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Christina bremste den Wagen vor dem breiten Portal, zog die Handbremse an und warf die Tür zu. Die Sonne machte sich bemerkbar, vertrieb endgültig die kühle Nacht und tauchte den Septembermorgen in belebendes Licht. Die Villa lag rund einhundert Meter vor ihr inmitten einer Grünanlage, die weniger als ein Garten, weit eher als ein Park zu bezeichnen war. Schattenspendende Baumgruppen, dichte Rosenhecken, gepflegter Rasen bildeten gemeinsam mit den rund um die Terrasse gruppierten unzähligen Topfpflanzen ein Ambiente von ruhiger Schönheit, gefälligem Stil und dezentem Luxus. Auffällig war allein das Fehlen von Blumenbeeten. Die Villa selbst verstärkte den Eindruck noch, den der Garten erweckte. Das Bauwerk sprang nicht architektonisch gewagt ins Auge, brüstete sich nicht mit aufdringlichem Prunk, sondern wirkte gerade in seiner Zurückhaltung außerordentlich vornehm. Man sah, dass dieses Erscheinungsbild des Hauses erst vor kurzem fertiggestellt worden war. Ein stilsicherer Architekt war hier am Werk gewesen. Christina blickte zu der Siedlung am Fuße des Hanges hinab. Schmucke, aber schlichte Einfamilienhäuser reihten sich dort aneinander.

Christina betätigte die Türklingel am Gartenportal und wartete. War jemand zuhause? Sie klingelte erneut, wartete wieder, klingelte ein drittes Mal. Eine Videokamera befand sich über der Klingel.

„Guten Morgen“, meldete sich die blecherne Stimme einer Frau.

„Guten Morgen“, erwiderte Christina in Richtung des Mikrofons der Gegensprechanlage. „Mein Name ist Kayserling. Ich bin von der Polizei.

Wären Sie so freundlich und öffnen Sie bitte das Tor.“ „Sie sind von der Polizei? Ist etwas passiert?“

„Sind Sie Selma Felder?“

„Ja.“

„Frau Felder, bitte öffnen Sie die Tür. Ich muss mit Ihnen sprechen.“

Das Portal setzte sich in Bewegung, doch Christina fuhr nicht mit dem Wagen vor, sondern marschierte mit ausholenden Schritten auf das Haus zu. Sie entdeckte weitere Videokameras am Haus. Kaum eine Villa verfügte heutzutage nicht über ein Videoüberwachungssystem und eine Alarmanlage. Noch bevor sie die Terrasse erreichte, trat eine Frau vor das Haustor. Christina war auf dem direkten Weg vom Tatort hierher gefahren, sie hatte also noch keinerlei Recherche in den Datenbanken durchgeführt, sondern sich nur den Namen und das Geburtsdatum der Frau des Hauses telefonisch durchgeben lassen. Ein reicher Mann von sechsundfünfzig Jahren, der seiner um fünfundzwanzig Jahre jüngeren und zweifellos schönen Ehefrau ein fürstliches Leben in einer Herrschaftsvilla bieten konnte, das waren die Bilder, die Christina im Kopf trug, doch nun, im Angesicht der Frau, war Christina überrascht. Und sie trennte sich schnell von ihrem Vorurteil. Oh ja, schön war sie, die junge Ehefrau des Großunternehmers, doch wie ein Mannequin, das sich einen Fleischbaron geangelt hatte, wirkte sie nicht. Selma Felders Miene wirkte dunkel und tiefgründig, ihr langes, glattes, brünettes Haar floss zu einem losen Zopf geformt über die linke Schulter, ihre braunen Augen wirkten unergründlich, fern, nicht abweisend, vielmehr irgendwie abwesend. War sie ein Gespenst? Wahrlich kein aufreizendes Mannequin im Blitzlichtgewitter der Fotoapparate, vielmehr die ebenso schöne wie scheue Charakterdarstellerin in einem französischen Schwarzweißfilm. Christina drängte ihre Überraschung zur Seite und konzentrierte sich auf ihre Pflichten.

„Guten Morgen, Frau Felder.“

Selma Felder musterte Christina von Kopf bis Fuß. Ihr Blick war verängstigt.

„Soll ich meinen Mann wecken?“

Christina legte den Kopf schief.

„Ist Ihr Mann denn zuhause?“

„Aber ja. Er schläft noch. Samstags schläft er immer lang.“

Hatten sie einen anderen Mann im Kühllager gefunden? Christina musste sichergehen.

