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Die Formierung der Stadt: Worms in der Salierzeit (1025–1125)

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Die Entwicklung der Stadt in der Zeit nach 1025 liegt bis um 1073/74 in tiefem Dunkel. Nach den großen Anstrengungen unter Burchard kehrte jedenfalls hinsichtlich der äußeren Entwicklung wieder mehr Ruhe ein. Nur mit Mühe sind die Grundzüge der Bischofsherrschaft und die unterschiedlich engen Beziehungen zum Reich und den salischen Herrschern erkennbar53. Wichtig erscheint, dass der Dom trotz des beginnenden Ausbaus von Speyer als künftiger Familiengrablege der Königsfamilie unter Konrad II. in der Funktion als Familiengrab zunächst noch gestärkt wird; dies erfolgt durch seine in der Forschung stark beachtete Memorienstiftung für die Wormser Domkirche vom 30. Januar 1034, die auch für die Rekonstruktion der Grabanlage grundlegende Bedeutung besitzt54. Demnach ruhen die namentlich genannten Körper der Familienangehörigen am Heilig-Kreuz-Altar. Verfügt werden die Abhaltung einer täglichen Messe, die Anbringung einer ewigen Lampe und die Festlegung feierlicher Messen samt Ausgabe von Almosen am Jahrtag von Konrads hier bestattetem Vater Graf Heinrich. Die Nennung des Heilig-Kreuz-Altars lässt vor dem Hintergrund der engen Bindungen der Salier an dieses aufblühende Patrozinium bzw. die sehr rasch wachsende Kreuzesverehrung die Annahme gerechtfertigt erscheinen, dass im Zusammenhang der Stiftung auch der Altar – etwa zwölf Jahre nach dem Abschluss des Dom-Neubaus – gestiftet bzw. errichtet worden sein könnte. Im Juni 1034 beurkundete Burchards Nachfolger Bischof Azecho (1025–1044) die von ihm im Dom erfolgte Stiftung eines Altars der beiden römischen Märtyrerheiligen Hippolyt und Nikomedes zum Gedächtnis und für das Seelenheil seines »senior« Kaiser Konrad II. und seiner Frau Gisela sowie ihres Sohnes Heinrich samt einer Güterübertragung 55. Daneben stehen zwei fast zeitgleiche weitere Altarstiftungen zu Gunsten der Heiligen Mauritius und Kilian in den Jahren 1033/34, die den Eindruck einer gezielten kultischen Aufwertung des Dombereichs und die beabsichtigte Stärkung des Memorialdienstes am Dom unterstreichen. Neben der Dotierung einer dem heiligen Mauritius geweihten Kapelle wohl südlich des Domes kommt es zur Stiftung einer dem heiligen Kilian geweihten Kapelle im Bereich der inneren Stadt56. Besonders wichtig ist die 1058 geweihte Nikolauskapelle57, Zeugnis für die beginnende Verehrung des Heiligen im Rheinland (vgl. Weiheinschrift Abb. 84 S. 741).

Die zeitweilig engen Bindungen von Bischöfen und Stadt an das Reich spiegeln sich vor allem in den zahlreichen Hof- und Reichstagen wieder, von denen die Wormser Versammlung vom Dezember 1048, auf der König Heinrich III. mit Bruno von Toul (Leo IX.) den für die Reform der Kirche sehr wichtigen, aus dem Elsass stammenden Geistlichen zum künftigen Papst designiert hat, herausragt58. Heinrich III. hat sich öfter in Worms aufgehalten, wobei unter seinem Nachfolger Heinrich IV. die Bedeutung der Stadt für das Königtum noch stärker greifbar ist; so hat dieser zwischen 1066 und 1076 etwa 20-mal in der Stadt geweilt und hier mehrfach hohe Kirchenfeste begangen59.

Quellenbedingt ist die Fortentwicklung der bischöflichen Stadtherrschaft für die Zeit von Burchards Nachfolgern kaum zu rekonstruieren60. Die Jahrzehnte nach 1025 müssen jedoch gleichsam als eine Inkubationszeit für grundlegende gesellschaftliche Entwicklungsprozesse angesehen werden, die unter anderem mit dem Begriff der Zensualität verbunden sind. Ausgangspunkt für die Beleuchtung der innerstädtischen Verhältnisse ist das erwähnte Hofrecht (um 1023/25), das mit der Erwähnung regelmäßiger, rechtlich geschützter Versammlungen der Bürger (conventus concivium) ein interessantes Indiz für die Existenz einer Gerichtsgemeinde der Stadtbewohner erkennbar macht61. In der jüngeren Literatur – unter anderem für das in vielem mit Worms vergleichbare Speyer62 – wird vor allem die Rolle der Zensualität für die Stadtentwicklung betont, die seit der Zeit Burchards auch in Worms nachgewiesen werden kann. Die Teilhabe des personellen Umfelds des Stadtherrn an dessen Entscheidungen ist eine seit der Zeit Bischof Burchards hervortretende Konstante des bischöflichen Handelns.

