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Topografie und Bevölkerung von Worms im frühen Mittelalter

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Die Stadt Worms im frühen Mittelalter hatte gegenüber der Römerzeit einiges an städtischem Charakter und Bevölkerung eingebüßt, war aber auch nach den Verwerfungen der Völkerwanderungszeit eine civitas mit deutlich städtischem Leben, regem Fern- und Nahhandel, der durch die Lage an der Kreuzung der wichtigen Straße von Paris und Metz nach Osten und dem Rhein begünstigt wurde. Es war eine lebendige Stadt, die im Laufe der hier dargestellten Jahrhunderte immer wieder Schauplatz wichtiger Ereignisse der inneren wie äußeren Politik des (ost-)fränkischen Reichs war. Zwischen den nicht näher bekannten Überresten der Römerzeit, die zum Teil in anderer Funktion weitergenutzt wurden, und den neu gebauten Kirchen, Häusern und Höfen trafen sich immer wieder Könige und Kaiser, Bischöfe und Grafen mit ihrem Volk oder ihren Heeren und belebten die Stadt für einige Monate, strapazierten aber auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Stadt und des Umlands bis zum Äußersten.

Neben der verkehrsgünstigen Lage führte sicherlich auch das Prestige, das Worms als alte Römerstadt und alter fränkischer Bistumsvorort genoss, dazu, dass hier immer wie der wichtige Reichsversammlungen abgehalten wurden; auch die Erinnerung an die Pfalz Karls des Großen wird gerade nach dem Zerfall des fränkischen Großreichs seit der Mitte des 9. Jahrhunderts wichtig gewesen sein.

Wie in fast allen Städten, die im frühen Mittelalter auf dem Gebiet des ehemaligen römischen Reichs lagen, war in Worms die römische Vergangenheit noch bis weit ins Hochmittelalter unübersehbar160, auch wenn wir über die einzelnen Bauwerke mit Ausnahme gewisser Teile der Stadtmauer nichts wissen. Die Mauern und die Reste der übrigen Bauten erinnerten die Bevölkerung und die Durchreisenden an die unerreichten Leistungen der Vergangenheit. Noch in spätkarolingischer Zeit wurden zwei Inschriften, die an einem Tor wahrscheinlich aus dem 3. Jahrhundert zu lesen waren, in einer nordfranzösischen Handschrift niedergeschrieben161. Zu den Städten, deren Gründung das Annolied (entstanden um 1080) Julius Caesar zuschrieb, gehörten neben Mainz auch Worms und Speyer162. Ebenfalls prägend waren im Allgemeinen die Kirchen, von denen in Worms allerdings nur sehr wenige vor 1000 sicher angenommen werden können. Am frühesten belegt ist die Bischofskirche, der Vorgängerbau des heutigen Doms, der sicherlich spätestens um die Wende zum 7. Jahrhundert entstand, mit seinem wohl ursprünglichen Peter- und Paul-Patrozinium aber auch bis auf die Spätantike zurückgehen könnte163. Die Erbauung oder Erneuerung des Doms durch Brunichilde oder Dagobert I., die verschiedentlich in der Literatur angenommen wird164, ist jedoch reine Spekulation. Auch die weitere Geschichte des Doms ist nur in Eckpunkten bekannt. Wie sich etwa das starke Erdbeben auswirkte, das am 18. Januar 837 die Gegend um Lorsch, Worms, Ladenburg und Speyer erschütterte165, ist unbekannt; es ist aber auffällig, dass Bischof Samuel nur wenig später mit einer umfassenden Renovierung der Kirche begann166, sodass hier ein Zusammenhang bestehen könnte. Doch schon 872 brannte der Dom nach einem Blitzschlag ab und musste erneut wiederhergestellt werden, bevor er unter Bischof Burchard nach der Jahrtausendwende vollkommen neu gestaltet wurde167. Auch die meist erst später erwähnten Kirchen St. Rupert, St. Lambert, St. Magnus und St. Amandus sind wohl früh entstanden, ebenso wie die geistlichen Gemeinschaften von Nonnen- oder Mariamünster, St. Andreas und das von Bischof Samuel wieder belebte St. Cyriacus-Stift in Neuhausen, dessen ursprüngliches Dionysius-Patrozinium ebenfalls auf ein höheres Alter hindeutet168. Deutliche bauliche Anteile aus karolingischer Zeit lassen sich allerdings nur an der Magnuskirche erkennen (Abb. 10, 11) Andere größere Gebäude dürften die Königspfalz und später die Burg der Salier gewesen sein, die möglicherweise auf spätantike Befestigungen zurückgingen.

