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Die Stadtentwicklung bis zum Rheinischen Bund (1233–1254/56)

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Nach der im Kompromisswege erfolgten, relativ dauerhaften Regelung der Fragen der Ratsbesetzung Anfang 1233 (erst um 1300 ergaben sich Veränderungen der Stadtverfassung und ihrer normativen Grundlagen) geriet die Stadtentwicklung bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts in eine tiefe, mit der Reichs- und politischen Geschichte auf das Engste verknüpfte Krise, die mit dem Ende der staufischen Reichsherrschaft und der gemeinsam mit Mainz betriebenen Gründung des Rheinischen Bundes im Frühjahr 1254 an einen Wendepunkt kommen sollte. Zunächst ist ein kurzer Überblick über das Geschehen im Dreieck von Stadtbürgerschaft und Rat zum Ersten, Bischof und Geistlichkeit zum Zweiten und der Reichsherrschaft unter Friedrich II. (1212, 1220 Kaiserkrönung, Tod 1250) sowie seinen Söhnen (Heinrich (VII.), abgesetzt 1235; Konrad IV., 1237–1250/54) zum Dritten samt ihren Auswirkungen auf Wirtschaft und Verfassungsgefüge zu geben, wobei wir hierzu der grundlegenden Darstellung von Burkard Keilmann folgen können156. Als Quellen steht neben den urkundlichen Zeugnissen die reiche chronikalische Überlieferung zur Verfügung, unter denen die aus städtischer Sicht berichtenden »Annales Wormatienses« eine Sonderrolle einnehmen, »das für das deutsche Reichsgebiet früheste Beispiel städtischer ›bürgerlicher‹ Geschichtsschreibung«157.

Die Politik König Heinrichs (VII.) führte seit dem Herbst 1234, fast zeitgleich mit dem Tod Bischof Heinrichs von Saarbrücken, zum offenen Bruch mit seinem Vater. Mit dem Domdekan Landolf von Hoheneck wurde noch im gleichen Jahr ein neuer Bischof gewählt, mit ihm zum ersten Mal der Angehörige einer Ministerialenfamilie. Der Hinwendung des neuen Geistlichen zu dem stets schwankenden und schwachen König entsprach die endgültige Abkehr der Stadt von diesem. Der Versuch Heinrichs, ein Treuegelöbnis der Stadt ihm gegenüber zu erzwingen, führte 1234/35 zu militärischen Aktionen gegen die Stadt und die Verhängung des Bannes über Worms. Die Lage wendete sich mit der Ankündigung des Zuges Friedrichs II. über die Alpen. Der Herrscher traf im Juli 1235 in Worms ein, feierte dort prunkvoll Hochzeit mit der englischen Prinzessin Isabella, setzte seinen Sohn gefangen und enthob ihn der Thronwürde. Friedrich II. verfügte die bis 1236 andauernde Verwaltung der Stadt durch einen Ministerialen, der als iudex (Richter) die Gerichtsgewalt ausübte, sehr zum Ärger der Wormser Bürgerschaft, die stark zu Gunsten Friedrichs II. tätig geworden war und eine Stärkung ihrer Position erhofft hatte. Dass der Stadt 1236 durch Friedrich II. dann doch das wichtige Privileg von 1220 mit der Bestätigung der Rechte und Freiheiten (und formal auch der Stadtverfassung der Zeit vor 1233!) bekräftigt und das Regiment seines Amtsträgers in der Stadt bereits wieder beendet wurde158, hatte allerdings so gut wie keine praktischen Auswirkungen auf die Stadtverfassung.

Erst im Herbst 1236 erlangte Landolf, der als Anhänger Heinrichs (VII.) längere Zeit auf seine politische Rehabilitierung warten musste, die Bischofsweihe und wurde seither und bis zu seinem Tod 1247 zu einem ganz entschiedenen Anhänger des Staufers. Landolf unternahm nach dem Erhalt erster Gunstbeweise und im Gefolge eines starken Engagements im Umfeld Friedrichs einen Versuch zur Erweiterung seiner stadtherrlichen Rechte auf Kosten von Rat und Bürgerschaft und wurde darin in einem Herrscherdiplom vom November 1238 auch bestärkt159. Die hier vorgesehenen neuen Bestimmungen zur Ratswahl konnten wegen des massiven Widerstands der städtischen Kräfte und der insgesamt schwachen Position des Bischofs – auch auf Grund deutlicher finanzieller Probleme in seinem Hochstift – faktisch nicht zum Tragen kommen und blieben ohne Auswirkungen. Für die Verfassung waren weiterhin die Bestimmungen von 1233 maßgebend.

