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Vom Auftreten des Stadtrates bis zur ersten Rachtung (1198–1233)

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Der nach Kaiser Heinrichs VI. Tod im September 1197 einsetzende Thronstreit, der die staufische Reichsherrschaft in eine tiefe Krise stürzte, hatte zunächst auf die städtischen Verhältnisse keine direkt fassbaren Auswirkungen. In das Jahr 1198 datieren nach längerem Schweigen der Quellen gleich zwei weitere Erwähnungen des Friedensgerichts, die dessen zwitterhafte Stellung zwischen Gerichtsgremium und Stadtrat verdeutlichen. Zudem findet sich die erste Nennung des Wormser Stadtsiegels. Bischof Lupold (1196/98–1217), Neffe Bischof Konrads II. und entschiedener Anhänger der staufischen Partei und damit König Philipps von Schwaben (1198–1208, April 1198 Festkrönung in Worms) am Mittelrhein128, seit 1200 auch Erzbischof von Mainz sowie 1199/1220 Abt von Lorsch, bekundete in diesem Jahr einen Güterverkauf an die Zisterzienserabtei Schönau.

Nachdem die Ministerialen und Bürger bereits in einer Urkunde des Jahres 1197 mit ihrer Anwesenheit die Wahrung städtischer Interessen bei einer Regelung des Patronatsrechts für die innerstädtische Pfarrei St. Rupert demonstriert hatten129, wird das städtische Führungsgremium ab 1198 immer öfter selbst als handelnd bzw. in Entscheidungen einbezogen erwähnt. Die Zeugenreihe einer Urkunde des Jahres 1198 nennt nach einer Namensliste die 40 Richter (et de quadraginta iudicibus in Wormatia) als an dem Verkauf als Zeugen beteiligte Gruppe. Dazu wird das Siegel der Wormser Bürger (sigillocivium Wormatiensium) neben denen des ausstellenden Bischofs und des Stifts St. Cyriakus/Neuhausen angekündigt130. Von dieser Zeit an ist eine enge Verbindung von Rechtsgeschäften mit den beiden in Worms präsenten Zisterzen Otterberg und Schönau in den Quellen nachweisbar. Die Nähe zwischen der führenden stadtbürgerlichen Gruppe und den im städtischen Wirtschaftsleben engagierten Reformorden ist ein von nun an konstanter Zug. Der Überlieferung beider Klöster verdanken wir einen erheblichen Teil der bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts auf uns gekommenen Quellen der Stadtgemeinde. Ebenfalls 1198 hat Bischof Lupold für das Andreasstift eine dessen verstorbenen Propst betreffende Urkunde ausgestellt. Die Zeugenliste nennt hier nach 13 Geistlichen namentlich 11 Laien »und andere von den 40 Ratsleuten« (et alii de quadraginta consiliariis131). Dass aus einem Jahr zwei Urkunden überliefert sind, die dasselbe Gremium mit unterschiedlichen Ausdrücken bezeichnen, lässt erkennen, dass die Grenzen zwischen dem Stadtrat132 (als der der Kreis in der zweiten Quelle erscheint) und den Gerichtsgremien fließend sind.

Wichtig für den Hintergrund des städtischen Handelns ist der im Januar 1198 abgeschlossene Vertrag zwischen der Stadt Speyer und dem noch als dux Sueuie urkundenden künftigen König Philipp von Schwaben, in dem den Bürgern das Recht bestätigt wurde, zwölf Vertreter zu wählen, »durch deren Rat die Stadt regiert werden soll«133.

Bischof Lupold musste wegen seines starken Engagements im Reichsdienst und seiner zahlreichen diplomatisch-kirchlichen Auseinandersetzungen um das Mainzer Erzbischofsamt sein Bistum und seine Stadt vernachlässigen, was zu dem seit ca. 1200 sehr deutlich festzustellenden Machtzuwachs des Rates stark beigetragen hat. Lohnenswert ist auch ein Blick auf die Besiegelungspraxis: Das Stadtsiegel tritt von Beginn an schwerpunktmäßig in Kombination mit anderen Siegeln auf; der Stadtrat bzw. das Richtergremium lassen sich mithin zunächst als Mitsiegler nachweisen. Dies relativiert die in jüngster Zeit mit guten Gründen infrage gestellte Gleichsetzung des Vorhandenseins eines Stadtsiegels mit der Existenz einer »autonomen« Stadtgemeinde. Auch das Wormser Stadtsiegel ist zu verstehen als ein Spiegel der »Symbiose von Bischofsherrschaft und gemeindlichen Organisationsformen unter der Führung weniger dominierender Familien«134.

