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Adoption

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Die meisten Publikationen zur Adoption in der lateineuropäischen Geschichte haben J. Goodys Thesen weitgehend anerkannt und damit die ältere, von rechtshistorischem Denken geprägte Forschung geradezu auf den Kopf gestellt. Die Adoption als Erbschaftsstrategie des römischen Rechts, eine der wenigen Möglichkeiten zur Korrektur der Biologie, ist in den mittelalterlichen Gesellschaften nicht zu finden und taucht – nach spärlichen Anzeichen seit dem 16. Jahrhundert – erst im 18. Jahrhundert wieder auf. Im 6./7. Jahrhundert ist der Terminus „Adoption“ von der Bezeichnung einer Erbschaftsstrategie zur Bezeichnung einer Glaubensaussage mutiert. Was die patristischen Autoren mit einem aus dem römischen Recht entnommenen Terminus als Metapher entwickelt haben, die adoptio der Christen durch Gott, wurde im frühen Mittelalter zur Kernbedeutung, zur eigentlichen Realität. Eine Aneignung der römischen Adoption hat es im frühen Mittelalter augenscheinlich nicht gegeben (B. Jussen). Zwar entwickelte sich mit der gelehrten Wiederaneignung des römischen Rechts im hohen Mittelalter eine Juristendiskussion um die römische Adoption (F. Roumy); doch im Moment deuten die meisten Studien darauf hin, daß das lebhafte Interesse der Juristen in einem krassen Mißverhältnis zu den Zeugnissen aus der Praxis steht (M. Corbier). Studien zu spätmittelalterlichen Adoptionspraktiken bescheinigen durchweg in der Rechtssetzung wie -praxis eine adoptionsfeindliche Kultur und konstatieren, daß Adoptionspraktiken insgesamt im lateineuropäischen Mittelalter „selten, isoliert und spät“ auftauchen (D. Lett, Th. Kuehn, Ch. Klapisch-Zuber). Manche Studien weisen in Notariatsakten etwa aus dem Paris und Lyon des 16. Jahrhunderts – wenige! – Praktiken nach, die man unter dem Rubrum „Adoption“ untersuchen kann, etwa die Regulierung von Pflegeverhältnissen, Legitimierung illegitimer Kinder, Übertragungsstrategien erbenlos Verstorbener oder Waisenversorgung (K. Gager, G. Signori). Insgesamt ist der Befund inzwischen eindeutig: Die Adoption, ein für patrilineale Systeme kaum verzichtbares Instrument, hat in Lateineuropa nach dem Ende der antiken römischen Gesellschaft für gut ein Jahrtausend kaum eine Rolle gespielt.

BERNHARD JUSSEN

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