Das Ausmaß der Fortentwicklung der städtischen Verhältnisse tritt nach längerem Schweigen der Quellen zum Jahreswechsel 1073/74 plötzlich in das Licht der Überlieferung. Vor dem Hintergrund der krisenhaft zugespitzten politischen Situation im Reich und angesichts einer nahezu aussichtslosen Lage für die Königsherrschaft Heinrichs IV. wurde dieser nach dem Bericht des zeitgenössischen Chronisten Lampert von Hersfeld von den Stadtbürgern feierlich in die Stadt aufgenommen, nachdem der Stadtherr vertrieben worden war. Bewaffnet und gerüstet zogen die Wormser Heinrich entgegen, gelobten ihm Beistand und schworen Treue und Hilfe. So verfügte der König nach Lamperts Worten über eine hervorragend befestigte Stadt; sie war nach seiner Schilderung »volkreich, ihre Mauern uneinnehmbar, durch die Fruchtbarkeit der Umgebung war Worms reich«63. Die Stadt verfügte offenbar über starke Befestigungsanlagen und einen ausgeprägten Wehrcharakter. Die Wehrgemeinschaft der Stadtbewohner kann als wesentliches gemeinschaftsförderndes Element angesehen werden. Deutlich wird die enge Bindung an den König und sein personelles Umfeld. Die Wormser Bürger treten erstmals als politisch-militärischer Faktor hervor, während der Bischof aus der Stadt ausziehen muss. Von nun an spielt die Stadt eine wesentliche Rolle für das salische Königtum.

Als programmatisches Dokument der Dankbarkeit in einer außergewöhnlichen politischen Konstellation, als demonstratives politisches Manifest ist die von Heinrich IV. am 18. Januar 1074 den Wormsern ausgestellte, im Stadtarchiv erhaltene Urkunde anzusehen, deren dispositiver Teil lediglich einen Satz enthält und die vor allem ein Lob der als vorbildlich gefeierten Tat der Bewohner (Uormatiensis civitatis habitatores) darstellt64. Den »Juden und übrigen Wormsern« wird im Gegenzug für ihre Hilfe der Zoll an genannten königlichen Zollstätten erlassen. Festzuhalten ist, dass es sich hier um die erste den Bewohnern einer Stadt als Kollektiv ausgestellte Herrscherurkunde im Deutschen Reich überhaupt handelt. Für die Situation in der Stadt ist es interessant, dass die Bewohner im Vorfeld gemeinschaftlich gehandelt hatten (communi civium favore). Bereits die Tatsache, dass die Urkunde und die nach ihr folgenden Privilegien in einer städtischen Archivüberlieferung verblieben sind, zeigt, dass es ein funktionsfähiges Leitungs- und Beratungsgremium oder eine (wie auch immer geartete) auf Dauerhaftigkeit angelegte kommunale Organisationsform vor der Herausbildung einer fester institutionalisierten Stadtgemeinde gegeben haben muss. Nicht zu unterschätzen sind die legitimatorische Wirkung, die Freisetzung weiterer Triebkräfte zur fortschreitenden Gemeinschaftsbildung und die Steigerung des Selbstwertgefühls der Wormser frühstädtischen Führungsgruppe.

Die Jahre 1073/74 markieren neben der erstmaligen Anerkennung der Gemeinschaft der Stadtbewohner auf der Grundlage einer außerordentlichen ökonomisch-politischmilitärischen Machtstellung unter ausdrücklichem Einschluss der den Herrschern nahe stehenden, an Wirtschaftskraft und Handel besonders stark beteiligten Juden den Beginn einer bis zum Jahr 1125 reichenden Epoche nahezu ohne jede bischöfliche Herrschaft in der bzw. über die Stadt65. An die Stelle des formalen Stadtherrn (Bischof Adalbert lässt sich vor seinem Tod 1107 nur noch sehr kurzzeitig in Worms handelnd nachweisen) tritt nun bis 1125 das salische Königtum als diejenige Kraft, die die Stadtherrschaft und die finanziell-militärische Nutzung der Stadt und ihres Umlandes beansprucht. Dass dies in langen Zeiträumen der Abwesenheit der Herrscher und ihres Gefolges den städtischen Kreisen erheblich gesteigerte Einflussmöglichkeiten gab, ja dass die Fortexistenz öffentlicher Ordnung nun weitaus stärker die Beteiligung der Bürger und der führenden Familien an den öffentlichen Belangen notwendig machte, muss als Grundzug für die spätsalische Zeit beachtet werden. Seit den 1070er Jahren mehren sich die Anzeichen für ein gemeinschaftliches Handeln der Bewohner von Worms66. Im Zusammenhang mit der Wahl des Gegenkönigs Rudolf von Rheinfelden 1077 haben sich die mit militärischer Macht auftretenden Bürger gegen ihren zwischenzeitlich nach Worms zurückgekehrten Bischof Adalbert und den König verschworen67.