In eine neue Phase trat die Entwicklung durch den ab 1241/42 vor allem vom Mainzer Erzbischof Siegfried von Eppstein betriebenen Kampf gegen Friedrich II., der für Worms und vor allem sein näheres Umland verheerende Folgen nach sich ziehen sollte: Die militärischen Auseinandersetzungen (Stadtbürgerschaft und Bischof blieben entschieden auf Seiten des Herrschers) führten zu Unfrieden, Fehden und gewaltsamen Übergriffen in der Region mit starken, nicht zuletzt wirtschaftlichen Rückwirkungen auf Worms. König Konrad IV. belohnte den Einsatz für die staufische Sache 1242 mit einem Zollerleichterungen fixierenden Diplom für die Stadt160. Im selben Jahr zerstörte ein bei St. Andreas ausgebrochener verheerender Brand weite Teile der Stadt, bei dem angeblich mehr als 300 Menschen getötet worden sein sollen, ein Ereignis, dessen wirtschaftlich-finanzielle Folgen das Gemeinwesen zusätzlich ganz erheblich bedrückt haben161. Bereits 1221 (hier vor allem mit schweren Folgen für das Marktgeschehen162) und 1231 und dann nochmals 1259, 1269 und 1298 kam es zu ähnlichen Katastrophen, wovon uns vor allem die Wormser Annalen eindringlich berichten163. Bei den Nachrichten zur Katastrophe von 1221 handelt es sich um die ersten sicheren Hinweise auf eine Verlagerung des Marktlebens in den heutigen Bereich Marktplatz/Neumarkt: Genannt werden verbrannte Marktstände bzw. -buden und Häuser von Kaufleuten im Bereich des Alten Hospitals unweit der Johanniskirche.

Die politische Situation spitzte sich 1241/43 immer mehr zu, die Stadt unternahm bis in den Rheingau reichende Kriegszüge und Flottenunternehmungen auf dem Rhein zu Gunsten der staufischen Sache, deren Aussichten sich nach dem Antritt des Pontifikats Papst Innozenz’ IV. 1243 drastisch verschlechterten, da dieser massiv die Absetzung des Kaisers betrieb. Im August 1243 wurden die Treue und die ungeheuren Aufwendungen und Lasten der Stadt durch zwei wichtige Diplome Friedrichs II. gewürdigt, wobei vor allem die Verleihung eines 14tätigen Jahrmarktes vom Termin zwei Wochen nach Ostern an (d.h. zwischen den Sonntagen Misericordia und Cantate) von Belang war164. Diese Verleihung (1333 wurde der Termin auf Pfingsten verlegt) fügte sich in das zwischen 1226 und 1245 am Mittelrhein entstehende, herrscherlich betriebene und zeitlich recht genau aufeinander abgestimmte Jahrmarktsystem mit Messen in Oppenheim (1226, 1236), Worms und Speyer ein, denen durch den Staufer ganz ähnliche Privilegien erteilt wurden. Der Erfolg dieser Maßnahme blieb allerdings angesichts des bereits bestehenden Messezyklus der Wetteraustädte und des um 1250 allmählich beginnenden starken Aufschwungs des Messeplatzes Frankfurt am Main beschränkt165. Um die Mitte des 13. Jahrhundert erlosch auch die Tätigkeit der Wormser Münze; die rasch wachsende Bedeutung der seit ca. 1260 in den schriftlichen Quellen immer stärker hervortretenden Haller Pfennige (»Heller«) aus der königlichen Zollstätte in (Schwäbisch) Hall verdrängten als neue überregionale Zahlungseinheit den Wormser Pfennig, dessen Prägung eingestellt wurde166.