Die Tatsache, dass die Ministerialen und Stadtbürger von nun an wesentlich häufiger als Kollektiv auftreten und dass dies keineswegs nur bei Angelegenheiten der Fall ist, welche die Stadt betreffen, lässt sich auch dahin gehend verstehen, dass die Autorität der Bischofsherrschaft vor dem allgemeinen unsicheren politischen Hintergrund einer zusätzlichen Absicherung bedurfte. Zudem ist darauf aufmerksam zu machen, dass in den 1190er Jahren eine archäologisch bezeugte, technisch aufwändige Erweiterung der ummauerten Stadt nach Osten, zum Rhein hin, erfolgt ist, die das gemeinschaftliche Auftreten der Stadtgemeinde und ihrer führenden Vertreter in besonderem Maße erforderlich gemacht hat bzw. weiter gestärkt haben dürfte135.

Eine neue Qualität des Auftretens der Stadt als Gemeinschaft und ihrer entsprechenden Anerkennung ist mit der ersten erhaltenen, von der Stadt ausgestellten Urkunde aus dem Jahr 1202 erreicht. »Ministerialen, Ratsleute und die gesamte Bürgerschaft« sind Aussteller eines für die Zisterzienserabtei Wörschweiler angefertigten Dokuments136, in dem Domkanoniker und Ratmannen als Zeugen einer von dem Wormser Ritter David von Hochheim und seiner Frau vorgenommenen Schenkung fungieren. Auch hier siegelt die Stadt nicht allein, sondern in Gegenwart des Bischofs. Das Selbstbewusstsein der städtischen Führung in den Jahren unmittelbar nach 1200 lässt sich immer besser urkundlich verfolgen, wobei in dieser Zeit (vielleicht im Zeitraum von 1204 bis 1208) auch das Barbarossadiplom von angeblich 1156 gefälscht worden sein könnte.

In Anwesenheit König Philipps von Schwaben und mit ausdrücklich vermerkter Zustimmung Bischof Lupolds haben die Bürger der beiden in vieler Hinsicht untereinander verbundenen Städte Speyer und Worms kurz vor der Ermordung des Königs (21.6.1208) – vielleicht schon 1207 – einen bemerkenswerten Zollvertrag mit detaillierten Regelungen für das Wirtschafts- und Handelsleben bzw. die Zollsätze und fälligen Abgaben ihrer Bürger abgeschlossen und bis zum Jahr 1209 auch beurkundet137. Die Übereinkunft verweist bereits auf späteres städtebündisches Verhalten. Die Quelle nennt die Verwendung von Finanzmitteln für kommunale Zwecke (ad commune opus civitatis) und lässt erkennen, dass die Stadt über eigene, unter anderem für Verteidigungszwecke zu verwendende Mittel verfügt hat. Ebenfalls aus dem Jahr 1208 datiert eine wiederum von den »Wormser Bürgern« ausgefertigte Urkunde über die erneuerte Schenkung eines Hofes in der Stadt durch die Bürgerin Gisela (burgensis nostra Gisela) an das Andreasstift, die im Kreuzgang der Domkirche ausgestellt wurde. Auch hier siegelt die Stadt allein138. Die Urkunde ist vor allem durch die Bezeichnung der Schenkgeberin als soror ecclesie sancti Andree von Bedeutung, eine Formulierung, die auf das Vorhandensein einer bislang nicht beachteten weiblichen Religiosengemeinschaft an St. Andreas (oder dem späteren Reuerinnenkloster St. Andreasberg?) ebenso hinweist wie auf die Bindungen führender Familien an die Kollegiatstifte.

