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Viele Dinge konnte Albrecht einfach aus seiner Wahrnehmung tilgen. Ein Mann Mitte vierzig musste zwangsläufig in dieser Kunst eine gewisse Fertigkeit entwickeln, etwa die Nörgeleien von Arbeitskollegen über schlechte Bezahlung – einfach wegklicken – oder das Gekeife von Nachbarn über die Blödheit anderer Nachbarn – übergehen –, das laute Gejohle und Geschrei der Kinder, mal weil sie lachten, mal weil sie stritten – weghören –, sinnlose Anforderungen überreizter Chefs – schlicht und einfach ignorieren. In all diesen Disziplinen hatte Albrecht im Laufe seines Lebens gute Fortschritte gemacht, es zu einer stillen und von den Mitmenschen unbedankten, für ihn aber geradezu lebenswichtigen Meisterschaft gebracht. Eine dicke Haut war gut, tat Not, half weiter. Doch in einer Disziplin war Albrecht bislang jeder Erfolg verwehrt geblieben, er konnte das Brummen von Staubsaugern einfach nicht aus seiner Wahrnehmung wegretuschieren. Und ein solches Brummen war da, genau jetzt, genau hier, genau an diesem Morgen, an dem er noch hätte gut und gerne anderthalb Stunden schlafen können und vor allem mögen. Albrecht wälzte sich im Bett, blinzelte träge zur offen stehenden Schlafzimmertür. Im Gang werkte ein schlankes Heinzelmädchen mit dem Folterinstrument. Albrecht knurrte vor sich hin.

„Claire, ma chérie, musst du unbedingt jetzt so einen Höllenlärm machen?“

Die zehnjährige Claire hielt inne und schaute in das Schlafzimmer auf ihren bäuchlings im Bett liegenden und sie müde anblickenden Vater.

„Was ist los?“

„Kannst du das Foltergerät nicht abstellen?“

Claire schüttelte den Kopf.

„Papa, ich versteh kein Wort von deinem Gebrumm. Der Staubsauger ist so laut!“, rief sie.

Träge nickte Albrecht.

„Genau das ist mein Problem.“

Claire stellte den Staubsauger ab. Was für eine Erleichterung.

„Was hast du gesagt?“

Albrecht bewegte sich nicht, blieb einfach faul im Bett liegen. „Mein Schatz, musst du wirklich mitten in der Nacht staubsaugen?“ „Besprich das mit Mama“, antwortete Claire schnippisch. „Sie hat mich gezwungen, den blöden Staub zu saugen. Ist ja wie auf einem Sklavenschiff in diesem Haus!“

„Ich stimme mit deiner Mutter in der Meinung überein, dass auch Kinder ihren Beitrag zur Hausarbeit leisten sollen. Aber muss das so früh sein?“

„Mama hat gesagt, ich darf erst ins Internet einsteigen, wenn ich den Staub gesaugt habe.“

„Ich verstehe das Problem, mein Kind, aber das Internet ist bestimmt in zwei Stunden auch noch verfügbar. Muss das also jetzt sein?“

„Logo jetzt. Ich muss Victoria unbedingt eine E-Mail schreiben. Ist total wichtig.“

Damit drückte Claire wieder auf den Schalter des Staubsaugers und widmete sich ihrer Tätigkeit. Albrecht verzog seine Miene. „Du hättest immerhin die Tür schließen können“, sagte Albrecht, wurde aber nicht mehr gehört.

Albrecht zog den Polster über den Kopf und schloss die Augen, da spürte er einen jungen, kleinen Körper auf seinem Rücken. Er pfiff durch die Zähne in die Matratze.

„Machst du mir Frühstück, Papa?“

Albrecht bewegte sich nicht. Frühstück wollte sie also. Die einen wollten ein glamouröses Galadiner von ihm, die anderen ein pfiffiges Dessert, noch weitere wollten schmackhafte Suppen oder raffinierte Saucen, Sofie wollte einfach nur ein Frühstück. Albrecht schob den Polster zur Seite und lugte über seine Schulter.

„Sofie, meine Zuckermaus, du hast ja noch deinen Pyjama an.“

„Du ja auch.“

„Ich liege noch im Bett.“

„Und ich liege auf deinem Rücken.“

„Das habe ich bemerkt.“

„Machst du mir jetzt ein Frühstück?“

„Aber hast du nicht schon eines gehabt?“

„Nur Kakao. Machst du mir ein Marmeladebrot?“

„Mit fünf Jahren könntest du dir schon selbst ein Marmeladebrot machen.“

„Ich kann das Brot nicht schneiden.“

„Wo ist Mama?“

„Bei der Waschmaschine.“

Albrecht seufzte, schubste seine Jüngste zur Seite, strampelte die Decke fort und setzte sich auf.

„Also steig auf“, sagte er.

Sofie klammerte sich an seinen Hals, er erhob sich und stapfte in den zentralen Raum des Hauses, in die Küche. Robert kreuzte den Weg seines Vaters.

„Du, Papa, wo sind die frischen Rasierer?“

„Dort, wo sie immer sind. Im Badezimmer.“

„Ich habe keinen gefunden.“

„Vielleicht habe ich keine mehr und muss welche kaufen.“

„Verflixt!“, rief Robert aus und stapfte wieder ins Badezimmer.

Albrecht blieb stehen und rief seinem Sohn hinterher.

„Robert, du bist dreizehn! Du hast noch gar keinen Bartwuchs!“

Der junge Mann streckte den Kopf aus dem Badezimmer.

„Du hast keine Ahnung, Papa! Ich will ja nicht so alt aussehen wie du!“

Damit knallte Robert die Badezimmertür zu. Albrecht fasste sich am Kinn und kratzte seine Bartstoppeln.

„Vielen Dank für das Kompliment“, brummte Albrecht in Richtung Badezimmer.

„Schneller, Papa, ich habe Hunger.“

„Ja, Sofie, ich gehe schon.“

In der Küche angekommen, ließ er Sofie absteigen und griff nach dem Brotmesser. Chantal wehte in die Küche.

„Albrecht, du bist schon wach! Sehr gut. Im Heizraum ist eine Wasserlache. Ich glaube, der Abfluss der Waschmaschine ist nicht ganz dicht. Kannst du dir das mal ansehen?“

Albrecht hielt das Brotmesser in der Hand und gaffte Chantal an.

„Jederzeit, außerdem wünsche ich dir einen guten Morgen, geliebtes Eheweib.“

Neumondnacht

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