In den folgenden Jahren blieben die Stadt und das finanziell schwer zerrüttete und belastete Hochstift im Spannungsfeld der politischen Auseinandersetzungen. Der Mainzer Erzbischof Siegfried verhängte 1242 das Interdikt über die Stadt und 1244 bestätigte der Papst diese gravierende Maßnahme, die schließlich auf Grund des anhaltenden Widerstandes Bischof Landolfs gegen ein Einlenken auf die antistaufische Seite ab September 1245 zum Erlöschen nahezu des gesamten gottesdienstlichen Lebens in der Stadt und zum Auszug weiter Teile des Klerus geführt hat. Der Druck auf den Bischof wurde angesichts der bürgerkriegsähnlichen Lage, die allmählich Wirtschaft und Finanzen in Worms in den Ruin zu ziehen drohten, immer stärker, sodass sich Landolf nach der Absetzung Friedrichs II. durch den Papst im gleichen Jahr 1245 zu einem Kompromisskurs gezwungen sah. Mit Hilfe von Bestechungsgeldern, die die monetäre Lage seiner Domkirche weiter belasteten, suchte er beim Mainzer Erzbischof seine Lage zu entschärfen, was allerdings lediglich seinem weiteren Autoritätsverlust Vorschub leistete. Im Oktober 1245 kam es schließlich zu einem Parteiwechsel Landolfs, der freilich die aktive Unterstützung der Staufergegner bis zu seinem Tod im Juni 1247 hinauszögerte – sicher auch aus Rücksicht auf die Stadt, die nach wie vor – länger und intensiver als fast jede andere Stadt – an der Legitimität der staufischen Herrschaft festhielt.

Die Quellen geben eindrucksvolle Belege für die Vielzahl an Privatkriegen und -fehden, einen Zustand permanenter Fried- und Rechtlosigkeit, in dem der Wormser Raum in den 1240er Jahren zu versinken drohte167. Vor allem der regionale Niederadel, aber auch die Bewohner umliegender Dörfer, beteiligten sich an Überfällen, störten den Handelsverkehr und ergriffen jede Gelegenheit zur Schädigung der Wormser Kaufleute und Bürger. Die Situation in Worms verschärfte sich im Frühjahr 1246 noch durch innerstädtische Konflikte wegen der Besetzung des Rates. Getragen wurde diese Bewegung von führenden Persönlichkeiten der Bürgerschaft168.

Die Jahre nach dem Tod Landolfs ab 1247, welche zugleich die Phase des staufischen »Endkampfes« am Rhein und den Beginn des so genannten »Interregnums«169 markieren, waren bis zur erneuten Etablierung einer einigermaßen stabilen und anerkannten bischöflichen Stadtherrschaft im Jahr 1253 ebenfalls von starker Unsicherheit geprägt. Ab 1247 ergab sich nach dem Intermezzo des von der Kurie zum Bischof bestimmten, noch im gleichen Jahr gestorbenen Mainzer Domdekans Konrad von Dürkheim ein Schisma durch das Gegeneinander eines vom Domkapitel gewählten (Dompropst Eberhard Raugraf) und eines vom päpstlichen Legaten bestimmten (Richard von Daun, Kleriker in Trier) Bischofs. Erst 1253/56 konnte diese für die bischöfliche Stadtherrschaft und die Lage in dem inzwischen finanziell total zerrütteten Hochstift gleichermaßen schwierige Frage zu Gunsten Richards gelöst werden, Eberhard wurde ausgezahlt. Die Bürgerschaft hatte bis Februar 1253 einen Einzug des Bischofs und damit auch seine Anerkennung als Stadtherr verweigert. Politisch ergab sich 1252/53 erstmals eine Spaltung der Bürgerschaft, deren führender Teil angesichts der für die Staufer aussichtslosen Lage, des wirtschaftlich-finanziellen Raubbaues und des Drucks der Kurie auf deren Seite überzuschwenken bereit war. Vor allem den Ratsmitgliedern und Angehörigen der im Handel aktiven Kräfte der Bürgerschaft bzw. deren führenden Familien ging es nach kriegerischen und finanziell ruinösen Jahren um eine Sicherung des für die städtische Wirtschaft entscheidenden Handelsverkehrs und damit einer entscheidenden Grundlage ihres Wohlstandes. Nach der Festigung der bischöflichen Position – immerhin hatte der Rat fast fünf Jahre ohne einen bischöflichen Herrn agiert und Versuche unternommen, die alte Ratsverfassung der Zeit vor 1233 wieder einzuführen – war Richard von Daun bestrebt, die Macht des Rates zu beschneiden. Die Versuche zur Revision der Verfassungsverhältnisse scheiterte; im September 1253 wurde der 15er-Rat in der 20 Jahre zuvor vorgeschriebenen Weise wieder vorschriftsmäßig ergänzt und ins Amt gesetzt. Vorangegangen war eine Phase starker Rechtsunsicherheit, da das als Gerichtsinstitution fungierende Gremium längere Zeit nicht zusammenkam, was die Anarchie in der Stadt noch verstärkt hat170.