Das Interesse der salischen Herrscher an der Stadt hatte seinen Grund auch in den Beziehungen zu den ihnen unterstellen Juden und ihrer bedeutsamen Wormser Gemeinde. Seinen besonderen Ausdruck findet die äußerst enge Bindung zwischen den Juden und dem Herrscher in den Bestimmungen des Diploms Heinrichs IV. für die iudei de Wormacia (1090), die in gleicher Form den Juden von Speyer zugesichert und wohl von dieser Vorlage her übernommen wurden. Bekräftigt werden hier die Erlaubnis zum Geldwechsel, die Verfügung über christliche Dienstleute, die Bestätigung des Hausbesitzes der Juden an der Stadtmauer, das Verbot von Zwangstaufen sowie weitere, offenbar vom jüdischen Recht beeinflusste rechtliche Bestimmungen. Der König nahm in Worms die unmittelbare Schutzgewalt über die Juden in die Hand. Unklar bleiben Fragen der Gemeindeverfassung. Ein Vorsteher der Gemeinde ist sicher anzunehmen, er wird hier als »deren Bischof« (episcopus eorum) vorausgesetzt68.

Auf die Existenz eines ratsähnlichen Gremiums an der Gemeindespitze scheinen die hebräischen Quellen zur Kreuzzugsverfolgung von Mai 1096 zu verweisen, die für Worms die »Häupter der Gemeinde« nennen. Dem Herkommen entspricht die herrscherlich zugestandene Wahl von Funktionsträgern innerhalb der Gemeinde. Streitigkeiten unter den Juden sollen von ihnen selbst nach jüdischem Recht entschieden werden. Die Gemeinde als religiös fundierter Verband ist somit seit dem 11. Jahrhundert nachweisbar. Dass diese herrscherlich begünstigte Verbandsbildung nicht ohne Vorbildwirkungen für die noch ganz in den Anfängen stehende, gerade in den Jahren um 1100 in ihrer frühen Formierungsphase begriffene christliche Einwohnergemeinschaft geblieben ist, davon darf man schon angesichts des verhältnismäßig großen Anteils der Juden an Bevölkerung und Wirtschaftskraft der Stadt sicher ausgehen. So glänzend sich die Situation zum Zeitpunkt der Urkundenausstellung für die Juden theoretisch darstellt, so jäh ist die Katastrophe des Kreuzzugspogroms vom Mai 1096 gerade über die Wormser Gemeinde hereingebrochen. Michael Toch sieht die Lehrhäuser in Worms und anderswo »tödlich getroffen« und geht von einem dramatischen Einbruch des geistigen Schaffens in Worms und Mainz aus69. Wie geradezu erbärmlich es um die bischöfliche Autorität (aber auch die Eingriffsmöglichkeiten des Königtums) in der Stadt bestellt war, darauf werfen die Ereignisse des Pogroms am Beginn des Ersten Kreuzzugs ein grelles Licht. Wir wissen nicht einmal, wer zu dieser Zeit überhaupt anstelle des zwischenzeitlich abgesetzten Adalbert Oberhirte war. Es war keiner Seite möglich, das mehrtägige Blutbad mit seinen in die Hunderte gehenden Todesopfern zu verhindern oder die Juden zu schützen, wie dies der Speyerer Bischof für die von ihm 1084 angesiedelten Juden vermocht hat. Einer hebräischen Quellen zu entnehmenden Legende zufolge sollen die zwölf Gemeindevorsteher den Wormser Stadtrat (!) vergeblich um Schutz ersucht und nach dessen Verweigerung ermordet haben, bevor sie sich auf dem Friedhof das Leben nahmen. Die Ereignisse von 1096, für die Kreuzfahrer, Stadtbürger und Bewohner des Umlandes verantwortlich waren, bedeuteten einen tiefen Einschnitt vor allem in die seit der Jahrhundertmitte in hoher Blüte stehende Gelehrsamkeit der Wormser Talmud-Hochschule, an der mit Rabbi Salomo ben Isaak (Raschi) aus Troyes um 1060/65 eine der später größten Autoritäten der jüdischen Religionsgeschichte studiert hatte. Die Wormser Talmudhochschule (Jeschiwa) besaß in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts eine ungeheure Attraktivität; die Gemeinde, die ab 1076/77 einen Friedhof südwestlich vor der Stadt belegte (vgl. Karte 18, S. 684), stand in hoher Blüte. Die leidlich rasche Wiedergewinnung ökonomischer Potenz im Laufe des frühen 12. Jahrhunderts kann die tief greifenden Folgen des schweren Pogroms auch im Selbstverständnis und im kollektiven Gedächtnis der Gemeinde nicht überschatten.