„Dann bitte ich Sie, ihn zu wecken.“

„Ist etwas vorgefallen?“

„Ja. Im Lagerhaus der Bernsteiner Fleischwaren AG ist in der Nacht etwas passiert, worüber ich mit Ihrem Mann reden muss.“

„Kommen Sie bitte herein. Sind Sie von der Kriminalpolizei?“

„Ja.“

Die beiden Frauen traten in die Halle. Selma Felder huschte barfuß davon, während sich Christina umschaute. Sie wartete. Nur wenig später kam die Frau des Hauses zurück. Sie blickte verstört.

„Ich bin etwas verwirrt, entschuldigen Sie, Frau Inspektor, aber ich habe mich getäuscht, Herbert ist nicht da. Sein Bett ist unberührt.“

„Sind denn Ihre Schlafzimmer in anderen Teilen des Hauses?“

Selma Felder zupfte unruhig am Gürtel ihres Seidenmantels.

„Es ist nicht so, wie Sie jetzt vielleicht denken, Frau Inspektor. Wir haben sehr wohl ein gemeinsames Schlafzimmer, aber wenn Herbert abends lange ausbleibt, und das verlangen seine Geschäfte immer wieder, dann übernachte ich öfter in meinem Zimmer im Atelier.“

„Sie haben ein Atelier im Haus?“

„Ja. Ich arbeite häufig im Atelier. Ich bin Zeichnerin.“

Christina nickte interessiert.

„Und wenn Sie in Ihrem Zimmer im Atelier übernachten, hören Sie da Ihren Ehemann, wenn er spätnachts nach Hause kommt?“

„Nein. In der Regel nicht. Ich schlafe sehr tief.“

„Verstehe. Könnte er in einem anderen Raum im Haus schlafen?“

„Das glaube ich zwar nicht, aber es könnte immerhin sein. Wir haben mehrere Zimmer.“

„Frau Felder, darf ich vorschlagen, dass wir beide einen Rundgang im Haus unternehmen und prüfen, ob Ihr Mann zuhause ist?“

Selma Felder zupfte immer nervöser an ihrer Kleidung.

„Ja, natürlich, eine gute Idee. Kommen Sie.“

Die beiden Frauen eilten los, blickten in viele Zimmer. Christina lernte auf diese Art das Haus des Ehepaares Felder kennen. Auch Christina war mit einem wohlhabenden Unternehmer verheiratet, aber ein solches Haus hätten sich Wilhelm und Christina Kayserling niemals leisten können.

„Besitzt Ihr Mann mehrere Autos?“, fragte Christina.

„Nein. Er macht sich nicht viel aus Autos. Sein BMW ist ein Gebrauchsgegenstand wie seine Zahnbürste. Das sagt er immer wieder.“

Die beiden kamen in den Salon. Christina fühlte die Angst der Frau. War es ein Fehler, alleine hergekommen zu sein? Sie fluchte in sich hinein. Vielleicht wäre ein Kriseninterventionsteam gut gewesen, zumindest ein psychologischer Berater.

„Frau Felder, setzen Sie sich doch.“

Die beiden ließen sich auf der Sitzlandschaft nieder.

„Ich … ich bin etwas verunsichert. Herbert ist nicht da, aber eine Kriminalpolizistin. Ich mache mir Sorgen. Was ist passiert, Frau Inspektor?“

„Bitte beruhigen Sie sich, Frau Felder. Wollen Sie ein Glas Wasser?“

„Ist Herbert tot?“

Selmas Stimme klang brüchig. Sie zitterte am ganzen Leib. Christina schluckte.

„Frau Felder, wir haben eine männliche Leiche im Kühllager der Bernsteiner Fleischwaren AG gefunden. Die erste Identifizierung erfolgte nur anhand des Führerscheins der Leiche, wir werden natürlich noch DNA-Analysen durchführen.“

Selma presste ihre Fäuste gegen den Mund.

„Und ja, Frau Felder, wir haben die Befürchtung, dass der Tote Ihr Mann sein könnte.“

Ein erstickter Schrei. Selma bedeckte ihr Gesicht mit den Handflächen, krümmte ihren Rücken. Sie winselte.

„Frau Felder, brauchen Sie Hilfe?“

Was für eine idiotische Frage! Christina sprang hoch und fluchte still vor sich hin. Die Frau war nicht mehr ansprechbar, sie heulte immer lauter. Christina riss ihr Handy aus der Handtasche.

„Christina hier. Schickt mit Tempo einen Arzt ins Haus von Felder. Das ist in Aschach an der Steyr. Und liegt jetzt endlich der Durchsuchungsbefehl für das Haus vor? Dann drückt auf die Tube, verdammt noch mal!“ Christina steckte das Handy ein und lief unruhig im Salon auf und ab. Dieses Geheul war der blanke Horror. Die Frau brauchte eine Spritze. Unbedingt. Und schnell noch dazu. Warum war sie nicht mit einem KIT aufgekreuzt? Scheißsituation.

Neumondnacht

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