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Witwenschaft und Wiederheirat

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Obgleich Wiederheirat der Normalfall mittelalterlicher Lebensläufe war, hat die Kirche die Wiederverheirateten nie in ihre ständischen Gesellschaftsmodelle integriert. Wiederverheiratete waren im Weltbild der Seelsorger und der Kanonisten nur negativ, als Bi- oder Digamisten, darstellbar. Statt dessen haben die spätantiken Kirchenschriftsteller und -politiker die soziale Rolle der Hinterbliebenen (primär der Frauen, aber prinzipiell auch der Männer) mit großem Erfolg neu definiert: Die Trauer der Hinterbliebenen ist von einem transitorischen Zustand, der nach überschaubarer Zeit beendet war und einer Wiederheirat nicht im Wege stand, umgedeutet worden in eine lebenslange ständische Qualität. Der Witwenstand, die soziale Figur der vidua, ist eine genuin christliche Erfindung der Spätantike, die es in keiner der mediterranen Vorläuferkulturen gegeben hat (B. Jussen). Ihre sehr zügige soziale Durchsetzung in eben jenem Moment, in dem der pater familias verschwand, markiert einen radikalen Kulturbruch. Seit dem Verschwinden der antiken römischen Gesellschaft war die Totensorge kein Aspekt des Verwandtschaftssystems mehr; Verwandtschaftssystem und Memorialsystem [↗ Memoria] waren entkoppelt.

BERNHARD JUSSEN

Enzyklopädie des Mittelalters

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