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3.2.11 Die elfte Welle: Kultursensitive Psychotherapie und Spiritualität
ОглавлениеZu den quasi konstitutionellen Dimensionen jedes Menschen gehört auch der kulturelle Hintergrund. Dies betrifft die Selbst- und Weltwahrnehmung einschließlich der eigenen Wertesysteme. Es handelt sich um die bereits im Kontext der kognitiven Psychotherapie beschrieben Grundannahmen. Neu ist aber, dass diese nicht nur individuell, sondern auch in ihrer Verflochtenheit mit dem kulturellen Umfeld wahrgenommen werden. Dies hat Konsequenzen für die Entwicklung von Störungsmodellen, die Therapieplanung und Therapiedurchführung. Therapiegegenstand ist also auch der kulturelle Lebenshintergrund des Patienten und nicht nur die idosynkratischen Kognitionen der einzelnen Person (La Roche, 2005; Sue & Sue, 1999).
Für eine kultursensitive Verhaltenstherapie werden eine Reihe von speziellen Techniken und Strategien empfohlen (Hinton & Patel, 2017). Dies beinhaltet die explizite Wahrnehmung und Respektierung der Normen und Regeln der Kultur, aus der ein Patient kommt. Eine hohe Anforderung an den Therapeuten ist, diese zu achten, auch wenn sie den eigenen Wertvorstellungen diametral widersprechen (z. B. die Weltanschauung einer arabischstämmigen Frau, wonach Frauen sich Männern unterzuordnen haben, die sich in Behandlung bei einer westlich geprägten Therapeutin begibt). Im Weiteren wird dann empfohlen, Krankheitskonzepte zu entwickeln, die zu den kulturellen Weltvorstellungen des Patienten passen, Metaphern aus der Welt des Patienten zu benutzen, die Therapieziele des Patienten explizit zu akzeptieren, Ängste des Patienten vor unguten (unerlaubten, unmoralischen usw.) Veränderungen durch die Therapie ernst zu nehmen, die Angehörigen oder Entscheidungsträger (Familienoberhaupt, Imam) ggfs. mit einzubeziehen, sensibel zu sein für Missverständnisse.
Dieses Konzept der Einbeziehung der sozialen und kulturellen Einflüsse, unter denen ein Patient steht, hat auch eine neue Sicht auf die individuellen Grundannahmen eröffnet. In einer pluralistischen Welt gibt es nicht nur das Problem, dass Therapeuten mit Menschen aus anderen Kulturkreisen konfrontiert sind, sondern es gibt auch eine kulturelle Diversität innerhalb einer Gesellschaft. Im Gegensatz zu den Annahmen von Ellis oder Young gibt es keine universellen kognitiven Schemata. Stattdessen leben Menschen in einer Gesellschaft in sehr unterschiedlichen kulturellen Subgruppen mit sehr verschiedenartigen basic beliefs. Auch hier genügt die Betrachtung des Individuums nicht. Es muss das soziale, politische und religiöse Lebensumfeld des Patienten mit in Betracht gezogen werden.
Therapeutisch bedeutet dies, der biographischen Entwicklung eines Menschen mehr Aufmerksamkeit zu geben. Es gehörte seit jeher zur Verhaltenstherapie, eine »Makroanalyse« zu erheben, d. h. die Beschreibung der Entwicklung einer Störung im Rahmen einer speziellen Anamnese über die Lebensspanne hin. Selbstverständlich galt es auch in der kognitiven Psychotherapie zu klären, wie sich beispielsweise die kognitiven Schemata seit der Kindheit und Jugend entwickelt haben, was keine Neuerfindung der Schematherapie ist. Neu ist der Einbezug des kulturellen Entwicklungshintergrunds. Dies wird beispielsweise auch diskutiert unter dem Stichwort der Spiritualität. Es gibt Hinweise, dass sich Verhaltenstherapeuten damit teilweise schwertun (Rosmarin et al., 2013). Dennoch ist es unverzichtbar, sich in der Therapie dieser kulturellen Aspekte anzunehmen. Es gibt daher auch diesbezügliche Therapieempfehlungen für Verhaltenstherapeuten (Tan & Johnson, 2005).