Der Verlauf der Stadtmauer, die im Beitrag von Mathilde Grünewald in diesem Band ausführlicher behandelt wird, lässt sich aus der schon mehrfach erwähnten Mauerbauordnung des Bischofs Thietlach von Worms, die um die Wende zum 10. Jahrhundert entstand, in Teilen rekonstruieren169. Nach ihr verlief die Stadtbefestigung, die zum Teil auch aus Wällen und Palisaden bestanden haben wird, auf der Rheinseite wohl wie in römischer Zeit170 und entsprach dem Verlauf der heutigen Bärengasse, Mähgasse, Bauhofgasse, Fischmarkt und Pfauenpforte. Von diesem Mauerabschnitt, der im 12. Jahrhundert durch eine Stadterweiterung nach Osten überflüssig wurde, ist noch ein kleines, spätantikes Stück Mauerwerk in der Gartenmauer östlich des St. Paulusstifts erhalten171. Von der Pfauenpforte knickte die Mauer nach Süden ab, und es ist dieser Abschnitt, der wahrscheinlich als Neubau aus der Zeit Thietlachs zu gelten hat. Er verläuft parallel zur Schönauer Straße am Willy-Brandt-Ring entlang. Hinter St. Andreas knickte die Mauer zwischen Willy-Brandt-Ring und Luginsland nach Norden ab und folgte dort, wohl wieder auf römischer Grundlage, dem Lauf der heutigen Anlagen an Luther- und Adenauerring; hier sind noch einzelne Abschnitte sichtbar. Auf der Nordseite, an der sich ein Teil der Mauer in neueren Gebäuden erhalten hat, folgte die Mauer der Nordanlage bis zur Friesenspitze, deren Name noch heute an die dort siedelnden Friesen erinnert.


Abb. 10: St. Magnus, innen (Foto 1932)


Abb. 11: St. Magnus außen (Foto 1978)

Anders als in Speyer, Bonn und Xanten verlagerte sich die Siedlung also nicht allmählich an einen anderen Ort, sondern lag größtenteils innerhalb der römischen Mauern; es gab aber auch einige Siedlungsteile außerhalb der Stadt, so genannte Suburbien, die im Norden und Süden vor den Stadtmauern lagen und die mit Alt-St. Andreas und St. Amandus auch Kirchen hatten; auch Nonnenmünster lag vor der Mauer. Dies war nicht, wie die Vita Burchards uns berichtet, eine Folge der Kämpfe und Unsicherheit innerhalb der Stadtmauern172, sondern vielmehr der Normalfall in einer frühmittelalterlichen Stadt, bei der sich häufig Vorstädte mit einer besonderen Bedeutung für Handel und Handwerk befanden.

Insgesamt dürfte die Besiedlungsdichte wesentlich geringer als zu römischen Zeiten gewesen sein, sodass wir mit einer relativ kleinen Bevölkerung zu rechnen haben, die wahrscheinlich mit Rückschlägen bis zur Jahrtausendwende wieder etwas wuchs, Zahlen lassen sich aber nicht einmal schätzen. Die freien Flächen innerhalb der Mauern dürften, wie in anderen Städten der Zeit, landwirtschaftlich genutzt worden sein, auch wenn die Quellen uns lediglich von einer Scheune innerhalb der Mauern berichten, die 771 an das Kloster Lorsch geschenkt wurde173. Das zugehörige Acker- und Weideland lag in diesem Fall außerhalb der Mauern in der marca, der »Gemarkung« von Worms, während das Hausgrundstück, so ist der Quellenbegriff mansus in diesem Fall zu übersetzen, mit Haus und Scheune darauf innerhalb der Mauern lag. Wie die Häuser aussahen, ob sie möglicherweise auf den Fundamenten römischer Bauten ruhten, ob sie aus Steinen erbaut waren, die aus römischen Gebäuden stammten, oder ob sie wie auf dem Land aus Holz, Lehm und Flechtwerk bestanden, wissen wir nicht.