In den ersten Jahren des 12. Jahrhunderts tritt uns in einer wirtschafts- wie verfassungsgeschichtlich gleichermaßen wichtigen Urkunde erstmals die beratende und in herrschaftlichen Belangen mitentscheidende Funktion einer Gruppe von optimates entgegen: In einem um 1106/07 von Bischof Adalbert ausgestellten Privileg heißt es, er habe auf Bitten und mit Beratung des Grafen Werner und anderer seiner »Besten« eine Gemeinschaft von 23 Fischhändlern mit einem erblichen Recht auf Mitgliedschaft eingerichtet, wobei das Recht auf Zuwahl in die Gemeinschaft »durch gemeinsame Beratung der Stadtbewohner« (urbanorum communi consilio) geregelt wird70. Dem Gremium wird das ausschließliche Recht auf den Handel mit Fisch in einem Bereich um die Stadt Worms herum zugesprochen. Die Maßnahme steht offenbar in einem Zusammenhang mit weiteren, Markt und Handelsleben betreffenden Verfügungen des Bischofs, wobei auch die Domkirche in die Verwaltung des Wirtschaftslebens einbezogen worden ist. Hinsichtlich der Frage nach der Stadtverfassung ist zunächst der erstmalige Hinweis auf den von den Saliern eingesetzten Stadtgrafen und Hochstiftsvogt von Bedeutung71. Von besonderem Interesse ist sodann die Selbstverständlichkeit, mit der diese Maßnahme durch Rat und Zustimmung eines Melioratsverbandes mitbestimmt wird, eine Rolle, die die Beteiligten für die Zukunft ausdrücklich fixieren. Nach der jahrzehntelangen Abwesenheit war eine Abstützung der bischöflichen Herrschaft (die – bedingt durch den Tod Adalberts 1107 – eine Episode bleiben sollte) durch Heranziehung der inzwischen gestärkten städtischen Kräfte offenbar unbedingt erforderlich.

Über die Verhältnisse in der Stadt erfahren wir drei Jahre nach Adalberts Tod – der Bischofssitz ist vakant – Näheres. Im Jahr 1110 wird in einer Notiz über eine Gütertransaktion des Paulusstifts von einer (sonst nicht bekannten) Memorienstiftung in der Zeit Bischof Arnolds (1044–1065) berichtet, die dieser zu Gunsten Kaiser Heinrichs II. (1002–1024) und dessen Gemahlin Kunigunde am Stift St. Paulus verfügt und dazu Besitzungen übertragen habe. Damit sollte deren Jahrgedächtnis von den Kanonikern in feierlicher Form durchgeführt werden72. Da jedoch die Pröpste in der Vergangenheit die Besitzungen entfremdet hätten, habe dieser die Großen (maiores) unter den Klerikern und Laien in der Stadt zusammengerufen, um über die damit zusammenhängenden Fragen zu beraten (convocatis de civitate maioribus clericis scilicet et laicis). Das Stift St. Paul hat eine der Legitimation dienende Versammlung der geistlichen und weltlichen Großen der Stadt zusammengerufen. Wie gesehen amtierte in dieser Zeit kein bischöflicher Stadtherr, Worms stand vielmehr unter direkter herrschaftlicher Kontrolle Kaiser Heinrichs V.73