Fast zeitgleich, im November 1208, hat König Otto IV. nach seiner allgemeinen Anerkennung als Reichsherrscher bei einem Aufenthalt in Worms Rechte und Privilegien der Stadt bestätigt und damit die Stellung des Rates weiter gefestigt139. Einblick in die rechtlichen und personellen Gegebenheiten der Stadtverfassung und die engen Bindungen der Bürgerschaft an die aufblühenden Reformklöster um diese Zeit gewährt eine 1213 ausgestellte Schenkungsnotiz des im Rheingau gelegenen Zisterzienserklosters Eberbach140. Zwei offenbar aus Worms stammende Familiaren der Abtei beurkunden darin eine Besitzübertragung in Dienheim (südlich von Oppenheim) und Worms. Für die Bewohner des Wormser Klosterhofes am Obermarkt wird festgehalten, dass sie zu den bürgerlich-städtischen Verpflichtungen (necessitates burgensium et civitatis) herangezogen werden sollen. Damit sollte sicher die Beanspruchung geistlicher Sonderrechte – vor allem die Befreiung von den städtischen Verteidigungs- und Finanzlasten – von vornherein ausgeschlossen werden. Die Vereinbarung wurde »vor den Richtern und Bürgern von Worms« ausgefertigt, wobei die Zahlung aller Summen an diese bekundet wird, welche »das bürgerliche Recht erfordert«. Das in Ausbildung begriffene städtische Recht umfasste demnach zu Beginn des 13. Jahrhunderts kommunale Abgaben und Steuern. Die Bezeichnung des offenbar institutionell noch nicht gefestigten Führungsgremiums schwankt innerhalb kurzer Zeit. So haben im selben Jahr die Wormser Ratsleute im Bereich der Königspfalz bzw. des Bischofspalastes einen Güterbesitz betreffenden Vertrag mit dem Cyriakusstift fixiert141.

Der Rat wird im Jahr 1215 wieder als Gesamtheit genannt, als Bischof Lupold vor Klerus, Ministerialität und Bürgern wiederum in seinem als Rechtsort wichtigen Palast »mit dem gesamten Wormser Rat« eine Urkunde für die Zisterze Otterberg ausgestellt hat, die ebenso wie Schönau seit etwa 1200 in sehr engen Beziehungen zur Stadt steht142. Den einzigen ausdrücklichen Hinweis, dass der Rat zu diesem Zeitpunkt aus 40 Personen bestanden hat, können wir einer in der Stephanskirche (bischöfliche Palastkapelle) am Martinstag 1216 ausgestellten Urkunde des Dompropstes und Domkapitels entnehmen, die gemeinsam mit den führenden Gremien der Stadt (universitas concilii et primatum eiusdem civitatis) ein Rechtsgeschäft der Abtei Schönau schriftlich fixiert. In der Zeugenreihe sind 22 namentlich genannte Angehörige des Rates zu finden. Der hier bezeichnete Kauf von Allodialgut durch den Abt ist »durch Vermittlung und Zustimmung der 40 Ratsleute« erfolgt. Sieben Ministeriale treten als Bürgen bzw. Garanten des Rechtsgeschäfts auf143. Derartige Besitztransaktionen müssen in hohem Maße die Interessen der führenden Kreise der Stadtbevölkerung betroffen und deren jetzt deutlich stärker als bis ca. 1200 erkennbare Initiative gefördert haben.

Eine neue Qualität erreichte das Handeln der städtischen Seite kurze Zeit nach dem etwa ein Jahr lang die Bischofsherrschaft stark schwächenden Schisma (1217/18) auf dem Bischofsstuhl nach dem Tod Bischof Lupolds bis zur Bestätigung seines Nachfolgers Heinrich von Saarbrücken (1217/18–1234). Im April 1220 gelang dem Rat der Erwerb eines ältere Privilegien bestätigendes Diploms Kaiser Friedrichs II.144 und damit die ausdrückliche Bekräftigung des (angeblichen) Stadtfriedens aus dem Jahr 1156, womit das bestehende Gerichts- bzw. Ratsgremium explizit anerkannt wurde. Auf höchster politischer Ebene werden die Vertreter der Stadt fast zeitgleich genannt, als Ministerialen, Ratsleute und Bürger ihre Zustimmung zur Belehnung Friedrichs II. mit dem bischöflichen Vorort Wimpfen am Neckar durch Bischof Heinrich geben145. Dieser Vorgang macht das Ausmaß des erreichten Zustimmungsrechts der Stadt im Hinblick auch auf Fragen des Verhältnisses zum Reichsoberhaupt und zum Hochstift deutlich. Das selbstbewusste Auftreten der führenden Kreise an der Spitze der Stadtgemeinde nach innen und der betonte Anspruch auf die Regelungskompetenz für innergemeindliche Fragen werden im gleichen Jahr deutlich. Mit Bezug auf die Ehre und den öffentlichen Nutzen der Stadt erlassen »Ministerialen, Richter und Ratsleute« im August 1220 eine aufschlussreiche Verordnung146, in der verboten wird, Fremde den Belästigungen durch Gaukler auszusetzen, nach Begräbnissen Gastmähler abzuhalten und (im Interesse der Vermeidung unnützer Kosten) Gelage in Häusern abwesender Wormser Bürger abzuhalten. Unter anderem ist die Erwähnung der fabrica civitatis, also gleichsam der Stadtkasse, als Empfängerin von Geldbußen von Relevanz. Mit der programmatisch vorgetragenen Regelung detaillierter Fragen des Zusammenlebens erreicht die in den Quellen ablesbare Regelungskompetenz der Herrschaft beanspruchenden und ausübenden Führungsgruppe der Stadt eine neue Stufe. Denkbar ist, dass das mit 40 Angehörigen große Ratsgremium zur besseren Bewältigung seiner Aufgaben mit den beiden (hier erstmals und in der Datierungszeile (!) genannten) Bürgermeistern zwei Vertreter an seine Spitze gesetzt hat, die von nun an – bei schwankender Terminologie – in den Quellen Erwähnung finden147. Das Zeugnis belegt, wie sehr die Verhältnisse an der Spitze der Stadtgemeinde im Fluss sind. Ein weiteres Indiz dafür ist auch eine 1223 wiederum das Kloster Schönau betreffende Urkunde, in der sich die städtischen Aussteller als Universi iuris consulti, iudices et concives in Wormatia bezeichnen. Anwesend bei dem in der Kilianskapelle fixierten Rechtsakt, dem ein gleicher Vorgang beim Gerichtstag vorausgegangen war, sind von der Geistlichkeit der Dompropst und der Kustos des Stifts in Neuhausen148.