Neben der zentralörtlichen Funktion, die Worms als Zentrum eines Bistums, als wichtige Pfalz und als civitas publica hatte, spielte auch der Handel eine wesentliche Rolle und war eines der Elemente, die in Worms ein begrenztes Maß an städtischem Leben aufrecht erhielten. Diese Rolle ist allerdings nur indirekt, etwa durch Münzprägungen und Zollprivilegien, belegt. Karl der Große ließ in Worms Münzen prägen; sein Sohn, Ludwig der Fromme, schenkte 829 dem Bischof die Zölle der nach Worms kommenden Kaufleute, Handwerker und Friesen, die in karolingischer Zeit einen großen Anteil am Fernhandel im Frankenreich hatten174. Die Händler des Klosters Lorsch brauchten nach einer Urkunde von 858 keinen Zoll im Wormser Hafen zu entrichten175. Der damit erstmals bezeugte Hafen lag möglicherweise nordöstlich der Stadtmauer in der Nähe der Friesenspitze, wo auch der Markt zu vermuten ist176. Die wichtige Rolle der Stadt im überregionalen Handel wurde begünstigt durch die Lage am Rhein, der eine zentrale Achse des frühmittelalterlichen Handels war, und an der wichtigen Straße, die von Metz über Kaiserslautern nach Osten führte. Der Handel profitierte auch davon, dass sich bei den Reichsversammlungen und Winteraufenthalten der Könige regelmäßig eine große Menge von Verbrauchern in der Stadt aufhielt. Seit Otto III. ist erneut eine Münzprägestätte in der Stadt bezeugt; sie dürfte im Zusammenhang mit einem allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung seit der Mitte des 10. Jahrhunderts zu sehen sein177, der zusammen mit den von Bischof Hildibald geschaffenen und gesicherten Besitzgrundlagen des Bistums den Bauboom unter Bischof Burchard nach der Jahrtausendwende ermöglichte. In der Stadtgeschichtsforschung gilt die wichtige Rolle des Handels, wie sie in Worms deutlich wird, als ein entscheidendes Moment der Stadtwerdung178.

Die Rolle der Stadt als intellektuelles, kulturelles Zentrum ist nur schlecht in den Quellen zu fassen; im 9. Jahrhundert dürfte das Stift St. Cyriacus in Neuhausen eine Rolle für die Ausbildung der Geistlichkeit gespielt haben179. Spätestens unter Bischof Hildibald gab es auch am Dom eine Schule, aus der nicht nur Papst Gregor V. (996–999), sondern auch Erzbischof Heribert von Köln (999–1021), ein Schüler und enger Vertrauter Hildibalds, hervorging, der später auch dessen Nachfolge als Kanzler antrat. Er stammte nach mittelalterlichen Quellen aus einer angesehenen Wormser Familie, hinter der sich nach den ansprechenden Forschungen Heribert Müllers ein Zweig der Konradiner verbergen könnte180.

Über das tägliche Leben der Menschen erfahren wir nur wenig, und auch über die stets drohenden Gefahren für das Leben durch Krankheit, Hunger und Krieg können wir nur spekulieren. So ist anzunehmen, dass auch die Wormser Bevölkerung unter den immer wiederkehrenden Hungersnöten und Teuerungen litt, die beispielsweise für das Jahr 850 für den Mittelrhein belegt sind181. Die Stadt scheint zwar zumindest seit karolingischer Zeit von direkten Kampfhandlungen verschont geblieben zu sein, dennoch ist sicher, dass die längere Anwesenheit oder der Durchzug von Heeren auf dem Weg nach Sachsen oder Italien, ins Westfrankenreich oder gegen einen inneren Feind schwere Belastungen mit sich brachten, wie auch ein einzelner Bericht aus der Bürgerkriegszeit des 9. Jahrhunderts zeigt182. Auch äußere Feinde gefährdeten Worms und wurden als ernsthafte Bedrohung empfunden. Die Mauerbauordnung dürfte im Zusammenhang mit der Bedrohung durch die Normannen stehen, die allerdings nie bis nach Worms kamen. Zu Beginn des 10. Jahrhunderts erschien allerdings mit den Ungarn ein neuer Feind, der auch mehrfach die Wormser Region erreichte. Obwohl die Bedrohung seit dem Erlass der so genannten »Burgenbauordnung« Heinrichs I., die den Bau von Fluchtburgen für die Bevölkerung vorsah, abnahm, nutzten die Ungarn bis zu ihrer großen Niederlage 955 auf dem Lechfeld noch innere Unruhen im Reich zu Kriegszügen. 937, nur wenige Monate nach dem Amtsantritt Ottos des Großen, überquerten ungarische Reiter den Rhein bei Worms, scheinen aber die Stadt, möglicherweise wegen der Stadtmauern, auf ihrem Zug nach Lothringen verschont zu haben; im Umland dürften die Schäden aber erheblich gewesen sein183. Auch 954, beim Aufstand Liudolfs und Konrads des Roten, erreichten die Ungarn angeblich mit Hilfe Liudolfs Worms, wo sie nach Widukind von Corvey mit Gold beschenkt und bewirtet worden sein sollen, bevor sie ihren Zug fortsetzten184.

