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Verträge

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Durch Vertrag wird Recht „geschaffen“. In Form von zwei- oder mehrseitigen Vereinbarungen werden für die Beteiligten rechtlich verbindliche Regelungen aufgestellt. Unübersehbar ist die enge Verwandtschaft zur Satzung, Regelungen, die sich eine Gemeinschaft selbst gegeben hat. Letztlich ist die vertragliche Begründung auch ein Wesensmerkmal einer Satzung, doch ist diese wesentlich enger mit dem Gesetz und der Gesetzgebungsgeschichte verknüpft. So gründet sich zum Beispiel in den Städten die Geltung der vom Rat erlassenen Willküren auf den alljährlich erneuerten Bürgereid; doch wurde dieses städtische Recht aber zunehmend als obrigkeitliche Satzung aufgefaßt, so daß wie auch bei dem von den Landesherren und den Landständen vereinbarten Landrecht die Vorstellung von Gesetzgebung nahelag.

In mittelalterlichen Rechtszeugnissen weit verbreitet ist das Rechtswort geding (ahd. gedingi), dessen Bedeutungsfeld sehr weit war. Zwei rechtliche Bedeutungen lassen sich unterscheiden. Mit dem Stammwort ding sind auf das Gericht und Gerichtsverfahren bezügliche Bedeutungen angesprochen; daneben umfaßt es auch den Sinn von Übereinkunft, Abrede, Vertrag. Das Verb „vertragen“ erhält in der Urkundensprache des 15. Jahrhunderts den Bedeutungsinhalt „zum Austrag bringen“, „sich aussöhnen“, „ein Abkommen treffen“, woran sich die Substantivierung „Vertrag“ (conventio, pactio) anschloß. Bekannt ist die Rechtsregel „Gedinge bricht Landrecht“; einer der ersten Belege für diese Parömie im deutschen Sprachgebiet findet sich im 1328 vollendeten Rechtsbuch des Ruprecht von Freising; im 15. Jahrhundert werden die Belege zahlreicher. Auch der Begriff „Willkür“ ist in diesem Zusammenhang anzuführen, in dem W. Ebel neben dem als Urteil gefundenen Weistum und dem obrigkeitlichen Gebot eines der Grundelemente mittelalterlichen Rechts sieht. Es handelt sich um die eidliche Verpflichtung, sich für den Fall der Verletzung festgesetzter Rechtsregeln zu unterwerfen. Die Domäne der Willkür ist das Stadtrecht; doch findet sich der Begriff auch im Vertragsbereich Privater untereinander, zum Beispiel bei Vereinbarung einer Vertragsstrafe. Paarformeln sind oft „pact, geding oder Willkür“. Als Parallelentsprechung ist die „Einung“ zu nennen, die – üblicherweise beschworen – auch den Inhalt von Vertrag, Übereinkunft umfaßt.

Aus heuristischen Gründen wird der Vertrag in einen „privatrechtlichen“ und einen „staatsrechtlich (politischen)“ unterschieden; doch war eine derartige Einteilung dem Mittelalter unbekannt. Die dafür notwendigen Voraussetzungen, nämlich eine klare Unterscheidung und Erfassung von „Staat“, „Gesellschaft“, „öffentliches“ und „privates“ Recht sind Resultat einer neuzeitlichen Entwicklung. Diese Undifferenziertheit verdeutlicht auch der Begriff der „Willkür“, der neben einer Orientierung am „objektiven Recht“ (z.B. Stadtrechte) auch im Vertragsbereich „Privater“ untereinander Anwendung findet. „Staatsrechtliche Verträge“ können beschrieben werden als „Willenserklärungen zweier oder mehrerer Herrschaftsträger, die übereinstimmend einen sie gegenseitig bindenden Rechtserfolg herbeiführen wollen“ (H. Steiger). W. Heinemeyer differenziert derartige politische Verträge aus dem Blickwinkel des Zustandekommens in Schiedsvertragsverfahren (Schiedsurkunden und Urkunden, welche die Anerkennung des Schiedsspruches durch den Herrscher enthalten), unmittelbare Vertragsschließungsverfahren und die seit dem 12. Jahrhundert zunehmenden, wesentlich komplexer zusammengesetzten Vertragsschließungsverfahren (Vollmachtserteilung durch vertragsschließende Herrscher an die Unterhändler, Vertragsabschluß durch bevollmächtigte Unterhändler, „Ratifikation“ durch den Herrscher). Derartige Übereinkünfte sind ein Spiegelbild des „mittelalterlichen Verfassungsrechts“; dementsprechend nimmt die Zahl und Vielfalt mit der Differenzierung und Verdichtung von Herrschaft im Hoch- und Spätmittelalter zu [↗ Herrschaft]. Die „Geschichte“ dieser Verträge, eingebettet in eine allgemeine Darstellung von Gewohnheiten und Regeln mittelalterlichen Konfliktverhaltens (G. Althoff), ist daher jene von Herrschaft im allgemeinen, der Herrschaftsträger im besonderen und ist in diesem Kontext darzustellen.