Der Kampf zwischen Staufern und Kurie, der im Grunde bis zur formellen Anerkennung des neuen Königs Wilhelm von Holland durch den Rat im Oktober 1254 nicht endete, führte in der Stadt zu einer beschleunigten politischen und sozialen Verelendung. Noch zwischen 1248 und 1250 gewährte der Rat kostspielige finanziell-militärische Hilfe für Konrad IV., die wiederum neue Härten und Grausamkeiten für die Stadt und mehr noch das gebeutelte Umland nach sich zog. Erst auf dem Hoftag Wilhelms von Holland im Februar 1255 in Worms huldigte die Bürgerschaft dem neuen König, dessen Herrschaft allerdings durch seinen überraschenden Tod ein Jahr später bereits wieder endete.171

Seit Anfang 1254 hatten die Fried- und Rechtlosigkeit sowie das bedrohliche Machtvakuum am Mittelrhein die Städte auf den Plan gerufen172. Unter Anknüpfung an die bereits vorher punktuell bestehenden Bündnisverträge und vor dem Hintergrund seit langem vorhandener personeller Kontakte und Beziehungen kam es in der ersten Jahreshälfte 1254 zum Aufbau und zur raschen Ausbreitung eines zunächst regionalen, dann überregionalen Bündnisnetzes: Den Anfang machte im Februar 1254 ein eidlich beschworener Bund mit Mainz (confoederatio pacis et concordie), der unter anderem eine Angleichung im bürgerlichen Recht beider Städte regelte und dem im April auch die Stadt Oppenheim beitrat; vermutlich war auch die Einbeziehung von Speyer geplant, mit deren Bürgern die Wormser noch vor Ende Februar alte Streitigkeiten beilegten173. Im Juli 1254 wurde darauf aufbauend ein sehr rasch wachsendes Bündnis von Städten, Adligen und Geistlichen aus dem gesamten Rheinland vereinbart, der am 6. Oktober 1254 seinen ersten regulären Bundestag in Worms abhielt174. Ziel des Bundes war – unter Rückgriff auf religiöse Vorstellungen und die Ideen des Landfriedens – die Sicherung und Wahrung des Friedens, die Abschaffung ungerechter neuer Zölle und der Schutz des Handelsverkehrs. Die Keimzelle des bis 1256 als Machtfaktor wichtigen und weit mehr als nur die Städte umfassenden Rheinischen Bundes war gelegt.

Die städtische Politik nach außen und innen wurde – quellenbedingt ist dies seit etwa 1200 allmählich besser greifbar – von einer Reihe aus der bischöflichen Ministerialität stammender, wirtschaftlich und politisch dominierender Familien getragen. Diese sind zunächst als »Ministerialen«, seit ca. 1220 als »Bürger« und »Ritter« in den Quellen – und hier vor allem in den Zeugenreihen – greifbar. Wir verdanken den seit 1968 entstandenen bahnbrechenden Untersuchungen von Knut Schulz vertiefte und weit über die Stadt Worms hinaus auch für andere Bischofsstädte beispielhaft wichtige Einsichten in die Prosopographie und verwandtschaftlichen Verflechtungen sowie die Charakteristik dieser für die Stadtentwicklung entscheidend verantwortlichen städtischen Führungsgruppe, die als Ratsmitglieder und Bürgermeister, in diplomatischen Missionen, als Schenkgeber und Stifter sowie Lehensinhaber in den Quellen entgegentreten175. Zu dieser Gruppe gehörten während des 13. Jahrhunderts die Familien Richer und Militellus (Ritterchen, beide stehen auch um 1220 in einer Lehensbeziehung zu Pfalzgraf Ludwig), Dirolf (später hervorgetreten als Klostergründer in Hochheim)176, Holtmund (sie kann sich noch bis in das späte Mittelalter halten), Judeus, Rufus, Amella, Vulpecula (Fuchselin), Moro (Maulbaum177) und deutlich später die Familie Bonne, die ihre Bedeutung bis zum Ende des Mittelalters bewahren konnte. All diese Familien stammen aus der bischöflichen Dienstmannschaft. Die Angehörigen dieser Geschlechter vereinigen Güterbesitz in Stadt und Umland sowie politisch-militärische Funktionen an der Stadtspitze, sie sind am Handelsverkehr und Wirtschaftsleben entscheidend beteiligt, treten durch religiöse Stiftungen hervor und sind durch Konnubium miteinander verbunden178. Das religiöse Engagement beschränkt sich dabei nicht nur auf die durch ihr Zutun aufstrebenden neuen Niederlassungen der Mendikanten und religiösen Frauengemeinschaften, es umfasst genauso die bereits seit ca. 1190 präsenten Zisterzienserklöster (v.a. Schönau und Otterberg) wie auch die Wormser Kollegiatstifte. Dazu kommen das Engagement im Pfarreileben der Stadt und die Tätigkeit als Kirchengeschworene.

