Читать книгу Neumondnacht - Günter Neuwirth - Страница 27
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ОглавлениеEr trat auf die Bremse. Wendelin Sattler blickte sich um. Gaffte der Nachbar aus dem Fenster? Wendelin konnte nichts entdecken. Zum Glück lag das Haus abgelegen am Ende der Gasse, das einzige direkte Nachbarhaus lag ein Stückchen entfernt und war zudem von einer hohen Hecke gedeckt. Bei seinen regelmäßigen Besuchen hier am Ortsrand von Kremsmünster war ihm noch nie aufgefallen, dass die Nachbarleute besonders neugierig wären. Natürlich, es konnte ihm egal sein, er war ein freier Mann, niemandem zu etwas verpflichtet, er traf seine eigenen Entscheidungen, dennoch war er in alter Gewohnheit vorsichtig und ließ sich nicht gerne beobachten. Wendelin warf die Tür seines Cabrios zu, blickte sich erneut um, diesmal weniger wegen allfälliger neugieriger Nachbarn, sondern eher um ein paar der gefälligen Sonnenstrahlen an diesem schönen und lauen Septembervormittag einzufangen. Optimales Wetter für eine kleine Spritztour. Natürlich hatte er für diesen Zweck sein BMW Z4 Cabrio aus der Garage geholt, den VW Passat verwendete er für berufliche oder repräsentative Anlässe. Wendelin betätigte die Klingel am Gartentor. Er brauchte nicht lang zu warten. Schwungvoll durchmaß er den Garten, öffnete die Haustür und schaute sich um. Wo steckte sie?
„Hallo! Ich bin da!“
Die Vorfreude auf den freien Samstag gemeinsam mit ihr hatte ihn schon in den letzten Tagen in gute Stimmung versetzt. Er hatte in einem erstklassigen Wellnesshotel ein Zimmer reserviert, sie würden im Hallenbad schwimmen, die Sauna aufsuchen, einen Bummel am Wolfgangsee unternehmen, zu Abend essen und eine Liebesnacht verbringen. Wendelin Sattler war in legere Kleidung gehüllt, sportlich, farbenfroh, wohlhabend, er trug auch eine Kopfbedeckung, nicht so eine billige Baseballmütze vom Straßenladen, sondern eine Mütze speziell für Cabriofahrer. Er nahm die Mütze ab, drehte sie in der Hand und schritt in den Salon.
„Wo bist du, mein Schatz?“, rief er.
Slaveya Koleva eilte die Treppe hinab. Sie hatte schlecht geschlafen und sie spürte noch den Nachhall des gestrigen Abends. Sie hatte dann doch einigen Scotch zu sich genommen.
„Wendelin, du bist zu früh!“, murrte sie und stapfte an ihrem Gast vorbei in Richtung Küche.
Wendelin fasste die Hausherrin ins Auge. Selbst verschlafen sah sie umwerfend aus, großgewachsen, wohlgeformt, sich geschmeidig bewegend, atemberaubend schön, und ihr luftiges Nachtkleidchen enthüllte mehr von ihrer Haut, als dass es sie bedeckte. Unwillkürlich trat er an sie heran, umfasste ihre Hüfte und drückte sie an sich. Er strich mit der Nasenspitze über ihren Hals.
„Meine Schöne, ich glaube eher, du hast zu lange geschlafen. Ich bin pünktlich.“
Slaveya beugte sich ihm entgegen, streckte ihre Arme von sich, dirigierte seine Küsse in ihr Dekolletee und umschlang mit dem linken Bein seine Hüfte. Die miese Stimmung war wie weggeblasen. Wendelin war nicht Arbeit, Wendelin war Vergnügen. Sie stieß ihn von sich und feixte ihn an. „Sage ich ja, zu früh! Wenn Österreicher pünktlich erscheinen, ist das für Bulgarinnen immer die unpassendste aller möglichen Zeiten. Ich bin noch nicht reisefertig.“
Wendelin lehnte sich breit lächelnd an die Wand und verschränkte seine Arme. Sie mochte seine Arme und Schultern, überhaupt seinen ganzen Körper. Nicht zu groß und schwer, nicht zu breit und massig, durch das jahrelange Schwimmen schlank, muskulös und beweglich, und wenn er mit diesem kecken Lächeln seine Arme verschränkte und die drahtigen Muskelstränge seiner Unterarme präsentierte, war es um Slaveya geschehen.
„Tja, das sehe ich. Bestimmt hast du noch nicht einmal den Koffer gepackt.“
Slaveya winkte nonchalant ab.
„Mein Herr, wo denken Sie hin?“
„Was hältst du von diesem Vorschlag?“, fragte Wendelin. „Ich koche Kaffee und mache dir einen kleinen Happen, während du den Koffer packst.“ Slaveya warf sich herum und schickte sich an, wieder die Treppe hochzulaufen.
„Gekauft! Wozu habe ich den bedeutendsten Gastronomen der Region im Haus, wenn ich mir nicht einmal eine Tasse Kaffee von ihm kochen lassen kann.“
Wendelins Lächeln verflog mit einem Mal. Er trat an die Mauer.
„Was ist das?“
Slaveyas Lächeln erstarb. Wendelin musterte das Loch in der Wand und den ringsum abgesplitterten Verputz.
„Vergiss es einfach, Wendelin. Mach mir lieber Kaffee.“
Damit lief sie leichtfüßig die Treppe hoch.
Wendelin ließ eine Weile das Loch in der Wand nicht aus den Augen. Ein Einschuss? Er hasste es, wenn er daran erinnert wurde, dass er Slaveya teilen musste. Er hasste die anderen Kerle. Er hasste ihren Beruf. Er hasste sich, dass er ihr nicht das Leben bieten konnte, das dieser Königin der Nacht zustand. Er war nur Geschäftsführer in einem Restaurant der Oberklasse, nicht dessen Inhaber, er besaß zwar zwei Autos und eine große Eigentumswohnung in Steyr, aber wirklich reich war er nicht. Irgendwie musste er sie aus der Abhängigkeit der anderen Kerle befreien. Bloß, wie er das anstellen sollte, war ihm bislang nicht eingefallen. Wendelin Sattler warf sich herum, eilte in die Küche und machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen. Schnell alles vergessen, schnell an die Fahrt ins Blaue mit ihr denken. Fort mit allen bösen Gedanken.