Aus dogmatisch-juristischer Perspektive ist jedoch der „privatrechtliche“ Vertrag näher zu beleuchten. Auf R. Sohm geht die bis heute herrschende Lehre zurück, wonach im einheimischen Recht nur zwei Formen vertraglicher Schuldbegründung bekannt waren, das Schuldversprechen als Formalvertrag und der durch Sachempfang geschlossene Realkontrakt. Das ältere Vertragsrecht kannte keine Konsensualverträge; durch bloße Willenseinigung allein kam der Vertrag noch nicht zustande, ein Befund, der mit der streng formalen Ausrichtung „archaischer Rechtsordnungen“ korreliert. Eine der ältesten Formen des Formalvertrages war die sogenannte fides facta, das Treuegelöbnis, das mit „Finger und Zunge“ oder „Hand und Mund“ geleistet wurde. Es war ein feierliches Erfüllungsversprechen, das sich schon in der Lex Salica findet. Die zweite wichtige Verpflichtungsform war die „Wadiation“, deren Kern in der Hingabe eines Willenssymbols bestand. Sie kam zustande, indem der Schuldner dem Gläubiger in förmlicher Weise einen Stab (festuca, wadia) überreichte. Durch Vorzeigen des Stabes konnte der Gläubiger den Schuldner zur Erfüllung seiner Leistungspflicht auffordern bzw. mahnen. In den Volksrechten war die Wadiation weit verbreitet. Der Realvertrag wurde durch die Vorleistung einer Partei wirksam. Zahlreiche Verträge, die im heutigen Recht Konsensualverträge sind, waren früher Realverträge, zum Beispiel Tausch, Kauf, Miete, Pacht. Aus dem Realvertrag entwickelte sich bereits in fränkischer Zeit der Arrhalvertrag, zu dessen Gültigkeit nicht mehr die vollständige Vorleistung notwendig war; es genügte eine Anzahlung. Vor allem in den mittelalterlichen Stadtrechten erlangte zunehmend das formlos abgegebene Leistungsversprechen schuld- (und haftungs-)be-gründende Wirkung. Diesen Rechtszustand gibt nach herrschender Meinung auch der Sachsenspiegel wieder; doch hatte der Schuldner die Möglichkeit, den Vertragsabschluß eidlich abzuleugnen, demzufolge der Beweisbarkeit des Vertrages zentrale Bedeutung zukam. Neben der Beiziehung von Zeugen boten sich der Vertragsschluß vor Gericht und die Errichtung einer Urkunde an. Auch Weinkauf, Gottespfennig und Handschlag waren typische Formalitäten zur Beweissicherung. Innovativ für die Entwicklung des Vertragsrechts erwies sich auch das Kaufmannsrecht; zum Beispiel spielte im Handels- und Kreditwesen des Hoch- und Spätmittelalters der aus Italien übernommene exekutorische Schuldvertrag eine wichtige Rolle.

Die juristische Erfassung und Entwicklung des Vertragsrechts erfolgte durch das gelehrte Recht. Die Legisten stießen auf das viergliedrige Kontraktsschema des Gaius, womit versucht wurde, alle Vertragstypen zusammenzustellen, die eine Klagsmöglichkeit erzeugten. Klagbar waren danach Kontraktsobligationen, die re (Realkontrakte: Darlehen, Leihe, Verwahrung, Verpfändung [als Besitzpfand]), verbis (Verbalkontrakt, vor allem Stipulation), litteris (Litteralkontrakt; förmlicher Buchungsakt, mit dem eine Darlehenszahlung fingiert wird), consensu (Konsensualverträge; Kauf, Miete, Gesellschaft, Auftrag) begründet wurden. In nachklassischer Zeit wurde das Schema durch die sogenannten Innominat-Realkontrakte ergänzt, bei denen wie bei der modernen Schenkung unter Auflage eine Sache in Erwartung einer Geldleistung gegeben wurde. Andere Verträge galten als nicht klagbare pacta (nuda); doch machte der Prätor Teilbereiche daraus klagbar. Dieses System, wonach nur bestimmte Vereinbarungen klagbar waren, wird als Typenzwang beschrieben. Dieser Typenzwang darf aber nicht überschätzt werden, denn mit der Stipulation, dem mündlichen, an eine feste Frage- und Antwortform gebundenen Leistungsversprechen (und dessen Weiterentwicklung in Nachklassik und Vulgarrecht), war faktisch die Vertragsfreiheit weitgehend verwirklicht.

Die Legisten systematisierten diese Verträge unter dem Begriff des pactum. Die klagbaren pacta wurden als „bekleidete“ Verträge (pacta vestita) zusammengefaßt. Sie bedürfen einer „Einkleidung“, zum Beispiel mit einer Sache (re; Realkontrakte), mit Konsens (consensu; die vier Konsensualverträge) etc. Die Kanonisten bauten darauf auf und leiteten insbesondere aus den Dekretalen Papst Gregors IX. den Grundsatz ab, jegliche Vereinbarung sei einzuhalten und klagbar (X 1. 35. 1 und 3; ex pacto nudo actio oritur). Auf dieser Grundlage „wurde von den Kanonisten eine allgemeine Theorie des Vertrages […] ausgearbeitet“ (H. Coing), dessen wichtigste Elemente die Lehre von der causa, neue Regeln über den Abschluß von Verträgen, die Qualifikation aller Verträge als bonae fidei-Kontrakte, eine intensivere Systematisierung der Innominatkontrakte und die Sicherung einer Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung waren. Die wesentlichen Elemente der kanonistischen Vertragslehre wurden Bestandteil des ius commune. Insbesondere dem einflußreichen Kommentator Baldus ging es um eine Harmonisierung des legistischen und kanonistischen Vertragsrechts und er bemühte sich, das Erfordernis der Klagbarkeit in die legistische Vestiturtheorie einzubauen. Klammer dieser Verbindung war die Betonung einer causa für das Leistungsversprechen. Dabei meinte causa aber nicht mehr wie bei der stipulatio eine vorausgehende Schuldverpflichtung, sondern es genügte ein vernünftiges Motiv.

HERBERT KALB

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