Dass zu Beginn der 1220er Jahre die an der Stadtherrschaft beteiligten Kräfte an der Regelung der städtischen Angelegenheiten Anteil hatten, zeigt exemplarisch eine ›öffentlich und feierlich‹ im bischöflichen Hof zu Worms coram episcopo et consiliariis Wormatiensibus erfolgte Güterschenkung an Otterberg, die von König Heinrich (VII.) genehmigt wurde149. In den aus der Zeit bis zum Ende der 20er Jahre belegten Quellen ist überwiegend von den ›consules‹ bzw. ›consularii‹ als Handelnden die Rede; 1226 werden der Rat und die universitas civium genannt. In diesem Jahr muss es auch zu einem städtebündischen Zusammengehen zwischen Worms und anderen Städten der Region gekommen sein, über das allerdings nur wenige gesicherte Angaben gemacht werden können150.

Aus den Jahren ab etwa 1226/29 datieren dann erste Hinweise auf Konflikte zwischen Bischof und Geistlichkeit zum einen und dem Rat zum anderen um zentrale Fragen der Stadtherrschaft und der herrschaftlichen Kompetenzen innerhalb bzw. gegenüber der Stadt und ihrer Bevölkerung. In diesem Zusammenhang ist auf die seit den 1220er Jahren immer verheerender werdenden finanziellen Zustände im Hochstift aufmerksam zu machen, die als Hintergrund der nun einsetzenden, bis zur Regelung der Besetzung des Rates Anfang 1233 (Erste Rachtung) eskalierenden Konflikte betrachtet werden müssen. An den Streitigkeiten, die sich im Übrigen mit Konflikten zwischen Bischof, Domkapitel, Stadtklerus und den 1226 nach Worms gekommenen Dominikanern um deren Niederlassung ab 1229 überschnitten haben (s.u.), sind der Bischof, die Geistlichkeit, Vertreter der Stadt sowie König Heinrich (VII.) und Kaiser Friedrich II. beteiligt. Als Ursachen für die in grundsätzliche Fragen der Stadtherrschaft gehenden Meinungsverschiedenheiten werden von geistlicher Seite zunächst Übergriffe auf Rechte und Privilegien der Kirche ins Feld geführt, Klagen, hinter denen unter anderem die stärkere finanzielle Beanspruchung der ohnehin monetär klammen Geistlichkeit vermutet werden kann. Offener Konflikt entzündete sich an der Frage einer vom Bischof für die Reise zum Reichstag nach Ravenna von den Bürgern geforderten Beisteuer. Schließlich entschied sich die Ratsmehrheit für die Entsendung einer eigenen Gesandtschaft zu dem von Kaiser Friedrich II. einberufenen Reichstag. Auf diesem wurden nun Beschlüsse gefasst, die deutlich gegen eigenständige städtische Ratsgremien, wie sie sich auch in anderen Bischofsstädten herauszubilden begonnen hatten, vorgingen und die Bildung und Tätigkeit von Räten und Bruderschaften in den Städten zu unterbinden suchten. Die Zielrichtung war dabei die Aufrechterhaltung der stadtherrschaftlichen Position der Bischöfe gegen die vermehrten Ansprüche bürgerlicher Gremien auf Teilhabe an der Stadtherrschaft.