Unter diesen Umständen haben offenbar gemeinsam mit den führenden ministerialischen Laien insbesondere die Wormser Stifte, an ihrer Spitze das Domkapitel, faktisch zentrale Aufgaben in der Organisation des städtischen Gemeinwesens übernommen. Die Liste der anwesenden städtischen Großen umfasst 30 Kleriker (darunter vier Stiftsdekane) und 30 Laien. In diesem öffentlichen Rahmen sind dann die korrigierenden Bekundungen erfolgt. Dabei werden Festlegungen über Fragen des Totengedenkens, auch und gerade für Heinrich II., getroffen. Anwesend sind insgesamt sechs Erzbischöfe bzw. Bischöfe, sodass der Vorgang im Zusammenhang mit dem Aufenthalt Heinrichs V. und seines Gefolges anlässlich einer Weihehandlung am Dom im Juni 111074 steht und auf diese Weise die besonders engen Bindungen der Stadt an den Herrscher markiert. Die Bestimmungen über das gleichsam kollektiv von Laien wie Geistlichen erneuerte Gedächtnis für das Königshaus verweist in auffälliger Weise auf die Bestimmungen in der bekannten Stiftung Heinrichs V. für das Totengedächtnis für sich und seine Vorfahren, das dieser gut ein Jahr später für den Dom zu Speyer fixiert hat. Angesichts der engen Beziehungen beider Seiten ist es sicher kein Zufall, dass die Stadtbevölkerung von Worms in diese zumindest indirekte Regelung des Gebetsgedenkens für Heinrich II. und andere Personen mit einbezogen worden ist. Die Urkunde wirft ein Schlaglicht auf die engen Beziehungen zwischen dem salischen Königtum, dem Paulusstift und der zunehmend an Fragen des Totengedenkens interessierten laikalen Führungsgruppe innerhalb der politisch aktiven Stadtbevölkerung, einen Zusammenhang, den wir allerdings mangels einer fehlenden Nekrologüberlieferung (im Gegensatz zur Situation in Speyer, wo das laikale Totengedenken in der Domkirche bereits um diese Zeit nachweisbar ist75) nicht genauer fassen können. Die Verfügung datiert nur wenige Jahre nach dem durch neuere Forschungen ermittelten Zeitpunkt, an welchem unmittelbar nach dem Ersten Kreuzzug (1096–1099) die orientalischen Vorbildern verpflichteten Bekrönungen der Türme der Stiftskirche von St. Paulus fertig gestellt worden sind (um 1105–1108), kunst- und kulturgeschichtliche Besonderheiten, die wiederum Vorbildwirkungen auch über Worms hinaus entfaltet haben76.

Das Verhältnis der Stadt Worms zu Heinrich V. ist zum einen von punktuellen militärischen Aktionen der Bürger gegen den Herrscher in den Jahren 1111, 1114 und 1124, zum anderen von der Erteilung wichtiger Privilegien, mit denen der Rechtsstatus der Bürgerschaft abgesichert und (zumindest partiell) erweitert wurde, gekennzeichnet77. Das mehrmalige militärische Vorgehen der Wormser ab 1111 löst sich bis zu Heinrichs Tod 1125 mit Phasen des friedlichen Miteinanders ab. Auch andere Bischofsstädte erweisen sich in der Zeit des Investiturstreits als militärisch-politische Machtfaktoren.

Erstmals gingen die Wormser im September 1111 gegen den Herrscher vor, der sich erkrankt in Neuhausen, dem wenige Kilometer nördlich von Worms gelegenen Sitz des St. Cyriakusstifts, aufhielt. Im Hintergrund stand möglicherweise der Wunsch nach einer Bestätigung bzw. Erweiterung der Privilegien, nachdem die Speyerer Bürger unmittelbar zuvor ein herausragendes und in der Stadtgeschichtsforschung zu Recht stark beachtetes Privileg erhalten hatten (s.u.). Als Handelnde treten 1111 in den erzählenden Quellen die Wormser hervor, die einen bewaffneten Vorstoß unternommen hätten. Im Zusammenhang des schweren Konflikts zwischen Heinrich V. und seinem Kanzler, dem Mainzer Erzbischof Adalbert I. von Saarbrücken, trat dann Ende 1112 auf kaiserlicher Seite der Vorwurf auf, Adalbert habe Klerus und Volk von Worms gezwungen, einen Bischof zu wählen und den Tod des Herrschers vorzubereiten78. Adalbert habe es vermocht, fast die ganze Bürgerschaft gegen den Kaiser zu bewaffnen. Wenige Jahre später, im August 1116, wird erneut über ein militärisches Vorgehen städtischer Kräfte gegen den Salier berichtet. Herzog Friedrich von Schwaben und weitere Anhänger Heinrichs V. hielten die Stadt besetzt und standen in Friedensverhandlungen mit ihrem Gegner Adalbert von Mainz, als die Besatzung der Stadt ohne Rückversicherung bei ihren Anführern einen Ausfall aus Worms vornahm. Infolgedessen wurden die Wormser völlig geschlagen und mussten sich in die Stadt zurückziehen, die durch einen Brand größtenteils zerstört wurde79.

Einen dramatischen Höhepunkt erreichten die kriegerischen Auseinandersetzungen beider Seiten im Sommer des Jahres 1124, als sich die städtischen Kräfte zum Abfall von Heinrich V. entschlossen. Unterstützt wurden die Wormser dabei von Herzog Friedrich von Schwaben, der gegen den Willen des Kaisers den für Worms vorgesehenen neuen Bischof Buggo in die Stadt eingeführt hatte. Dieser sollte nach dem Willen Heinrichs V., der die Stadt direkt verwalten und ihre Einkünfte nutzen wollte, von der Herrschaft über Worms ausgeschlossen bleiben. Die Wormser bemächtigten sich des von kaiserlicher Seite in Neuhausen angelegten befestigten Platzes und zerstörten ihn. Es gelang Kaiser Heinrich V. und seinem Gefolge jedoch, die Übergabe der Stadt zu erzwingen. Zahlreiche Angehörige der städtischen Führungsgruppe (meliores) wurden niedergemacht, die Stadt bekam eine hohe Strafsumme auferlegt. Der Bischof musste Worms wieder verlassen und konnte erst nach Heinrichs Tod 1125 seine faktische Herrschaft über die Stadt antreten80. Diese Quellenzeugnisse lassen erkennen, dass das militärisch-politische Agieren gegen den faktischen Stadtherrn eine für die führenden Kräfte aufwändige und risikobehaftete Angelegenheit blieb.

