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SAMSTAG, TAGSÜBER

13

Wann immer die Sonne senkrecht fallende Strahlen auf die Oberfläche des spiegelglatten Sees warf und sich in den Reflexionen untrügliche Zeichen eines grollenden Wassermannes zeigten, der mit seinem Dreizacken um sich schlug, um die schwirrenden Lärmhornissen zu vertreiben, wann immer dieser Wassermann deshalb so wütend war, weil die Mittagsstunde und die sich darin sammelnden Küsse an die schöne Wassernixe ihm und ihr unsägliche Freuden zu spenden versprachen, aber der Lärm, der nervtötende Lärm, der wiederkehrende Wecktonhornissenlärm ihm und ihr das vergällte, dann war es Zeit zum Aufwachen. Christina wusste das, wehrte sich aber dagegen, versuchte starrsinnig im Schlaf und im Traum zu bleiben, insbesondere in diesem beglückenden Traum. Denn was konnte die Welt außerhalb dieses Wassertraums ihr schon bieten? Was würde sie erwarten? Was durfte sie erhoffen? Ärger im besten Fall. Sie schlug nun selbst, ganz die rasende Nixe, nach den Lärminsekten und ihrem rhythmischen Mechanikelektronikgetöse.

„Christina Kayserling.“

Sie hörte noch ein Brummen Wilhelms, spürte die Bewegung im Ehebett, als er sich umdrehte und seinen Kopf in den Polster grub. Sie drückte das Handy fest an ihr Ohr.

„Guten Morgen, Frau Kollegin.“

Sie erkannte die Stimme sofort.

„Raimund.“

„So wie du klingst, habe ich dich geweckt. Kein Wunder, Samstag um halb sechs Uhr früh. Normalerweise würde ich auch schlafen.“

„Und warum machst du genau das jetzt nicht?“

Raimund Brandstätter brummte.

„Wegen einer Hochzeit.“

Christina erhob sich, schloss die Tür zum Schlafzimmer sorgsam und flitzte in die Küche.

„Sag bloß, du hast die ganze Nacht auf einer Hochzeit getanzt und bist jetzt so voller Adrenalin und Sekt, dass du mich aus purem Jux aus dem Bett jagst.“

„Fast, Christina, fast, denn eigentlich hat der Alexander die halbe Nacht auf seiner Hochzeit getanzt und ist in der anderen Hälfte der Nacht hoffentlich gewissenhaft seinen ehelichen Verpflichtungen nachgekommen. Ich habe, ganz der liebe Kommandant, seinen Nachtdienst übernommen. War aber immerhin von langer Hand vorbereitet. Der Nachtdienst natürlich, nicht, dass ich dich um halb sechs anrufe.“

Christina klemmte das Telefon mit der Schulter an ihr Ohr und bediente den Espressoautomaten.

„Du bist zu gut zu deinen Leuten, Raimund. Wachmänner brauchen eine straffe Führung, nicht einen lieben Kommandanten, der die Nachtdienste übernimmt, nur weil einer seiner Burschen Hochzeit feiert. Nimmst du auch seinen Nachtdienst, wenn er sich in zwei Jahren scheiden lässt und eine Nacht lang seinen Frust ertränken muss?“

Raimunds Stimme knarrte.

„Du hast ein negatives Menschenbild, Christina. Das ist für eine Frau nicht gut, davon wird sie ganz runzelig und grau. Ist das übrigens eine Kaffeemaschine, die ich da im Hintergrund höre?“

„Ein schneller Espresso muss sich ausgehen, oder etwa nicht?“

„Geht. Aber das Frühstück lass lieber bleiben.“

„Pressiert es so?“

„Pressieren nicht mehr, hier ist alles klar, es ist eher so, dass ich nicht garantieren kann, dass du das Frühstück in einer halben Stunde noch im Magen hast.“

Christina pfiff durch die Zähne.

„Worum geht es eigentlich?“

„Es geht darum, dir das Wochenende gründlich zu vermiesen. Und, Christina, ich glaube, das Vorhaben wird ganz gut gelingen.“

Christina kippte die kleine Kaffeetasse, stark, schwarz, ungezuckert.

„Also wo steckst du?“

„Gewerbepark, Industriestraße 4. Ich stehe vor der Lagerhalle der Bernsteiner Fleischwaren AG.“

„Industriestraße. Kenne ich. Das große Team?“

„Ja. Alle schon verständigt. Gerade kommen die Kollegen vom Stadtpolizeikommando. Die Burschen müssen hier alles absichern. Die Spusi kommt aus Linz. Wird ein bisschen dauern. Und nimm dir eine warme Jacke mit, Christina. Die Lagerhalle ist gekühlt.“

Christina griff nach einem Block und einem Stift.

„Eine Kühlhalle? Das ist gut! Da bleibt alles frisch.“

Raimund Brandstätter räusperte sich.

„Das Witzereißen wird dir schon noch vergehen, Frau Kollegin.“

„Bis gleich, Raimund.“

„Bis gleich.“

Christina kritzelte eine knappe Nachricht für Wilhelm, putzte hastig die Zähne, stieg in Kleidung und Schuhe. Sie tippte den Zahlencode in den Tresor, entnahm die Dienstwaffe und kontrollierte Ladung und Sicherung. Wenig später huschten ihre Schritte über die Treppe in die Garage. Leise natürlich, denn niemand im Haus musste aufgeschreckt werden, es reichte völlig, dass sie aus dem Schlaf gerissen worden war. Aber das gehörte zum Beruf. Sie fuhr schnell durch die noch schlafende Stadt. Ohne Blaulicht.

Neumondnacht

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