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Adelige Tugenden und Laster

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Die allgemeinen Vorstellungen von Tugenden und Lastern galten auch für den Adel [↗ Adel]. Dieser sollte sich aber, wie im Begriff (lat. nobilis, ahd. adal-) angedeutet, besonders auszeichnen. Bereits die griechische „Aristokratie“ bezeichnete die Herrschaft der Besten (Aristoteles, Politeia 1293 b 3ff. etc.); der ideale Herrscher wurde durch die (späteren) Kardinaltugenden Weisheit, Mäßigung, Tapferkeit und Gerechtigkeit charakterisiert (Platon, Politeia III, 402 C und IV, 424 Dff.). Auch in Rom korrelierte der Anspruch des Standes mit der Behauptung ethischer Exzellenz (Symmachus, Ep. 1,42: pars melior humani generis). Die Werte wurden dabei nicht standesspezifisch formuliert, sondern beanspruchten allgemeine Geltung. Ihre Behauptung konnte legitimierend wirken, barg aber auch Kritikpotential, wenn Tugend- gegen Erbadel ausgespielt wurde (Sallust, Jugurtha 85,25).

Der Adel des frühen Mittelalters zeichnete sich in antiker Tradition durch Geburt aus, also die Bindung an eine „ausgezeichnete“ Verwandtschaftsgruppe, ging aber auch mit Erwartungen an die Person einher. Diese umfaßten pflichtgemäßes Handeln im Einklang mit den ausgeübten (herrschaftlichen) Funktionen und eine angemessene Bildung. Am Geburtsstand orientierte nobilitas und handlungsbezogene virtus standen damit in enger Verbindung, wobei die Kardinaltugenden unter anderem durch Martin von Bragas weit rezipierte Formula vitae honestae (6. Jahrhundert, mehrere hundert Hss.) vermittelt wurden. Die Bedeutung des Bischofsamtes als Position adliger Herrschaft prägte ebenfalls die Idealvorstellungen, unter anderem auch durch die Vitenliteratur, die anstelle des Asketen ab dem 7./8. Jahrhundert den „Adelsheiligen“ betonte.

Für die Laien orientierten sich die Ideale an ihrer herrschaftlichen und militärischen Funktion und der hierauf bezogenen Nützlichkeit (utilitas). Im 5. Jahrhundert beklagte Sidonius Apollinaris die Auflösung der Rangordnung und benannte die Bildung (litteras nosse) als einzig verbliebenes Kennzeichen des Adels (Epist. 8, 2, 2). Die schriftlich fixierten Stammesrechte des 6.–8. Jahrhunderts [↗ Germanisches Recht] verwiesen auf praktische Aspekte: Führungspersonen sollten zur Rechtsprechung befähigt sein, zum Anführen des Heeres, zum Reiten und zum Gebrauch der Waffen (Lex Baiuv. 2,9; Lex Alam. 35,1).

Parallel wirkte eine christianisierte Tradition fort, den durch Geburt erworbenen Adel (nobilis genere) durch den Glauben und die christlichen Tugenden zu überhöhen (Dhuoda, Liber manualis VII 1: nobilior spiritualis quam carnalis; 9. Jahrhundert). Die Adlige Dhuoda betonte im ihrem Sohn gewidmeten Liber manualis aber zugleich die Loyalitäts- und Dienstpflichten im höfischen Umfeld, zu denen die christlich geprägte Bescheidenheit (humilitas) als Motiv der sozialen Einordnung gehörte (III 9). Ab dem 8. Jahrhundert entwarfen im Umfeld der Karolinger „Königsspiegel“ Bilder des idealen Herrschers, wandten sich dabei aber vor allem an den König (rex) oder Kaiser (imperator), dem gegenüber der Adel kaum profiliert wurde. Insofern er selbst Herrschaftsgewalt ausübte, können gleichwohl bestimmte Charakteristika auf ihn übertragen werden, wie etwa die Pflicht zu Friedenswahrung, Kriegsdienst und Treue.

Im Gefolge des Investiturstreits (↗ Investiturstreit) traten weltliche und geistliche Aspekte zum Teil stärker auseinander. Nun bieten Fürstenspiegel (Johannes von Salisbury, Policraticus, 1159) genauere Einblicke, indem sie unter anderem unter dem Einfluß des pseudo-aristotelischen Secretum Secretorum (13. Jahrhundert) auch allgemeine Empfehlungen zur Weltweisheit entwickeln. „Der Adlige“ wurde aber weiterhin in einer Hierarchie verortet und zur loyalen Dienstleistung angehalten – was auch enger gefaßte Anforderungen implizierte, da nur aufrichtige Gefolgsleute zum verlangten Ratschlag (consilium) befähigt waren.