Der Wormser Konflikt ist jedoch nicht nur wegen dieser verfassungsrechtlichen Streitigkeiten interessant. Als Zeichen der Absetzung von der bischöflichen Herrschaft hatten der Rat bzw. die Ratsherren (consules) vor dem Jahr 1232 ein großes steinernes (also befestigtes) Haus an der Hagenstraße samt einem bis zur Nazariuskapelle reichenden Areal erworben und es für ihre Zwecke aufwändig um- und ausgebaut; hier fanden nun die Beratungen (consilium) der Ratsherren statt, wobei man den Bischof, wie es in den Wormser Annalen heißt, »gleichsam für nichts erachtete«151. Unter Absetzung von der traditionell engen räumlichen Zusammengehörigkeit versuchten die Ratsmitglieder, sich dem öffentlichen, gegenseitige Kontrolle und Legitimation verschaffenden Dombereich zu entziehen und ihre Autonomiebestrebungen auf diese Weise – eben durch ein eigenes Rathaus – sinnfällig zu demonstrieren; ein Vorhaben, das bei Bischof und Geistlichkeit verständlicherweise auf heftigen Widerstand stoßen musste. Der Versuch misslang zwar, da das Haus nach seiner vom Kaiser vorgenommenen Übertragung an die Wormser Kirche im Frühjahr 1232 abgebrochen wurde152, doch stellt sich die Frage, wie es mit dem Schicksal des Versammlungsplatzes vor dem Dom bestellt war. Erstaunlicherweise gab es nach der »Niederlage« der städtischen Seite im Konflikt 1232/33 sehr lange keine Versuche mehr, die Gültigkeit dieser Stelle als originär städtischem Versammlungsplatz infrage zu stellen.

Es gelang dem Wormser Bischof im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen Friedrich II. und seinem Sohn Heinrich (VII.) mit Hilfe der übrigen Reichsfürsten, die bis 1231 eingetretenen Verhältnisse hinsichtlich der Größe und eigenmächtigen Bestimmung des Rates für ungültig erklären zu lassen. Nach mehrmonatigem Hin und Her sowie dem Einsatz von Kirchenstrafen (Bann, Interdikt etc.) wurde im Februar 1233 zwischen den Beteiligten eine Übereinkunft in Gestalt einer Neubestimmung über die Ratswahlen (die so genannte Erste Rachtung) abgeschlossen153. Nach dieser als Kompromiss unter Berücksichtigung der ausbalancierten Interessen aller Seiten zu interpretierenden Regelung erhielt der Bischof – unter Einbeziehung des Dompropstes als Vertreters der Geistlichkeit – das Recht, unter den Wormser Bürgern neun geeignete Ratsleute zu wählen. Diese hatten dann unter Eid sechs Wormser Ritter (milites) hinzuzuwählen, sodass von nun an ein 15-köpfiger Rat amtierte, dem auch der Bischof selbst angehören sollte, wobei die Ratsmitglieder auf Lebenszeit in ihrer Funktion blieben. Für Beschlüsse war die Mehrheit der Ratsstimmen erforderlich. Im Falle seiner Abwesenheit konnte der Bischof einen geeigneten Vertreter delegieren. Die Wahl des Schultheißen und anderer Amtsträger – darunter auch je vier Vertreter der vier innerstädtischen Pfarreien – sollte jährlich am Martinstag (11.11.) erfolgen. Der König hatte einen der beiden Bürgermeister aus der Riege der bürgerlichen Ratsmitglieder zu ernennen, der zweite Bürgermeister sollte dagegen vom Bischof aus den sechs ritterlichen Ratsleuten bestimmt werden. Mit Ausnahme der in ihrem Bestand ausdrücklich bestätigten Hausgenossen und der hier quellenmäßig erstmals greifbaren Gemeinschaft der Pelzhändler bzw. Kürschner wurden alle bruderschaftlichen Vereinigungen von Bürgern (fraternitates civium) verboten. Offenkundig hatten sich bis um 1230 auch im gewerblichen Bereich handlungsfähige Gemeinschaften zur Interessenvertretung herausgebildet, über die die Quellen bis dahin allerdings schweigen. Die hier angesprochene Gemeinschaft mit besonderem Charakter findet sich in ähnlicher Weise auch in Trier und Straßburg; es handelt sich um zum bischöflichen Hofpersonal gehörige angesehene Kürschner und Pelzhändler, die vormals dem Stadtherrn zu besonderen Dienstleistungen verpflichtet waren. Ihre Genossenschaft bewahrte bis mindestens in das 14. Jahrhundert eine punktuell immer wieder einmal fassbare rechtliche Sonderstellung in der Stadt, die auf die anfangs starke Nähe zum Bischof zurückzuführen ist und die sich noch im gemeinsamen Besitz eines Hauses um 1300 manifestiert154.