Am 23. September 1122 wurde die Stadt Worms zum Ort eines höchst bedeutsamen Ereignisses. Das von Legaten des Papstes und Vertretern des Königs ausgehandelte so genannte »Wormser Konkordat« wurde urkundlich fixiert und regelte nun die seit den Tagen Papst Gregors VII. (1073–1085) strittige Investiturfrage. Auf den »Loubwiesen« – auf der rechten Rheinseite vor Worms gelegen – kam es zu einer vertraglichen Vereinbarung über die Investitur der Bischöfe und Reichsäbte: Heinrich V. verzichtete auf die Investitur der Bischöfe mit den geistlichen Symbolen Ring und Stab und garantierte die freie kanonische Wahl und ungehinderte Weihe der Bischöfe, während dem Herrscher innerhalb des Regnum Teutonicum die Wahl der Reichsbischöfe in seiner Gegenwart zugesichert wurde. Der Einfluss des Königs auf die Besetzung der Bischofsstühle blieb auf diese Weise grundsätzlich gewahrt. Der Streit zwischen dem Papsttum und den salischen Reichsherrschern wurde mithin im Wege eines Kompromisses beigelegt81.

Wie bereits erwähnt, kam es unter Heinrich V. zu einer deutlichen Fortentwicklung der Anerkennung bzw. Förderung des Städtewesens. Die einschlägigen inschriftlichen und urkundlichen Zeugnisse aus Speyer (111182) und Worms (1112 und 111483) sind in den letzten Jahrzehnten von der stadtgeschichtlichen Literatur immer wieder herangezogen worden, um die frühe und in vielem vorbildgebende Entwicklung hin zum verbandsmäßigen Zusammenschluss der Bürger sowie die Tendenz zur Angleichung ihres sich verbessernden Rechtsstandes aufzuzeigen. Allerdings wird man künftig die Beurteilung der beiden im Stadtarchiv verwahrten Wormser Diplome von 1112 und 1114 wesentlich differenzierter handhaben müssen, da diese nach jüngerer, überzeugender Einschätzung als verunechtet gelten müssen.

Die im Oktober 1112 den Bürgern von Worms (Warmacienses cives) wie auch den Juden ausgestellte Urkunde84 (vgl. Abb. 12 und Tafel 8a) bestätigte zunächst die von Heinrich IV. gewährte Zollfreiheit an königlichen Zollstätten und erließ den Wormsern darüber hinaus das jährlich zu entrichtende Wachtgeld. Dafür wurde ihnen im Gegenzug die Aufrechterhaltung der städtischen Bewachung (custodia civitatis) ausdrücklich eingeschärft, eine Leistung, welche die Städter jetzt offenbar mit eigenen Mitteln gewährleisten sollten. In diesem Teil ist die Urkunde als echt anzusehen. Probleme bereitet allerdings ein Nachsatz, der die Wertschätzung der Wormser Bürger ausdrücklich betont und von dem angenommen werden muss, dass er nachträglich eingefügt wurde. Die Wormser fügten diesen besonderen Ausdruck ihres Selbstwertgefühls in Gestalt einer Betonung ihres gehobenen Rechtsstatus eigenmächtig dem Text zu, nachdem ihnen der Herrscher diesen Rang eventuell nicht mehr zugestehen wollte.

