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3.2.5 Die fünfte Welle: Attributionspsychologie und kognitive Therapie
ОглавлениеEs war wesentlich Lazarus (1984), der zeigte, dass die Reaktion auf Belastungen oder Furchtreaktionen von Bewertungsprozessen abhängen. Er entwickelte das bis heute gültige »transaktionale Stressmodell«. Danach werden Anforderungssituationen in einem primären Bewertungsprozess (primary appraisal) nach ihrem Gefährdungsgrad beurteilt. In einem zweiten Schritt (secondary appraisal) werden die eigenen Bewältigungsmöglichkeiten eingeschätzt. Nicht der Stimulus selbst, sondern die Bewertung von Stimulus und eigenen Kompetenzen zusammen bestimmen also über die emotionale und Verhaltensreaktion.
Es waren dann vor allem Beck (1967) und Mahoney (1974), die herausarbeiteten, dass bei psychischen Störungen Attributionen und Prozesse der Informationsverarbeitung eine wichtige Rolle spielen. Unterstützt wurde dies interessanterweise auch durch tierexperimentelle Befunde, wie die Versuche zur Erlernten Hilflosigkeit, die zeigten, dass selbst bei Tieren durch die Erfahrung von Nichtkontrolle eine negative und verhaltensinhibierende »Erwartungshaltung« induziert werden konnte (Seligman, 1975; Abramson et al., 1978).
Das Modell von Aaron Beck (1967) basiert auf einem Konzept kognitiver »Inhalte« und dadurch vorgegebener Bewertungsstile. Dazu gehören »automatische Gedanken«, d. h. schnell einschießende Bewertungen von aktuellen Situationen oder Personen, ohne bewusstes Nachdenken. Während »denken« subjektiv hinter der Stirn »gefühlt« wird (man fasst sich beim »Nachdenken« an die Stirn), werden automatische Gedanken im Hinterkopf erlebt (man schlägt sich bei einem »Einfall« auf den Hinterkopf). Automatische Gedanken sind vorbewusst und können rückblickend zu einem gewissen Teil erkannt und erinnert werden. Sie entscheiden, wie eine emotionale Bewertung ausfällt, z. B. ein Negativgefühl beim Blick in die unaufgeräumte Küche. Man »sieht« in etwa 400 msec, dass die Küche aufgeräumt werden müsste und die Kinder nicht mithelfen. Mehrere automatische Gedanken lassen sich inhaltlich gruppieren zu »Schemata« (z. B. die Wohnung ist in Ordnung zu halten). Mehrere derartige Schemata lassen dann rückschließen auf »Grundannahmen« (basic beliefs), d. h. Weltanschauungen (z. B. Ordnung ist eine wichtige Tugend im Leben). Schemata und Grundannahmen sind nur bedingt zu erfragen, sondern müssen über automatische Gedanken erschlossen werden. Derartige Attributionen sind nicht falsch oder richtig, sondern abhängig von der gegebenen Situation »funktional« oder »dysfunktional«. Grundannahmen sind teilweise angeboren, wie der Glaube an eine gerechte Welt (Lerner, 1980) oder zwischen dem 3. und 18. Lebensjahr sozial vermittelt gelernt worden (z. B. Religions- und Familienzugehörigkeit). Im weiteren Leben sind sie dann weitgehend veränderungsresistent und führen zu heftigen emotionalen Reaktionen, wenn sie in Frage gestellt werden. Dies schlägt sich dann auch in Verteidigungsargumentationen nieder, die sogar die Form von Pseudologien annehmen können (Denkfehler: Magnifizieren, Minimieren, Schwarz-Weiß-Denken, Übergeneralisierungen, arbiträre Inferenz usw.). Diese Psychologie ist auch im normalen menschlichen Umgang, beispielsweise bei politischen Diskussionen, zu beobachten.
Es gibt eine Reihe weiterer kognitiver Therapievarianten, wie beispielsweise die Rational Emotive Theorie (Ellis, 1962), die Schematherapie (Young, 1990) oder die Logotherapie (Frankl, 1959). Während das Modell von Beck auf einer Analyse kognitiver Prozesse im Individualfall aufbaut, geben diese Autoren bereits a priori als universell vermutete Attributionen vor.
Neben diesen auf Attributionsinhalten basierenden kognitiven Theorien gibt es des Weiteren auch Modelle »formaler kognitiver Prozesse« mit klinischer Relevanz. Menschen beobachten und bewerten sich kontinuierlich, zumeist mit einem leichten Positiv-Bias. Eine kognitive Störung liegt dann vor, wenn diese ständigen Selbstbewertungen einen Bias derart haben, dass sich die Person durchgehend inadäquat schlecht oder übertrieben positiv bewertet. Als Therapie wird deshalb ein Einüben interner Selbstbewertungen vorgeschlagen (Fuchs & Rehm, 1977). Zu dieser Art formaler kognitiver Störung gehört auch das »Sich-Sorgen (worrying)«, das ein ständiges Vorausschauen oder antizipatorisches kognitives Rehearsal ist, bei dem zukünftige Situationen durchgespielt werden, um dadurch evtl. Gefahren vorzubeugen (Breznitz, 1971). Es liegt keine inhaltliche Eingrenzung vor, weil sich Sorgeninhalte auf jegliche Alltäglichkeit beziehen können. Bei zu großer Intensität kann Worrying eine pathologische Qualität annehmen, wie es bei der Generalisierten Angststörung zu beobachten ist (Borkovec & Inz, 1990). In diesem Kontext kann es dann nach Wells (2000) auch zu einem »Metaworrying« kommen, d. h. einem negativen Rückkopplungsprozess derart, dass die Betroffenen auf die negativen Kognitionen bereits wie auf die noch gar nicht eingetretene Realität reagieren und es zu einer »Fusion« von Denken und Wirklichkeit kommt, was zu einer weiteren Verstärkung von Ängsten oder Resignation führt.
Eine weitere Variante der kognitiven Therapie unter Bezug auf formale Denkprozesse ist die »Weisheitstherapie« (Linden, 2013). Die Lebensspannenpsychologie hat grundlagenwissenschaftlich Weisheit beschrieben als eine allen Menschen eigene Fähigkeit zur Lösung komplexer, uneindeutiger, widersprüchlicher oder unlösbarer Probleme, wie sie im täglichen Leben häufig vorkommen. Die Weisheitstherapie versteht sich, analog zu einem Training der sozialen Kompetenz, als ein Training von etwa einem Dutzend solcher Weisheitsdimensionen, d. h. kognitiver Fähigkeiten wie z. B. Perspektivwechsel, Nachhaltigkeitsperspektive oder Wertrelativismus.
Aus den inhaltlich wie den formal bestimmten kognitiven Modellen wurden eine Reihe von therapeutischen Techniken abgeleitet. Dazu gehören der sokratische Dialog, interne Dialoge, kognitives Rehearsal, geleitetes Entdecken, gezielte Aufmerksamkeitslenkung, detached mindfulness, u. v. m.
Diese kognitiven Ansätze und Therapiemethoden wurden in nahezu alle Formen der VT integriert, weshalb sich für die gesamte Therapierichtung inzwischen der Begriff der »Kognitiven Verhaltenstherapie« (KVT; Meichenbaum, 1977) etabliert hat.