Die jüngere Forschung hat hinsichtlich der fortbestehenden Präsenz derselben Familien im Ratsgremium und ihrer Nennung in den urkundlichen Zeugenreihen vor und nach 1233155 sowie im Hinblick auf die Gesamtverfassung der Stadt die Kontinuität der Ratsentwicklung über die Rachtung hinaus zu Recht stärker betont als in den Regelungen einen Bruch zu sehen, wohin die ältere Forschung neigte. Dem ist zwar zuzustimmen, zugleich markieren die Jahre 1231 bis 1233 aber den Beginn einer gegenüber der Zeit bis 1230 neuen Phase, in der das Zusammenleben der an der Stadtherrschaft beteiligten Kräfte erstmals von offenen Konflikten gekennzeichnet wird. An die Stelle des aus der evolutionären Entwicklung der städtischen Verhältnisse heraus erwachsenen Rates tritt ein vom Bischof gewähltes Gremium, eine für die Legitimation des Auftretens und die prinzipiellen Einwirkungsmöglichkeiten und Reservatrechte des Bischofs und der Geistlichkeit nicht unwichtige Neuerung, wie die weitere Entwicklung der Ratsherrschaft zeigen sollte. Allerdings setzt sich die gemeinsame Bekundung und Besiegelung von Rechtsgeschäften durch Bischof, Stiftsgeistlichkeit und Stadt auch in den 1230er und 1240er Jahren noch längere Zeit fort, wobei in den Urkundenformeln seit ca. 1245 in der Regel Consules et universi cives (Ratmannen und alle Bürger) als Aussteller entgegentreten.

Im Rückblick lässt sich für die Entwicklung bis zum Jahr 1233 zusammenfassend feststellen: Der staufisch-welfische Thronstreit ab 1198 kann auch in Worms als wesentlicher Faktor der raschen Fortentwicklung des kommunalen Handelns angesehen werden; die städtischen Kräfte erhalten bzw. beanspruchen spätestens in dieser Zeit wesentlich mehr Handlungsfreiheit. Der Bischof stützt sich stärker auf die Zustimmung seines sich immer weiter verselbstständigenden personellen Umfeldes. Die Krisenphase der Bischofsherrschaft 1217/18 verschärft auch die wirtschaftlichen Probleme in der Wormser Kirche sowie im kleinen und stets gefährdeten Hochstift. Als wesentliche Faktoren für die allmähliche Auseinanderentwicklung der Interessen von Stadt und bischöflichem Stadtherrn (samt seinem Umfeld) sind Fragen der Finanzen und der abnehmende Respekt vor Grundfragen der bischöflichen Oberhoheit (Beratungsort des Rates) sowie das Eingreifen der Reichsgewalt auf geistlicher Seite ab 1231 anzusehen.

Das Abrücken beider Seiten von der traditionellen Zustimmungs- bzw. Übereinstimmungsgemeinschaft aller Beteiligten seit etwa 1226 stellt etwas qualitativ Neuartiges dar. Das Auftreten der Bettelorden seit den 1220er Jahren und die ab 1200 allmählich erkennbare Position der Pfarreien als eigenständige Größen im Gefüge der Stadtherrschaft verschieben die Konstellation nochmals und bringen neue Kräfte in das komplexe stadtherrschaftlich-geistliche Gefüge. Zugleich dominieren die bis dahin nachweisbaren Familien weiterhin die Zusammensetzung des »neuen«, kleineren und schlagkräftigeren Rates. Die Kompetenzen des Rates werden nicht erkennbar verändert oder angetastet. Trotz der Rachtung von 1233 setzen sich die seit ca. 1200 fassbaren Kräfteverschiebungen fort.

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