Die Mitglieder dieser mit Grundbesitz im näheren Umland der Stadt ausgestatteten bürgerlichen und ritterlichen Familien stehen in engen Beziehungen zur Geistlichkeit, vor allem zu den Stiften St. Andreas, St. Paulus und St. Martin (weniger zu Domstift und St. Cyriakus/Neuhausen) sowie – was die Klöster angeht – zu den beiden in Worms stark präsenten Zisterzen Schönau und Otterberg, denen sie als Insassen, Schenkgeber und Förderer verbunden sind.179 Spätestens seit der ersten Rachtung 1233 haben sich die Ministerialen, die als solches in den Quellen nicht mehr entgegentreten, in die Gruppen der Bürger (cives) und Ritter (milites) aufgeteilt180. Der angesehenere Teil der als »Laien« in den Urkunden genannten Personen wird seit 1229 als milites (Ritter) in den Quellen genannt, der andere Teil als cives (Bürger). Trotz fortbestehender vielfältiger Beziehungen zwischen beiden Gruppen waren die Grenzen zwischen ihnen doch recht streng gezogen.

Während der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts hat sich der Gegensatz zwischen den ritterlichen und den bürgerlichen Ratsvertretern weiter verstärkt und in Spannungen und Interessengegensätzen niedergeschlagen. Ein Teil der ritterlichen Familien – ohnehin mit Besitz im Umland und in Kontakten zum Adel – entwickelte sich zu niederadligem Stand weiter und lockerte oder löste seine Bindungen an und in die Stadt. Beispielhaft für diese Entwicklung steht die Familie der Kämmerer von Worms genannt von Dalberg181. Die in der letzten Zeit vorgebrachte, letztlich nicht überzeugende Kritik an der Ministeralitätsthese in der Dissertation von Sabine Happ wird die Grundannahmen und die Richtigkeit der Schulz’schen Einschätzung nicht zu erschüttern vermögen. Happ geht davon aus, dass die »Mitglieder der führenden Bürgerschicht« Händler gewesen seien, »die aus den kirchlichen familiae stammten«182.

Über die Fortentwicklung der Verfassungsverhältnisse im frühen 13. Jahrhundert informiert eine weistumsartige Quelle, die auch Einblicke in Fragen der Verfassungstopografie und der Praxis beim Ablauf der Ratswahl gewährt183. Der Bischofshof wird als Ort des Gerichts erwähnt. Bezeugt ist die Wahl von je vier als »Heimburgen« bezeichneten, aus den innerstädtischen Pfarreien bestimmten und unter anderem mit der Einziehung des Ungeldes und der Überwachung der Maße und Gewichte betrauten Personen. Diese sollen vor den (wie gesehen erstmals 1220 belegten) Bürgermeistern an der Saalstiege – einer bereits im kurz nach 1200 niedergeschriebenen Nibelungenlied als Rechtsort genannten Freitreppe am Bischofshof nahe dem Nordportal des Domes – ihren Eid ablegen und je ein Jahr lang amtieren. Erwähnt wird in der lateinischen Quelle auch das auf Befehl der Bürgermeister von den Heimburgen durchzuführende, aus weiteren Zeugnissen bekannte Läuten der so genannten »Hofglocke« im Dom, das eine Reihe von Rechtshandlungen begleitet.

