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3.3 Die Integration aller Entwicklungswellen in der Verhaltensanalyse

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Wie aus der kurzen Übersicht über die verschiedenen Entwicklungsstufen der Verhaltenstherapie deutlich wurde, bauen die einzelnen Konzepte aufeinander auf und sind auch ineinander verflochten. Abbildung 3.1 fasst dies ohne Anspruch auf Vollständigkeit nochmals zusammen. Das Diagramm soll veranschaulichen, dass es sich um einen stetigen Entwicklungsprozess handelt, bei dem jede neue theoretische Entwicklung aus den vorherigen hervorgeht, darauf aufbaut und sie weiterentwickelt ( Abb. 3.1). Die moderne Verhaltenstherapie integriert alle Entwicklungsstufen.

Abb. 3.1: Ideengeschichtliche Entwicklung der Verhaltenstherapie

Wenn man die Entwicklungsstufen auf der operativen Ebene zusammenfasst, dann ergeben sich eine Reihe von Interventionstechniken, die heute zum Standardrepertoire jedes Verhaltenstherapeuten gehören sollten. Dies sind die Verhaltensbeschreibung, die Makroanalyse, die Mikroanalyse mit Kontingenzanalyse, die Exposition, der Verhaltensaufbau, das Training von Fertigkeiten, die Analyse und Modifikation von Kognitionen, die Arbeit an emotionssteuernden Skills, die Arbeit mit Hausaufgaben und Verhaltensproben, Selbstkontrollmanagementverfahren und die Gestaltung der Beziehung und des Arbeitsbündnisses (Linden & Langhoff, 2010). Damit lassen sich nahezu alle psychischen und körperlichen Krankheiten behandeln. Wie im Einzelfall vorzugehen ist, wird aus einem individuellen Störungsmodell abgeleitet. Dies wird im Rahmen der Verhaltensanalyse erarbeitet ( Abb. 3.2).

Welche Techniken bei welchem Patienten wann und wie anzuwenden sind, wird anhand eines individuellen »Störungsmodells« entschieden. Dies wird aus der Verhaltensanalyse abgeleitet. Sie wird häufig verkürzt als SORK-Schema (Stimulus, Organismus, Reaktion, Konsequenz) bezeichnet, eine Begrifflichkeit, die auf Kanfer und Saslow (1965) zurückgeht. Kanfer, Reinecker und Schmelzer (2012) haben später aus dem linearen ein dynamisches Verhaltensmodell gemacht unter dem Akronym SEOVK, mit Feedforward-Schleifen (z. B. die Erwartung E beeinflusst die Wahrnehmung und die Wirkung des Stimulus S) und einer Feedbackschleife (die Konsequenz beeinflusst das Verhalten V). Heute ist das Verhaltensanalysemodell noch sehr viel komplexer ( Abb. 3.2). Es werden aktuelle externe Stimuli und Rahmenbedingungen analysiert, das Binnenerleben des Patienten und interne Stimuli, das

Abb. 3.2: Verhaltensbeschreibung und Verhaltensanalyse

vorhandene Copingrepertoire, automatische Gedanke, emotionales Erleben, die Selbstwahrnehmung und -beurteilung, das offene Verhalten und kurzfristige wie langfristige Verhaltenskonsequenzen. Dabei gilt, dass auch die Einbeziehung biographischer Elemente aus der Verhaltenstherapie keine tiefenpsychologische Therapie macht und nicht über die Verhaltensanalyse hinausgehen kann. Was Patienten über ihre Vorgeschichte berichten, ist ihre subjektive aktuelle Sicht der Welt, gibt jedoch nicht die Tatsachen der Vergangenheit wieder. Psychologisch gilt das Prinzip der »false memories« oder »state dependent memory« (Shaw, 2016). Hinzu kommt, dass jede Verhaltenssteuerung in Millisekunden abläuft. Deshalb muss sich die Mikroverhaltensanalyse auf Millisekunden beziehen, z. B. mit Hilfe von Techniken wie kognitivem Rehearsal oder Slow Motion. Wenn beispielsweise die Sätze der Mutter oder Erinnerungen an ein Trauma nicht in dieser Millisekunde als automatische Gedanken oder emotionale Reaktion auftauchen, dann sind sie für die Verhaltenssteuerung nicht relevant. Insofern ist es keine Verhaltensanalyse, wenn der Therapeut mit dem Patienten über sein Leben spricht oder darüber, was er rational für wichtig hält oder an Meinungen hat. Eine Verhaltensanalyse kann auch nicht durch Fragebogen ersetzt werden, um beispielsweise automatische Gedanken und kognitive Schemata zu identifizieren. Die Diagnose und die Entwicklungsgeschichte spielen insofern eine Rolle, als sie Rückschlüsse auf den Langzeitverlauf und die Ansprechbarkeit auf bestimmte Interventionen erlauben.

Mit der Verhaltensanalyse können alle die Verhaltenstherapie kennzeichnenden theoretischen Konzepte in einem transdiagnostischen individuellen »Störungsmodell« zusammengefasst werden. Mit der verhaltensanalytisch basierten Fallkonzeptualisierung verfügt die Verhaltenstherapie seit jeher über das, was neuerdings in anderen Therapiebereichen als »Precision Therapy« benannt und gefordert wird (Ashley, 2016). Dies charakterisiert auch moderne störungsorientierte Therapiekonzepte. Ein typisches Beispiel ist auch das Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapie (CBASP; McCullough, 2000), das die Querschnitts- wie Längsschnittanalyse (Mikro- wie Makroanalyse und konstitutionelle Organismusvariable) in einem Störungsmodell und Therapiekonzept integriert. Die Therapiekonzepte werden dadurch naturgegeben komplexer.

Ein klassisches Grundprinzip der Verhaltenstherapie war stets, auf die einfachste verhaltensanalytisch herausgearbeitete Heuristik zurückzurückzugreifen und bei den Behandlungszielen und -interventionen dem Prinzip der »Minimal Interference« zu folgen. Inwieweit dies aktuell oder in der Zukunft noch so bleibt, ist abzuwarten (Sulz, 2017).

Zusammenfassend gilt, dass derjenige ein Verhaltenstherapeut ist, der in den der VT zugrundeliegenden Theorien bewandert ist, die daraus abgeleiteten Basistechniken beherrscht und dieses Repertoire in der Verhaltensanalyse auf den individuellen Patienten übertragen kann.

Ideengeschichte der Psychotherapieverfahren

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