Читать книгу Neumondnacht - Günter Neuwirth - Страница 19
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Оглавление„Nicht so gierig! He! Langsam!“
Die fette Sau drängte die anderen zur Seite, rammte ihren Rüssel in den Futtertrog und schmatzte. Die drei anderen Schweine ließen aber nicht lange auf sich warten und eroberten auch einen Platz am Trog. Roswitha schaute den vier Tieren eine Weile beim Fressen zu. Tagsüber suchten sich die Schweine ihr Fressen selbst, pflügten und düngten dabei den Boden, doch frühmorgens gab es immer einen Leckerbissen, in Wasser angerührten Maisschrot mit Küchenabfällen vom Vortag. Die Tiere wussten genau, sobald Roswitha mit einem Kübel auf den Verschlag zumarschierte, würde es feines Futter geben, da kamen sie eilig angelaufen und warteten ungeduldig auf die Füllung des Trogs.
„Meine Güte, Aphrodite, jetzt lass den anderen auch noch was übrig!“, schimpfte Roswitha und rempelte die größte und älteste Sau an, doch das Tier ließ sich nicht stören und schmatzte unverdrossen weiter.
Roswitha schloss hinter sich das Gatter, putzte die Gummistiefel im Gras ab und stapfte hinüber zu den Pferden. Die drei Pferde hatten sich auch schon am Zaun versammelt und begrüßten wie jeden Morgen ihre zweibeinige Freundin. Roswitha kletterte auf den aus Fichtenstämmen gefertigten Zaun, setzte sich auf einen Stamm und kraulte nacheinander die Mähnen der Tiere.
„Ich habe heute wieder Karotten für euch. Das wird schmecken! Sag mal, Orion, was ist mit deinem Hinterlauf? Ist das Rheuma schlimmer geworden?“
Roswitha sprang vom Zaun, trat an den alten Hengst heran, tätschelte seinen Rücken und hob den linken Hinterlauf.
„Geschwollen. Hm, das ist nicht gut. Klar, dass du hinkst. Da wird wieder ein Umschlag fällig sein.“
Roswitha verpasste dem Tier einen Klaps auf den Hintern, schlüpfte durch den Zaun und holte den Kübel mit frischen Karotten. Die drei Pferde taten sich an ihrem Frühstück gütlich. Die junge Frau stemmte ihre Fäuste in die Hüften und schaute in den Himmel. Ein sonniger Tag kündigte sich an, alle Tiere waren hellwach und geschäftig, sie machte ihre obligate Morgenrunde, nur die zwei Männer am Hof pennten immer noch. Typisch. Wahrscheinlich hatten sie gestern Abend noch ein paar Bierchen gekippt und waren jetzt einfach nicht aus den Federn zu kriegen. Egal, die Jungs würden schon noch aufkommen und dann wartete Arbeit auf sie. Roswitha schmunzelte. Männerarbeit. Die zwei würden schwitzen. Gut so, denn wozu hatte Mutter Natur Männer mit dicken Hoden und breiten Schultern ausgestattet? Doch wohl für ernsthafte Arbeit.
Hexi, die alte, mittlerweile halbblinde Hündin trottete neben Roswitha einher, gemeinsam marschierten sie zur Scheune hinüber. Vor der Scheune lagerten fein säuberlich aufgeschichtet ein Stapel Dachlatten und drei Paletten mit Dachziegeln. Roswitha schaute auf ihre Armbanduhr. Eigentlich war es hell genug für die Arbeit auf dem Dach, und dringend war die Arbeit auch. Sie konnten unmöglich den Heuboden nutzen, wenn das Dach an mehreren Stellen undicht war. Innerhalb kürzester Zeit würde das Heu vermodern. Roswitha ließ ihren Blick schweifen. Der Rosskogelhof bot insgesamt einen traurigen Anblick, das Wohnhaus bröckelte an allen Ecken und Enden, das Scheunendach war löchrig, die Stallungen und der Keller mussten dringend saniert werden, die Streuobstwiese glich einem Dschungel, mit einem Wort, in den sechs Jahren, die Roswithas Mutter alleine hier gewohnt hatte, weil ihre Tochter in Wien studiert hatte, waren Haus und Hof rapide verfallen. Nach dem Tod ihres Vaters, Roswitha war damals vier Jahre alt gewesen, hatte der Hof einen erst langsamen, danach immer schnelleren Abstieg genommen.