Das Weistum lässt die Vielfalt der Funktionen des als Immunitätsbezirk genannten Domvorplatzes zum Beispiel auch für das Gebiet der Strafgerichtsbarkeit erkennen. Demnach soll einem überführten und verurteilten Verbrecher das Urteil gesprochen werden, nachdem das Volk durch dreimaliges Schlagen der Hofglocke (campana curie) zusammengerufen worden ist. Das Urteil soll öffentlich von der erwähnten Saalstiege herab verkündet werden (coram omni populo). Mit Ausnahme der kurzen, wie gesehen zunächst folgenlosen Episode des Wormser Rathauses um 1225 bis 1230 fungiert der Domvorplatz während des gesamten 13. und des beginnenden 14. Jahrhunderts kontinuierlich als Versammlungs-, Wahl- und Gerichtsort im bürgerlich-städtischen Rechts- und Gemeinschaftsleben der Wormser.

Mit den insgesamt 16 Heimburgen treten nach 1200 neben dem im Weistum genannten, von Bischof und Ratsleuten zu wählenden Schultheißen als Gerichtsbeamten weitere Funktionsträger im Gefüge der Stadtverfassung auf, die auf die gewachsene bzw. in den Quellen allmählich greifbare Bedeutung der Pfarreien als Keimzellen und kleinste Organisationsformen städtischen Lebens verweisen. Im Zeitraum von ca. 1190 bis 1250 verfestigt sich das System der Inkorporation inner- wie vorstädtischer Pfarrkirchen an Stifte und Klöster. Dies geschieht nicht zufällig unter starker Anteilnahme städtischer Vertreter bei den von den Bischöfen beurkundeten Rechtshandlungen.

Bereits vor 1200 war – darauf wurde bereits aufmerksam gemacht – die räumliche Verfestigung der vier Parrochialbezirke in der ummauerten Stadt abgeschlossen. Die Pfarreien nahmen seither Aufgaben mindestens im Bereich der Organisation der Stadtverteidigung bzw. des militärischen Aufgebots (dies bezeugen die städtischen »Wormser Annalen« explizit zum Jahr 1270184), der Erhebung von Abgaben und der Aufsicht über das Marktleben wahr. Die Verantwortung für die Pfarrei, den Bau und die Unterhaltung der Pfarrkirchen und rechtliche Regelungen für das religiös-gemeinschaftliche Leben vor Ort tragen dabei laikale Kirchengeschworene (iurati), über deren Funktionen noch sehr wenig bekannt ist, die aber bis zum Ende des Mittelalters in den Quellen entgegentreten. Als Beispiel sei auf eine Urkunde von 1243 verwiesen, in der hergebrachte Rechte von Kirchengeschworenen (iuratorum parrochie) bzw. deren Recht auf Ratgebung und Beschlussfassung in Fragen der Pfarrei für St. Magnus ausdrücklich festgehalten werden. Welch gewichtige Rolle die Kirchengeschworenen vor allem im vorstädtischen Bereich eingenommen haben, zeigt eine Urkunde, in der das Domkapitel im Februar 1300 der als »Geschworene und Gemeinschaft der Pfarrei« auftretenden Kirchengemeinde St. Michael außerhalb der Mauern (südlich der Stadt) einen Garten zur wegen der Bevölkerungszunahme notwendigen Erweiterung ihres Friedhofes verliehen hat185. Diese Gruppe der Laien, die in der Gemeinde Mitspracherechte wahrnehmen, ist in den spätmittelalterlichen Quellen häufig erwähnt, ohne dass wir bislang über die Stellung der Parrochien im Verfassungsgefüge allzu viel wüssten186.

Ebenfalls nahezu nichts ist bis weit in das 13. Jahrhundert hinein bekannt über die Rolle gewerblich-zünftischer Vereinigungen, die hinter den um 1232 ausdrücklich verbotenen städtischen Bruderschaften zu vermuten sind. Allein die Genossenschaft der im herrschaftsnahen Kürschnerhandwerk tätigen »Wildwerker«, die noch im frühen 14. Jahrhundert bezeugt ist, durfte nach den Bestimmungen der Rachtung von 1233 noch bestehen bleiben187. Als rechtlich gesonderte Gruppierung innerhalb der Stadt bestand nach wie vor die Gemeinschaft der Hausgenossen188. Hinsichtlich der Verwendung des Stadtsiegels ist festzuhalten, dass in mehr als der Hälfte der bis 1249 belegten Ankündigungen des Stadtsiegels eine gemeinsame Besiegelung mit geistlichen Personen oder Institutionen greifbar wird.

