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Rechtsformen

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W. Ebel entwickelte 1956 in seiner kleinen „Geschichte der Gesetzgebung in Deutschland“ eine einflußreiche Typologie mittelalterlichen Rechts. Weisung, Satzung und Rechtsgebot seien die „Grundformen“, die „begrifflichen Bauelemente der deutschen Gesetzgebungsgeschichte“, die „schließlich zum Gesetzesbegriff unserer Zeit führen“. „Überblicken wir die Geschichte der deutschen Gesetzgebung, so treten drei Grundformen des Gesetzes in unser Begriffsfeld: das ungesetzte Recht in Gestalt des Weistums (modifiziert durch den Begriff der Rechtsbesserung) – dann die von den Rechtsgenossen vereinbarte Satzung – und schließlich das vom Herrscher oder der sonstigen Obrigkeit befohlene Recht, das Rechtsgebot.“ Den drei Grundformen ordnet Ebel drei unterschiedliche Konzepte der Rechtsentstehung zu: Dem Weistum liege das „reine Rechtsgewissen“, das „seit jeher gültige Recht“ zugrunde; die Satzung wird mit Konsens und Selbstbindung der Rechtsgenossen, das Gesetz mit dem Herrscherbefehl identifiziert.

Die Zeitbedingtheit seines Ansatzes, unter anderem auch mitbestimmt durch die Kernsche Lehre vom „guten alten Recht“, ist unübersehbar, der Erkenntniswert dieser Typologie in ihrer Anwendung auf die geschichtliche Wirklichkeit des Mittelalters in ihrer Apodiktik nur teilweise überzeugend. Bereits Ebel mußte, um seine „Grundformen“ durchhalten zu können, mit „Mischformen“ und „Tarnformen“ arbeiten; die Versuche der Forschung, diese Typologie zu bewahren, sind letztlich nicht völlig befriedigend. Überlegungen zur „oral society“ des Mittelalters, die Entstehung von Rechtswissenschaft seit dem 12. Jahrhundert, die Wertigkeit von Rezeption und ius commune vermitteln ein komplexes Geflecht, das derartige reduktionistische Typologien weitgehend verunmöglicht.

Eindringlich lassen sich die Schwierigkeiten von „Grundformen“ am Gesetzesbegriff demonstrieren. Um „Gesetz“ von anderen normativen Emanationen zu unterscheiden, sind Merkmale zu formulieren. Dies bedingt einen „hausgemachten Gesetzesbegriff“, der es ermöglicht, „exakt so viele und exakt diejenigen Texte (zu) erfassen, die der Betrachter mit der Festlegung dieses Begriffes als Gesetz zu erfassen wünscht“ (M. Th. Fögen). Dieses Dilemma ist nicht auflösbar, kann aber produktiv genutzt werden. Kein „Ausweg“ bietet allerdings die Begriffsgeschichte der lex, denn sie beantwortet nicht, ob die jeweilige lex auch nach „unserem Verständnis“ als Gesetz bezeichnet wird bzw. ob Rechtsphänomene existieren, die nicht als lex bezeichnet werden, die wir aber unserem gewählten Gesetzesbegriff subsumieren. Kein Ausweg bietet auch ein derart abstrahierender Gesetzesbegriff, der es ermöglicht, alle „historisch-juristischen Realitäten und damit letzthin keine“ zu beschreiben. Entscheidend ist, daß bei einer deskriptiven Annäherung an „Rechtsformen“ die selbstgewählten Prämissen offengelegt, nachvollziehbare Plausibilitäten entwickelt und die Legitimität anderer Ansätze akzeptiert werden. Welche Kriterien schlußendlich gewählt werden, ist dem Erkenntnisinteresse des jeweiligen Forschers überlassen. Mit einer Orientierung am modernen Gesetzesbegriff können Ähnlichkeiten verdeutlicht werden; in einem funktionalen Ansatz werden Wirkungskriterien in der begrifflichen Erfassung im Vordergrund stehen. Soll nur „forschungsstrategisch“ Ordnung geschaffen werden, ist ein Abstellen auf formale Kriterien ausreichend. Wesentlich ist nur das Offenlegen des präferierten Ansatzes. So versucht zum Beispiel H. Hofmann aus spezifisch rechtsphilosophischer Perspektive Gebot, Vertrag und Sitte als „Urformen der Begründung von Rechtsverbindlichkeit“ zu beschreiben. Diese „Schlüsselbegriffe, Kontextualisierungs- oder Verknüpfungselemente“ vermitteln eine bemerkenswerte, nicht auf einen bestimmten Zeitabschnitt fokussierte Annäherung, die – wenn auch aus anderem Blickwinkel – mit der Ebelschen Trias in Verbindung gebracht werden kann.

Im vorliegenden Abschnitt wurden als „Rechtsformen“ Gewohnheitsrecht, Gesetze, Privilegien und Verträge als Oberbegriff gewählt. Es wären auch andere „Einteilungen“ möglich, auch könnte man das Privileg unter dem Gesetzesbegriff abhandeln; doch ermöglicht diese Einteilung einen Einblick in das „mittelalterliche Recht“, fokussiert auf Rechtsentstehungsformen. Sucht man nach einer Klammer der verschiedenen „Rechtsformen“, so bietet sich das Erfordernis des Konsenses an, der – wenn auch in unterschiedlicher Intensität – mittelalterliche Normen mitkonstituiert, letztlich eine Konsequenz der „konsentierten“ mittelalterlichen (segmentären) Herrschaftsstrukturen ist.

HERBERT KALB

Enzyklopädie des Mittelalters

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