Читать книгу Neumondnacht - Günter Neuwirth - Страница 15
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ОглавлениеSlaveya Koleva stand an ihrer gut bestückten Bar und überlegte. Martini oder Scotch? Sie blickte auf die Uhr. Fast Mitternacht. Also Scotch. Nur ein Glas, etwas Eis, leise Musik, Beine hochlagern und den Abend ausklingen lassen. Sie hatte den Salon nach dem letzten Besuch wieder aufgeräumt, alles war wieder an Ort und Stelle, sie hatte ein duftendes Bad genommen und würde ein wenig auf dem Sofa sitzen, einen Schluck zu sich nehmen, müde werden und dann irgendwann ins Bett fallen. Sie arbeitete zu viel.
Eine ihr bestens vertraute Ballade erklang aus ihrer erstklassigen Stereoanlage, die ausdrucksstarke Stimme der Sängerin und die meisterhaft gespielten Instrumente der Musiker lagen langsam, bedächtig, schwebend im Raum, füllten ihn mit der Schwermut und der Sehnsucht von Menschen, die das Glück nur aus kurzen, dafür aber umso heller leuchtenden Momenten ihres Lebens kannten, deren Leben aber ansonsten von träger Mühe und harter Arbeit gekennzeichnet war. Diese Musik erinnerte sie immer an die Augen ihrer Großmutter und von deren Schwestern, die in jenem Dorf in der fernen bulgarischen Heimat von frühmorgens bis spätabends im Haus und auf den Feldern unermüdlich und schicksalsergeben ihre Arbeit verrichtet hatten.
Slaveya ließ sich, ohne einen Tropfen Scotch zu verschütten, auf das ausladende Sofa fallen, legte den Kopf in den Nacken und atmete durch. Auf ihre Art und Weise arbeitete sie auch unermüdlich und schicksalsergeben, auch wenn es eine andere Art der Arbeit war. Sie ließ den Blick durch ihren Salon schweifen. Üppiger Luxus und anrüchiger Prunk, teure Möbel, kostbares Interieur, ein wertvoller Teppich, eine Klimaanlage, Duftkerzen, ein riesiger Flachbildschirm und eine nagelneue Stereoanlage. Das waren ihre Werkzeuge, nicht die Harken und Schaufeln, nicht die Kochlöffel und Butterfässer der Großmutter und der Tanten. Slaveya Koleva hatte gelernt, dass sich Frauen in der Regel nicht die Werkzeuge aussuchen konnten, mit denen sie arbeiteten. Sie nahm einen tiefen Schluck.
Es klingelte an der Tür.
Überrascht blickte sie hoch. Hatte Michael etwas vergessen? Wohl kaum. Sie hatte ja, wie es ihre Angewohnheit war, peinlich genau aufgeräumt und nichts gefunden. Außerdem war Michael vor eineinhalb Stunden gegangen und zweifellos schon längst zuhause bei seiner Frau, um ihr Lügen von mühsamen und zeitraubenden Verhandlungen mit einem schwierigen Geschäftspartner aufzutischen. Slaveya stellte das Glas ab, erhob sich und trat an das Fenster im Vorzimmer. Immer wenn sie fluchte, rutschte der Tonfall ihres Heimatdorfes über ihre Lippen. Sollte sie ihn einfach vor der Tür stehen lassen? Sie hatte gute Lust dazu. Sieben Kunden waren einfach zu viel, zu zeitraubend, zu strapaziös, sie musste einen, am besten zwei Kunden loswerden. Und zuerst diesen Kerl da, der knapp vor Mitternacht ohne Anmeldung auf ihre Klingel und Nerven drückte. Ein Anflug von Ekel stieg in ihr hoch, als sie die Gartentür an der Steuerkonsole entriegelte.