Im frühen Mittelalter unterschied sich der Rechtsstatus der Menschen auf dem Land im Allgemeinen nicht von dem der Stadtbewohner. Die Gesellschaft war nach den Worten Karls des Großen nur in Freie und Unfreie geteilt185, doch ist es unbestritten, dass sich hinter diesen plakativen Bezeichnungen heterogene Gruppen verbergen. Bei den Freien reichte die Spanne von kleinen, armen Freien, die auf dem Land eines Grundherrn oder ihrem eigenen Land als Bauern lebten, bis hin zur Aristokratie, aus der im Laufe des frühen und hohen Mittelalters der rechtlich abgehobene Adel entstehen sollte. Das Spektrum der Unfreiheit reichte von Sklaven im engeren Sinne über so genannte »behauste Unfreie«, die in Familien zusammenlebten und einen eigenen Hof bewirtschafteten, bis hin zu den Ministerialen, die seit dem 10. Jahrhundert im Auftrag ihrer Herren in bedeutende Positionen aufsteigen konnten und deren Entwicklung sich im Hofrecht Bischof Burchards nachzeichnen lässt186.

Die andere wesentliche Quelle über die Wormser Bevölkerungsgruppen um die Wende zum 10. Jahrhundert ist die mehrfach erwähnte Mauerbauordnung, die neben zahlreichen Dörfern aus dem Umland drei städtische Bevölkerungsgruppen mit Aufgaben bei der Instandhaltung der Stadtbefestigung nennt: Die Friesen, die familia des heiligen Leodegar, das heißt die Abhängigen des Klosters Murbach im Elsass, und die urbani, qui heimgereiden vocantur, die Stadtbewohner.

Die Friesen, die von 829 an bis ins 10. Jahrhundert in der Stadt nachgewiesen sind187, galten als eigenständige Gruppe und mussten den Abschnitt von der so genannten Friesen-spira bis zum Rhein wiederherstellen, also wahrscheinlich den Bereich an Hafen und Markt188. Juden, deren Viertel später ebenfalls in diesem Bereich lag, werden nicht genannt; möglicherweise lebten zu diesem Zeitpunkt noch keine oder noch nicht genug Juden in der Stadt, um als eigenständige und leistungsfähige Gruppe wahrgenommen zu werden189. Die familia des heiligen Leodegar, Patron des Klosters Murbach, hatte nur ein Tor zu versorgen. Es ist dies die einzige Quellenstelle, in der wir erfahren, dass dieses Kloster Besitz und ständige Bewohner in Worms hatte. Nicht genannt werden auch die familiae der anderen Kirchen und Klöster, die wir aus anderen Quellen kennen, insbesondere die Abhängigen des nahen Klosters Lorsch. Warum sie offenbar keiner Verpflichtung unterlagen, ist heute nicht mehr zu ermitteln. Von besonderer Bedeutung ist die Nennung der Gruppe der urbani, qui heimgereiden vocantur. Dies ist eine der frühesten Quellenstellen überhaupt, die zeigen, dass Stadtbewohner als eine eigene Gruppe angesehen wurden. Wer sich dahinter verbirgt, ist unklar; es sind möglicherweise Angehörige der bischöflichen familia, in den Stadtmauern lebende Freie und Unfreie weiter entfernter geistlicher und weltlicher Grundherren, die fern der Kontrolle ihrer Herren wie die übrigen Stadtbewohner leben konnten, möglicherweise weil sie als kopfzinspflichtige Zensualen bzw. Fiskalinen weit gehende Freizügigkeit genossen. Thietlach bezeichnete sie ausdrücklich nicht als seine familia, sondern ohne offenen Besitzanspruch als urbani. Auch die Heimgereiden, die hier zum ersten und für Jahrhunderte auch zum einzigen Mal erwähnt werden, sind rätselhaft. Im Spätmittelalter werden unter den Heimgereiden in Südwestdeutschland Nutzungsgemeinschaften für Dorfallmenden verstanden190. Möglicherweise wurde der Begriff auch von späteren Chronisten hinzugefügt, die einen ihnen vertrauten zeitgenössischen Begriff nutzten, um einen unverständlich gewordenen Ausdruck zu ersetzen, oder den Begriff urbani zu präzisieren. Deshalb muss auch offen bleiben, ob die Bewohner der Stadt sich in irgendeiner Weise in einer oder mehreren Genossenschaften zusammengeschlossen hatten. Allgemein gilt die genossenschaftliche Vereinigung von Stadtbewohnern als wichtige Triebkraft für die Entstehung der verfassten Stadtgemeinde seit dem 11. Jahrhundert191.