Die Ehre (honor) [↗ Ansehen und Schande], die für die soziale Positionierung zentral war, bildete eine Richtschnur für das Modell adliger Tugend: Im Sinne der Repräsentation des adligen Anspruchs forderte sie zur Betonung der Herkunft auf, aber auch zur Freigebigkeit (liberalitas) und zum prunkvollen Auftreten (magnificentia). Diese entfalteten soziale Wirkung, indem sie nicht nur die Stellung des Einzelnen ausdrückten, sondern zugleich seine Gefolgschaft materiell an ihn banden.

Im hohen Mittelalter bewirkte die ritterlichhöfische Kultur einen Wandel der sozialen Organisation wie der Verhaltensnormen. Der alte Adel begann sich stärker zu formieren und abzuschließen; die ritterliche Existenz bot einen Weg, über die individuelle Auszeichnung im (Kriegs-) Dienst sozial in eine nachgeordnete Position aufzusteigen (der Ritterstand formierte sich im Reich bis um 1300). Schon im 11. Jahrhundert nahmen aber auch höherstehende Adlige den miles-Titel an. Zur gleichen Zeit entwarf Bonizo von Sutri (Liber de vita christiana, nach 1089) einen Pflichtenkatalog, der den Bischöfen den Umgang mit Waffen untersagte (II 43) und den Rittern den treuen Dienst, die Aufopferung im Kampf und den Schutz der Kirche und der Schwachen vorschrieb (VII 28).

Im Rittertum verschmolz daher die Auszeichnung im Waffendienst mit christlichen Normen und verfeinerten Umgangsformen. Die religiöse Prägung verdeutlichen das Motiv des zum Mönchtum konvertierenden Ritters, das vor allem ab dem 11. Jahrhundert Verbreitung fand (berühmt im 12. Jahrhundert die Moniage Guillaume), die Entstehung und Rechtfertigung der Ritterorden (Bernhard von Clairvaux, De laude novae militiae, für den Templerorden) sowie die spiritualisierte Deutung des Ritterschlags und der Ausrüstung des Ritters (Ordene de chevalerie, 13. Jahrhundert, oder Ramon Llull, Libre del orde de cavayleria, um 1275).

Die höfische Lebensform wirkte auf Verhaltensnormen hin, die für Adel und Ritter sozial distinktiv wirkten (curialitas, urbanitas). Ursprünglich wohl dem klerikalen Umfeld entstammend, erlangten soziale Fertigkeiten Bedeutung, die ab dem 12. Jahrhundert in Traktatform gefaßt wurden (Facetus: cum nihil utilius; volkssprachlich unter anderem Thomasin von Zerklaere, Der welsche Gast, 1215/16). Damit trat eine praktisch orientierte Literatur auf, welche die moralisierenden Texte ergänzte. Petrus Alfonsi (Disciplina clericalis) etwa forderte Fähigkeiten wie Reiten und Faustkampf, aber auch das Dichten (ähnlich noch Johannes Rothe, Ritterspiegel, um 1415). Neben konkreten Vorgaben zu Tischsitten etc., die auf harmonisches oder repräsentatives Verhalten in Gesellschaft abzielten, blieb der Kanon ritterlich-adliger Tugenden präsent. Exemplarisch vorgeführt wurde dieser ab dem 12. Jahrhundert im höfischen Roman [↗ Französische Literatur; ↗ Deutsche Literatur], der neben magnificentia und der mäßigenden temperantia die „prouesse“ (Tugend/Tüchtigkeit), „largesse“ (Freigebigkeit), „loyauté“ (Treue) und „courtoisie“ (Höfischkeit) unterstrich [↗ Höfischer Raum].

In Roman und Dichtung (Wilhelm IX. von Aquitanien, Troubadours) wurde auch das Ideal der „höfischen Liebe“ modelliert – der Begriff entstammt dem 19. Jahrhundert. Die Dame wurde zum Bezugspunkt ritterlich-adligen Verhaltens, das sich durch die „Liebesfähigkeit“ auszeichnete, woraus eine produktive Spannung zu den Normen kriegerischer wie christlicher Aspekte resultierte [↗ Liebe, Freundschaft].

In diesen Spannungsfeldern siedelten sich auch die Vorstellungen spezifisch adliger Laster an, die vor allem zum späten Mittelalter hin in der Hofkritik formuliert wurden. Anfälligkeit herrschte durch den Anspruch auf Exzellenz insbesondere für die superbia (Hochmut). Im einzelnen wurden neben Verfehlungen (Treuebruch, Ausbeutung der Untertanen etc.) vor allem Aspekte konfligierender Normen beleuchtet: Die höfische Verfeinerung führte etwa zur Kritik an verweichlicht-„weibischen“ Rittern oder „gefallsüchtigen“ Schmeichlern bei Hofe (Walter Map, De nugis curialium; im 15. Jahrhundert Alain Chartier, De vita curiali).

KLAUS OSCHEMA

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