Die äußere Stadtentwicklung ist im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts durch eine Reihe folgenschwerer Stadtbrände, fortschreitende Baumaßnahmen bzw. Neubauten bei den Stiftskirchen (Westwerk St. Paulus, vgl. Tafel 7), den Neubau eines Frauenraumes an der Synagoge (1212/13) sowie die Ansiedlung der beiden ältesten Bettelordenskonvente nebst neuen geistlichen Kommunitäten für Frauen im südlichen und westlichen Vorstadtgebiet gekennzeichnet, wodurch die seit der Zeit Bischof Burchards stabile geistliche Ausstattung erstmals wieder Zuwachs bzw. Veränderungen erfährt189. Ende 1221 gründen zunächst die Franziskaner hinter dem Bürgerhof im Bereich der Nazariuskapelle ihre erste Niederlassung, die später in eine Liegenschaft in der Petersgasse (heute Petersstraße) verlegt wird. 1226 kommt es zur ersten Ansiedlung der Dominikaner, deren Niederlassung zwischen 1229 und 1233 zu heftigen Konflikten und schweren Misshelligkeiten mit Bischof Heinrich geführt hat. In diesem Fall verlief die Konfliktlinie zwischen dem als Förderer auftretenden Papsttum, das sich auf die Unterstützung der Bürgerschaft für die neue Niederlassung stützen konnte zum einen und dem Bischof mit seinem Stiftsklerus zum anderen. Letztere setzten sich gegen die massiven Eingriffe in gewachsene Rechte auf Kosten des in ihrer Hand befindlichen Pfarrklerus zur Wehr. Die erste den Predigerbrüdern zugewiesene Kirche war St. Andreasberg westlich vor der Stadt. Erst 1232/33 konnten die unter anderem um das Bestattungsrecht und Fragen der Kirchenzucht entbrannten Konflikte nach erheblichen Zuspitzungen und nach mehrfacher Intervention der Kurie beigelegt werden, der Konvent bezog sein dauerhaftes Quartier innerhalb der ummauerten Stadt190.

Im überregionalen Vergleich belegt der frühe Zeitpunkt der Niederlassung der Mendikanten in Worms die hohe urbane Qualität und die Bedeutung der Stadt. Starke Veränderungen gab es zwischen 1236 und 1242 im Bereich der weiblichen Konvente191. Im Jahr 1236/37 erhielt Bischof Landolf den päpstlichen Auftrag zur Reform der bis dahin einzigen Frauengemeinschaft, Maria- bzw. Nonnenmünster südlich vor der Stadt. Die Abtei wurde der Zisterzienserinnenregel unterstellt. Im März 1242 belehnte Bischof Landolf bemerkenswerterweise die Stadt mit der Klostervogtei; die Abtei stand auch über Schenkungen und Stiftungen in enger Beziehung zu führenden Kreisen der städtischen Bürgerschaft192. 1253 wurde der Abtei die benachbarte Pfarrei St. Cäcilia inkorporiert193. Zum Zeitpunkt der Reform des Klosters Nonnenmünster 1236 hat es mit dem Reuerinnenkloster (St. Maria Magdalena, Bergkloster) bei St. Andreasberg westlich vor der Stadt vermutlich bereits eine weitere weibliche Kommunität gegeben, da der Bischof im Dezember 1238 einen Ablass zu Gunsten der hier erstmals sicher greifbaren, vielleicht einige Jahre älteren Gemeinschaft beurkundet hat. Im Jahr 1243 wurde dem Kloster die Pfarrkirche St. Andreasberg übertragen194. Mit dem südlich vor Worms gelegenen Frauenkloster Kirschgarten (später eindeutig zisterziensisch), erstmals sicher greifbar 1237 (der bischöflicherseits betriebene Gründungsvorgang hat hier nach chronikalischen Notizen bereits 1226 eingesetzt), tritt in kurzer Zeit eine dritte weibliche Religiosengemeinschaft in das Licht des Überlieferungszufalls195. All dies vermittelt einen Eindruck von der Intensität des Gemeinschaftslebens, dem großen Bedarf an weiblichem religiösem Leben in Worms und von der Bereitschaft der führenden städtischen Familien als den maßgeblichen Trägern der neuen bzw. reformierten Einrichtungen zu Stiftungen und Schenkungen an die neuen Orden. Die Jahre zwischen 1220 und 1245 markieren damit einen starken Ausbau der religiösen Infrastruktur und eine enorme äußere wie bauliche Stadtentwicklung.

Geschichte der Stadt Worms

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