Genaueres über die familia des Bistums erfahren wir aus dem Hofrecht Bischof Burchards, das um 1023/25 aufgezeichnet wurde und nicht nur im Hinblick auf die entstehende Ministerialität an der »Schwelle zweier Epochen«192 steht. In dieser Quelle, die sowohl Elemente eines Hofrechts wie auch eines Stadtrechts enthält, finden sich Abhängige mit unterschiedlichem Status: Neben einigen, die als mancipia bezeichnet werden und lediglich als Besitz anderer Abhängiger erscheinen, also wohl auf der untersten Stufe der familia stehen, gibt es Dagwarte, die ursprünglich zu täglichem Dienst verpflichtet waren, zum Zeitpunkt der Entstehung des Hofrechts aber schon über ein erhebliches Maß an Freiheiten verfügten, und Fiskalinen, die nicht zur Annahme niedriger Arbeit gezwungen werden konnten, sondern nur einen jährlichen Zins entrichteten193. Während die Fiskalinen ihren Zins ursprünglich dem König schuldeten und durch Schenkung an das Bistum geraten waren194, waren die Zensualen entweder an eine Kirche freigelassene Unfreie oder ehemalige Freie, die sich in den Schutz eines Altars begeben hatten. Sie alle bezahlten einen in der Regel geringen Kopfzins (auch in Wachs, daher Wachszinser). Hinzu kamen Abgaben beim Tod (bestes Stück Vieh beim Mann, bestes Kleid bei der Frau) und Einschränkungen im Eherecht. Entscheidend aber war, dass sie keine Frondienste leisten mussten, demnach über ihre Arbeitskraft und ihren Ertrag verfügten, freizügig waren und etwa in der Stadt ihr Glück versuchen konnten. Daher waren sie im 11./12. Jahrhundert von großer Bedeutung für die Entwicklung der Städte und ihrer Institutionen195. Ihre Existenz wird im Hofrecht nur angedeutet; es ist aber aus anderen Wormser Quellen bekannt, dass es eine erhebliche Anzahl an Zensualen geben hat196. Von großer Bedeutung waren auch die Ministerialen, die Angehörigen einer äußerst vielgestaltigen Gruppe, die in den Quellen unter verschiedenen Namen erscheint. Aus seiner familia konnte der Bischof geeignete Leute für verschiedene Dienste in Verwaltung oder mit Waffen auswählen, wobei Fiskalinen keine niederen Dienste leisten mussten. Das Hofrecht griff aber auch über die bischöfliche familia hinaus, indem es Anspruch darauf erhob, das Zusammenleben in der Stadt – die nun erstmals als gesonderter Friedensbereich mit höheren Strafen für bestimmte, insbesondere gewalttätige Vergehen erscheint – zwischen allen Bewohnern zu regeln. Damit erhob sich der Bischof endgültig zum Stadtherrn.

Wie stark sich die Auseinandersetzung um die Stadtherrschaft am Ende des 10. Jahrhunderts auf das Bild der Stadt auswirkte, ist unklar; die Schilderung der zerfallenen Stadtmauer und der in die Stadt eindringenden Wölfe in der Vita Bischof Burchards197 dürfte allerdings weit übertrieben sein, um die Leistung des Bischofs in hellerem Licht erscheinen zu lassen. Die Stadtbewohner, eine bunte Mischung aus Reich und Arm, Freien und Unfreien unterschiedlicher Herren, wurden von außen allmählich als Gemeinschaft wahrgenommen, wie die Bezeichnung als urbani zeigt, und organisierten sich in Verbänden, was aber nicht ausschloss, dass sich die Anhänger der Salier und der Bischöfe um die Jahrtausendwende bekämpften198. Unstreitig ist aber, dass in dieser Zeit die Grundlage für die spätere stürmische Entwicklung der Stadt unter dem großen Bischof Burchard, aber auch in der späteren Zeit gelegt wurde.

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