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Da stand er also, ein begossener Pudel vor einem ekelhaft ausdünstenden Futternapf. Was sollte er tun? Er griff nach der Krenwurzel und rieb eine kleine Menge auf einen Teller. Albrecht kippte den geriebenen Kren auf seine Hand, rieb die weißen Wurzelfäden und atmete tief ein. Sofort schossen Tränen in seine Augen, sofort legte sich der Duft des Krens in seine Nasenhöhlen und in seinen Rachen. Er kaute die Wurzelfäden. Der Kren war wirklich von erlesener Qualität, stark, würzig, saftig, seine Geschmacksknospen und Geruchsnerven waren gereinigt. Albrecht erinnerte sich, er hatte schon einmal in einer ähnlichen Situation gesteckt und sich irgendwie herauswinden müssen. Reinigen, das war die Devise. Das Fleisch musste gereinigt und mit intensiven Aromen gewürzt werden. Schnell mischte er einen kräftigen Schuss Apfelessig mit Wasser und begann, das Fleisch oberflächlich zu waschen. Der Essig machte sich sofort bemerkbar. Als er alle Fleischstücke gewaschen hatte, hielt Albrecht inne und dachte nach. Die äußerliche Reinigung war notwendig gewesen, aber wie sollte er die Geschmackssubstanz des Fleisches beeinflussen? Der frische Kren würde auf dem Teller wichtige Dienste leisten, aber nicht die Substanz verbessern können. Außerdem gab es immer wieder Leute, die geriebenen Kren nicht mochten, für Albrecht unverständlich, aber er nahm zur Kenntnis, nicht alles verstehen zu können, diese Leute würden das gesottene Fleisch ohne die geschmackliche und verdauungstechnische Wirkkraft des Krens zu sich nehmen, und diese Leute würden sich berechtigterweise beim Chef de Rang über einen solchen Fraß beschweren. Was also tun?

Er erinnerte sich an die Tollerei mit Albert und Sofie auf der Wiese. Die Kinder hatten Grasbüschel ausgerissen und nach ihrem Vater geworfen, der ihnen hinterhergelaufen war, sie gefangen und durch die Luft gewirbelt hatte. Chantal hatte die Tollerei durch den Ruf zum Nachmittagstee beendet. Und genau bei dieser Tollerei hatte er ein paar Halme Schafgarbe zerkaut. Und exakt dieser Geschmack lag nun Albrecht im Gaumen. Schafgarbe! Das war es! Damit konnte er es versuchen. Seit Jahren sammelte Albrecht allerlei Wiesen- und Wildkräuter für seine Küchenarbeit und natürlich hatte er sich hier an seinem Arbeitsplatz eine umfassende Sammlung von getrockneten Kräutern angelegt, aber hier und jetzt musste die Schafgarbe frisch sein, nicht getrocknet. Dennoch griff er zum Gefäß mit der trockenen Schafgarbe und atmete den Geruch tief ein. Könnte klappen! Damit könnte er den gestrandeten Kahn wieder flottmachen. Hoffte er zumindest. Das Fleisch musste mit frischer Schafgarbe gesotten werden. Und er wusste, wo in der Nähe Schafgarbe wuchs. Zum Glück waren Ende September die Kräuter noch saftig. Im Winter hätte er sich mit getrockneter Schafgarbe behelfen müssen.

Als er die Nottaschenlampe aus dem Schrank holte und mit fliegenden Schritten aus der Küche stürzte, lag ein kämpferisches Lächeln in Albrechts Gesicht. Er bemerkte gar nicht die gaffenden Blicke der Kollegenschaft, und auch nicht, dass der Maître de Cuisine mit dem Zeigefinger an seine Stirn tippte.

Neumondnacht

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