köstlich zuzubereiten in der Lage war. Sie hatten gegessen, über den in den Abend versickernden Arbeitstag geplaudert, Wilhelm hatte mit dem Hinweis, noch eine Kleinigkeit erledigen zu müssen, sich in sein Arbeitszimmer begeben und Christina hatte eine ausgiebige Dusche genommen.
Sie huschte barfuß in die Küche, griff in den Schrank nach einer Weinflasche, inspizierte das Etikett und setzte den Korkenzieher an. Langsam schwenkte sie den Rotwein im Glas, roch daran und ließ einen Tropfen über ihre Zunge rollen. Genau das Richtige für diesen Abend, ein gehaltvoller Raboso aus dem Veneto, der nach Sommer und Sonne schmeckte. Sie füllte ihr Glas.
„Willi, willst du auch einen Schluck Rotwein?“, rief sie in die geräumige Wohnung.
Christina wartete vergeblich auf eine Antwort. Sie verzog ihre Miene. Wilhelm immer mit seiner Arbeit, es war ein Jammer. Sie nahm das Glas, öffnete das Fenster und blickte hinunter in die von den Straßenlichtern durchbrochene Dunkelheit über der Enns und der Steyr. Langsam nippte sie am Glas, dachte an gar nichts Besonderes, ließ einfach nur das ferne Tosen der ineinanderfließenden Flüsse auf sich wirken. Genau wegen dieses Fensters, genau wegen dieses Ausblicks auf die Wassermassen der Flüsse hatte sie sich für diese Wohnung im Stadtteil Ennsdorf entschieden. Wasser war der Ursprung allen Lebens, fließendes Wasser trug seinen elementaren Grund in der Zeit, Flüsse gebaren Hoffnung, Liebe und Vergänglichkeit, gaben in ihrer beständigen Bewegung Anlass zu Zuversicht, und traten sie über die Ufer, brachten sie die Angst. Christina fühlte sich, wenn sie längere Zeit an ihrem Küchenfenster stand und auf die wasserreiche Enns und die kristallklare Steyr hinabsah, wie ein Brunnen, dem es vergönnt war, einige Augenblicke das Wasser der Flüsse in sich zu tragen. Wasser, oder den Wein.
Sie leerte das Glas und schaute auf die Uhr. Nun, der Abend lief dahin, aber noch nicht ganz so, wie sie sich das gedacht hatte. Sie musste zur Tat schreiten, also schloss sie das Fenster, füllte noch einen Schluck Wein ins Glas und marschierte in das Vorzimmer zum Spiegel. Sie knipste die Lampen an, stellte sich vor den Spiegel, streifte das Badetuch ab und drehte sich nackt vor dem Spiegel. Regelmäßiger Sport machte sich für Frauen, die langsam, aber unaufhaltsam auf die vierzig zuliefen, bezahlt. Sie wog vielleicht drei, höchstens vier Kilogramm mehr als vor fünfzehn Jahren. Christina lugte durch die offenstehende Tür in Wilhelms Arbeitszimmer, sah das Laptop und ihren konzentriert davor kauernden Mann. So konnte das nicht weitergehen, also nahm sie die Bürste und strich sich durch das Haar, ein glockenhelles Liedchen trällernd.
Und es dauerte gar nicht lange, bis sie durch den Spiegel sah, dass Wilhelm mit verschränkten Armen im Türstock stand und keck lächelte. Wie überrascht hielt sie inne und schaute über ihre Schulter.
„Gibt es da etwas zu gaffen?“
Wilhelm nickte entschieden.
„Allerdings.“
„Musst du nicht deine total wichtige Arbeit erledigen, am Freitagabend um halb neun?“
„Der Akku meines Laptops war ganz plötzlich leer und ich habe zufälligerweise das Netzkabel im Büro vergessen.“
„So ein Pech aber auch.“
„Immerhin konnte ich noch vor dem Systemabsturz die Dateien speichern.“
„Na, Glück muss man haben.“
Wilhelm trat an Christina heran und umfasste sie von hinten. Durch den Spiegel schauten sie einander in die Augen.
„Ich sehe, du bist beim Wein angelangt, meine singende Abendfee?“ „Ich habe dich gefragt, ob du auch ein Glas willst, aber offenbar waren deine Ohren gerade etwas verlegt. Macht wohl der Elektrosmog.“
Wilhelm ließ seine Handflächen über ihre Haut streichen, tastete nach ihren Brüsten, knabberte an ihrem Nacken.
„Du hast Recht, meine Liebe, wie so oft, der Elektrosmog macht nur Umstände. Also wenden wir uns dem Rotwein und Kerzenlicht zu.“ Christina rieb ihr Gesäß an seinem Becken.
„Wilhelm, du immer mit deinen Ideen!“