Gut zwei Jahre später, am 30. November 1114, wurde eine weitere Urkunde Heinrichs ausgestellt, in der eine Reihe von (angeblichen) Rechtsverbesserungen bestätigt wird. Auch diese Urkunde wird in der stadtgeschichtlichen Forschung immer wieder herangezogen85. Das Hauptproblem bei der Auswertung des wohl sehr bald nach 1114 hergestellten Diploms besteht in der Trennung zwischen dem auf eine tatsächliche Verfügung zurückgehenden wahren Kern von fälschenden Zutaten der Wormser. Der Inhalt zerfällt in zwei Teile: Zum Ersten erfolgen erbrechtliche Regelungen hinsichtlich Eheschließungen von Personen aus unterschiedlichen Hofrechtsverbänden. Dabei werden Anordnungen getroffen, die den 1111 für Speyer fixierten Bestimmungen entsprechen und den Rechtsstatus und die Rechtssicherheit für die Stadtbewohner in Richtung auf ein uneingeschränktes Erbrecht verbessern. Die Bestimmungen des Diploms können in ihrem ersten Teil Glaubhaftigkeit beanspruchen, da sie durch die spätere Urkunde Barbarossas von 1184 (s.u.) nicht nur bestätigt, sondern noch ausgeweitet wurden. Schwieriger erscheint eine Bewertung des zweiten Teils. Hier geht es um die Verpflichtung zur Übernahme eines königlichen Amtes durch die Bürger, die Aufsicht über den Schiffszoll. Keiner der Städter dürfe von städtischen Funktionsträgern (a magistratibus urbis) als Bevollmächtigter für diese dem Herrscher zustehende Abgabe eingesetzt werden. Als Anreiz für die Übernahme der Funktion wird ein genau festgelegter Teil des Tuchzolls als zusätzliche Amtsausstattung festgesetzt. Erkennbar wird hier der Zugriff des Herrschers auf die finanziell bzw. ökonomisch relevanten Ressourcen. Eine Funktion des städtischen Handelsund Verkehrslebens, im Auftrag und auf Rechnung des Herrschers vermutlich durch städtische Kaufleute ausgeübt, wird von Amtsträgern des Königs für die Stadt bzw. von einem eigenständigen städtischen Gremium an Bürger vergeben und dazu mit Zuwendungen aus regelmäßigen Einnahmen ausgestattet – so will der zweite Teil des Diploms glauben machen. Trotz der Bestätigung der Bestimmungen im Diplom Barbarossas 1184 stellt uns dieser wirtschaftsgeschichtlich wichtige Abschnitt vor noch nicht gelöste Probleme.


Abb. 12: Diplom Kaiser Heinrichs V. für Worms, 1112 (StadtA Wo Abt. 1 A I Nr. 4)

Vom Meliorat und den städtischen Führungsgremien war bereits die Rede. Ein aufschlussreicher Hinweis auf das Vorhandensein informeller Beratungs- und Beschlussgremien in der Stadt am Ende der salischen Zeit findet sich in einer Quelle, deren Bedeutung für die Wormser Stadtgeschichte des späten 11. und frühen 12. Jahrhunderts in mehrerer Hinsicht kaum hoch genug eingeschätzt werden kann, der kurz nach 1132 niedergeschriebenen »Vita Eckenberti«, einer Lebensbeschreibung des Gründers des Regularkanonikerstifts Frankenthal unweit südlich von Worms86. In dieser Erzählung wird von der gewaltsamen Gefangennahme und Misshandlung eines Mannes durch einen Richter berichtet. Dieser vor der Rache in den Dom geflüchtete Richter soll vor einer aufgebrachten Menge von Eckenbert geschützt worden sein. Im Zusammenhang mit den Verhandlungen über das weitere Schicksal des Mannes wird nun eine Art Ältestenrat (seniorum consilium) erwähnt, das dem Mann den Frieden gewährt habe. Offenkundig bestand um 1125, kurz nach dem Tod Heinrichs V. und am Beginn der Bischofsherrschaft Buggos, ein informelles Beratungsgremium von Ältesten, die in Fragen der inneren Ordnung der Stadt rechtsprechend und ordnend in der Stadt tätig waren. Möglicherweise handelt es sich hierbei um eine Erwähnung des bischöflichen Hoch- bzw. Friedensgerichts. Dies wäre ein wichtiger Hinweis auf die Nähe zwischen dem anzunehmenden Beratungsgremium an der Stadtspitze und dem im Namen des Bischofs ausgeübten Gerichtswesen als Ansatzpunkt für die Beteiligung von führenden Laien an Fragen der inneren Ordnung und Verwaltung der Civitas sowie zugleich ein Hinweis auf einen Vorläufer des 1180 erstmals genannten Friedensrichter-Gremiums (s.u.). Die Vita Eckenberti gewährt uns weit darüber hinaus Einblicke in die gesellschaftliche Struktur und die religiös-politischen Handlungsweisen exponierter Personen und Familien im Kontext der Ministerialität und der Kanonikerreform. Sie führt mitten hinein in den Bereich der Verbindungen zwischen städtischer Entwicklung und städtischer Führungsgruppe zum einen und den wirkmächtigen religiös-monastischen Reformbestrebungen in der Zeit des Investiturstreits zum anderen. Faszinierend sind Person, Stand, Lebenslauf und verwandtschaftlicher Hintergrund des bischöflichen Ministerialen. Sein kurz nach seinem Tod 1132 schreibender Biograf bezeichnet den um 1080 geborenen Eckenbert als »Bürger adliger Abkunft«. Die Quellen lassen erkennen, dass er verwandtschaftlich mit dem bischöflichen Umfeld verbunden ist, einer sehr reichen Familie entstammt und von seinen Eltern als Erbe eines großen Vermögens für eine ritterliche Karriere vorgesehen war. Zugleich wird er in der bischöflichen Bestätigungsurkunde für Frankenthal von 112587 als »Bürger unserer Stadt« bezeichnet. Besonders interessant ist die Erziehung Eckenberts, der von seinen Eltern dem Abt des Klosters Limburg anvertraut und dort unterrichtet worden sei. Er steht in einem freundschaftlichen Vertrauensverhältnis zum Kustos des Paulusstifts und verfügt demnach auch über Beziehungen zum Stiftsklerus seiner Heimatstadt. Die Gründung des regulierten Chorherrenstifts in Frankenthal erfolgt auf einem Besitz des Ritters und Bürgers und seines aus Laien wie Geistlichen zusammengesetzten Gefolges.