Das Problem an der Art ihrer Arbeit war, dass sie nicht nur zeitintensiv, sondern auch emotional hochgradig anspruchsvoll war. Wenn die Kerle zu einer einfachen Straßendirne gingen, erwarteten sie keine Impulsivität und Kreativität, keine Anteilnahme, wenn sie von ihren Problemen redeten, keine Tröstung, keine Verführung, keine geistreichen Gespräche, sie erwarteten einfach nur eine schnelle Nummer für wenig Geld. Aber bei ihr, deren Telefonnummer niemals in irgendeiner Zeitung inseriert war, setzten sie all das voraus. Natürlich, sie bezahlten für genau diese Form der Arbeit horrende Summen, aber Geld durfte für Männer, die zu Slaveya Kolevas Kunden gehören wollten, kein Thema sein. Sie schüttelte den Kopf. Sieben Kunden waren einfach zu viel. Zwei mussten abserviert werden. Möglicherweise würde sie wieder einmal die ganz besonderen Dienstleistungen ihres Cousins Dimitar beanspruchen müssen.
„Herbert, was verschafft mir die Ehre deines unangekündigten Besuches?“, fragte sie am Fenster stehend.
Herbert Felder durchquerte ohne Begrüßung das Vorzimmer und trat gleich in den Salon. Selbst die Tür hatte er nicht geschlossen. Slaveya trat kurz vor die Tür und holte tief Luft. Atem würde sie jetzt benötigen. Ein Paar Scheinwerfer rollte die Sackgasse entlang, der Wagen stockte und rollte im Rückwärtsgang wieder aus ihrem Blickfeld. Slaveya warf die Tür geräuschvoll zu und trat ebenfalls in den Salon.
„Bist du alleine, meine Schöne?“
„Eine schöne Frau ist niemals alleine. Zumindest nicht lange“, sagte sie mit ihrer die Männer verrückt machenden rauchigen Stimme und ließ im Tonfall keinen Zweifel, dass sie über unangemeldete Besuche definitiv nicht erfreut war. „Ich wollte gerade den Abend mit Mister Scotch on the Rocks verbringen.“
Herbert streifte sein Jackett ab und ließ sich auf das Sofa fallen, während Slaveya ein Negligé über ihr Seidenkleidchen zog.
„Ich mag deine Witze. Vor allem dann, wenn sie nicht lustig sind.“ Slaveya verschränkte die Arme.
„Warum, Herbert, ignorierst du wiederholt die Regel, dass ich Besuche nur nach Voranmeldung empfange?“
„Ich habe dich angerufen, aber dein Handy ist ausgeschaltet.“
Herbert Felder wirkte abgekämpft, fast erschöpft, er wirkte alt und übersättigt, und die Gerüche an ihm und seiner Kleidung ließen auf einen langen Abend und einige Gläser Wein schließen.
„Mach mir bitte einen Espresso. Schön stark“, forderte Herbert.
Slaveya ächzte unmerklich. Wenn Herbert sich Kaffee servieren lassen wollte, würde die Sache anstrengend werden.
„Deine Frau leidet also noch an Migräne. Vielleicht sollte sie einmal den Arzt wechseln. Und du solltest betrunken nicht immer wieder mit dem Auto fahren.“
Herbert Felder wischte alle Gedanken zur Seite und nahm nun seine Gastgeberin in den Blick. Er schüttelte den Kopf. Was für ein Glück es doch gewesen war, einer solchen Frau über den Weg gelaufen zu sein. Er ließ mit breitem Lächeln seinen Blick von ihrem dunklen Haar bis zu ihren karmesinrot lackierten Zehennägeln gleiten. Schön, hintergründig, glutäugig, geschmackvoll und käuflich. Was konnte man von einer Konkubine mehr verlangen?
„Was hältst du davon, diesen saublöden Balkansingsang abzuschalten und etwas Wohlklingendes aufzulegen? Etwas, wozu du ein bisschen tanzen kannst.“
Herbert Felder fasste in seine Geldbörse und warf einen Packen grüner Scheine auf den Couchtisch.
Slaveya rang mit dem aufsteigenden Brechreiz. Sollte sie ihn hier und jetzt erschießen? Und danach Dimitar anrufen. Oder umgekehrt? Der fette Mann auf ihrer Couch musste weg. Und je schneller, desto besser.