Roswithas Mutter hatte einfach die anfallenden Arbeiten nicht geschafft, sie hatte zunehmend finanzielle, noch viel mehr aber emotionale Probleme gekriegt. Roswitha hatte den sozialen Abstieg ihrer Rumpffamilie und ihres Heimathofes als Kind und Jugendliche immer außerordentlich beschämend empfunden. Scham, das war das Gefühl, mit dem Roswitha aufgewachsen war, Scham, dass die Mutter nach dem tragischen Unfall des Ehemannes sich keinen neuen Mann gefunden hat, Scham, dass sie am Schikurs nicht hatte teilnehmen können, weil die alleinstehende Mutter sich das nicht leisten hatte können, Scham, dass sie als Teenager Kleidung hatte tragen müssen, die ihre älteren Cousinen ausgemustert hatten, Scham, dass ihre Mutter immer wunderlicher geworden war, sich in eine eigene, für Roswitha unzugängliche Welt eingesponnen hatte, schließlich Scham, ein Mensch zu sein, der sich pausenlos schämen musste.
So ein gescheites Kind, fast nur Einser im Zeugnis, aber so zerrissene Schuhe, so ein armes Kind. Und was macht die Rosskoglerin? Nichts! Beim Fenster rausschauen! Kräutertee trinken, immer nur Kräutertee trinken, aber arbeiten tut sie nix, die alte Rosskoglerin. Dabei ist die gar nicht so alt! Aber alt schaut sie aus. Die Rosskoglerin hat bald abgehaust. Wo wird sie wohnen, wenn sie ihr den Hof wegnehmen? Die gehört ja ins Irrenhaus. Das arme Kind.
Roswitha Gerstenbauer hatte all die Stimmen der Hyänen und Schlangen noch im Ohr. Sie hatte nichts vergessen. Und sie schämte sich jetzt nicht mehr. Sie hatte wegen ihrer guten Noten immer Schülerbeihilfe und danach Studienbeihilfe erhalten, sie hatte die Matura im Gymnasium Kirchdorf mit Auszeichnung abgeschlossen, sie hatte ihr veterinärmedizinisches Studium in kürzester Zeit absolviert und sie war zurück an den Rosskogelhof gekommen. Ihre Mutter wohnte nach wie vor am Hof, der Hof war zwar verfallen, aber weil er schuldenfrei war, konnte die verschrobene Frau Mitte fünfzig samt ihrer klugen Tochter nicht verjagt werden. Manche Bauern hatten ein Auge auf die brachliegenden Felder und den langsam zuwuchernden Wald geworfen, aber Annemarie Gerstenbauer hatte nichts verkauft, nichts verpfändet, nichts verpachtet, sie hatte, in der Zeit des Studiums ihrer Tochter, von der Hand in den Mund gelebt, aber jetzt, da die Tochter zurückgekehrt war, als Frau Doktor sogar, da hatte sie einen verfallenen, aber von Lasten freien Hof mit immerhin zwanzig Hektar Fläche übergeben können.
Roswitha winkte ihrer Mutter, die mit einem Kübel in der Hand zum Hühnergehege ging. Die Hühner wurden von Annemarie Gerstenbauer betreut, um all die anderen Tiere, die mit der zurückkehrenden Tochter an den Hof gekommen waren, kümmerten sich Roswitha und die beiden Männer. Ja, Roswitha war nicht nur mit einem Doktortitel und vielen Plänen für den Hof aus Wien zurückgekehrt, sondern auch in männlicher Begleitung. Die Leute im Dorf zerrissenen sich zwar die Mäuler, aber das war Roswitha völlig egal, denn sie hatte nicht nur einen jungen Mann mitgebracht, sondern deren gleich zwei.
Roswitha kraulte der alten Hofhündin das Fell.
„Na Hexi, ich glaube, wir werden die Burschen rausjagen müssen, sonst wird das heute nichts mehr mit dem Scheunendach.“
Die Hündin hob den Kopf. Sie schien Roswitha zuzunicken.