Das Streben nach einem Leben gemäß der vita apostolica wird schließlich mit der Errichtung des Stifts in Frankenthal im Jahr 1119 erreicht, wobei die Episode über die Existenz einer zeitweiligen religiösen Frauengemeinschaft im nördlichen Vorstadtgebiet von Worms von besonderem Interesse ist. Die herausragende und durch die Gunst der Überlieferung recht klare Erscheinung Eckenberts steht hinsichtlich der Verbindungen zwischen städtischem Leben und Wirtschaften, zwischen Handel, Besitz und Reichtum und damit einem Lebensstil bürgerlich-ministerialisch-ritterlicher Prägung sowie der Ausrichtung auf neue Formen des religiös-gemeinschaftlichen Lebens samt einer an den Vorstellungen der Urkirche orientierten Frömmigkeit keineswegs allein da. Eckenberts Verhalten und seine Stellung werden nur vor dem Hintergrund einer kurz vor 1100 allmählich erkennbaren Schicht von Bürgern der rheinischen Bischofsstädte und ihrer Ausrichtung auf ein religiöses Gemeinschaftsleben sowie der seit ca. 1100 für bürgerliche Kreise gegebenen Möglichkeit zur Teilhabe an monastischer Memoria verständlich88.

Es drängt sich angesichts der schillernden Persönlichkeit Eckenberts die Frage auf, wie der gesellschaftliche Hintergrund der dynamischen Entwicklung der Zeit um 1100 in einer Stadt wie Worms einzuschätzen ist. Wer tritt hier eigentlich auf, was wissen wir über die bürgerlichen Protagonisten, wie wir sie hinter den kollektiven Bezeichnungen meliores, maiores oder optimates vermuten bzw. vereinzelt namhaft machen können? In welchen Kontext gehört Eckenbert? Aufschlussreiches Quellenmaterial findet sich in der Überlieferung zu den aufblühenden Reformklöstern des südwestdeutschen Raumes wie Hirsau, Reichenbach und St. Georgen, zu denen von Worms und anderen rheinischen Civitates seit den 1090er Jahren personelle Bindungen und Kontakte bestanden haben89. Die Überlieferung der genannten geistlichen Institutionen enthält Indizien über die vielfältigen Kontakte und Beziehungen beider Seiten und markiert eine starke Ausrichtung des wirtschaftlich erstarkenden und politisch ambitionierten bürgerlich-ministerialischen Worms in der Zeit zwischen etwa 1100 und 1140 auf diese der Reform verpflichteten Einrichtungen. Auch aus Straßburg, Speyer, Mainz und Köln sind etwa dem Kloster Hirsau umfangreiche Güter und Besitzungen in den Städten zugeflossen, eine besondere Affinität zwischen Reformabteien und Stadtbürgertum ist allenthalben erkennbar.

Beispielhaft ist die Abtei St. Georgen zu erwähnen. Der aufschlussreiche Bericht der »Vita Theogeri« beschreibt einen 1102 gestorbenen Liutfried als jungen, sehr reichen und mit großer Verwandtschaft versehenen Bürger der Stadt Worms, der angesichts einer Hungersnot Schenkungen an das Kloster in und bei Worms vorgenommen, seine materiellen Möglichkeiten in Worms dem Kloster nutzbar gemacht hat und dem Konvent unmittelbar vor seinem Tode beigetreten ist. Liutfried verfügte über persönliche Beziehungen zu Abt Theoger (1088–1110), der zuvor als Kanoniker am Stift St. Cyriakus/Neuhausen nachweisbar ist90. Neben der Zugehörigkeit zum Konvent waren es vor allem Schenkungen, durch die sich Wormser Bürger und gleichermaßen Stiftsgeistliche an die Reformorden gebunden haben. Neben St. Georgen hat das Kloster Hirsau eine starke Attraktivität auf städtisch-ministerialische Kreise wie auch auf Kleriker ausgeübt. Auch das Hirsauer Priorat Reichenbach hat seit etwa 1100 von Schenkungen städtischer Kreise aus Mainz und Worms profitiert.

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